Die im 19. Jahrhundert ringförmig um den historischen Stadtkern Londons angelegten Friedhöfe sind die Magnificent Seven, die glorreichen Sieben. Sie wurden einst angelegt, um das Leichenproblem des frühen 19. Jahrhunderts zu lösen, das die schnell wachsende Metropole mit sich brachte. Die „Fazination Friedhof“ wird an diesen sieben Beispielen am ehesten erlebbar.
Das London mehr zu bieten hat als Wachsfiguren, Brücken, Türme und Riesenräder dürfte sich mittlerweile bis in den letzten Reiseführer herumgesprochen haben. Das es sich dabei um Friedhöfe handelt, dürfte auch dem regelmäßigen Leser meines Blogs nicht weiter wundern, das die Faszination eine Szeneinternes Klischee bedient machte die Sache dann aber auch für den unbeteiligten und oberflächlicher Leser verständlicher.
Zurück zum Informativen Gehalt. London bietet für den Friedhofsliebhaber 7 ganz besondere Ereignisse, The Magnificent Seven, die viktorianischen Friedhöfe um den historischen Stadtkern. In diesem ersten Artikel geht es nach einem kurzen Versuch die Faszination zu erklären auch um die Gesamtheit der 7 Ruhestätten, von denen ich dreien in den nächsten Wochen einen Artikel spendieren möchte.
Was macht also die Faszination Friedhof aus? In den 80er Jahren begann man aus Neugier um das, was Künstler auf der Bühne thematisierten Friedhöfe zu besuchen um sich dem Thema zu nähern und die Inhalte auf seine Weise zu verarbeiten. Später begann man damit die Abenteuerlust einen außergewöhnlichen Treffpunkt zu kennen gegen eine beginnende Faszination für das mystische, das romantische, das morbide und das Vergangene zu entwickeln. „Der nächtliche Treff auf dem Friedhof ist für die meisten Grufties eher außergewöhnliches Abenteuer als Ausdruck einer tiefen Sehsucht nach der Ewigkeit des Todes. Auf dem Friedhof lässt sich der Schauer, der einem sonst nur bei Grusel-Stories auf dem Bildschirm den Rücken hochkriecht, in der Realität erleben.“ 1 In den 90ern individualisiert sich das empfinden für den Friedhof, was bleibt ist eine weit verbreitete Faszination, die bis heute anhält.
An der Haaren herbeigezogene Gruselstories über schwarze Messen, dunkle Rituale und Tieropfer die Ende der 80er und Anfang der 90er von der Boulevard-Presse propagiert wurden führen auf der einen Seite zu Vorurteilen in der Masse, andererseits bestätigen sie aber viele Gothics in ihrer Außenseiterrolle. Schwarze Mitläufer, die meist unter Alkoholeinfluss den Friedhof als Spielplatz entdecken, forcieren die Sichtweise der Gesellschaft und sorgen für nachhaltige Skepsis und lassen immer wieder die gleichen falschen Rückschlüsse zu, von denen meist nicht ein einziger zutreffend ist.
Auch heute noch übt der Friedhof auf viele Szeneanhänger eine enorme Faszination aus. Die Gründe dafür sind so verschieden wie die Individuen selbst, für mich ist ein Platz der Phantasie, der Ästhetik und der Mystik der meine Gedanken beflügelt und vom Alltag in einer Welt lenkt, in der die Zeit und die Hektik nebensächlich erscheint. Hier ist kein Platz für die eigenen Probleme, im Angesicht der Vergänglichkeit erscheint einem die eigene Existenz mehr als sonst nur wie ein Teil des Ganzen.
The Magnificent Seven (Die glorreichen Sieben)
Zwischen 1801 und 1850 verdoppelte sich Anzahl der Einwohner Londons von 1 Millionen auf etwa 2.3 Millionen. Die Hauptstadt Großbritanniens war zu einer aufstrebenden viktorianisch geprägten Metropole gewachsen. Zu Beginn dieser Zeit wurden die Leichen der Stadt auf kleinen Friedhöfen von Kirchen und Kapellen begraben, die schnell wegen Überfüllung zu einer Gefahr für die Gesundheit der übrigen Einwohner wurden. Es kursierten Geschichten die davon erzählten, das die untersten Leichen überfüllter Gräber in die gerade neu angelegte Wasserversorgung der Stadt fielen und somit eine Gefahr für alle Einwohner barg.
1832 beschloss das britische Parlament die Errichtung von Friedhöfen außerhalb des inneren Stadtkerns um den Problem Herr zu werden und verbot wenig später, weitere Leichen auf den innerstädtischen Friedhöfen beizusetzen. Bis 1841 entstanden so 7 wirklich riesige Friedhöfe, die sich ringförmig um den damaligen Stadtkern anordneten – die sogenannten Magnificent Seven. Sie überstanden Zeiten von Vandalismus, Grabräubertum und auch die Weltkriege weitestgehend unbeschadet und werden teilweise weiterhin gepflegt oder auch sich selbst überlassen. Sie stehen symbolisch für den Reichtum und eine neu entstandene Mittelschicht, die das London des 19. Jahrhunderts prägte und gespickt sind mit viktorianischer Symbolik, in der Zeichen und Gräber einen ganz besonderen Stellenwert einnahmen. Die Friedhöfe im Überblick:
- Kensal Green Cemetery (1832)
- West Norwood Cemetery (1837)
- Highgate Cemetery (1839)
- Abney Park Cemetery (1840)
- Nunhead Cemetery (1840)
- Brompton Cemetery (1840)
- Tower Hamlets Cemetery (1841)
In den letzten 10 Jahren besuchte ich alle Friedhöfe der „Magnificent Seven“ und brachte Eindrücke und Geschichten mit, die ich hier bei Spontis mit Euch teile.
Einzelnachweise
- Heinz Janalik/Doris Schmidt: Grufties – Jugendkultur in Schwarz, Schneider-Verlag Hohengehren, 2000, S. 23ff[↩]
@Robert: „Was macht also die Faszination Friedhof aus?“
Ehrlich gesagt, ich habe k.A.! Aber ich bin da eh speziell. Friedhöfe berühren mich gar nicht, auch wenn ich die Kunstfertigkeit der Grabsteinschaffer bewundere. Was aber eher eine monetäre Frage ist.
Mit Frau Postpunk durfte ich ja während des letzten Paris Aufenthaltes auch über diverse Friedhöfe stiefeln. Vielleicht auch mal eine Ausflugsidee für den Sponti. Mein Tip: Cimetière Montparnasse
Hach ich würde die auch gerne sehen.
Wenn es darum geht, das Friedhofsklischee zu erfüllen, dann bin ich da mir vorne dran ;)
Ich mag die Ruhe dort und diese sehr außergewöhnliche Atmosphäre. Friedhof ist Trauer und auch irgenwo Hoffnung gleichzeitig.
Friedhof ist keine Trauer, da werden nur Tote abgelegt. Trauer entsteht bei jedem selbst, mehr oder weniger, und die ist unabhängig vom Ort des Ablegens. Und Hoffnung? Auf was? Selber zu sterben? Keine Sorge, das wird passieren. Vielleicht die Hoffnung, mal selbst unter einem Grabstein zu liegen?
Ich hab das mit der Faszination Friedhof auch noch nie verstanden. Ja, manche Grabsteine sind ganz schön…manche sind sogar echte Kunstwerke und mit Blick auf die Kunstgeschichte sind einige sehr alte Friedhöfe sicher auch sehenswert. Aber sonst? Ruhe…ja…aber im Wald ist es auch ruhig.
Also ich finde Friedhöfe schon faszinierend, aber eben aus kunstgeschichtlichem Grund, gerade so alte Friedhöfe mit künstlerisch wertvollen Grabsteinen finde ich schon sehenswert. Eine gewisse ruhige Atmosphäre kann ich auch nicht abstreiten, aber ich würd mich glaub ich nicht unbedingt deswegen auf Friedhöfen aufhalten, wenn mir danach war hab ich immer zu völlig bescheuerten Nachtzeiten einen kleinen Spatziergang unternommen – mit Begleitung mit der man wunderbarst philososchwafeln konnte. Mja, in meiner Studizeit ging das noch *seufz*
@Vizioon: Sicher, letztlich bleibt es Geschmackssache. Zu deinem zweiten Kommentar: Ich sehe das ähnlich, Trauer findet im Inneren statt, jedenfalls bei mir. Aber die Trauer um jemanden ist ebenso individuell wir der Verstorbene selbst.
@Postpunk: Kannst du Paris darüber hinaus und vor allem aus möglichst „Gruftigen“ Gesichtspunkten empfehlen? Noch sträube ich mich allein wegen des Friedhofs die Stadt zu besuchen :)
ElisaDay: Ja, die Ruhe ist für mich auch etwas schönes, denn ich finde, auf einem solchen historischen Friedhof herrscht eine ganz bestimmte Ruhe, die manchmal bedrückend, entspannend oder auf gruselig sein kann.
Orphi: Ich finde, die Ruhe in einem Wald ist eine andere. Es mag sicherlich am Ambiente liegen, am Ort oder seiner Bedeutung. Das ist aber meine eigene Sichtweise. Eine pauschalisierende Faszination für alle „Gothics“ lehne ich ab. Eine gewisse Nähe eines historischen Friedhofes zu einigen klassischen Gothic-Themen lässt sich jedoch nicht abstreiten.
@Rosa: Deine Sichtweise erscheint meiner persönlichen am nächsten, um Ruhe zu finden brauche ich nicht unbedingt einen Friedhof. Bei offenem Fenster von zwitschernden Vögeln beim schreiben eines Kommentares begleitet zu werden (so wie jetzt) ist auch eine Form von Ruhe ;)
Ja, die Ruhe in einem Wald ist eine andere. Es laufen nicht ständig Leute mit gesenktem Kopf und Gießkanne in der Hand an einem vorbei. Ich finde Friedhöfe weder gruselig noch entspannend. Ich sehe Leute, die geliebte Menschen verloren haben und traurig, einsam oder verzweifelt sind.Das ist doch nicht schön. Vielleicht bin ich aber auch nur hoffnungslos unromantisch…
Orphi: Nein, nicht hoffnungslos unromantisch, nur anders als ich ;)
@Robert
Deinen Bericht, auch den neuen, finde ich trotzdem super. Ich bin natürlich nicht gänzlich immun gegen die Atmosphäre eines historischen Friedhofs. Allerdings fürchte ich, dass ich tatsächlich anders (unromantisch) ticke, denn mir fallen dazu etwa eine Million Geschichten ein (beispielsweise, wenn ich den Löwen sehe, der den toten Dompteur bewacht). Wenn ich also mal eine Inspirationsquelle für Buch-Charaktere oder Geschichten brauche…. :-)Die Grabsteine aus kunsthistorischer Sicht habe ich ja schon gewürdigt. Ansonsten doch lieber Wald :-)
Orphi: Schön, das es Dir gefällt. Inspiration findet man an den verrücktesten Orten. Ich denke das lässt sich nicht an einem Ort festmachen. Man tendiert zwar schon in eine thematische Richtung, aber die Orte sind vielfältig. Ich finde Burgen und auch Bahnreisen auf ihre Art und Weise auch manchmal inspirierend. Den thematischen Zusammenhang verrate ich jetzt nicht :)
Friedhöfe sind für mich auch nicht weniger sinnlich, entspannend oder bestürzend wie Parkanlage. Allerdings besitzen Friedhöfe etwas ganz spezielles, nämliche diese schwermütige Symbiose aus Vegetation und Architektur.
Davon mal abgesehen, ich befürchte, dass ich einmal für drei Wochen nach London muss…
„diese schwermütige Symbiose aus Vegetation und Architektur“ Das hast du gut gesagt, genau so ist es. London ist auf jeden Fall eine Reise wert, für mich immer noch einer der schönsten und aufregendsten Städte in Europa. Es ist hier auf diesem Kontinent sowieso faszinierend, wie kurz die Entfernung zwischen verschiedensten Kulturen, Ländern und Lebensweisen sind. Die Unterschiede erscheinen oft marginal, doch wer sich die Mühe macht, hinzuschauen, wird mehr erkennen als dem lustlosen Auge eines 48h Betrachters.