Ist Gothic mein Lebensstil, mein Lebensgefühl oder meine Lebenseinstellung? Der Gothic Friday stellt die Frage im September zur Diskussion. Mein Ergebnis? Nein! Gothic ist nicht mein Lebensstil, nicht mein Lebensgefühl und auch keine Lebenseinstellung. Es gibt eine recht einfache „Formel“, die mich zu diesem Ergebnis bringt: Würde mir morgen jemand die schwarzen Klamotten wegnehmen und würde sich die Schwarze Szene in Luft auflösen, würde sich an meinem Lebensstil, an meiner Lebenseinstellung und meinem Lebensgefühl absolut nichts ändern.
Oder anders: Hätte es Gothic in meinem Leben nicht gegeben, würden mein Lebensgefühl und meine Lebenseinstellung ebenso aussehen wie jetzt. Es gibt keinen direkten Zusammenhang.
Ich habe oft gelesen, dass bestimmte Bereiche des Lebensgefühls – beispielsweise Gesellschaftskritik, Tiefgang, Kreativität, Interesse für Kunst, Kultur, Geschichte, Philosophie usw. – als Gothic-Eigenschaften deklariert werden. Es mag so sein, dass sich in der Szene viele Leute mit diesen Interessen einfinden, aber hier „Gothic“ als Ursache zu nennen, halte ich für Blödsinn.
In meinem Bekanntenkreis gibt es zahlreiche Leute, auf die das ebenso zutrifft, obwohl sie statt Pikes lieber Turnschuhe tragen. Lebensgefühl und Lebenseinstellung sind wohl durch andere Dinge geprägt. Oder um es mit dem Huhn und dem Ei zu erläutern:
Die Lebenseinstellung und das Lebensgefühl sind allenfalls das Ei, aus dem die Henne namens Goth-Chick schlüpfen kann. Denn jeder sucht sich wohl einen „Ort“, an dem er sich mit seinem Lebensgefühl verstanden und angenommen fühlt. Das kann die Schwarze Szene sein – muss aber nicht. Hier spielen dann wahrscheinlich noch persönliche Interessen und Vorlieben mit rein.
Der Lebensstil hingegen ist wohl vornehmlich durch die Umstände und natürlich durch das Lebensgefühl und die Lebenseinstellung bedingt. Bildung, Geld, Beruf, Familienstand, selbst gesetzte Prioritäten und Ziele – hat alles nichts mit Gothic zu tun. In der Szene laufen Leute mit den unterschiedlichsten Lebensumständen und Lebensstilen rum. Es gibt keinen direkten Zusammenhang.
Was ist Gothic dann?
Gleich und gleich gesellt sich gerne! Das ist Gothic. Eine Gemeinschaft von Leuten mit ähnlichen Interessen, einem ähnlichen Geschmack, ähnlichen Verhaltensweisen und sicher auch einem ähnlichen Lebensgefühl (zumindest in Teilbereichen). Das driftet zwar immer mehr durch die unterschiedlichen Strömungen in der Szene und die Kommerzialisierung auseinander, aber gelegentlich blitzt der Kern noch durch.
Heimat ist da, wo ich verstehe und wo ich verstanden werde.
Karl Jaspers
Gothic ist eine Subkultur mit eigenen Veranstaltungen, Treffpunkten und Künstlern (Musiker, Schriftsteller, Fotografen, Kleinkunst, Mode usw.). Gothic ist die Vorliebe für eine bestimmte Art von Musik, für ein bestimmtes Ambiente, für eine spezielle Art der Ästhetik.
Ein „Raum“, in dem man Gleichgesinnte trifft, sich wohlfühlt und auftanken kann. Inwiefern man diesen „Raum“ mit in den Alltag nehmen kann, hängt dann wieder vom Lebensstil inklusive der äußeren Umstände ab.
Ach ja … und … GOTHIC ist ein bescheuertes Wort!
Jawoll! :)
Willkommen im Club der „Ich bin kein Gothic!“
Ja, „Gothic“ ist ein komischer Begriff für das, was wir wahrnehmbar darstellen.
Ist es nicht lustig, dass es in einschlägigen Foren unzählige Diskussionen zu „Wer ist true? Warum sind alle anderen Menschen um mich herum nur Poser?“ gibt und beim Gothic Friday unisono alle auf Distanz gehen?
Gothic ist eine Subkultur, die mehr als „Musik und Klamotten“ zu bieten hat. Um beim Bild aus dem Artikel zu bleiben: Wer den „Gothic-Raum“ betritt und außer einem tollen Styling und den passenden CDs nicht mehr an Gemeinsamkeiten und Interessen zu bieten hat, der wirkt eben- wie es so schön/bescheuert heißt – untrue. Das bedeutet wahrscheinlich nicht mehr als, dass man mit den Leuten nicht viel anfangen kann.
Wie ich erwähnte: Gleich und gleich gesellt sich gerne. Je weniger „gleich“ ist, desto weniger gerne gesellt man sich. :-) Oder so ähnlich :-)
Und richtig: Ich bin definitiv kein Gothic. Der Begriff ist bescheuert und diese Schublade ist mit Dingen gefüllt, die ich zum großen Teil nicht mit mir verbinde. „Schwarze Szene“ ist als Begriff okay, weil das für mich Kunst, Kultur, Musik, Festivals usw. beinhaltet, die ich mag. Die Begriffe „Grufti“ und „Waver“ gehen auch noch gerade so. Grufti, weil es mich an die 80er-Jugendzeit erinnert und Waver, weil ich den Begriff mit Musik verbinde. Aber die Bezeichnungen sind ohnehin irgendwie alle seltsam.
Sehr seltsam. Der Beitrag hätte auch von mir stammen können. Wobei ich es hinsichtlich des Lebensstils eher so sehe, dass der vorrangig durch Vorlieben und Geschmack geprägt wird, natürlich auch durch die Einstellung, aber eben nicht nur. Deswegen haftet eben auch dem netten Gothic-Rock-Fan, der seine geliebte Musik verinnerlicht und sich optisch an seinen Idolen orientiert, ein Lebensstil an, so wie es in jeder anderen Musikszene der Fall ist.
Fantastischer Beitrag, der deine Sicht der Dinge sehr verständlich beschreibt. Ich finde ihn überhaupt nicht kurz, du hast nur das Talent, deine Worte effizient einzusetzen um die gewünschte Wirkung zu erzeugen.
So ganz einverstanden bin ich dennoch nicht. Ich bin mir sicher, wir meinen das gleiche, womöglich scheitert es an der Begrifflichkeit „Lebensstil“, den von dem gehe ich in der Tat aus, weniger von einem Lebensgefühl.
Ich denke du hast heraus gearbeitet, dass Gothic dein Leben nicht beeinflusst hat. „Würde mir morgen jemand die schwarzen Klamotten wegnehmen und würde sich die Schwarze Szene in Luft auflösen, würde sich an meinem Lebensstil, an meiner Lebenseinstellung und meinem Lebensgefühl absolut nichts ändern.“
Das sehe ich anders. Die schwarze Szene bedingt schwarze Kultur, Kunst, Musik und Ästhetik. Ich denke, dein Leben wäre anders verlaufen, wäre all das nie da gewesen. Wenn ich davon ausgehe, dass „Szene“ für Dich auch eine Art Schutzraum ist, in dem du auftanken kannst, dann hättest du ohne Szene keinen Raum mehr, in dem das, was du schön, interessant und inspirierend findest, auch bei anderen zu finden ist und als gemeinsame Basis dient.
Auch wenn du keinen konkreten Einfluss wahrnehmen kannst, auf gewisse Art und Weise sind wir dennoch von der schwarzen Szene und dem von die genannten „Lebensgefühl“ beeinflusst.
Ich hoffe, ich kommentiere jetzt nicht an deinen Gedanken vorbei.
@Robert
Die Begebenheiten und Erlebnisse und Gedanken – auch Bücher, Gespräche, Begegnungen usw. – , die mich geprägt haben und zu Einsichten und Ansichten und letztlich zu einem Lebensgefühl geführt haben, haben definitiv alle nichts mit „Gothic“ zu tun gehabt.
Natürlich gibt es auch ohne „Szene“ Räume, in denen man auftanken kann. Es gibt überall Dinge, die inspirierend und interessant sind. Aus dem Alter einer solch extremen Fixierung auf eine Szene bin ich wohl lange raus. Das wäre ja auch traurig, wenn das anders wäre.
Einen großartigen Einfluss der Szene auf mein Lebensgefühl kann ich nicht erkennen. Ausgenommen ist hier vielleicht die Jugend, die einen natürlich immer sehr prägt und in der ich mich nun mal in schwarzen Schuppen rumgetrieben habe ;-) Aber auch in dieser Zeit gab es viele andere Einflüsse. Welche da wirklich ausschlaggebend waren, kann ich heute kaum mehr sagen.
Gothic hat eher Einfluss auf die Freizeitgestaltung, auf das Ambiente, das ich mir schaffe und auf die Kleidung natürlich. Wenn du letzteres als „Lebensstil“ bezeichnest, dann hast du Recht. Ist wahrscheinlich wirklich eine Frage der Definition.
Für mich klingt das mit dem „Gothic-Raum“ so ähnlich wie mit Eltern:
Sie haben einen angeleitet und geprägt im Leben, aber man steht auf eigenen Beinen.
Und die Prägung die man hat kam nicht NUR von den Eltern.
(na gut…vielleich doch ein dummes Beispiel, weil Eltern einen sicher mehr prägen als eine Szene *grübel*)
Ich glaube auch, wie Robert, dass wir hier unterschiedliche Definitionen ansetzen. Ich betrachte einen Lebensstil stark geschmacks- und vorliebenverbunden – bezogen auf verschiedene Dimensionen wie Freizeit, Musik, Literatur, Stimmungen.
Im Endeffekt ist das was Du für Dich beschreibst das beste Beispiel für meine These: ein (Gothic-)Lebensstil ist das eine, die schwarze Szene das andere. Lebensstil und Szene sind unabhängig voneinander und die schwarze Szene ist nur der Treffpunkt für die Menschen, die einen ähnlichen Gschmack haben und viele Gemeinsamkeiten im Lebensstil pflegen. Weil man sich eben dort wohl fühlt, da man „unter Seinesgleichen“ ist. Die Heimat, die Du beschreibst. Die Szene ist aber auch so stark durch die Musik geprägt, dass wiederum andere, die in meinen Augen auch einen Gothic-Lebensstil mit Hang zum Düsteren, Melancholischen, Skurrilen usw. führen, dort nicht aufschlagen. Weil sie mit der Musik oder auch den Leuten nichts anfangen können/wollen.