Gothics bei Polylux: The next Generation anno 1999

Ich neige immer dazu, die Medien und ins­be­son­dere das Fern­se­hen zu ver­teu­feln. Schlechte Bericht­er­stat­tung, ein­sei­tige und öffent­lich­keits­wirk­same Schlag­zei­len gehen vor Infor­ma­tion und Auf­klä­rung. Seit es das Inter­net gibt, sind die Mög­lich­kei­ten sich mit Infor­ma­tio­nen zu ver­sor­gen, exponentiell in die Höhe geschos­sen, lei­der auch die Halb­wahr­hei­ten und Fehl­in­for­ma­tio­nen. Immer wie­der müs­sen wir son­die­ren und Mei­nungs­bil­dun­gen sorg­fäl­tig recher­chie­ren, was einen gewis­sen Ehr­geiz vor­aus­setzt, der Wahr­heit auf den Grund zu kom­men. Das genau die­ser Ehr­geiz nicht unbe­dingt ein Aus­hän­ge­schild für das Fern­se­hen ist, zeig­ten Berichte wie Leute die leb­ten, als seien sie schon tot.

Das es auch anders geht, hat selbst mich über­rascht. Jüngst zeigte der WDR in sei­ner Reihe Men­schen Haut­nah einen gut gemach­ten Bericht über Men­schen aus der schwar­zen Szene. Einen gan­zen Schritt wei­ter war die Sen­dung Poly­lux, die lei­der schon 2008 wie­der ein­ge­stellt wurde. Wie auch mir bis­lang ent­gan­gen ist, zeigte Poly­lux 1999 einen kur­zen Bericht über die 2. Gene­ra­tion der schwar­zen Szene, der den Nagel sprich­wört­lich auf den Kopf trifft und zwar vol­les Brett.

Eigent­lich hatte ich auch bei die­sem Video das Ziel, die­ses zu zer­le­gen und seine Vor­ur­teile und Kli­schees aus­zu­kla­mü­sern1. So war ich sprach­los eines Bes­se­ren belehrt zu wer­den, denn mit dem Kern, das die Gothic­szene der zwei­ten Gene­ra­tion 1999 nur noch als eine Mode in Erschei­nung tre­ten sollte, sollte man bis zum heu­ti­gen Tage recht behal­ten. Ziele und Wert­vor­stel­lun­gen, die ihre Wur­zeln im Punk hat­ten, sind ver­lo­ren gegan­gen. „Die meis­ten Gothics klei­den sich schwarz und wol­len Spaß haben und tan­zen„. Schön gesagt.

Ein wirk­lich guter, wenn auch zu kurzer Bericht, der eigent­lich die Situa­tion 1999 sehr gut dar­stellt. Alle 10 Jahre ent­springt eine neue Gruf­tiegene­ra­tion mit ande­ren Zie­len, Vor­bil­dern und Ein­stel­lun­gen als ihre Vor­bil­der. Wir haben 2009 und damit die dritte Generation von Gruf­ties die sich in Mot­to­par­ties drän­geln, den klas­si­schen Toten­grä­ber­tanz ver­lernt haben und Musik hören, die auch auf jeder Techno-Party lau­fen könnte. Mitt­ler­weile kommt man sich als Trad­goth schon wie­der vor, wie 1980. In einer gro­ßen Szene als inne­rer Außenseiter.

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Vizioon
Vizioon (@guest_1932)
Vor 15 Jahre

Hm, ich teile Deine Meinung nicht so ohne weiteres. Somit teile ich auch die Meinung dieses Berichts nicht. 20.000 Leute sind noch kein Mainstream, und ich behaupte einfach mal, daß der Osten in Bezug auf Jugendkultur eine Menge nachzuholen hatte. Dies zeigt sich meiner Meinung nach auch in Richtungen wie Rechts- und Links-Extremismus.
Ein Augenblick von 4:20 Minuten kann kein Bild einer Szene zeichnen. Wobei ich nicht leugne, daß es auch um Spaß geht, denn wenn es keinen Spaß macht, geht keiner hin.
Eine Frage, die sich mir stellt, ist: wie sah die Szene ein Jahr später aus? Oder zwei? Oder drei?
Und abgesehen davon, ich bin vergleichsweise zufrieden mit meiner TradGoth-Rolle, weil ich immer noch keine Lust habe, in einer „Happy-Dance-Trend-Black“-Szene aufzugehen. Wenn ich innerhalb der allgemeinen Goth-Szene auffalle, oder auch herausfalle, sei es drum, ich mache das nicht wegen der Akzeptanz, sondern in erster Linie, weil ich mich so wohlfühle.
Beitrag lang genug, oder? ;)

Tears
Tears (@guest_1936)
Vor 15 Jahre

Der letzte Satz sagt doch alles… „Ik denke mir mal, dann werden die Grufties wohl irgendwann bei der Love Parade sein, oder?“ – mir sind einige dieser Gestalten bekannt, dem nicht mehr allzu jungen Herrn sollte man heute, 10 Jahre nach seiner Äußerung, den Nostradamus-Orden überreichen.

Vizioon
Vizioon (@guest_2008)
Vor 15 Jahre

Die Länge ist nicht … na zumindest in DER Beziehung kann ich dann ja Hoffnung schöpfen *gg*
Ich gebe zu, meine Einstellung zur Szene beruht mit Sicherheit auf einer gewissen Idealisierung, die nur allein auf meiner Sicht beruht. Deswegen habe ich auch Probleme mit der Definition. Wenn jemand sich „nur“ Schwarz anzieht, aber sonst nur Spaß und Tanz darunter versteht … naja, dann verstehe ich das nicht so ganz, unter anderem auch meistens, weil „Spaß“ nicht gleich „Spaß“ ist, und tanzen kann ich eh nicht.
Und da ich leider aus Geldmangel nicht an der schwarzen Club-Szene teilnehmen kann, bilde ich zur Zeit eh meine eigene schwarze Trad-Szene ;)

Krümel
Krümel (@guest_2900)
Vor 15 Jahre

Ich schätze die Größe der Szene in Deutschland auf höchstens 3000. Alles andere ist doch nur irrelevantes Beiwerk, Rammstein-Kiddies, Blutengel-Gesocks und Co. Diesen Anteil an Scheingoten kann man meiner Meinung nach völlig ignorieren. 20.000? Dieses Gerücht hält sich aber lange…

Tears
Tears (@guest_2903)
Vor 15 Jahre

@ Krümel: Interessante Aussage, wobei du die Agonoize-Deppen vergessen hast :D

Tears
Tears (@guest_2910)
Vor 15 Jahre

Fäkalien in der Suppe oder was willst du uns mit diesem Bild sagen?

ShainaMartel
ShainaMartel (@guest_6476)
Vor 14 Jahre

Hach ja, wie wahr das doch ist.

Mittlerweile bezeichne ich mich nicht mehr als ‚gothic’, da bin ich zum Glück drüber weg. Auch interessiert mich diese Szene nicht mehr, weil sie – oder besser ihre Anhänger – hohl, egoistisch und oberflächlich sind und keine Werte besitzen. Mein Freundeskreis ist eine ‚bunte‘ Mischung aus Pseudo-Normalos mit eigener Weltanschauung und schwarzen Individuen. Das Einzige, was alle gemeinsam haben; Sie sind individuell, stehen zu sich und haben eine eigene Meinung, beurteilen einen Menschen nicht nach Dingen, die nichts über seinen inneren Charakter und seine Denkweise aussagen.
Auf schwarzen Events sind wir nur selten, fast nie zu sehen.
Zumeist erkennt man, wenn man hinter die Fassade eines Menschen, der sich keiner Szene zuordnet, ob sein Kleidungsstil nun unauffällig oder originell ist, blickt, eine Komplexität der Persönlichkeit, die unter Menschen, die sich freiwillig irgendwo einordnen und auf Charaktereigenschaften und Interessen, die zu ihrem Selbst gehören, verzichten, um dazuzugehören, selten anzutreffen ist. Und es gibt auch genügend Menschen, die sich aufgrund ihres Alters reif schimpfen und sich trotzdem einordnen; in diese Gesellschaft. Die einem gewissen Muster entsprechen wollen und alleine aufgrund dieser Einstellung alles, was etwas von der Norm abweicht, somit auch erwachsene Menschen, die einfach das Leben, was ihren Charakter ausmacht, als pubertär und kindlich abstempeln, die unfähig sind, über den Tellerrand zu blicken. Leute, die, um das an einem Beispiel festzumachen, Angst vor Menschen haben, die aussehen, als würden sie den Tod regelrecht zelebrieren – obwohl sie selbst genauso Angst vor dem Leben haben und sich lieber in irgendwelche Muster reinpressen, in die sie nicht reinpassen, um von Leuten für etwas gemocht oder zumindest akzeptiert zu werden, was sie nicht sind.

Ich bin ich. Ich bin schwarz, ich bin individuell, ich bin gezwungenermaßen etwas rebellisch, ich bin schwarzromantisch, ich bin düster-philosophisch, ich bin nachdenklich (und ja, ich bin sogar albern!) – aber was soll diese Einordnung überhaupt? Das ist mein Charakter, ja, aber deswegen bin ich weder besser noch schlechter als irgendjemand anders. Ich bin ein Mensch, genau wie alle anderen. Doch im Gegensatz zu vielen lebe ich das, was ich leben will – nämlich das, was ich bin. Ich versteife mich weder auf eine Subkultur noch auf Individualität, ich mache mir keinen Gedanken darum, welchen Zweck das, was ich tue, hat, ich mache einfach das, was mir gefällt.
In meiner eigenen Welt, aus meiner eigenen Sichtweise gesehen, bin ich normal. Ich lebe mein Leben, wie ich meine, es leben zu müssen, um für mich selbst das Beste daraus zu machen, ohne anderen Leuten in irgendeiner Weise zu schaden. Wenn jeder Mensch sich auf sein wahres Selbst konzentrieren und andere Leute so, wie sie sind, akzeptieren und nicht nur daran denken würde, besser zu sein als andere und immer sich selbst in den Vordergrund zu drängen, wäre diese Welt eine bessere. Aber ob ich das nun schreibe oder nicht – ändern wird sich trotzdem nichts. Mist, an meiner Euphorie merkt man, wie jung ich bin, das wollte ich doch vermeiden *g*

Es wird immer Menschen geben, die das fühlen, was die ‚Gruftis‘ der 80er und evtl. noch 90er gefühlt haben, wenn man denn versucht, das einheitlich zu beschreiben.
Es gibt sie auch heute noch, nur sind sie schwerer zu finden, weil die Szene, in der sie sich früher zusammengefunden haben, heute ist wie jede andere Subkultur, geprägt von Oberflächlichkeiten.

Schwarz ist man mit dem Herzen. Und es ist eine Eigenschaft, die man, wenn man das, was man tut, aus wahrer Überzeugung tut, nicht um sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen, im Laufe des Lebens auch nicht ablegt, Beispiele kenne ich dafür genug, das älteste Beispiel ist 52 Jahre alt. Ich nehme mir das Beste aus allen Generationen dieser Subkultur und erschaffe daraus mein eigenes Ich, ein paar Besonderheiten, die in keines dieser Raster reinpassen, inklusive.

Auf diversen Szene-Seiten liegt das Durchschnittsalter der Leute, die mich anschreiben, bei 33 Jahren, und das auch sicherlich nicht ohne Grund. ;-)
Was ich also sagen wollte; Menschen, die ihren eigenen Weg gehen, unabhängig von der Gesellschaft und ihren oberflächlichen Idealen, Menschen, die selbst denken und mit sich alleine klarkommen, Menschen, die tiefsinnig und schwarzromantisch veranlagt sind, gab es immer, gibt es noch immer und wird es auch immer geben. Vor allem in einer Gesellschaft wie der heutigen sind solche Individuen das natürliche Resultat des egoistischen Verhaltens eben dieser, das Ergebnis dessen, was Massenverdummung und Konkurrenzdenken auslösen.

Aber bevor ich hier noch weiter vom Thema abkomme, mache ich lieber ´nen Cut.

Btw, einige der Texte sind sehr interessant, vor allem die Zeitungsartikel aus den 80ern/90ern, danke =)

So, genug geredet, aber was soll’s, schaden kann es ja nicht, denn jedes Mal, wenn man intensiv über etwas nachdenkt und vielleicht auch darüber schreibt, wird man reifer und erlangt mehr Erkenntnis über diese Sache. =)

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