Ein Gastbeitrag von Sophie zum Januar Thema des Gothic Friday 2011 „Wie bist du in die Szene gekommen?“. An dieser Stelle nochmal der Hinweis das jeder mitmachen kann. Begeisterte ohne eigenen Blog wenden sich an einen der Unterstützer, die im Ausgangsartikel und in jedem Thema verlinkt sind. Der Text wurde nicht geändert, sondern lediglich mit den von Sophie zur Verfügung gestellten Bildern aufgelockert. Nachträglich eingefügte Absätzen und Überschriften sollen der Lesbarkeit dienen.
Wie ich mit der Düsternis verschmolz, oder: Wie wurde aus dem netten Mädchen ein Gruftie?
Zugegebenermaßen, ich weiß nicht genau wann es genau anfing. Ich weiß nur, dass ich sehr weit ausholen muss um auch wirklich am Anfang anzusetzen. Mal davon abgesehen, dass ich als Kind schon ein reges Interesse an Friedhöfen und dergleichen hatte, fing das ganze ziemlich ungruftig mit der Band „Böhse Onkelz“ an. Mein Desinteresse gegenüber Musik war plötzlich nicht mehr vorhanden und die proletenhafte Musik übte eine ziemliche Faszination auf mich aus. (Ich weiß, allein schon über diese Band und das verwendete „proletenhaft“ könnte man sich stundenlang kritisch in jederlei Hinsicht äußern). Man mag halten von denen was man will, ich jedenfalls machte eine Veränderung durch, die natürlich später auch durch die Pubertät verstärkt wurde. Plötzlich war mir die Meinung anderer ziemlich egal. Trends waren egal. Das war vorher nämlich nicht so. Das ganze fing an als ich 9 oder 10 Jahre alt war.
Im Lied „Könige für einen Tag“ gab es die Textzeile: “…Metallica ist Hofkapelle – so soll es sein!“ und da war natürlich klar, dass ich als nächstes in eine Metallicaplatte reinhören musste. Und so kam dann immer weiter eine Band zur nächsten: Manowar, Anthrax und natürlich auch Slayer, aber ganz besonders gerne auch Blind Guardian.
Das brachte aber auch Probleme mit sich: An der Schule lassen sich schwer andere 11 Jahre alte Mädchen finden, die die Selben Interessen hatten. Doch zum Glück gab es an meiner Schule die sogenannte „Freakwiese“. Ein paar Metalfans und kleine Möchtegernpunks auf einem Haufen. Dick, bärtig, in Kutte oder mit bunten Haaren und kaputten Klamotten. Da schlug‘ mein Herz doch höher! Ich versuchte mich den Jungs anzunähern (es waren nur Jungs, alle etwas älter als ich). Ich sah aus wie alle anderen, da ich von meinem mickrigen Taschengeld keinerlei Metalklamotten leisten konnte. Die Jungs mochten mich erst mal nicht. Sie dachten ich wäre ein Poser und haben mich die Pausen über ignoriert.
Bis sie irgendwann mal wieder das Gestrüpp um sich herum rausgerupft hatten, um sich gegenseitig damit den Arsch zu versohlen. Der Hausmeister war jedenfalls stinksauer und wollte den Jungs mal wieder einen Verweis reindrücken. Diese stritten natürlich vehement ab. Und da schlug meine Stunde: Da ich als Schülerin immer recht unauffällig war und als intelligente und nette Schülerin galt, gab ich dem Hausmeister mein Wort, dass die Jungs das nicht waren. Ich war die ganze Zeit hier und hätte nichts gesehen. Das war ja schon so.
Ich rettete die, von Stöcken geschlagenen Ärsche der Jungs und fortan wurden die Hofpausen zu einem regelmäßigen Vergnügen. Wir tauschten Musik, spielten Luftgitarre und übten uns im Growling. Natürlich lautstark, dass man es im ganzen Viertel hören konnte. Diese 3 Jahre waren wie Beavis and Butt-head-Episoden. Metal, Bier, Unfug und Nachos.
Man könnte ein ganzes Buch über unsere Schandtaten schreiben. Irgendwann war auch mehr Geld für Klamotten vorhanden. Als erstes musste ein Pullover von der Band „Blind Guardian“ her, der mir zwar zu groß war, aber das macht ja nichts. Solange die richtige Band draufsteht, kann das Teil auch sonst wie groß sein. Irgendwann kam auch meine Jeanskutte dazu. Beides zog ich auch jeden Tag an. Wofür hat man es denn sonst? Sauber wird sowas auch bei einer ordentlichen Bierdusche!
Schwarzromantische, düstere Stimmung
Meinen Eltern passte das alles nicht so recht, aber sie nahmen es hin. Ok, sie wussten ja auch nicht was ich sonst so trieb. Sie mochten lediglich die Onkelz nicht, da diese mein Vokabular mit relativ unschönen Wörtern erweitert haben. Auch wenn ich viel Scheiß mitgemacht habe, so war ich von dem Haufen immer noch die Ruhigste. Es waren witzige Jahre, aber mit 14 Jahren hat es mich irgendwann dennoch angeödet. Die Aktionen waren immer wieder die Selben und auch die Musik wurde langweilig.
Zu dieser Zeit spaltete sich auch die Metalszene etwas auf. Meine Kumpels hörten immer mehr Black Metal, mit dem ich noch heute absolut nichts anfangen kann. Die Generation nach uns fuhr auf Pagan und Viking Metal ab. Korpiklaani und Finntroll waren kurzfristig eine nette Abwechslung, aber auch das langeweilte mich schnell. Es musste etwas anderes her. Obendrein lernte ich zu der Zeit meinen ersten Freund kennen. Und er zeigte mir Musik die ich interessanter fand. Subway to Sally, Nightwish und Schandmaul. Das war für mich etwas Neues und besonders Nightwish weckten ein ganz neues Feeling in mir. Ich mochte Tarjas Opernstimme sehr und die melodischen Keyboardparts und die Intros die teilweise auch mit Geigen und Klavier belegt waren katapultierten mich in schwarzromantische, düstere Stimmungen.
Wir fuhren auch zu Konzerten der genannten Bands und es war viel Schwarzvolk anwesend. Die romantischen Kleider der Damen fand ich wunderschön. Außerdem war mein damaliger Freund ein Mittelalterfan und so waren wir öfters auf Burgen und Märkten unterwegs. Das war für mich eine wunderbare Flucht vor dem Alltag. Man stellte sich das Leben damals vor, versuchte es nachzuempfinden und erzählte sich auch kleinere Geschichten, über Narren, Flüche und Hexe. Und am Lagerfeuer war die Stimmung so greifbar, dass man fast an diese Sachen glaubte. Es war eine sehr träumerische Zeit.
„Nach heutigem Kenntnisstand würde ich sagen, ich war leicht zu beeindrucken.“
Ich schrieb auch im Internet mehr und mehr mit Gothics. Irgendwann fand ich ein Forum (www.nightwish.de). Es war sehr klein, aber zu damaliger Zeit sehr gemütlich. Es waren viele kreative, intelligente User dort (sind sie natürlich immer noch ;)) und ich kam ins Gespräch. Ich versuchte mich am Gedichte und Geschichten schreiben und hörte mich in andere Klangwelten.
Irgendwann blieb ich bei der Einstiegsband überhaupt kleben: Blutengel. Nach heutigem Kenntnisstand würde ich sagen, ich war leicht zu beeindrucken. Ich hörte mich quer durch alles, was ein Gothicetikett hatte (zu Recht oder nicht, sei hier erst mal dahin gestellt). Ich tauschte Kutte durch Samtkleid und wurde etwas ruhiger. Meine Metalfreunde nahmen es hin. Sie glaubten, meine strengen Eltern würden das unentwegte Partymachen unterbinden. Zudem war ich die einzige Realschülerin in diesem Kreis. Vernünftigerweise wollten die mich nicht vom lernen abhalten (Pubertät sei Dank hielt ich mich eh selbst davon ab).
Die Kumpels machten zwar Witze über die „Weichmuschimucke“, aber mehr auch nicht. Die Eltern dagegen waren strikt gegen die schwarzen Samtkleider und es ist mir bis heute nicht ganz klar warum (damals sah ich damit vernünftiger aus als heute :D). Es gab endlose Zankereien aufgrund der Outfits. Wenn ich zu meinem Freund fuhr zog ich mich heimlich in der Zugtoilette um, um Streitigkeiten zu vermeiden. Und selbstverständlich durften alberne, schlecht geschminkte schwarze Tränen nicht fehlen! Auch mit meinem Freund gab es manchmal Zankereien. Zwar hatte er im Grunde nichts gegen die neuen Klamotten, aber ich denke, er war etwas genervt, weil ich mich ausprobieren wollte und immer etwas übertrieb.
Themen wie Miniröcke, High Heels, Lack und Piercings waren immer ein Streitpunkt, da er das gar nicht mochte. Auch die Musik gefiel ihm nicht. Er bezeichnete Gothics immer als „Dunkeltekker“. Damals regte mich das sehr auf, heute gebe ich ihm zu einem großen Teil recht, was diese Bezeichnung betrifft. Er hörte doch lieber Metal und mittelalterliche Musik, aber auch gerne Irish Folk und Punk. Er kritisierte mich, aber schränkte mich nicht wirklich ein. Dennoch trennten wir uns nach fast 3 Jahren, aber aus anderen Gründen. So ist das nun mal.
War das alles?
Die Zeit war zwar aufschlußreich, aber dennoch oberflächlich. Ich hatte keine Ahnung wie Gothic entstand und ich hörte Musik die eher düsterer Techno war. Ich ging auch so oft es mir möglich war auf Darkparties in der Nähe und 2008 war ich zum ersten Mal beim WGT.
Und mal wieder war ich schnell angeödet. „War das alles?“ Ich begab mich weiter in Gothicforen und suchte den Szenekern. Anfangs ärgerte ich mich über die meckernden „Altgrufties“ doch irgendwann dachte ich mir, dass ja irgendwas dran sein muss. Also fischte ich mir die genannten Bands heraus und stellte fest, dass man unter Gothic oder „Gruftenmucke“ (wie es meine Metalkumpels gerne bezeichnen) damals etwas ganz anderes Verstand als heute.
Außerdem nervte mich das Phrasengedresche von Toleranz und Individualität der Goths um mich herum. Ich empfand es, je öfter ich es hörte als geistlos und wenig durchdacht. Das ist auch für mich der Punkt gewesen an dem der Szeneeinstieg erstmal richtig begann. Ich entfaltete mich weiter und weiter. Das musste erst mal gefeiert werden. Am besten, in dem man zum Frisör geht und sich spontan einen Undercut rasieren lässt. Ich habe es selten geschafft, dass die Gesichtsfarbe meines Vaters ein solch intensives Rot annahm. Sie waren nicht zuletzt deswegen sauer, da ich gerade in einer Ausbildung zur Zahnarzthelferin steckte. Und da kann man einen Undercut schlecht gebrauchen. Aber es war mir egal, ich hasste diesen Job sowieso und brach die Lehre auch ab.
Jetzt waren natürlich die bösen, bösen Grufties schuld.
Heute sind kaum mehr Spannungen da. Dass ich einen, für den Blickwinkel meiner Eltern, fürchterlichen Kleidergeschmack habe, macht kaum noch Probleme. Sie meckern nur noch herum, wenn mal wieder mehr Löcher als Strumpfhose an den Beinen habe und wenn der Undercut mal wieder frisch nachrasiert wurde: „Du immer mit der hässlichen Glatze! Das ist so eklig!“
„Die Pubertät neigt sich zwar dem Ende, aber ich bin noch immer fasziniert von trauriger Lyrik, schwarzer Schönheit und Friedhofsromantik…“
Zu meinen Metalfreunden habe ich immer noch Kontakt. Es ist amüsant zu sehen, wie sie die „Kindergrufties“ (ohne Kommentar) im Stammpub herunterputzen, wenn sie Müll erzählen und dann auf meine „Fachkompetenz“ auf diesem Gebiet verweisen. Irgendwie seltsam, aber auch amüsant. (Ich halte mich dennoch meistens aus solchen Sachen heraus. Vielleicht blühen diese Kids irgendwann genauso auf wie ich. Die Hoffnung stirbt bekanntermaßen zuletzt. Mal davon abgesehen, weiß ich nicht, was für „Müll“ die angeblich in diesem Punkt erzählen.).
Meine Kumpels von der „Freakwiese“ haben mittlerweile ihre eigene, heiß geliebte Band Namens „Orchestra Macabre“ und ein anderer Teil musiziert als „Rabenmond“. Und beide Parteien haben bis heute nicht verstanden, dass ich noch immer kein Interesse an diesen Stilen habe und bombardieren mich regelmäßig mit Flyern und dergleichen und sind immer wieder etwas enttäuscht, wenn ich ihnen versichere, dass ich kein Interesse an CD’s von ihnen habe. Ob sie sich immer noch mit Stöcken auf ihre Hintern hauen ist unbekannt.
Statt „Blutengel“ und „Schandmaul“ gibt es „Einstürzende Neubauten“ und „Xmal Deutschland“. Die Pubertät neigt sich zwar dem Ende, aber ich bin noch immer fasziniert von trauriger Lyrik, schwarzer Schönheit und Friedhofsromantik und ich stehe immer noch zu meinem Faible für das Versinken in Melancholie oder verliere mich noch immer in Wut über gesellschaftliche Missstände.
Und dennoch, denke ich gerne an die Zeit der Anfänge zurück, denn sie waren gefühlsmäßig sehr intensiv. Ein wenig bedauere ich, dass ich seit Jahren kein Gedicht mehr geschrieben habe. Sicher, meine Gedichte und Geschichten waren wie bei vielen: Voller Klischees, erzwungener Reime und immer die Selbe Leier, aber das Gefühl welches beim Schreiben aufkam vermisse ich dennoch sehr. Auch die Mystik, die die Szene selbst einst ausstrahlte ich fast gänzlich verschwunden. Das ist wohl der Preis für das blicken hinter die Maske. Und dass ich nicht mehr alles in der Szene wunderbar und toll finde, was auch der Grund dafür ist, dass ich kaum noch weggehe, ist ein alter Hut, aber dennoch ein anderes Thema.
Hachja… die guten alten schlecht geschminkten Tränen :)
Ja, das mit den Tränen schminken habe ich am Anfang auch gemacht :D und Blutengel fand ich mit 16 so toll und dachte das wäre die „Gruftiband“ schlechthin *schäm*
Vielen Dank für den tollen Beitrag, den ich auf meinem Blog veröffentlichen durfte. Es hat mir wieder einmal viel Freude bereitet den Text hier einzufügen ihn zu lesen und die Bilder dazu auszuwählen die du mitgeschickt hast.
In gewisser Weise deckt sich Dein Einstieg mit meinem, denn auch wollte mich zunächst den coolen Jungs von der Schule, die auf dem Schulhof immer in der Raucherecke standen anschließen, was aber leider nicht ganz geklappt hat – ein Blick auf unser Klassentreffen nach 20 Jahren hat mir aber bestätigt, das das kein Fehler gewesen ist.
Auch wenn in deinem abschließenden Satz etwas Resignation durchblinzelt bin ich mir sicher, das du nach vorne blickst und „deine“ Szene gefunden hast.
Ich denke, der Größe der Szene ist es heute zu „verdanken“ das es auch eine neue schwarze Oberflächlichkeit gibt, die auf den, der wirklich Antworten sucht verstörend wirkt. Doch es lohnt sich unter die Oberfläche zu schauen, denn nicht die Szene als solche ist Mystisch, sondern das, womit sich manche daraus beschäftigten. Der Blick hinter die Maske sorgt zunächst für Enttäuschung, so auch bei mir vor einigen Jahren, doch wie bereits ein liebe Kommentatorin einst schrieb: „Wieso etwas suchen, was man schon längst gefunden hat?“
Nochmals vielen Dank für deinen gelungenen Einblick in die fabelhafte Welt der Sophie, die von einer metallischen Braut zur schwarzromantischen Dame avancierte ;)
Ich finde es interessant, wie Sophie sich durch die verschiedenen musikalischen Stile immer mehr in Richtung Schwarze Szene und ihre Anfänge hindurch gearbeitet und weiterentwickelt hat. Also mal kein Einstieg von „Null auf Hundert“ und sofortige Faszination für schwarze Musik und Kleidung, sondern auf Umwegen – eine Weile lang verschiedene „Deckel“ ausprobiert, bis einer zum Topf passt sozusagen ;-)
Bevor ich schwarz wurde, habe ich auch verschiedene andere Musik gehört, wenn auch wenig Mainstrem. Allerdings war es bei mir eher so, dass sich mein musikalischer Horizont immer mehr erwitert statt komplett geändert hat. Das, was ich vor meiner gruftigen Zeit gehört habe, mag ich immer noch und ich schäme mich dessen nicht, warum auch? Okay, es gibt auch die eine oder andere Band, von denen ich anfangs mal angetan war, die ich aber inzwischen nur noch selten oder gar nicht mehr höre. Aber viele Bands entwickeln sich ja auch musikalisch weiter und z.B. meine „Einstiegsdroge“ The Cure verfolge ich seit Jahren musikalisch kaum noch, da sie sich sehr von dem entfernt haben, was mich anspricht.