Foggers Beitrag zum Gothic Friday erreichte mich ebenfalls per E-Mail. Die Freundin, die ihn auf Spontis aufmerksam gemacht hat, darf sich zu einem Glas Rotwein eingeladen fühlen, denn sonst wäre uns dieser lesenswerte Beitrag zum Februar-Thema wohl vorenthalten geblieben.
Den Spontis Feed beobachte ich nun seit mehreren Monaten. Eine sehr gute Freundin hat mich auf euch aufmerksam gemacht. Auch wenn ich nicht alles teile, finde ich diese Seite toll und wert zu unterstützen. Ich hatte nur ein einziges paar Pikes, bevor ich auf Docs umgestiegen bin. Aber das war schon nach meinem Einstieg. Also! Zu den Anfängen ….
Es war das Jahr 1987 oder ’88, das kann ich heut gar nicht mehr so genau sagen. Ich bekam eine Musikkassette geliehen, von meinem allerbesten Freund. Früher war er mein bester Freund und es gibt kaum etwas Schöneres als sagen zu können, dass er es auch heute noch ist. Diese Kassette war von seiner Schwester und auf der einen Seite war Musik von Depeche Mode. „Oh mein Gott!“ dachte ich „Wie ätzend ist das denn!?!? Das ist doch das Zeug was die „Nazis“ im Jugendclub des Nachbardorfes hören.“
Wundert euch nicht. Ich war vielleicht 14 Jahre alt und alles andere als musikalisch gebildet. Ich konnte noch nicht einmal „Die Ärzte“ und „Die Toten Hosen“ auseinander halten. Daher schaute ich nach, was auf der B-Seite war: The Cure. Ich hatte keine Ahnung was das war und hörte rein. Erstes Lied: „Kiling An Arab“. Dies könnte schon das Ende der Geschichte sein. Natürlich ging es nicht von 0 auf 100, sondern entwickelte sich weiter. Aber diese 2:22 waren wegweisend für den pubertierenden Jungen aus dem kleinen katholischen Dorf bei Marburg. Ich hatte erst vor kurzen den Job als Messdiener an den Nagel gehängt und war voll geflasht. Nichts hat mir vorher soviel gegeben, wie diese Musik. Ich glaube ich muss hier niemandem dieses Gefühl erklären. Ein Gefühl welches heute noch so aktiv ist, das ich mich zurückhalten muss, nicht auf jedes Konzert in Deutschland oder Europa zu fahren. Drei müssen reichen … Oder doch noch ein viertes oder fünftes oder oder.
Wochen oder Monate später meinte eine Freundin „Wenn du Cure hörst, dann hörst du bestimmt auch Sisters Of Mercy“. Ich hatte keine Ahnung von was sie redete. Bei der nächsten Möglichkeit ging ich in Marburg in den Plattenladen „Radio Brandt“. Ich stieg die Treppe hinab und fand eine schwarze Maxi mit einem grünen Logo. Rauf mit ihr auf den Plattenteller und Kopfhörer auf. Unglaublich, da war es wieder dieses Gefühl. Leider habe ich aktuell etwas „Angst“ davor die aktuelle Tour zu besuchen. Die meisten werden wissen warum. Aber das Konzert in Frankfurt ist zu nah, um es zu ignorieren. Da ich auch gute Kritiken gelesen habe, werde ich hin fahren und Andrew huldigen. Auch dann, wenn er es vielleicht nicht würdigen kann.
An was kann man sich nach fast 30 Jahren noch erinnern? Das sind die wirklich wichtigen Momente im Leben. Die Situation als ich Cure und Sisters erstmals gehört habe, weiß ich heute noch, als wäre es gestern erst gewesen. Es ist so bildlich, dass ich den Raum, die Stimmung und das Ergebnis heute noch fühlen kann.
Oder damals im Plattenladen, als ich darüber nachdachte, ob „The Sisters Of Mercy“ unter „T“ oder unter „S“ zu finden sind. Ich war bei „The Smiths“ angekommen und blätterte zurück. Da war eine ganze Reihe schwarzer Vinylhüllen. Ich ging zu den Plattenspieler-Stationen, um rein zuhören und holte „Temple Of Love“ vorsichtig heraus. Ich legte sie auf den Plattenteller und zog den Kopfhörer auf. Die ersten Töne … Der erste Gesang … Die Melodie …. Und dann ging es erst richtig los …. Der Wunsch sich zu bewegen und das es niemals aufhört. Das Lied ist zu lang? Nein, das geht gar nicht!
Später erzählte mir mein Cousin von einer Zeitschrift Namens „Zillo“. Angeblich war sie früher im DIN A5 Format. Auch von Bands wie Siouxsie, Joy Division und Cassandra Complex erzählte er mir. (Viele Jahre später erst erfuhr ich, dass mein Cousin die Kassette mit Depeche Mode und The Cure für die Schwester meines Freundes aufgenommen hatte.) Also hab ich die Bravo Bravo sein lassen und mir fortan die „Zillo“ gekauft. Was soll ich dazu noch erzählen? Ich habe keine Ahnung wie das in den großen Städten war. In meinem kleinen Dorf war es die einzige Informationsquelle.
Vieles lernte ich daraus. Irgendwann las ich beispielsweise einen Artikel, in dem es um den Unterschied zwischen Grufts und Wavern ging. Ich beschloss, Waver passt besser zu mir. Damalige Feinheiten, die heute vollkommen irrelevant sind. Oder gibt es den Waver heute noch? Ich jedenfalls hab keine Ahnung mehr, wo der Unterschied wirklich lag. In der Marburger Disco PAF merkte ich schnell, je früher ich da war, umso besser war die Musik. Also ging ich schon um 21:00 hin und trug „schwarze“ Klamotten. Ja, die Anführungszeichen sind Absicht. Es war irgendwie schwarz, aber mit Szene hatte es nix und überhaupt nix zu tun.
Dann, im September ’89, wurde ich von meinem aufgelösten Vater aus dem Schlaf gerissen. Meine Schwester hatte sich umgebracht und die Polizei war da. Ich durfte die Hose von ihr identifizieren, da von nichts übrig war, was man jemanden hätte zeigen können. Aus heutiger Sicht kann ich nicht so genau sagen, ob ich ohne dieses Erlebnis jemals so tief in die Szene gerutscht wäre. Auf alle Fälle war es ein Katalysator. Ich hatte einen Grund auch tagsüber schwarz zu tragen und kaufte irgendwann meinen schwarzen Mantel, meine Pikes und Ketten. Meine Tante musste meine Haare an der Seite rasieren und den Rest toupierte ich. Auch wenn ich erste schwarze Freunde kennengelernt habe, war ich gefühlt eher alleine. Ich trieb zwischen Punks, Grufts und dem eher rechten Jugendclub hin und her. Daher liebe ich heute auch noch gute alte Punk Musik und mit Depeche Mode aus dem Jugendclub hab ich schon lange meinen Frieden geschlossen. Überflüssig zu sagen, das ich dies mit den Onkelz nicht gemacht hab.
Der nächste wichtige Meilenstein war das Bizarre Festival auf der Loreley ’90 mit „The The“, „Ramones“, „Phillip Boa“ und den „Fields“. Bei The The war ich schon im Zelt, da die drei Bands vorher einfach unglaublich waren. Seit dem bin ich ein leidenschaftlicher Besucher von Konzerten und Festivals. Ob es das erste Zillo Open Air in Durmersheim war oder in der Kasseler Eissporthalle die Konzerte von den Ramones, den Sisters of Mercy oder Type O Negative. Ich fühle mich da einfach wohl und genieße die Zeit. Im selben Jahr erschien der erste „Mystic Sound Sampler“. Unglaublich gute Musik! Und da war sie, meine dritte Lieblingsband. Deine Lakaien, diese Stimme, diese Musik, unglaublich!
Ich zog zum Studieren nach Osthessen. Auch dort in der lokalen Disco „Kreuz“ musste man für gute Musik früh aufbrechen und konnte dann früh wieder heim. Ich verliebte mich und blieb in Fulda. Ich hörte meine Musik und die neuen Freunde verstanden es nicht. Gut, dass meine Freundin am Anfang mit zu den „Zillo Festivals“ ging. Sie liebte Deine Lakaien und durch sie kam auch Sarband und Estampie in mein Leben. Aber das wurde alles immer weniger. Mein Vorhaben, jedes Jahr auf mindestens ein Konzert zu gehen, schaffte ich nicht immer. So zogen die Jahre ins Land. Ich heiratete meine Freundin und fand einen guten Job, bekam eine „ordentliche Frisur“ und trug immer weniger schwarz. Heute, nachdem meine Beziehung gescheitert ist, und ich mich der Szene wieder zuwende, erfahre ich, was ich damals alles verpasst habe. Auch, wie sich die Szene gewandelt hat und vielfältiger geworden ist.
Daher zum Abschluss noch ein Plädoyer für die Vielfalt und gegen die Ablehnung nicht szenetypischer Menschen. Schließt niemanden aus, weil jemand sich der Szene nicht anpasst. Niemand passt besser zur unangepassten Szene, als jemand der sich der Szene nicht anpasst. Lebt lang und in Frieden. Übrigens: DIE alles entscheidende, legendäre und beinahe mystische Kassette wurde mir vor ca. 10 Jahren geschenkt und ich halte sie in Ehren. Für immer!
Eigentlich kann man zu den einzelnen Geschichten gar nicht viel sagen. Man muss einfach zuhören (zulesen?). Dennoch finde ich, ein Feedback muss irgendwie sein, wenn jemand einen so in sein Leben schauen lässt. Vielen Dank dafür. Ich habe an einigen Stellen Parallelen zu meinem Weg gesehen, wenn mir auch zum Glück ein solches persönliches Schicksal wie das Erlebnis mit Deiner Schwester erspart geblieben ist. Ich kann jedoch die „schwarzen“ Klamotten teilen und ich war auch eher ein Waver als ein Grufti, obwohl der Unterschied erst im Rückblick einen Sinn ergibt. Gruftis waren wohl eher diejenigen, die wie Ratte aus der Bravo unterwegs waren. Waver waren die mit den „schwarzen Klamotten“ und den weniger spektakulären Frisuren und dem dezenteren Make-up – würde ich jetzt sagen. Dass Depeche Mode von der Nazi-Liga gehört wurde, ist mir gänzlich neu. Ich habe das eher als Charts-Musik in Erinnerung. Da wurde wohl in den unterschiedlichen Dörfern auch unterschiedliche Musik adaptiert. Und einmal mehr hat Robert Smith mit seiner Musik einen Lebensweg beeinflusst… ;-)
@Robert: Vielen Dank für die einleitenden Worte. Du musst damit rechnen, dass das Glas Rotwein beim WGT eingefordert wird. :-)
Orphi: Ich musste diesen Blick gewähren, sonst hät ich den Einstieg nicht beschreiben können. Es war auch sehr aufwühlend, es nieder zu schreiben. Und trotzdem ist es noch oberflächlich *smile* …. Die Ratte aus der Bravo. OMG gut das ich das bis jetzt erfolgreich verdrängen konnte :-) …. Das mit den „Nazi“ muss ich richtig stellen. Die meisten waren keine und auch weit davon entfernt. Es war für mich eher so ein Gefühl, welches aus heutiger Sicht Unsinn war.
Ich finde, dass Fogger ein ganz wichtiges Element beschreibt: Das Gefühl. Ich glaube das unterscheidet sich doch grundsätzlich von den üblichen Musikhörgewohnheiten. Wenn man auf der Tanzfläche steht und die Musik hört, die dafür sorgte, dass man im Leben andere Richtungen eingeschlagen hat, ist das schon was ganz besonderes. „Dancing with Tears in my Eyes“ Wie man so schön zitiert, beschreibt das ebenfalls ganz gut.
@Fogger: Überhaupt kein Problem. Wenn man mich auf der AGRA oder ähnlichen für den Erwerb solcher Getränke geeigneter Plätze treffen sollte, einfach ansprechen. Am besten gemeinsam, ich habe schließlich keine Ahnung wie deine gute Freundin aussieht. :-)
Orphi : Ich würde das eher anders unterscheiden. Waver sind die eingedeutschten New Waver der frühen 80er. Pikes, Pumphosen, aufwändige Frisuren, Schminke im New-Romantic-Stil. Gruftis waren dann doch eher – da stimme ich Dir zu – solche wie Ratte, mit viel Tod in der Ästhetik, Hüten, Haarteilen, Kopfbedeckungen, ausrasierte Seiten. Aber die Grenzen waren letztendlich wohl eher fließend und nicht präzise abzustecken.
Danke für diesen intimen Einblick.
Wenn ich solche Geschichten lese, dann trauer ich manchmal nostalgisch verklärt einer Vergangenheit nach, die es so nicht gegeben haben wird. Aber ich stelle mir immer vor, dass die Musik noch einen ganz anderen Wert hatte, wenn man nicht mal schnell google fragen konnte, was es denn war oder was es ähnliches gibt, sondern sich alles langsam zusammensetzen musste, bis aus den Teilen ein ganzes entstand, oder man endlich wusste um welche Band es sich handelte, man endlich die Platte erstehen konnte etc.
Der Tod deiner Schwester tut mir leid. Als ein Onkel von mir ums Leben kam, zogs mir auch den Boden weg, aber da war ich noch Kind. Ich konnte es damals einfach nicht begreifen, dass ein Mensch von einem zum anderen Tag plötzlich weg ist und man ihn nicht mehr wiedersehen kann. Dem Dank für deinen wahrlich intimen Einblick schließe ich mich an.
Schön, dass dieser Artikel jetzt hier steht. Es macht mich glücklich, wenn ich unverhofft erlebe, dass Empfehlungen und Inspirationen die ich weitergebe, weil ich etwas sehr gut finde, plötzlich schöne Früchte tragen. Und in Sachen Spontis ist das nicht das erste Mal.
@ Fogger: Ich war ja total überrascht und gerührt, als Du mich gefragt hast: „Kannst Du bitte meinen Gothic Friday Korrektur lesen?“ Sowas mache ich doch so gerne! Wenn auch noch mit meinem übertriebenen Lektoratsanspruch aus Verlagszeiten – und dann hat Robert alles Kursive wieder rausgenommen;) Über Deinen zweiten Satz habe ich mich sehr gefreut. Und es ist schön, dass Du in 14 Tagen zum Dark Spring herkommst und tatsächlich auf dem WGT dabei bist, auf das ich mich nach 16 Jahren Abstinenz wieder wage. Außerdem macht es mit Dir großen Spaß anhand der ersten paar Takte eines Songs den Titels zu raten, weil wir da beide so oft so grandios daneben liegen. Und fragt man Annett, kommen Titel und Band aus der Pistole geschossen;)
@ Robert: Ich bin sehr froh, dass ich vor etwa einem Jahr auf Deinen Blog gestoßen bin, der zudem äußerst lebendig und interaktiv ist. Erst im August habe ich Spontis auf FB entdeckt und aufgrund des Fotos so sehr gefeiert. Ich war auch um die 10 Jahre – äußerlich betrachtet – nicht mehr in der Schwarzen Welt unterwegs – und durch Deinen Blog sehe ich, wie viele Andere weiter „unsere“ alten Werte verkörpern. Daher freue ich mich jetzt schon auf das Spontistreffen, obwohl ich keine Ahnung habe, wie das funktioniert: Auf Einladung? Für jeden offen?
Ich habe Spontis oft empfohlen und immer haben sich diejenigen darüber gefreut. In den nächsten Tagen bekommst Du einen weiteren Beitrag zum Gothic Friday, der dadurch zustande kam – von einem meiner liebsten Freunde. Ich selbst tue mir so schwer, darüber zu schreiben… und ich mag Songs, aber vergesse im nächsten Moment, von wem sie sind…
Hach ja, und die Einladung auf das Glas Wein, da musste ich schmunzeln und habe mich dann richtig gefreut. Das würde entweder auf dem Zwischenfallfestival oder eine Woche später auf dem WGT passen:)
Das wird tatsächlich mein erstes WGT. Irgendwie unglaublich aber es entstand in einer Zeit in der ich nur noch einmal jährlich zum Zillo bin …
Aufgrund der genannten Schwäche in der Erkennung von Musik, hab ich auch noch keinen neuen Beitrag verfasst. Vielleicht komm ich ja morgen dazu :-)
Dieses Jahr schaffe ich es leider nicht zum Dark Spring Festival, obwohl mir die Bandauswahl doch wieder recht zu taugen scheint. Brandenburg hätte mich ganz arg interessiert und von Soviet Soviet hab ich deren Album Fate. Kann ich empfehlen.
https://www.youtube.com/watch?v=ipjBk6gTKJI
Leider hatte ich mir Ostern schon was anderes vorgenommen. Schreibt jemand von euch hier hinterher, wie es war? Viel Spaß euch :)
@ gruftfrosch: Ja, Brandenburg ist im wesentlichen der Grund – für mich – zum Dark Spring zu gehen. Ich meine, es ist ihr erstes Konzert in Deutschland, bin mir aber nicht sicher. Höre mich grad in Deinen Link rein, danke. Herrlich bassig! Den Bericht kann ich Dir nicht versprechen… ich gebe mein bestes, aber eigentlich kann ich leichter drüber reden als schreiben. Gerne bei einem Kaffee hier, dann haben zwar andere nichts davon, aber Du bist im Bilde ;) Da wir offenbar ähnlichen Geschmack teilen, eine Frage: Weißt Du, ob sich Lebanon Hanover live lohnen? (19.3., SO36)
Ich hab sie bisher nur einmal live erlebt und das war beim WGT 2014. Viel passierte da auf der Bühne allerdings nicht, wenn du das meinst. *g* Das kann zwar damals auch an der echt brütenden Hitze in der Theaterfabrik gelegen haben, habe mir aber sagen lassen, dass da auch bei kühleren Temperaturen „wenig Dynamik“ mit dabei ist. Klangtechnisch war’s ansonsten ok und die Texte wie gewohnt brilliant. Live würde ich andere Bands jedoch vorziehen. Es gilt allerdings wie immer: Das ist nur meine bescheidene Meinung dazu.
Darf ich auf das Kaffeeangebot dennoch zurückkommen, ja? ;)