Zwei Augen lauern im Schatten des schwachen Lichts, das der Monitor in das Zimmer wirft, und lesen eifrig die Zeilen die dort sichtbar geworden sind. Die bisher stille Mitleserin Galatea, die sich so selbst beschreibt, hat den Wunsch geäußert mitzumeckern und ihre Sicht auf die Szene und ihre Unmöglichkeiten in Worte zu fassen. Und obwohl sie behauptet, oberflächlich und intolerant zu sein, spricht ihr Beitrag zum Gothic Friday im Dezember dann doch eine möglicherweise ungewollt andere Sprache.
Wir schreiben das Jahr 2005. Zwei sorgfältig weißgekalkte junge Damen, in Unmengen von Samt, Tüll und schwarzer Spitze gekleidet, geschmückt mit einer Unzahl von Silber (oder sich zumindest überzeugend dafür ausgebendem)-Schmuck, sitzen in der Ecke einer baden-württembergischen Lokalität und langweilen sich. Sie langweilen sich, da ihnen seit Stunden dunkelgrauer, poppiger Techno um die Ohren gehauen wird, unterbrochen von kurzen Intervallen NDH. Aus Erfahrung wissen sie, dass sich der für seine innovativen Sampler bundesweit bekannte DJ ab und an herablässt, New Order, Joy Division, The Cure oder zumindest Duran Duran zu spielen und sie harren des Augenblicks. Es gibt in der Umgebung einfach keine Alternative zu diesem Club, das eigene Zimmer in der Wohngemeinschaft mal nicht mit eingeschlossen.
Nach einer Weile gesellt sich zu ihnen eine junge Person männlichen Geschlechts, die beide sehr flüchtig aus dem gemeinsamen Studiengang kennen. Die Damen sind ein wenig erstaunt, da sie den betreffenden jungen Mann eher in komfortabler, sportlicher und markenaffiner Kleidung kennen und ihn des Öfteren über Erscheinungen der aktuellen Top Ten und deren Erwerb haben diskutieren hören.
„Ja, hi!“, sagt er. „Hätt nich‘ gedacht, euch hier zu treffen!“ Die beiden Freundinnen schauen sich verblüfft an, halten sie sich mit ihrer gothiness™ doch im Alltag kaum zurück und die Veranstaltung, deren Gast sie alle sind, zeichnet sich seit etlichen Jahren eben explizit als „Schwarzer Wochentag-der Wahl“ aus.
„Äh. Ja.“, gibt endlich eine zurück. Man schweigt sich an, verzweifelt auf der Suche nach Gesprächsthemen. „Warum seit ihr denn so traurig?“, bemüht sich der junge Mann, nennen wir ihn der Einfachheit halber einfach Tobi. „Wir sind nicht traurig.“, antwortet die eine, die sich ganz hart beherrscht, nicht theatralisch mit den Augen zu Rollen. Eiiiiiigentlich, so denkt sie, sollten einem solche Sentenzen im Goth-Club erspart bleiben. Aber naaaain….
„Uns ist nur langweilig.“, fügt die andere hinzu. „Aber wieso denn?“, wundert sich Tobi. „Die Musik ist doch voll endgeil!“ – „Sie ist nicht so ganz unsere Spielwiese“, kommt als ehrliche Antwort. Jetzt ist Tobi ein wenig verwirrt und spielt mit seinem Brauenpiercing. „Aber Gruftis seid ihr schon, ne?“, fragt er mit leisem Zweifel in der Stimme. „Ja. Eben.“
Tobi überlegt eine kleine Weile, beschließt, dass diese Antwort in seiner Welt keinen Sinn ergibt, grinst und stürmt zu Augen Auf! woohoohend auf die Tanzfläche. Die beiden Damen holen sich noch einen Vodka-Kirsch und warten weiterhin mit schwindender Hoffnung auf Siouxie.
Wie man sich unschwer denken kann, war ich eine der Damen und unzählige meiner Abend verliefen (mit Ausnahme von Tobi), exakt nach dem gleichen Muster. Zum Glück wurde ich schnell erlöst, da die Deathrock-Revival-Welle aus den USA auch nach Europa schwappte, was dazu führte, dass nicht nur viele kleiner Partys mit anständiger Musik organisiert wurden, sondern sogar schwarze Großraumdiskos einen Batcave/Classics/Deathrock-Floor hatten. Leider ging auch das nach einigen Jahren stark zurück, was einfach darauf zurückzuführen ist, dass das einstige Stammpublikum erwachsen(er) wurde, teilweise wegzog oder schlicht neben Job und Familie keine Zeit mehr hatte. (Selbstverständlich spreche ich nur für den heimischen Landstrich)
Ich selbst wechselte die Uni und lebe nun in einer idealen Gruft-Umgebung: zwischen einem alten Friedhof und einem einst als Mutterschiff der Szene bekannten Club. Und auf die Gefahr hin, mich als vergnügungssüchtige Hupfdohle zu offenbaren: ich verbringe auf dem ersten wesentlich mehr Zeit als im zweiten. Leider. Denn ich tanze leidenschaftlich gern.
Und nun nach langer Rede mit wenig Sinn komme ich zum eigentlichen Thema: es nervt mich, dass die Szene wieder da ist, wo sie meiner Meinung nach vor elf Jahren schon mal stagnierte, verwirrte und enervierte. Es sind die gleichen Playlisten. Man kann beim Ausgehen direkt die Uhr danach stellen, was kommen wird. Und es ist mir unverständlich, denn es gibt so viele gute neue Bands, die um Anerkennung kämpfen. Es sind die gleichen Menschentypen, die am Wochenende ein bisschen Gothic spielen wollen, ohne ihre heilbürgerliche Welt anzukratzen. Was an sich nicht verwerflich wäre, es wird nur problematisch, wenn sie den Großteil der aktiven Szene ausmachen und mit den Retortenplaylisten sowie weiten Bondagehosen samt Fedora 1 mehr als glücklich sind. Eine derartige Szene versumpft, da sie sich gar nicht weiterentwickeln kann. Aus genau diesem Grund versickern auch die Versuche einiger unbeugsamer Goten, dem Verfall Widerstand zu leisten, da sich kaum jemand für ihre Angebote interessiert. (Bands kennt man nicht, Künstler kann man auch im Internet anschauen, den eigenen Freundeskreis zu erweitern wird nicht als nötig angesehen, usw.).
Das nervt mich übrigens auch, das kampflose Zurückziehen, wenn die gewünschte Musik nicht gespielt wird, dann geht man einfach nicht mehr weg: zugegeben; bei manchen DJs stößt man mit Musikwünschen auf taube Ohren (vor allem als die eine Person, die immer was zu meckern hat), wenn das jedoch mehrere ständig machen würden…..
Was mir auch fehlt, ist eine gemeinsame Basis mit anderen Schwarzgewandeten. Auf der einen Seite haben wir heutzutage so viele Freiheiten, die früher einfach nicht drin waren, wenn man dazugehören wollte. Wir sind freier in der Gestaltung unseres Äußeren, sehr viel freier was unsere Musikinteressen betrifft. (Wie mir eine ElderGoth™ einst sagte: sie musste ihre Duran Duran Platten heimlich kaufen und verstecken, von den heißgeliebten Hair Metal Bands mal ganz zu schweigen, denn das aktive und öffentliche Hören solcher Musik hätte 1988 definitiv zu strenger Missbilligung bis Verachtung geführt. Heute freuen sich viele, wenn der damalige Poser Billy Idol läuft, die unsäglichen Popper Duran Duran oder gar was aus der bunt-fröhlichen Phase von Cure)
Auf der anderen Seite ergibt diese Freiheit eine unüberschaubare Masse an Personen, die eventuell die gleichen Ansichten, Interessen oder Ästhetiken wie man selbst vertreten könnten, was sich aber nicht auf den Ersten, zweiten, dritten Blick erschließt. Es ist menschlich einfach unmöglich, mit jedem zu reden, der schwarzen Nagellack trägt und eine Nici-Fledermaus an der Tasche hängen hat, um mal beispielhaft kleinste Gemeinsamkeiten zu nennen. Ich kann nicht mehr automatisch davon ausgehen, dass jemand, der ein Fuck Me And Marry Me Young-Shirt trägt, auch wirklich die Sisters hört oder nur den Spruch cool findet (von diversen Bowie-und Joy Division-Shirts bei Textilretailern reden wir mal an dieser Stelle nicht….). Es mag kindisch sein, aber im Regelfall spreche ich so eine Person nicht mehr an, zum Teil aus Angst, mich lächerlich zu machen, da ich einfach etwas annahm, zum Teil aus Angst, enttäuscht zu werden.
Irgendwie war das zu meinen Babybat-Zeiten nicht üblich, ich kam interessentechnisch mit jedem Grufti klar. Ich gebe jedoch zu, dass diese Ansicht durch die rosarote Brille der frühen Jugend verzerrt sein könnte. Und gleichzeitig, man verzeihe mir die Oberflächlichkeit, entstehen im Schatten des Schirmes „Schwarze Szene“ Kreationen, die für den unaufgeklärten/sich durch Lokalmedien als sehr aufgeklärt fühlenden Betrachter von außerhalb zusammengehören, von meinem „Gothic“ aber derart weit entfernt sind wie Trump von einer wohldurchdachten Rhetorik. Ich fühle mich in einer solchen Szene weder heimisch noch ihr zugehörig.
Womit ich bei dem von Fledermama bereits angesprochenem Kostümflair ankomme. Dass das WGT größtenteils zu einem Karneval geworden ist, ist wohl überflüssig anzusprechen. Wenn aber meine Mutter bei dem Anblick eines sexy Furry-Piraten-Ork-Waldelfen-Lack-Dämonmädchens mit Hörnchen und Spitzenschirm verzückt ausruft: „Ist das eine von euch?“ 2, möchte ich mich verstecken.
Ja, ich bin oberflächlich. Und intol(l)erant. Und ich vermisse eine gewisse gemeinsame Ästhetik, ein wohlüberlegtes, narzisstisch zusammengestelltes Ensemble, dessen Elemente für den Träger mehr Bedeutung haben als „war bei EMP im Sale, Jacqueline hat das auch, wir sind jetzt voll Twinsies!“ Ein Musikwissen, das über Compilations hinausreicht und das eine Diskussion selbst bei Nichtgefallen dieser Musik erlaubt. Und ja, ein gewisses reflektiertes „Dagegen“ der Gesellschaft und nicht einfach eine Kopie derselbigen in Schwarz. Man hat das Gefühl, viele wären bloße Konsumenten, entweder unfähig oder unwillig (oder beides), über den Rand des Vorgekauten hinauszublicken. Und das ist in der Zeit einer globalen Vernetzung, in der ein Zugang zum Internet vom Bundesgerichtshof als lebenswichtig eingestuft wird, wirklich mehr als traurig.
Einzelnachweise
- Ich möchte keinesfalls persönliche Ästhetik angreifen, nur betonen, dass es nicht der meinigen entspricht und ich daher vermutlich wenig Gemeinsamkeiten mit dem Träger dieser Kleidung haben werde. Was ihm keinesfalls das Recht abspricht, diese zu tragen wann und wo es ihm oder ihr beliebt.[↩]
- Das Ärgerlich an der Verzückung meiner Mutter ist der Umstand, dass sie sich für das Aussehen ihrer Tochter immer noch sehr schämt und meine gothiness ™ als persönliches Versagen ihrer Erziehung betrachtet , sowie immer noch hofft, mich in die entzückenden Modelle einer Betty Barclay zwingen zu können.[↩]
Wizard of Goth – sanft, diplomatisch, optimistisch! Der perfekte Moderator. Außerdem großer “Depeche Mode”-Fan und überzeugter Pikes-Träger. Beschäftigt sich eigentlich mit allen Facetten der schwarzen Szene, mögen sie auch noch so absurd erscheinen. Er interessiert sich für allen Formen von Jugend- und Subkultur. Heiße Eisen sind seine Leidenschaft und als Ideen-Finder hat er immer neue Sachen im Kopf.
Dass noch kein Kommentar abgegeben wurde, kann ich nur darauf zurückführen, dass deinem Text wohl einfach nichts mehr hinzuzufügen ist. Kann man so einrahmen, zunickend seufzend.
Welch paradoxer Zustand, mittlerweile Minderheit einer „Minderheit“ zu sein…