Ich freue mich immer sehr, wenn ein mir bislang unbekannter Mensch einen Gastbeitrag bei mir veröffentlichen möchte, ich spreche dann gerne von Ehre und Herausforderung. Im Rahmen des Gothic Friday habe ich mich sehr über die Einsendung von Merlyn (31) gefreut, die ihr Debüt im August mit ihrer Top 5 der „schwarzen“ Bücher beginnt. Selbstverständlich würde ich mich sehr freuen, wenn wir die Autorin dieses Beitrags auch nächsten Monat wieder begrüßen dürften. Der Text erreichte mich via E-Mail und wurde von mir lediglich durch die Bilder zu den jeweiligen Werken ergänzt.
Ein Leben ohne Bücher kann ich mir irgendwie nicht vorstellen. Im Haus meiner Eltern gab es immer Bücher, Massen davon. Als sie keinen Platz mehr hatten, ging meine Mutter alle paar Wochen in die Bücherei, auch weil das auf Dauer günstiger ist. Ich war schon als Kind immer mit dabei, denn eigentlich war meine Zahnspange und die damit verbundenen Zahnarztbesuche der Grund für die Fahrten in die Kreisstadt. Meine 5 Top Bücher haben keine Reihenfolge:
Kenneth Cook: In Furcht erwachen
Das Buch stammt aus dem Jahr 1961 und wird als Schullektüre in Australien gelesen, was für mich den Anreiz gab, es zu lesen. Hauptfigur ist der Lehrer John Grant, der sein ganzes Geld beim Spielen verliert und abstürzt. Fremde Leute nehmen sich seiner an, doch er sinkt trotz ihrer Hilfe immer tiefer. Insgesamt ein sehr tragischer Stoff, von dem man die Finger lassen sollte, wenn es einem gerade nicht so gut geht.
Wenn man das Buch inhaltlich so zusammenfasst, klingt es langweilig. Doch schon alleine der Schauplatz (Australiens Outback um 1960) machte es zu etwas nicht Alltäglichem für meine damaligen Lesegewohnheiten. Ich fand es spannend, auch wenn Johns Leben einem immer ausweglos vorkommt, dass er eigentlich nicht mehr tiefer sinken kann. Geschichten, in denen Leute mit dem Flugzeug abstürzen oder sich in der Wüste verlaufen und dergleichen mit ähnlichen ausweglosen Situationen mag ich überhaupt nicht, falls man es damit vergleichen möchte.
Das Buch ist von der ersten bis zur letzen Zeile deprimierend, es gibt keinen Lichtblick darin, bis auf eine überraschende Wendung am Schluss (ohne Kitsch!).
Ich kann nicht genau sagen, was die Faszination ausmacht. Ich würde es nicht hergeben und fragt jemand nach einem guten Buch, springt es mir als erstes in den Sinn. Erst danach überlege ich, ob der traurige Stoff der Person überhaupt zusagen könnte.
Nick Cave: Und die Eselin sah den Engel
Man kann Nick Cave als Musiker mögen oder auch nicht. Für mich war seine Musik der Einstieg in die Szene und als großer Fan (damals), kam ich an diesem Buch nicht vorbei.
Erzählt wird die Geschichte von Euchrid Eucrow, der als Ergebnis vieler Generationen von Alkoholmissbrauch u. Inzucht in einem abgeschnittenen Südstaatenkaff aufwächst. Er ist stumm und missgebildet. Nachdem seine Eltern tot sind, zieht er sich immer mehr in seine eigene verrückte Welt zurück. Im Dorf regiert eine religiöse Sekte, die auch vor Lynchmorden nicht halt macht. Ihr größter Schatz ist ein kleines verwaistes Mädchen, das sie als Heilige preisen. Als Euchrid sich dem Mädchen nähert, wird er von den Dorfbewohnern gejagt.
Der Erzählstil ist sehr ausgeschmückt, gegen Ende wechseln die Perspektiven, die dem Leser die verzerrte Welt von Euchrid der Realität erschreckend gegenüberstellen. Wenn man dabei bedenkt, dass Nick Cave Teile des Buches in Taxis und Hotelzimmern geschrieben und sie dann auch noch dort vergessen hat, ist es schon erstaunlich, dass die Geschichte hinten und vorne zusammen passt. (Die verlorenen Teile haben immer wieder zu ihrem Besitzer gefunden)
Wer sich intensiver mit Nick Cave befasst hat, findet in dem Buch viele Motive aus seinen frühen Songs wieder. Aber auch ohne Vorkenntnis entführt das Buch in eine andere Welt, wie ich es bisher nur selten erlebt habe. Ich habe das Buch schon 3 Mal gelesen, was ich selbst schon fast extrem finde….Ich hoffe, dass jemand dem Buch trotzdem eine Chance gibt, auch wenn man mich für einen verdrehten Fan hält, der vielleicht nicht objektiv sein kann.
H.P. Lovecraft: Der Fall des Charles Dexter Ward
Ich gehe davon aus, dass viele schon einmal etwas von H.P. Lovecraft gelesen haben. Meine ersten Kurzgeschichten habe ich mit 17 aus der Bücherei ausgeliehen und mitten unter grölenden Jugendlichen auf der Liegewiese am Badesee gelesen, wohin mich mein damaliger Freund mitgeschleppt hatte. Um mich herum vergaß ich die Hitze, die lauten Kinder und den steinigen Boden unter der Strohmatte. Die Geschichten empfand ich umso düsterer. „Der Fall des Charles Dexter Ward“ wurde mir jedoch immer von anderen Büchereibenutzern weggeschnappt. Erst vor einem Jahr fand ich es im Regal eines Freundes.
Auch wenn Lovecraft den Vorgängen und Personen mehr Raum gibt als in seinen Kurzgeschichten, verwässert sich der schleichende Horror dadurch nicht. Ich konnte teilweise vorhersehen, wie die Geschichte weiter gehen wird, weil ich durch so viele Horrorfilme, Serien und Bücher alles irgendwie schon einmal so ähnlich gesehen oder gelesen habe. (ich denke, das geht leider vielen so) Dennoch habe ich dieses Buch sehr genossen und war ein bisschen traurig, als ich es ausgelesen hatte.
Die altmodische Sprache, alle diese fehlenden technischen Dinge wie Anrufbeantworter oder sogar Telefone, geben der Welt die Langsamkeit, die ich heute manchmal vermisse. Die Geschichten brauchen keine spektakulären Helden und es wirkt alles einheitlicher und harmonischer als mancher Krimi oder (Horror-)Thriller von heute, wo es immer eine Nebenhandlung oder nervige Spaßvögel gibt, die für noch mehr Unterhaltung sorgen sollen. Man merkt einfach, dass Lovecraft sich viel Zeit genommen hat (ähnlich wie J.R. Tolkien, wenn der Vergleich erlaubt ist) und die Geschichten dadurch mehr Tiefe haben.
Carlos Ruiz Zafón: Der Schatten des Windes
Zugegeben, ein Buch von der Beststellerliste, wo sich ja oft sehr seichte Geschichten tummeln. Eine Arbeitskollegin hatte es mir empfohlen, sonst hätte ich es vermutlich nicht gelesen.
Der 10jährige Daniel gerät an ein Buch, das ihn nicht mehr loslässt. Die Suche nach dem rätselhaften Autor und dessen Schicksal wird ihm zur Lebensaufgabe bis ins Erwachsenenalter. Anfangs ist das Buch ganz nett unterhaltsam, kauzige Charaktere und eine interessante Umgebung (Barcelona zwischen 1900 bis etwa 1950) machen es reizvoll, dass man es nicht aus der Hand legen kann.
Gegen Ende nehmen die Geschichten der Figuren sehr düstere Züge an, die ich persönlich als sehr „gotisch“ empfand. Ich weiß nicht recht, wie ich diese Atmosphäre umschreiben kann, ich möchte nicht zu viel verraten um die Spannung nicht zu verderben. Es geht um verzweifelte Liebe, Loyalität, Tod und Rache. Diese Stimmungen und Ereignisse schienen mir aus verschiedenen goth-angehauchten Büchern und Filmen bekannt vor zu kommen, ohne dass ich sie genau einordnen kann. Alle diese düster-romantischen Aspekte bringt der Autor in beinahe konzentrierte Form in seine Geschichte ein. Klingt ein wenig pathetisch, aber ich war wirklich traurig, als das Buch zu Ende war. Dieses Gefühl hatte ich bestimmt schon 10 Jahren nicht mehr. Daher zählt es heute zu meinen Lieblingsromanen.
Anthony Burgess: Uhrwerk Orange
Sicher haben auch andere dieses Buch in ihrer Favoritenliste. Ich konnte mich bei Buch Nr. 5 für keines eindeutig entscheiden. Oft war es einfach schon zu lange her, dass ich sie gelesen hatte und konnte mich zwar an den Inhalt erinnern, aber nicht mehr daran, wie es auf mich gewirkt hat – nur dass ich es irgendwie gut fand.
“Clockwork Orange“ lohnt sich alleine schon wegen der wirklich originellen Jugendsprache, die im Film nicht so genau rüberkommt. Wer es lesen möchte, dem sei ausdrücklich die alte Übersetzung von Walter Brunn empfohlen. (gebraucht erhältlich bei der bekannten Auktionsplattform oder Online Antiquariaten)
Der aggressive und gewalttätige Alex terrorisiert mit seinen Freunden die Umgebung, bis er verhaftet und fragwürdigen Therapie unterzogen wird. Am Ende ist er zwar frei, hat aber alles verloren und wird zum politischen Spielball für andere. Ein gleichzeitig unterhaltsames (witziges) wie beängstigendes Buch, das auch lesenswert bleibt, wenn man das Ende und die Handlung schon kennt. Anfangs versteht man so Alex’ Sprache überhaupt nicht, aber mit der Zeit wird es umso lustiger.
Werner Helsper: Okkultismus – die neue Jugendreligion?
Ich möchte dieses Sachbuch noch gerne erwähnen, da es für mich eine große Rolle gespielt hat. Als ich mit 14-16 auf der Suche nach Lebensphilosophien war, wie viele andere (auch nicht schwarze) Jugendliche auch, habe ich mir verschiedene Bücher über New Age, Wicca-Kult, Okkultismus usw. aus der Bücherei ausgeliehen.
Darunter war auch dieses Buch von 1992, das freilich heute nicht mehr aktuell sein kann, dennoch gibt es ein paar sehr gute Kapitel über Grufties, denen der Autor die Aufmerksamkeit und Objektivität widmet, die man sich bei manchen Veröffentlichungen wünschen würde.
Man möchte das Buch gerne den Leuten (Eltern, Lehrer usw) in die Hand drücken, die kein Verständnis für die (An-)Wandlungen der Jungendlichen haben oder sogar massive Vorurteile hegen. Das schwarze Lebensgefühl wird sehr gut erklärt und wirbt somit für mehr Verständnis und Toleranz. Ich habe das Buch bereits 2 Mal gelesen, da ich mich in den Aussagen und Erfahrungen der interviewten Jugendlichen sehr gut wieder finden konnte.
Ich muss, als alter Cthulhu Pen&paper Rollenspieler, sagen, dass Dexter Ward von Lovecraft nicht so mein Fall war. Es ist zwar schon einige Jahre her, dass ich es gelesen habe, aber es hat mich wirklich nicht so vom Hocker gerissen.
Von Nick Cave als Musiker kenne kaum etwas, doch was ich kenne, hinterließ bei mir Spuren. Wie eben jenes Buch. Ich sage nur »Fort Hundskopf«
Es war absurd, in gewisser Hinsicht krank und einfach nur mit destruktiven Emotionen bestückt. Aber, und das machte es so faszinierend, es blieb immer auf dem Teppich.
Irgendwo las ich einmal, dass es Cave im Stile des Bibeltextes geschrieben hatten. Da es lange her ist, als ich es gelesen hatte und ich das Buch selber noch nicht wieder besitze, kann ich dieses nicht mehr nachvollziehen bzw. bestätigen.
Doch ich glaube, dass man es manchen Formulierungen ein wenig anmerkte. Allerdings, wenn dem so gewesen sei, dann wird vieles der damit aufgebauten Atmosphäre innerhalb der Übersetzung verloren gegangen sein.
Das sind nicht nur gute Tipps, sondern auch sehr schön beschrieben und formuliert. z.B. gefällt mir der Satz: „Die altmodische Sprache, alle diese fehlenden technischen Dinge wie Anrufbeantworter oder sogar Telefone, geben der Welt die Langsamkeit, die ich heute manchmal vermisse.“
Das geht mir auch oft so – im Moment nach einigen Wochen Online-Abstinenz gerade mehr als sonst.
„Der Schatten des Windes“ ist ein ganz wunderbares Buch und die Story wirklich außergewöhnlich, da kann ich mich anschließen. Auch dass du „Der Fall des Dexter Ward“ empfiehlst macht mir meine Entscheidung bisschen leichter. Die Story gibt es auch als Gruselkabinett-Hörbuch und ich wusste nicht so recht, ob die Story wirklich gut ist. Aber Du hast die Zweifel ausgeräumt.