Die BRAVO hat sich in Sachen Aufklärung einen Namen gemacht. Was beim Thema Sexualität in der Zeit vor dem Internet ausgezeichnet klappte, will bei subkulturellen Angelegenheit nicht so wirklich gelingen. Mal zwanghaft objektiv, mal reißerisch plakativ. Phänomen Satanismus: In dem Artikel „Verfolgt vom Satan!“ aus einer BRAVO vom Februar 1997 informiert man: „Erste Alarmzeichen bei Jugendlichen für den Umgang mit Satansanhängern sind: Dunkle Kleidung, Isolation und Aggressivität […] Besonders verdächtig: Satansbücher, z.B. von Aleister Crowley, oder umgedrehte Kreuze.“ Protagonistin des Artikels ist Silke (18), die zu einer Gruppe Satansanhänger gehörte, den Ausstieg schaffte und berichtet, wie sie immer noch bedroht wird.
Das Thema zieht sich durch die Jahrzehnte und sorgt selbst 2014 für Gesprächsstoff. Ich bin eigentlich unterschwellig davon ausgegangen, dass man Ängste, die bereits in den frühen 80er für merkwürdige Artikel sorgten, inzwischen ausgeräumt oder ausreichend relativiert hätte. Zahlreiche E-Mails von Lesern bestätigen meinen Eindruck, dass das Thema noch lange nicht „durch“ ist. So schrieb Leser Michael 1.“: „Ich lese immer wieder dass man Gothics und allgemein die Schwarze Szene mit den Satanisten verwechselt werden. Man solle endlich mit den Klischees und Vorurteilen aufhören. Es wäre schön wenn man auch endlich mal mit diesem Vorurteil etwas aufräumen könnte. Ich kann nur den Kopf schütteln wenn Gothics und dergleichen meinen, dass alle Vorurteile haben und sagen sie seien Satanisten, aber wissen selber nicht wovon sie sprechen.“
Wie halten sich Vorurteile, Ängst und Unwissenheit über so viele Jahre? Ein Stück weit ist es den Boulevard-Medien zu verdanken, die auf jeden unerklärlichen Zug aufspringen und Gewalttaten, bei denen das Motiv absonderlich erscheint gerne in eine Ecke drängen. Ich meine, Taten aus Eifersucht oder Ehrgefühl resultieren sind ja locker einsortierbar: „Betrogener Ehemann ermordet Liebhaber und seine eigene Frau.“ Klingt logisch und eindeutig. Machen wir daraus: „Betrogener Ehemann ermordet Liebhaber und seine eigene Frau mit 666 Messerstichen!“ Ganz klar, hier muss nach einem satanistischen Hintergrund gesucht werden. (Wer hier irgendwo Sarkasmus entdeckt, hat genau gesucht) Offensichtlich sind wir so konditioniert und das funktioniert bekanntlich nur mit ständigen Wiederholungen. In den 90ern funktioniert das so:
Silke (18), schwarz gekleidet und Tochter einer konservativen katholische Familie ist 1997 der Aufhänger für einen Artikel in der Bravo. Sie fand den Pfarrer und seine Sprüche schon immer bescheuert und so war es auch nicht verwunderlich, dass sie sich bei Chorsingen mit Tanja anfreundete: „‚Sie (Tanja) war oft allein zu Hause, und ich durfte sie besuchen, wann immer ich wollte – weil unsere Eltern sich ja aus dem Bibelkreis kannten. Bei ihr haben wir heimlich all das getan, was daheim verboten war.‘ Die Mädchen hörten Grufti-Musik von The Cure, tauschten untereinander CDs von Black-Metal-Bands wie Slayer und Enom aus, legten sich Tarot-Karten und kleideten sich schwarz. Silke: ‚Doch das war nur Hokus-Pokus im Vergleich zu dem, was ich dann später erlebte.‚“
Alles mit dabei. Der „harmlose“ Einstieg mit Grufti-Musik, Black Metal und Tarot Karten. Kann ja nur im Satanismus enden! Erstaunlich ist jedoch, dass die BRAVO all diese Dinge bereits in älteren Ausgaben relativiert hatte. Grufties hatte es längst in Foto-Love-Romane geschafft, über Black Metal Bands wurden regelmäßig berichtet und ein Special über Tarot-Karten gab es auch schon mal. Und jetzt wird daraus wieder das Tor zu Hölle:
„Kerzen erhellen den Raum, die schwarzen Gestalten hocken mit weißgeschminkten Gesichtern um einen Sarg herum – wie um einen Altar. Auf dem Sarg liegt ein aufgeschlagenes Buch mit kryptischen Zeichen und ein menschlicher Schädel. Die Gestalten murmeln Beschwörungsformeln und halten Kruzifixe verkehrt herum hoch. Der Satanspriester nimmt einen Kelch mit roter Flüssigkeit – es ist Menschenblut.“
Klingt wie eine billige Kopie eines noch billigeren Horror-Films und wer weiß, vielleicht ahmen die Jugendlichen genau das nach. Es soll sie dennoch geben, diejenigen, die zu viel von dem für bare Münze nehmen, was ihnen Filme, Bücher und Medien suggerieren. Menschen, die Phantasie nicht von Wirklichkeit unterscheiden können (wollen). Ganz viele davon sammeln sich dann irgendwann und gründen eine Sekte. Und deswegen gibt es dann Sektenbeauftragte und Selbsthilfegruppen, gut gemeinte Ratschläge, Richtlinien und „eindeutige“ Warnsignale. Das Resultat sind Vorurteile. Klingt jetzt irgendwie, als würde sich die Ratte selbst in den Schwanz beißen.
Die Balance zu finden, ist nicht einfach. Solche Artikel helfen sicherlich nicht dabei, denn die mischen aus Phantasie, Boulevard und Halb-Wissen unter einer vermeintlich journalistische Flagge einen gefährlichen Cocktail. Demnach ist der Satanismus „die härteste und gefährlichsten Praktik“, die Sektenbeauftragten der Kirchen (!) schätzten die Zahl damals auf 10.000 praktizierende Satanisten in Deutschland. „Als geistiger Vater des Satanismus gilt der Brite Aleister Crowley, der die christlichen Werte auf den Kopf stellt und das Böse zum Fundament dieser Anti-Religion machte: ‚Böse bedeutet gut! Tod heißt Leben! Schmerz heißt Freude!‘ Statt Gott huldigen Satanisten dem Teufel.“
2014 ist es schwer geworden zu glauben. Satanist oder christlicher Fanatiker? Keine Möglichkeit ist das Schweizer Messer für unbeantwortete Fragen, verdrängte Ängste und ethische Alternativen. Eine Pille gegen Dummheit gibt es auch nicht. Bleibt nur die ermüdende Aufgabe, gefährliche Ängste abzubauen und Wissen zu vermitteln. Nach dem Artikel gibt es in Deutschland drei Millionen Menschen, die regelmäßig „okkulte Praktiken“ durchführen, nur 10.000 davon sind in gefährlichen Sekten organisiert. Warum nicht einmal über die Millionen berichten, die Okkultismus als Bereicherung für den Alltag begreifen und sich die Magie im Alltag bewahren möchten? Leser Michael schrieb in seiner E-Mail so treffend: „Der Satanismus hat einen großen magischen Aspekt. Magie ist nichts böses. Früher war Astronomie Magie, es ist einfach etwas, das man nicht erklären kann.„
Einzelnachweise
- Name von der Redaktion geändert. Das wollte ich immer schon mal schreiben, dieses „Name von der Redaktion geändert“, suggeriert es doch eine gewisse Gewichtigkeit und Dramatik! Wie der Verfasser der Nachricht wirklich heißt weiß ich nicht, er nennt sich „ML“, ich habe daraus mal Michael gemacht.[↩]