Im Projekt Gothic Friday drehte sich im Januar alles um die Frage: „Wie bist Du in die Szene gekommen?“ 31 Einsteiger, Dabeigebliebene und Enthusiasten ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen und schrieben 31 individuelle, persönliche und großartige Einblicke in die Wege zur Subkultur. In diesem Resümee möchten wir versuchen einen Überblick über das zu geben, was Mitglieder der schwarzen Szene zum Einstieg verholfen hat. Darüber hinaus findet sich in Zukunft ein neuer Navigationspunkt in der oberen Leiste mit der Aufschrift „Gothic Friday“ der sich wie ein Buch kontinuierlich mit dem Projekt auseinandersetzt und alle entsprechenden Beiträge verlinkt.
Wir waren ehrlich gesagt überwältigt von dem, was die Teilnehmer geschrieben haben, wie textgewaltig, intensiv, persönlich und reflektiert man sich anlässlich dieses Projektes mit der eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt hat. „Der Text ist verfasst und ich bin irgendwie aufgewühlt… verrückt.“ So wie Tialda es in den Kommentaren beschreibt ist es vielen ergangen, auch uns selbst, denn vieles was man sich aus den Bruchstücken seiner Erinnerung zusammensetzt, erhält als fertiges Bild eine ganz neue Bedeutung. Es war auch sehr faszinierend wie auch Teilnehmer ohne eigenen Blog sich von der Aktion angesprochen fühlten um als Gastbeitrag in den unterstützenden Blogs ihrer Geschichte eine Plattform zu verschaffen.
Shan Dark vom schwarzen Planeten und meine Wenigkeit haben uns in einem Resümee versucht, der sicherlich keinem einzelnen Artikel gerecht werden kann und nur subjektiv versucht das zu beschreiben was viele von euch als den Einstieg in die schwarze Szene bezeichnen.
Gibt es den typischen Szeneeinstieg?
So unterschiedlich wie die Menschen und starken Individuen, die sich eben gerade in der schwarzen Szene tummeln, so verschieden sind auch die Geschichten, Anlässe, Gründe oder Zufälle „Gothic zu werden“. Deshalb war der Auftakt zum Gothic Friday ein spannendes Thema, was wirklich alle mit großem Interesse verfolgt haben. Die „Spezies Gothic“ setzt sich ja gern mit sich und seinem Dasein auseinander und ich war äußerst verzückt, auch von anderen schwarzen Wesen mehr über ihre ‚düstere Quelle’ zu erfahren. Auch wenn es ein persönliches Thema ist… ich denke, gerade dieser Einblick in die Persönlichkeit und Vergangenheit anderer Gothics hat enorm zu gegenseitiger Sympathie und besserem Verständnis beigetragen. So haben wir uns alle besser kennengelernt und sind jetzt ‚gewappnet’, weitere gotische Freitage zusammen zu verbringen. Wem das Thema vielleicht zu intim oder persönlich war, der macht eben bei einem der nächsten Gothic Fridays mit. Wobei wir nicht versprechen wollen, dass es da thematisch ‚oberflächlicher’ zugehen wird.
Es gibt genau eine Gemeinsamkeit beim Szeneeinstieg: Musik – der Magnet der Szene. Dabei scheint besonders der Weg vom Metal zum Gothic nicht sehr weit zu sein bzw. haben diese Musikrichtungen recht viele Überschneidungen. Aber auch Elektronisches, Synthiehaftes, Mittelalterliches oder 80eriges formten unseren Szenekörper. Besonders beliebte musikalische Einstiegsdrogen waren dabei Depeche Mode, The Cure, Type-O-Negative, HIM, Evanescence, Project Pitchfork oder Subway to Sally. Musik nimmt bei allen Teilnehmern eine besondere Position ein, denn sie dient in der Szene nicht nur als Unterhaltung sondern vor allem der Auseinandersetzung mit sich selbst. Orphi schreibt treffend: „Musik trifft Gefühl und führt in die innere Heimat.“ Für die meisten ist das eine Entwicklung, nicht jeder findet sich gleich mit ersten Takten düsterer Musik, viele entdecken die vielen Facetten schwarzer Musik erst mit der Zeit. Und für fast alle, bewusst oder unbewusst, ist die Musik ein besondere Art mit seinen Gedanken und Gefühlen umzugehen: „Mit der Musik war das auf einmal anders. Sie öffnete meine Seele, und so konnte ich all meinen angestauten Schmerz einfach nur beim Hören loswerden. Man fühlte sich auf einmal verstanden, weil da jemand war, der über Dinge sang, die einen selbst beschäftigten und die man nicht auszusprechen wagte.“ schreibt Ricarda dazu. Doch nicht allein der Inhalt der Lieder zählt, sondern oft genug auch nur die Musik, wie beispielsweise Guldhan beschreibt: „Hintergründliche Klänge, die sich nur dann zeigten, wenn man sich genau darauf konzentrierte, das war fantastisch. Verbrachte ich so manche Stunden am Wochenende einfach damit, dass ich auf dem Bett lag, über die Ohren Kopfhörer stülpe und mich leeren Blickes den Klangmustern hingab.“
Die zweite, aber weniger vertretende Gemeinsamkeit: Faszination für das Düstere, Morbide, Böse. Vampire, Friedhöfe, verfallene Gebäude, Hexen, Literatur von Lovecraft, Bilder von toten Vögeln… sie ist in den meisten von uns und nach meiner Ansicht einer der „kleinsten gemeinsamen Nenner der schwarzen Szene“. Diese Faszination ist zwar bei den meisten kein richtiger Grund für den Szeneeinstieg gewesen, aber wohl ein Begleiter im Unterbewusstsein, der durch Ankommen in der schwarzen Szene ‚gefüttert’ wurde. „Wir wollen zeigen, das wir Menschen sind – mit all ihren Facetten – das dazu nicht nur Freude, Schönheit und Leben gehört, sondern auch Leid, Trauer, Hässlichkeit und Tod.“ schreibt Pygospa in seinem Beitrag dazu. Viele entdecken auch erst nach dem Einstieg in die Szene ihre Faszination für diese Themen und sehen darin eine Bereicherung über die Musik hinaus.
Auf Platz 3 der Gemeinsamkeiten: Optische Abgrenzung, manchmal auch Provokation. Marcus schreibt: „Einzig wichtig war Provokation und Abgrenzung.“ Auch Orphi war „auf der Suche nach Alternativen zum Mainstream in der Kleinstadt“ und Rosa-Reifrock-Chalybeia wollte sich ebenso wie Spontis optisch ausdrücken und abgrenzen. Jeder auf seine Art. Ganz extrem ist das bei Cyb3rella von Ext!ze, der sich mit Neonfarben und Cyberlook sogar optisch von der schwarzen Szene abgrenzen möchte.
Was haben wir noch gemeinsam: Schwarze Coolness. Faszination für die Andersartigkeit von Gothics. So geschehen bei Frank J., von Karnstein „das schwarze Allerlei war irgendwie so cool“ und sicher auch bei vielen anderen von uns – bewusst oder unbewusst. Verstörte Blicke, ungläubiges Staunen, Kopfschütteln, verbalen Entgleisungen – es ist mitunter ein wirklich „cooles“ Gefühl genau diese Reaktionen nur durch sein äußeres hervorrufen zu können. „Ich stand damals mit meiner Karotten-Jeans, dem bunten Oberhemd und meinem Alt-Schuss am Tanzflächenrand – und während sich die Hexen, Vampire, Fledermäuse und Magier voller Pathos zu den betörenden Klängen bewegten, wurde meine Vorstellung von Coolness völlig neu definiert. Die Mischung aus Erhabenheit, Weltabgeschiedenheit und äußerliche Distanzierung traf mich damals ins Mark. Für mich war klar: Das ist genau mein Ding.“
Für einige wenige trifft auch eine weitere Gemeinsamkeit zu: Suche nach Halt für die Seele in schwierigen, persönlichen Situationen. Auch hierbei kann die schwarze Szene in all ihrer Tiefe und Breite helfen, „Die Suche nach etwas Tiefgründigerem, etwas das irgendwie Halt bietet, kam nicht von ungefähr, ging doch damals in meinem Leben so ziemlich alles bergab.“ schreibt Atanua. Tialda und Ricarda werde ihr sicherlich beipflichten und werden der Nerd-Prinzessin zustimmen: „Dazu kamen langsame Aufarbeitung von Dingen, die lange zurück lagen. Meine Flucht ging in die Musik.“
Fazit
Es wird deutlich, das es nicht DEN Einstieg gibt. Die Entwicklung in einer Szene und das Bewusstsein einer Szene anzugehören ist ein höchst individueller Prozess der für alle unterschiedlich, ja sogar einzigartig verlaufen ist. Die Gothic-Szene unterscheidet sich dabei doch in einem wesentlichen Merkmal zu vielen anderen Subkulturen, ihre Mitglieder zeigen sich ungewöhnlich Loyal und bleiben auch über die jugendliche Phase hinaus dem Tenor der schwarzen Szene treu. Dabei hilft vor allem die Vielschichtigkeit der Themen mit der man sich in der Szene beschäftigt. So wächst man im jugendlichen Alter und dem Wunsch nach Abgrenzung in eine schwarze Coolness und findet in der Musik Halt für die Seele. Faszination für das Düstere, Morbide und Böse bindet auch junge Erwachsene und ist oft ein Quell ungeahnter Kreativität in allen Bereichen künstlerischem Bestreben.
Die Gemeinsamkeiten bleiben gleich, ob zu Beginn der Szene in den 80ern, in den Zeiten des Umschwungs in den 90ern oder auch während der Explosion der Szene in den 00ern. Über zahlreiche Generationen hinweg findet man ähnliche Schlagworte die in eine Szene geführt haben, die sich in ihrer Gesamtheit weder erfassen noch begreifen lässt.
Alle Teilnehmer im Überblick findet ihr in der Navigationsleiste:
Hallo,
ich hab Deinen Artikel mal verlinkt:
Man sieht das jugendliche Alter der Befragten. Bei mir hießen die Einsteigsdrogen noch Sisters Of Mercy, Siouxsie & The Banshees, Bauhaus oder auch Dead Can Dance ;-)
Hallo zusammen,
meine Güte, dass ist aber doch eine recht würdige Zusammenfassung geworden, wie ich finde. Bei den vielen Beiträgen, und der Menge an Text, ist das schon eine gigantische Leistung. Kommt ja noch hinzu, dass, obwohl es Gemeinsamkeiten gibt, jeder einstieg recht individuell war. Daher: Hut ab für dieses tolle Resümee. Ich bin gespannt auf den nächsten Gothic Friday :)
Bis dahin liebe Grüße,
~pygospa~
@disorder:
Bei mir war es SubwaytoSally die mich schon nach einmaligen Hören von meinem Metal-Trip wegeholt haben (davor mit Rammstein von HipHop gerettet), doch wirklich in die Szene gesogen wurde ich trotz meiner doch recht jungen Jahren auch mit Depeche Mood und den Sisters – unvergleichbare und zeitlose Musik.
Zu dem Artikel bleibt nicht viel zu sagen: liest sich angenehm flüssig und bietet trotz der Menge an Blogs doch einen guen Überblick. Respekt dafür.
Ein schöner Abschluss für den ersten Freitag! War echt nochmal interessant das alles in Zusammenfassung zu lesen. :D
Ich freue mich auf nächsten Freitag!
@Disorder
Bei mir sind das die fortgeschrittenen Drogen :D
Mhm… bei einem Blick auf die Liste fällt mir auf, dass ich wohl doch nicht alle 30 Texte gelesen habe. – Sehr schön! Dann habe ich bis zum nächsten Freitag wieder etwas zu tun!
Euer Resümee ist klasse! Und ihr hattet mit den vielen abwechslungsreichen, generationenübergreifenden Beiträge aus allen Nischen des Gothics genau das richtige „Material“ dafür!
Ich kann mich nur wiederholen: Traumhaftes Blogprojekt!
Was passiert eigentlich an 5. Freitagen?
@disorder: Vielen Dank für die Verlinkung, freut uns immer auf’s neue wieviel Anklang das Projekt findet. Und sicher hast du Recht, die „Einstiegsdrogen“ sind heute anders, schützen aber nicht davor das es immer wieder auch Enthusiasten gibt, die über das neue die musikalischen Wurzeln kennenlernen, denn die helfen meiner Meinung nach viel, die Szene und ihre Mitglieder zu verstehen. (Vor allem die älteren)
@pygospa: Wirklich sehr Umfangreich, aber das ist den eingereichten Texten geschuldet. Soviel tollen Lesestoff kann man eben nicht mit 3-4 Zeilen abhandeln :)
Cookie: Vielen Dank für die Blumen, Shan_Dark hatte daran maßgeblichen Einfluss, ich finde unsere Texte haben sich sehr gut ergänzt :) Wirkt auch auf mich sehr harmonisch.
@maehnenwolf: Darauf freue ich mich auch, auch wenn der positive Start schon etwas „Leistungsdruck“ aufbaut ;)
@nrsss: Gute Frage! Ich behaupte jetzt einfach mal aus der Hüfte heraus, das dadurch die Bearbeitungszeit länger wird, der erste Freitag im neuen Monat ist immer der Tag an dem das neue Thema herauskommt und der „vorletzte“ der Abgabetermin um am „letzten“ dann das Resümee zu schreiben.
Mit dem Fazit hast du es wirklich auf den Punkt gebracht!
Ich hab mich beim Lesen schon beinahe überschlagen, weil ich mich so gefreut hab :D
Wirklich tolle Zusammenfassung :) Wie TKindchen schon sagte, das bringt es echt auf den Punkt ^^ Ich finde es schön das ihr euch so viel Mühe gemacht habt, der Text ist klasse :)
Jetzt heißt es nicht lange zögern und am Februar-Thema teilnehmen: Gothic Friday 2011 – Februar