Jetzt kommt die Initiatorin selbst zu Wort. Marion Levi hat sich in unserem „Brainstorming“ mit diesem Thema für den April durchgesetzt. Zu Recht, wie sich mittlerweile herausgestellt hat, denn trotz meiner Bedenken habe doch erfreulich viele Leser etwas zum Thema beizutragen und gestalten damit einen sehr interessanten und aufschlussreichen Gothic Friday im April.
Ich habe gerade festgestellt, dass es nicht leichter ist zum „eigenen“ Gothic Friday Thema etwas zu schreiben, als zu einem, das jemand anderes vorgegeben hat. Aber sei es drum, gehen wir gleich in medias res: Ich bin Sozialarbeiterin.
Manchmal wundert mich das, weil mein Selbstbild mir eigentlich vermittelt, dass ich jemand bin der nicht besonders gut mit Menschen kann. Jemand, der sich schwer tut Kontakte aufzubauen und oft lieber für sich ist. Trotzdem arbeite ich mit Ihnen oder vielleicht nicht trotzdem, sondern genau deswegen. Um mir zu beweisen, dass ich es eben doch kann: mit Menschen umgehen.
Was mache ich eigentlich genau? Ich arbeite in einer Wohngruppe, in der Kinder und Jugendliche betreut werden, die aus unterschiedlichen Gründen nicht bei ihren Familien leben können. Die Hälfte dieser Kinder/Jugendlichen sind momentan unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Der Job ist oft anstrengend, aber ich mache genau das, was ich machen will. Jeder Tag ist eine neue Herausforderung. Es passieren jeden Tag Katastrophen, aber jeden Tag auch wundervolle Dinge.
Gothic und Beruf?
Mein Vorstellungsgespräch fand an einem dieser 35 Grad heißen Sommertage statt, weshalb ich schon aus rein gesundheitlichen Gründen nicht super gruftig unterwegs war. Komplett schwarze, wenn auch schlichte Kleidung, reichte für meine zukünftige Chefin aber offenbar aus, um zu fragen, ob ich denn einer bestimmten Szene angehöre und wie sich diese nennen würde. Mit einer kurzen Erklärung meinerseits gab sie sich zufrieden, es schien neu für sie zu sein, sie allerdings nicht zu stören. „Aber“, sagte sie, „zieh bitte nichts mit Totenköpfen an, das könnte die Kinder erschrecken.“ Ich teile diese Meinung zwar nicht, habe mich aber trotzdem daran gehalten.
Das Vereinbaren von Szenezugehörigkeit und Beruf fällt mir nicht schwer. Vielleicht liegt es daran, dass ich in einem Bereich arbeite, in dem es relativ leger zugeht. Bunte Haare, Piercings im Gesicht oder sichtbare Tattoos (wie Kolleginnen sie haben) sind kaum der Rede wert. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich kein „Übergruftie“ bin. Beim Arbeiten trage ich meist schlichte, schwarze Kleidung. Jeans und Band Shirt. Es muss vor allem praktisch sein. Tattoos und Piercings habe ich keine, es sei denn meine sieben Ohrringe zählen. Am auffälligsten sind da, meiner Meinung nach noch meine New Rock Boots und meine aufgemalten Augenbrauen.
Welche Abstriche nehme ich in Kauf oder würde ich in Kauf nehmen?
Neben den Totenköpfen verzichte ich auf Nieten und zu lange Fingernägel (Verletzungsgefahr), oder Kleidungsstücke mit Glockenärmeln, Bändern, Spitze und dergleichen (das ist schlicht zu sehr im Weg oder könnte kaputt gehen). Geschminkt bin ich in der Arbeit nur dezent und wenn wir einen Tag schwimmen gehen oder Ski fahren, verzichte ich auch komplett auf Make-up (was mir, ob der dann fehlenden Augenbrauen mitunter sehr seltsame Blicke einbringt). Zu Teambesprechungen, wo ich ausschließlich meine Kollegen treffe, komme ich allerdings auch oft mit Plateaustiefeln oder mehr Make-up. Eine gute Gelegenheit um zu testen wie was ankommt. Im Arbeitsalltag hingegen streue ich hier und da auch etwas Farbe ein, zum Beispiel für offizielle Termine mit dem Jugendamt oder in Schulen. Damit habe ich absolut kein Problem und ich würde es auch öfter tun, wenn es verlangt werden würde. Eine rote Weste oder ein dunkelblaues Shirt kratzen nicht an meiner „Gruftie Identität“. Solange ich mich nicht tagtäglich verkleiden muss komme ich anderen gerne entgegen.
Mit verkleiden meine ich übrigens nicht eine eventuelle Arbeitskleidung oder Uniform. In einem früheren Job musste ich für bestimmte Events ein rotes Shirt oder eine graue Weste tragen und das hat mich nie gestört. Schwarz in die Arbeit gehen, umziehen, Event über die Bühne bringen, umziehen und schwarz wieder Heim gehen. Etwas anderes wäre es für mich, wenn ich von der Chefetage oder auch Kollegen zu hören bekommen würde ich sollte mich „normal“ oder „erwachsen“ kleiden. Dies ist jedoch nicht der Fall und ich genieße die relative Freiheit nicht großartig zwischen Arbeits- und Freizeitkleidung unterscheiden zu müssen.
Vorurteile und Probleme?
Glücklicherweise hatte ich bisher kaum mit Vorurteilen oder Problemen zu kämpfen. Dass ich beinahe ausschließlich schwarz trage wird zwar zur Kenntnis genommen und auch kommentiert, meist geschieht dies aber durch interessiertes Nachfragen. Die Kollegen wollen vor allem wissen, welche Musik ich denn hören würde, was die Gothic Szene denn nun ist und wie ich dazu gekommen bin. Die Kinder und Jugendlichen sind generell sehr offen und neugierig und ich habe das Gefühl, dass mir mein alternatives Aussehen in der Arbeit mit ihnen nicht im Wege steht, sondern diese im Gegenteil erleichtert. Sie finden vor allem meine Stiefel sehr faszinierend und wollen sie oft anprobieren. Auch zu meinen Bandshirts kommen viele Fragen. Ein Gesprächseinstieg ist somit schnell gefunden.
Ein Scherz! Kinder sind eher fasziniert von Totenköpfen. Man denke nur an Piratenfahnen. Und mein Kleiner fands es schon mit 4 Jahren toll (cool), auf einem historischen Seefahrerfriedhof neben einem Grabstein mit Totenkopf zu posieren.
Tabuisiert (und indoktriniert) wird erst später.
Spannender Ansatz für die Wahl des Berufs…um dir zu beweisen, dass du mit Menschen umgehen kannst :-)
Schön, dass du auch einen Job hast, in dem du eher auf Interesse stößt, als auf Vorurteile.
@ hasejoe: Ich glaube auch, dass es dem Großteil der Kinder nichts ausmacht bzw. dass es viele faszinierend und beispielsweise mit Piraten assoziieren. Trotzdem kann man das erstens im Vorfeld nie genau wissen und zweitens arbeite ich mit traumatisierten Kinder, die auf vieles anders reagieren als man vermuten würde. Um also nichts zu riskieren und um der Bitte der Chefin nachzukommen lasse ich die Totenköpfe weg.
@ Morella: Natürlich ist das nicht der einzige Grund für meine Berufswahl gewesen, aber wenn ich darüber nachdenke, dass es Zeiten in meinem Leben gab wo ich mit Menschen fast nichts zu tun haben wollte kommt es mir schon ab und an seltsam vor, dass ich jetzt ausgerechnet in diesem Feld tätig bin. Das „es sich selbst beweisen wollen“ ist der Versuch einer Erklärung meinerseits.
Ich denke mal, gerade weil Du etwas anders auf Menschen blickst oder geblickt hast, auch kritischer, kannst Du dich gut auf diejenigen einlassen, die eher am Rande der Gesellschaft stehen. Die schlechte Erfahrungen gemacht haben. Es ist ja oft so, dass man, wenn man ein eher nachdenklicher, stiller Mensch ist, ein guter Zuhörer und Hilfesteller sein kann, der authentischer wirkt als Dauer-Sonnenscheinchen, die keine emotionale Tiefe besitzen.
Ich vermute mal, daher kommt der Hang vieler Gothics zu sozialen Berufen, denn den sehe ich tatsächlich. Sie fühlen selbst intensiv und sich daher gut in andere ein. Sie wollen die Gesellschaft, die sie in vielen Punkten kritsich betrachten, so weit es geht ein bißchen besser machen, ohne dabei laut zu werden und auf die Straße zu gehen. Eher im Stillen, Altäglichen, wie auch schwarze Kleidung für viele eher ein stiller Protest ist.
Marion Levi
Das ist interessant. Bei mir ist es auch so, dass ich mich selbst mit eigenen persönlichen Kontakten, denen ich mich anvertraue schwer tue, für andere hingegen jmd. bin den sie gerne ins Vertrauen ziehen. Das schätze ich sehr.
@Tanzfledermaus
Was Du schreibst, halte ich für eine plausible Erklärung. Zumindest ist es für mich stimmig und ich finde mich darin wieder.
@ Tanzfledermaus: Danke für diesen Kommentar. Der Vermutung, warum viele Gothics zu sozialen Berufen tendieren wohnt einer sehr schöner Gedanke inne.
@ strangeplant: Es ist immer wieder spannend und bis zu einem gewissen Grad auch beruhigen zu hören (lesen), dass es Leute gibt, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben bzw. ähnlich fühlen.
Aus eigener Erfahrung weiss ich das die Arbeit mit (zum Teil traumatisierten) Flüchtlingskindern sehr anstrengend aber auch erfüllend sein kann!
Bei mir war die Arbeit projektgebunden und eher im kreativen Bereich angesiedelt.
Ich finde es bemerkenswert ,dass du trotz deiner Menschenscheue diesen Beruf ausübst!
Danke Rena.
Mein Zugang hierbei ist, dass ich die Kinder primär als Kinder sehe, ergo die Flüchtlinge nicht anders behandle als die österreichischen Kinder.