Gothic Friday Februar: Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt!

Ist das nicht ziemlich affig, mit Mitte 40 einen Bericht darüber zu schreiben, warum man noch „in der Szene“ ist? Das klingt nicht sehr erwachsen und böse Zungen könnten behaupten, dass ich krampfhaft versuche, beim jungen Gemüse mitzumischen. Peinlich, oder?

Ist mir ehrlich gesagt vollkommen egal! Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt. Ich fürchte, das war schon immer so. Und das ist auch schon der ganze Grund, warum ich in der Szene gelandet bin, warum ich in der Szene sehr viel Zeit verbracht habe, warum ich die Szene für lange Zeit verlassen haben, warum ich zurückgekehrt bin und warum ich noch ein Teil von ihr bin –oder sie von mir? Ich bin zu alt, um mich jetzt noch gesellschaftlichen Normen anzupassen.

Das „in der Szene sein“ passiert ganz automatisch, wenn man seinem Weg folgt. Man mag die Ästhetik, zieht sich deshalb so an und schminkt sich so. Man mag die Musik und geht zu entsprechenden Festivals und Konzerten. Man mag die Stimmung und nutzt sie, um zu sich selbst zu finden. Man kann sich mit dem Mainstream nicht identifizieren und sucht sich Leute, die einem ähnlicher sind. Und plötzlich ist man „drin“. Der Mitgliedsausweis ist hierbei kein Stück Papier, sondern die eigene Persönlichkeit mit all ihren Facetten, die nur im Dunkeln scheinen.

Das alles ändert sich über die Jahre nicht, es sei denn, man verliert sich selbst aus den Augen und/oder passt sich irgendeiner Situation an, weil es nicht anders geht. Situationen gehen vorüber und so kehren viele  Altgruftis nach einem Ausflug in die „normale Welt“ irgendwann wieder  zurück. Man muss beruflich vorwärts kommen, man gründet eine Familie, der Partner hat nicht die gleichen Interessen, Geld und Zeit sind knapp, irgendwas ist ja immer. Und dann… irgendwann … merkt man, dass einem was fehlt.

Bei mir hat es schätzungsweise acht bis zehn Jahre gedauert, bis ich wieder in Schwarz auf einem Festival stand. Ich muss ja immer lachen, wenn jemand von eine „schwarzen Phase“ redet, die er mal in seiner Jugend hatte. Entweder hatte er damals keine „schwarze Phase“, oder er ist heute ein Meister der Selbsttäuschung.  Die Szene ist kein Veranstaltungsort, den man besucht, wenn man Freizeit hat. Die Szene ist die Gemeinschaft der Leute, die einem in gewissen Grundzügen der Persönlichkeit  ähnlich sind. Wie soll sowas eine Phase sein?

Heute halte ich mich also noch immer an Orten auf, deren Ambiente ich mag. Ich kleide und schminke mich so, wie ich es schön finde. Ich treffe mich mit Leuten, die ich mag und ich gehe zu Konzerten und Festivals, bei denen meine Musik gespielt wird. Ich suche mir kulturelle Veranstaltungen heraus, die mich interessieren und ich unternehme Dinge mit Freunden, die mir Spaß machen.  Das kann man nun natürlich „Szene“ nennen. Ich nenne es „mein Leben“. Ich bin also noch immer in der Szene – oder besser:  in meinem Leben! Und ich hoffe sehr, dass mir das auch in den nächsten 45 Jahren noch gelingt.

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Mone vom Rabenhorst
Vor 8 Jahre

Prima geschrieben. Ich habe dann auch fertig. :-)

Nighttears
Nighttears (@guest_51625)
Vor 8 Jahre

Dann drücke ich dir mal die Daumen, dass du auch die nächsten 45 Jahre noch in deinem Leben bleibst!

Im Grund genommen hast du mit deinem Beitrag genau das zum Ausdruck gebracht, was auch ich auf diese Frage geantwortet hätte. Nur sind deine Worte passender, treffender. Warum sollte man mit Mitte 40 oder gar Ende 40 nicht mehr in die Szene passen? Oder wurde da zwischenzeitlich ein Verfallsdatum eingeführt, ab dem man als Grufti schön brav auf dem Komposthaufen der Szenegeschichte zu landen hat? Nein, die einen nennen es Szene, die anderen Lebensart. Dabei ist es doch in Wahrheit einfach nur das eigene Leben.

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Vor 8 Jahre

Auch ich schließe mich Deiner Aussage an, dass es wohl eine Art natürlicher Prozess ist, dass man sich so gibt, wie man innerlich ist. Und dann auch, wenn man dies ausdrücken kann, nach Möglichkeit tut. Kann man dies nicht, schleicht sich Unzufriedenheit ein, es fehlt irgendwie etwas, man ist/bleibt auf der Suche nach Gleichgesinnten und Ausdrucksmöglichkeiten.

Es gab beim früheren Gothic Friday mal die Frage: „Ist Gothic (d)ein Lebensstil?“. Damit hab ich mich mal auseinandergesetzt und versucht, meine eigene Definition von Lebensstil und Lebensgefühl in Worte zu fassen:

Stil = Schale
In meiner Definition könnte ein Lebensstil à la Gothic z.B. bedeuten, dass sichtbare Vorlieben auf die Zugehörigkeit zur Schwarzen Szene Szene schließen lassen und diese auch bewusst ausdrücken: die Art, sich zu kleiden, sich einzurichten und sich in Alltag/Freizeit zu bewegen. Einzelkomponenten wären z.B. dunkle Kleidung mit ggf. historische Anleihen, unkonventionelle Frisuren und/oder Makeup. Freiwilliger Aufenthalt an Orten, die düster, morbide oder sonstwie von der normalen Gesellschaft negativ behaftet sind. Bevorzugung des Düsteren und historisch Behafteten auch in privater Umgebung (Mobiliar, Deko, Musik, Filme, Bücher etc). Vielleicht wird bewusst ein Beruf gewählt, in dem weniger Zwang zur äußerlichen Anpassung herrscht (Künstlerjobs, soziale Jobs, Selbständigkeit usw.). Und wenn es der Alltag nicht zulässt, so wird dann in der Freizeit nachgeholt bzw. aufgesucht, was kompatibel ist. Abstufungen gibt es natürlich und auch Leute, die das alles ohne ein szenetypisches Styling praktizieren. Das Extrem wäre hier wohl der 24/7-„Vollblutgrufti“, der immer schwarz trägt, sich stets gestylt zur Arbeit begibt, viel auf alten Friedhöfen wandelt und sich daheim eine dunkle Höhle erschafft (es lebe das Klischee!). Vom anderem Extrem, dem reinen Partygrufti, unterscheidet ihn vor allem, dass der Lebensstil mit Inhalt gefüttert sein dürfte. In dem Sinne, dass eine Komponente hinzu kommt, die das Bedürfnis erweckt, mehr als stundenweise das Dunkle zu leben – also hier die Überleitung zum Lebensgefühl:

Gefühl = Kern
Es muss wohl etwas geben, das Menschen dazu veranlasst, über die reine Faszination an Äußerlichkeiten in der Schwarze Szene zu landen. Zumindest, wenn sie nicht nur kurz oder am Rande darin verweilen, sondern über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg. Die Musik allein wird es nicht sein, auch wenn sie oft der Einstieg ist und natürlich eine wichtige Rolle spielt in Hinblick auf Identifikation und Spiegelung/Hervorrufen von Emotionen. Es fällt auf, dass innerhalb der Szene sehr viele landen, die Außenseiter sind, familiäre Probleme haben, sich für alte und/oder düstere, morbide Themen und Orte interessieren und auch sonst Interessen und Vorlieben haben, die wenig in unsere heutige Zeit zu passen scheinen. Einsame, Unglückliche, Nachdenkliche, Sozial-/Religionskritische, Kreative und Freaks sind in der Schwarzen Szene häufig vertreten und finden hier scheinbar ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, gegenseitigem Verständnis und einen Rückzugsort vom Alltag. Es gibt natürlich viele Menschen, die diese Kriterien erfüllen und dennoch nichts mit dunkler Musik und Klamotten am Hut haben oder nur mal kurz in der Szene vorbeischnuppern. Bei denjenigen, die dann doch über längere Zeit in ihr landen, gibt es dann aber scheinbar eine Übereinstimmung von Lebensstil und Lebensgefühl – beides passt zusammen, greift ineinander und ist dann ein Zusammenspiel von Innen und Außen.

Bei Deinem Beitrag musste ich sehr an dieses Zusammenspiel denken :-)

Jana Strangeplant
Jana Strangeplant (@guest_51630)
Vor 8 Jahre

Ich danke Dir, für diese Zeilen. Sie beschreiben in etwa auch meinen Lebensweg. Diesen Gothic Friday hab ich verpasst. Ich warte mal auf den nächsten. Mein Gefühl ist irgendwie, dass ich mich seit meinem 15.Lebensjahr in einem dauerhaften Einstieg in die Szene befinde. Damals der erste Schritt und seit dem entwickele ich mich permanent, zumindest musikalisch und interessenmäßig. Ich vertrage keinen mentalen Stillstand und bin froh, dass die Szene so facettenreich geworden ist. ^v^ strange Jana

Ronny Rabe
Ronny Rabe (@guest_51631)
Vor 8 Jahre

Stimmt – warum muß man sich rechtfertigen noch in der Szene zu sein ?
Muss man ja gar nicht , dies ist ja nur eine “ Vorstellung “ …
Aber kurz und bundig hast du deinen Artikel verfasst und doch sagt er alles aus ;-)

Levi
Levi(@marion)
Vor 8 Jahre

Das „in der Szene sein“ passiert ganz automatisch, wenn man seinem Weg folgt. Man mag die Ästhetik, zieht sich deshalb so an und schminkt sich so. Man mag die Musik und geht zu entsprechenden Festivals und Konzerten. Man mag die Stimmung und nutzt sie, um zu sich selbst zu finden. Man kann sich mit dem Mainstream nicht identifizieren und sucht sich Leute, die einem ähnlicher sind. Und plötzlich ist man „drin“.

Das finde ich super! Ohne viel Interpretation und Schnörkel auf den Punkt gebracht.

Gruftfrosch
Gruftfrosch(@gruftfrosch)
Vor 8 Jahre

Bist niemandem eine Rechtfertigung schuldig, richtig so. Hauptsache ist doch, sich selber treu zu bleiben.

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