Verlässt man das Zentrum der pulsierenden britischen Metropole entdeckt man das eigentliche England, so kommt es mir vor als wir die Tube-Station Archway verlassen und die Frühlingssonne über dem recht verschlafenen Stadtteil Highgate in unsere Augen scheint. Die Strasse ist gesäumt von typischen englischen Einfamilienhäusern die Wange an Wange die Straßenbilder in den Vororten Londons prägen. Wir wollen zum Highgate Cemetery, von dem wir schon viel gutes gehört haben. Er soll einer der schönsten Friedhöfe Londons sein und ist ein Teil der Magnificent Seven, der sieben viktorianischen Friedhöfen die man seinerzeit bauen musste um dem immer größer werdenden Bedürfnis nach einer Ruhestätte nachzukommen.
Im Vorfeld haben wir uns für den Westteil entschieden der nur per Führung zu besichtigen ist, da es sich um teilweise kunsthistorisch wertvolle Ruhestätten handelt, die kurz vor dem Verfall stehen und man so vermeiden möchte das unbedachte Besucher weiteren Schaden anrichten. Es entwickelt sich gar eine gewisse Art von mystischer Spannung als uns der Guide einige Verhaltensregeln auferlegt und eindringlich darum bittet bei der Gruppe zu bleiben, man könnte sonst im dichten und sehr weitläufigen Waldgelände verloren gehen.
Zu meiner Überraschung bin ich nicht der einzige Gruftie in der Führung, ein schlankes und hochgewachsenes Gruftiepaar die beide Joy Division noch Live gesehen haben könnten sind mit von der sonst so illustren kleinen Partie. Gerade als ich mich frage, wie sie in den wirklich hübschen Pikes mit Absatz das unwegsame Gelände durchwandern will, entlockt sie ihrer mitgebrachten Tasche ein paar schwarze Turnschuhe, die zwar jetzt nicht wirklich zu Outfit passen, aber sicherlich ein sehr kluge Entscheidung sind.
Die Führung beginnt gleich mit der Besichtung des aller ersten Grabs, das schon bei der Eröffnung 1839 angelegt wurde, um potentiellen und zukünftigen Kunden einen morbiden Eindruck von der Schönheit eines solchen Ambientes geben zu können. Auch die erste Legende wird uns mit auf den Weg gegeben, denn hier begann auch das Mysterium und den Highgate Vampire, der in den frühen 1970ern für einige unerklärliche Phänomene auf dem Friedhof verantwortlich gemacht wurde. 1972 ließen sich die legendären Hammer Studios von der Geschichte zum Film Darcula AD 1972 inspirieren, der mit Christopher Lee in der Hauptrolle inszeniert wurde.
Linda, so der Name unseres weiblichen Guides, ist wirklich gut informiert. Und überhaupt scheint sie über fast jedes der hier angelegten Gräber etwas erzählen zu können und das in einer wirklich sehr gut verständlichen Form der englischen Sprache, was es wirklich nicht schwer macht ihr zu folgen. Der schlafende Löwe links im Bild zeigt das Grab von George Wombwell, einem Tierdompteur der 1825 den ersten in Gefangenschaft geboren Löwen züchtete und mit seinem Wanderzirkus über Jahrmärkte zog um die Zuschauer mit exotischen Tieren zu begeistern. Er starb 1850 und wurde unter der Skulptur seines Lieblingslöwen Nero begraben, der nun über seinen ehemaligen Herrn wacht.
Der Friedhof ist wirklich fantastisch, die grüne Oase mitten in der Stadt ist so dicht gewachsen, das man nicht vermag den blauen Himmel zu sehen, der leichte Wind wiegt die unzähligen Baumwipfel die sich knirschend und knarzend aneinanderreiben und die Atmosphäre mit dieser gewissen Spur von Spannung laden, das man das Gefühl hat, nur noch flüstern zu können. Einzelne Lichtstrahlen, die durch das Dickicht fallen weisen auf einzelne Gräber hin als würden die verstorbenen selbst ihre letzte Ruhestätte ins rechte Licht rücken wollen.
Immer wieder unterbrechen eindrucksvollen Mausoleen die scheinbare Tristesse der viktorianisch gestalteten Gräbern. Selbst deutsche Geschäftsmänner, so erfahren wir, haben sich hier begraben lassen. Julius Beer, ein erfolgreicher Geschäftsmann aus Frankfurt ließ ein Mausoleum für seiner Tochter Ada bauen. Ein eingelassenes Wandbild zeigt das von der Totenmaske kopierte Gesicht des jungen Mädchens, deren Tod er nie wirklich überwand. Es lässt sich nur vermuten wie unermesslich seine Trauer gewesen sein muss, als ihr italienische Steinmetze mit dem Bau der Ruhestätte beauftragte die für diese Arbeit 5000 Pfund verlangten.
Während wir zur nächsten Ruhestätten gehen können wir nur erahnen wie viel Arbeit der Erhalt einer solchen Ruhestätte macht und wie viel Leidenschaft man opfern muss die Gräber von Menschen zu pflegen, die man nicht einmal gekannt hat.
Noch einmal blicke ich in den hellblauen Himmel, bevor der Schatten der Bäume mich wieder umhüllt und Linda uns zum letzten Grab dieses Rundgangs führt, dem von Thomas Sayers. In seiner Karriere als Bare Knuckle Boxer zwischen 1849 und 1860 verlor er nur einen einzigen Kampf und wurde in London zu einem Lokalmatador. Als er an Diabetes und Tuberkulose erkrankte, zog er sich zurück und starb im Alter von 39 Jahren. Bei seiner Beerdigung begleiten 10.000 Menschen die sterblichen Überreste zum Highgate Cemetery, mehr als bei der Krönung von Königin Victoria 1837. Sagt man. Sein treuer Hund Lion legte sich zu Füßen der Grabstätte und verschwand Tage später im Dickicht. Freunde spendeten ihm diese schöne Grabstätte.
Fast 2 Stunden sind wir über den Friedhof gewandert, haben unzählige Grabstätten gesehen und viele spannende Geschichten gehört, zu viele um sie alle hier wiederzugeben. Jedem der einmal nach London fährt und Interesse an alten Friedhöfe hat, sei eine Führung über diesen sehr an das schwarze Herz gelegt. Ich habe eine Auswahl der Bilder in einem Album zusammengefasst. Darunter findet ihr eine knappe Wegbeschreibung, ich hoffe ihr teilt eure Eindrücke mit mir, wenn ihr diese Gelegenheit wahrnehmt.
Wegbeschreibung
Adresse: Swains Lane, London N66PJ. Mit der Nothern Line (schwarz) fährt man Richtung High Barnet bis zur Station Archway (Zone 2). Wenn man die U-Bahn Station verlässt hält man sich links und geht den Highgate Hill hinauf, vorbei am Krankenhaus und biegt dann links in Bisham Gardens ein, man kann aber auch durch den Park zu seiner linken prima abkürzen. Jetzt erreicht man die Swains Lane, die den Highgate Cemetery in zwei Teile teilt, eine westlichen Teil und einen östlichen Teil. Der östliche Teil ist immer für Besucher geöffnet
Die Swains Lane trennt Highgate Cemetery in zwei Teile, der westliche Teil ist der originale, 1839 errichtete Friedhof, während es sich beim Ostteil um einer Erweiterung handelt, die 1854 angeschlossen wurde. Highgate West wurde 1975 geschlossen, weil die finanziellen Mittel fehlten, den Friedhof zu pflegen und zu betreiben. Kurz bevor Planierraupen das Gelände für eine alternative Nutzung erschließen konnten, gründete sich der Verein Friends of Highgate Cemetery (FOHC) und kaufte das Gelände der Stadt ab und rettete so einen der Kunsthistorisch wertvollsten Friedhöfe vor seiner Zerstörung. 1981 waren schließlich beide Teile des Friedhofs unter der Verwaltung des Vereins der sich seit dem um die Erhaltung und Pflege beider Teile kümmert. Der Zugang zum älteren östlichen Teil ist kostenpflichtig und nur über eine Führung zu besichtigen. Die kostet 7 britische Pfund, dauert etwa eine Stunde und ist in sehr lohnenswert.
Der Löwe ist echt niedlich.
Toller Artikel, Robert! Interessant zu lesen, auch die vielen kleinen Geschichten zu den Gräbern. Auf dem Highgate liegt doch auch Karl Marx, oder? Hast Du auch sein Grab gesehen oder ist das auf dem nicht zu besichtigenden Teil des Friedhofs?
Mal noch was NERDiges: so eine schicke Bildergalerie suche ich auch für mein Blog. Was issn das für’n Plug-in?? Danke für nen Tipp.
Vielen Dank :)
Nein, kein Plugin. Das geschickte Einbinden von Galerien kannst dun in Plerzelwupp’s Blog nachlesen: http://www.plerzelwupp.de/fotogalerie-in-den-blog-einbinden/. Ich arbeite noch an einer jQuery-Umsetzung des Galeriefenster als Fancybox (so wie die Bilder hier aufpoppen), das war aber bislang nicht von Erfolg gekrönt :)