Nach meinem Abstecher auf die britische Insel, auf dem ich mit Melissa aus London sprach, habe ich mich nun auf eine virtuelle Reise nach New England gemacht um mit der Portugiesin Rosa zu sprechen. Rosa ist 1967 in Portugal geboren, zog aber schon im zarten Alter von 2 Jahren in die USA. In einer portugiesischen Gemeinschaft in New England ist sie aufgewachsen. Sie hat einen ausgesprochenen Hang zu Fotografie, was unzählige Bilder auf ihrem Flickr-Account belegen. Gut für mich, denn so fand ich in ihrem Album auch einige Interessante Bilder aus den 80ern, die mich erst auf die sympathische Rosa aufmerksam gemacht haben.
Obwohl sie rein optisch eher Extravagant erscheint, ist sie dem dunklen Lebensstil treu geblieben „Mein Herz wird immer Goth sein…« und treibt sich immer noch auf MitÂtelÂalÂterÂmärkÂten und wilÂden 80er Party’s herum. Ihr KleiÂderÂschrank wird erst sein neusÂtem von farÂbiÂgen KlaÂmotÂten konÂtaÂmiÂniert. Die Arbeit als DatenÂbankÂadÂmiÂnisÂtraÂtoÂrin einer groÂßen VerÂsiÂcheÂrung sieht sie als LebensÂunÂterÂhaltsÂsiÂcheÂrung, in ihrer FreiÂzeit ist sie voll und ganz für ihren beiÂden KinÂder und den EheÂmann da, den sie 1997 ganz in weiß geheiÂraÂtet hat.
Das Leben ist volÂler VerÂänÂdeÂrunÂgen und die ZugeÂhöÂrigÂkeit zu einer Szene ebenso endÂlich wie andere LebensÂabÂschnitte. Das Bild links zeigt Rosa im JahrÂbuch des ColÂlege auf dem Sie so JahrÂbuchÂtyÂpisch guckt wie man es aus schnulÂziÂgen US-Teenagerfilmen kennt. EigentÂlich ist so ein JahrÂbuch eine schöne ErfinÂdung, ich bin ein wenig neiÂdisch, das ich keine dicken Bücher zu Hause habe, in der alle meine MitÂschüÂler abgeÂbilÂdet sind.
Spontis: Wann bist Du der Goth Scene verfallen?
Pixie Rosa: „Ich hörte das erste mal Gothic Musik im ColÂleÂgeraÂdio am ColÂlege. Ich erinÂnere mich nicht an das Jahr, aber es war irgendÂwann in der zweiÂten Hälfte der 80er. Es war ein befreunÂdeÂter Radio-DJ, der mir BauÂhaus und Joy DiviÂsion zeigte, als ich schon ein Fan von Love and Rockets und New Order war. Aber den AusÂdruck Goth habe ich bis ungeÂfähr 1988 nie gehört, bis ich im RahÂmen eines AusÂtauschÂproÂgramms meiÂnes ColÂlege nach EngÂland kam. Ich erinÂnere mich noch an eine DisÂkusÂsion mit einem Freund den ich in EngÂland traf, dass wir nicht mehr Post-Punks genannt wurÂden, sonÂdern Goth.«
Auch Rosa hat sich von der Musik verÂfühÂren lasÂsen und den schwarÂzen LebensÂstil kenÂnenÂgeÂlernt. Sehr oft ist der MusikÂgeÂschmack verÂantÂwortÂlich für die ZugeÂhöÂrigÂkeit zu einer GrupÂpen oder zu seiÂnen FreunÂden, ein LebensÂgeÂfühl entÂwiÂckelt sich immer dann, wenn man sich intenÂsiÂver mit der Musik und dem Umfeld ausÂeinÂanÂderÂsetzt. InterÂkonÂtiÂnenÂtale Verwandtschaften sind in der Musik zu finÂden, doch unterÂscheiÂden sich die KleiÂdungsÂstile deutÂlich, die nicht nur IndiÂviÂduÂell geprägt sind, sonÂdern auch immer »LanÂdesÂtyÂpiÂsche« Dinge zeiÂgen. Ob man einen Goth an seiÂnem KleiÂdungsÂstil seiÂnem HeiÂmatÂland zuordÂnen kann? UnwahrÂscheinÂlich, weil heute alles aus den selÂben KataÂloÂgen kommt.
Spontis: Was ist deine Definition von „Goth“, ist es Musik, eine modische Stilrichtung oder eine Lebensart?
Pixie Rosa: „Für mich ist Goth eine Art von Musik mit dunkÂlen TexÂten und ätheÂriÂschen KlänÂgen. AußerÂdem ist es eine Art sich im VamÂpirstil zu kleiden.“
Eine andere DefiÂniÂtion, die die Musik typiÂsiert und der BedeuÂtung des VamÂpiÂres für die Gothic Szene noch einÂmal deutÂlich macht. Der Bezug zu antiÂkem, gruÂseÂliÂgem, mythischen und okkulÂten endet zwangsÂläuÂfig auch bei den BlutÂsauÂgern, die durch Bram Stoker’s DraÂcula so richÂtig popuÂlär wurÂden. Was heute in Filme wie »TwiÂlight« gezeigt wird, hat nicht mehr viel damit gemeinsam.
SponÂtis: Was ist (oder war) dein speÂziÂelÂler Stil? Bis du mehr ein SchwarzÂroÂmanÂtiÂker, ein Waver, ein TradÂgoth oder ein BatcaÂver?
Pixie Rosa: »Ich bin mir nicht ganz sicher was Du mit den BegrifÂfen meinst. Mein Stil fing mit schwarÂzer RomanÂtik an, mit vieÂlen alten AccesÂsoires und was immer ich in Billig-Läden und auf FlohÂmärkÂten fand. Ich bin außerÂdem verÂnarrt nach lilaÂfarÂbeÂnen OberÂteiÂlen und Röcken, die erst sehr kurz und in den 90er lang wurÂden. Ich fing an viele Kreuze und Ankh’s zu traÂgen, späÂter dann auch HalsÂreife. Ich wurde durch ägypÂtiÂsches Make-Up und ägypÂtiÂschen Schmuck inspiÂriert und mochte es, mich wie ein VamÂpir zu kleiÂden. Ich liebe es immer noch, Schmuck mit KnoÂchen, SpinÂnen oder FleÂderÂmäuÂsen zu traÂgen. Mein Stil hat sich über die Jahre entÂwiÂckelt, aber die schwarÂzen KlaÂmotÂten habe ich immer noch staÂpelÂweise. Seit neuÂesÂtem trage ich wieÂder bunÂtere KleiÂdung.“
Ein schwarÂzer GrundÂstil, komÂbiÂniert mit ungeÂwöhnÂliÂchen, morÂbiÂden AccesÂsoires spieÂgelt das ZeitÂgeÂfühl einer ganÂzen GeneÂraÂtion. Was damals aus PhanÂtaÂsie und KreaÂtiÂviÂtät zusamÂmenÂgeÂstellt wurde, gilt heute als StanÂdarÂdiÂsiert. Obwohl die Farbe schwarz immer im VorÂderÂgrund steht, scheiÂnen FarÂben wie Lila und Rot immer wieÂder zu harÂmoÂnieÂren und sind auch heute noch die zusätzÂliÂchen GrundÂfarÂben, die bevorÂzugt von den weibÂliÂchen Goth’s bevorÂzugt wird. Auch starke KonÂtraste mit weiÂßen KleiÂdungsÂstüÂcken sind beliebt um sich weiÂter vom MasÂsenÂtrend innerÂhalb der schwarÂzen Szene herÂaus zu krisÂtalÂliÂsieÂren. Man gibt sich detailÂverÂliebt. Was oberÂflächÂlich schwarz erscheint ist bei vieÂlen eine rafÂfiÂnierte KomÂbiÂnaÂtion aus KleiÂdungsÂstiÂlen und SchnitÂten die mit Schmuck zu einem GesamtÂkunstÂwerk verschmelzen.
Spontis:Â Ist der Tod faszinierend oder nur ein Teil des Lebens?
Pixie Rosa: „Für mich war der Tod schon früh ein Teil des Lebens. Meine MutÂter starb als ich 11 war. Aber ich glaube nicht, das ich eine morÂbide FasÂziÂnaÂtion vom Tod habe. Ich bin eine sehr fröhÂliÂche Person.“
Eine Frage auf die ich immer sehr unterÂschiedÂliÂche AntÂworÂten erhalÂten, die teilÂweise von einer groÂßen ReflekÂtion belaÂden sind und unterÂschiedÂliÂcher nicht ausÂfalÂlen könnÂten. Der Tod wird häuÂfig als unausÂweichÂliÂcher Teil des Lebens wahrÂgeÂnomÂmen und mit dem AbleÂben der LiebsÂten wird offen und sehr bewusst umgegangen.
SponÂtis: Was denkst du über die heuÂtige Gothic Szene? Ist eine bilÂlige Kopie der VerÂganÂgenÂheit, eine neue RetroÂwelle oder ein norÂmale EntÂwickÂlung?
Pixie Rosa: »Ich sehe viele JugendÂliÂche im EinÂkaufsÂzenÂtrum, die wie Goths angeÂzoÂgen sind, aber keiÂner Szene angeÂhöÂren. Ich kenne aber auch keine Szene zu der man gehen könnte. Es scheint sehr anders zu sein als früÂher. Da gab es Bands die Gothic Music in den Disco’s gespielt haben. Es gab weniÂger Leute die sich wie Gothic’s kleiÂdeÂten aber damals gehörte auch mehr dazu, ein Goth zu sein. LeiÂder sind die meisÂten Clubs zu denen ich ging, geschlosÂsen. Aber vielÂleicht ist die Szene heute dort wo du mit deiÂnen FreunÂden bist und das ist in OrdÂnung so.«
Die Szene ist dort wo man sich trifft. BesÂser hätte ich das selÂber nicht auf den Punkt brinÂgen könÂnen. Was heute fast ein gewohnÂtes Bild in jedem MenÂschenÂgeÂtumÂmel ist und offen in den Medien darÂgeÂstellt wird, pasÂsierte vor 20 JahÂren im UnterÂgrund. Nicht etwa unter irgendÂeiÂnem Kanal-Deckel, sonÂdern bei FreunÂden und an TreffÂpunkÂten, die manchÂmal ungrufÂtiÂger nicht sein könnÂten. Ich erinÂnere mich beiÂspielsÂweise an den Raum im kirchÂliÂchen (!) JugendÂzenÂtrum, den wir mit gleichÂgeÂsinnÂten und grufÂtiÂgen ZeitÂgeÂnosÂsen teilÂten. Wer gerade den Kicker belegte, war du das KlapÂpern der HalsÂketÂten ganz prima herÂaus zu hören. Die Musik war zugeÂgeÂbeÂner Maßen sehr ungrufÂtig und wavige Musik gab es nur einÂmal im Monat beim DisÂkoÂabend. Yeah!
Spontis:Â Deine Top 5 der Gothic-Songs?
Pixie Rosa: „Es ist schwieÂrig nur 5 ausÂzuÂsuÂchen. Ich bin mir sicher, das sich meine Top 5 jeden Tag ändern, aber heute sind es diese:“
Bela Lugosi’s Dead — BauÂhaus
She’s lost ConÂtrol — Joy DiviÂsion
SomeÂthing Inside me has Died — KomÂmuÂnity FK
BlasÂpheÂmous Rumors — DepeÂche Mode
Hunter’s Kiss — Rasputina
Langsam wird es mir unheimlich. Ich habe schon mit so vielen Leuten darüber gesprochen, welche Songs für sie einen besonderen Stellenwert einnehmen. Ich habe es mir jetzt nicht aufgeschrieben, aber Depeche Mode sind mit ihren Blasphemous Rumors sehr oft dabei. Ein tolles Lied, aber liegt es am Inhalt? Ist das eine verspätete Einsicht, das Gott einen kranken Humor hat?
Vielleicht ist der Song für manche aber auch Gedankenanstoß sich mit den Zwängen der eigenen Religion auseinanderzusetzen. Sollte ich irgendwann einmal eine Liste DER Gothic-Songs aufstellen, ist dieser Song dabei. Auf die intellektuelle Minderheit, die diesen Song als Pop-Song verachtet und in ihm nur ein massenkompatibles Aufbegehren der Jugend versteht, hören wir nicht. Betrachten wir es einfach als kleinen poppigen Hinweis, den eigenen Glauben auf den Prüfstand zu stellen und nicht allem zu vertrauen, was einem in die Wiege gelegt wird.
Spontis: Bist du immer noch ein Teil der Szene? Wenn nicht, was war der Grund auszusteigen? Wenn ja, warum ist die Szene immer noch faszinierend?
Pixie Rosa: „Mein Herz wird ewig Gothic sein. Aber ich bin kein Teil der Szene mehr. Es gibt keine Gründe dafür. Es ist nur, dass dort keine Szene mehr um mich herum ist und es wichÂtiÂgere Dinge — wie zum BeiÂspiel meine FamiÂlie — gibt, die meine ganze AufÂmerkÂsamÂkeit hat. Ich liebe es immer noch Gothic Musik zu hören und Gothic LiteÂraÂtur zu lesen. GeleÂgentÂlich gibt es einen Grund sich Gothic zu kleiÂden, aber das ist nicht mehr alltäglich.«
VielÂleicht der einÂzige Grund seiÂnen Umgang zu ändern, sind häuÂfig die KinÂder. WähÂrend bei Rosa die ExtraÂvaÂganz und die LeiÂdenÂschaft für das komÂbiÂnieÂren von KlaÂmotÂten geblieÂben sind, hat ihr Leben »anstänÂdige« BahÂnen gelenkt. HeiÂrat, FamiÂlie, Haus und KinÂder beeinÂflusÂsen offenÂbar die EinÂstelÂlung zur AnpasÂsung. Sie kann ihre LeiÂdenÂschaft aber nicht verÂsteÂcken und begreift die Welt vielÂleicht viel klaÂrer als wir das manchÂmal tun. Ein Leben in BilÂdern zeigt die VerÂänÂdeÂrunÂgen des ÄußeÂren und lässt vielÂleicht auch RückÂschlüsse auf den MenÂschen zu. Knappe 10.000 BilÂder in ihrem Stream von den früÂhen 70er bis heute sind jedenÂfalls öffentÂliÂcher ZeitÂzeuge und Quell optiÂscher Freude.
Juhu es geht weiter ^^
Aber ist es nicht abhängig vom Land, ob die schwarze Szene noch als Untergrund zu bezeichnen ist? Kann heute etwas noch Untergrund sein, jetzt wo doch alles sofort im Internet landet und so vielen Leuten zugänglich wird?
Wenn ich mir jetzt die Schweiz anschaue, und gerade den Kanton Bern, so habe ich schon das Gefühl, dass man als Gruftie oder wie auch immer, noch immer eher eine seltene Erscheinung ist. Es liegt wohl auch daran, dass sich Subkulturen generell auf grössere Städte konzentrieren, aber Bern ist nicht gerade gross, dafür, dass es die Hauptstadt ist.
Ich bin allerdings eher froh darüber, ansonsten würde ich noch das Gefühl bekommen irgendwo dazugehören, was mich doch gewaltig irritieren würde, schliesslich war ich all die Jahre immer der Aussenseiter ;-)
Ãœbrigens glaube ich, dass diese Serie wirklich noch dazu führt, dass ich mich nach ner alten Nähmaschine umsehen werde…
Liebe Grüsse
Freut mich, das es Dich freut.
Zum Internet: Ich denke, es tut dem „Untergrund“ keinen Abbruch im Internet zu landen. Erst wenn ein Trend vermarktet und industrialisiert wird und spätestens wenn Accessoires in großen Modekette zu finden sind, ist Untergrund vorbei, denke ich. Eine grundsätzliche Konzentration in Ballungszentren kann ich ebenfalls bestätigen. Wobei der „Ruhrpott“ ein einziges Ballungszentrum ist, da die Dichte der größeren Städte einfach zu hoch ist. Und ich denke ich kann dich beruhigen: Trotz einer gewissen Zugehörigkeit, die durch das Internet verstärkt wird, bist und bleibst du eine Außenseiterin, jawohl! Niemand will was mit Dir zu tun haben, allein die Faszination für Totes macht allen Angst, Eltern wechseln mit ihren Kindern die Straßenseite wenn du kommst, bestimmt :)
Liegt an der Musik. Blasphemous Rumours und seine Synthie-Klänge. Das ist doch recht düster gestaltet, solange nicht der Refrain einsetzt. *g*
Wo holst du eigentlich immer diese Sachen her? Wenn ich auf Flickr herumhopse, finde ich solche Fotos jedenfalls nicht.
@Death Disco: Stimmt. Der Refrain hebt die Stimmung deutlich, wenngleich das der Großartigkeit des Stückes in meinen Augen keinen Abbruch tut. Aber das bleibt wohl Geschmackssache :) Zum „Finden“: Ich muss dazu sagen, das ich viele Sache auch zunächst sammle, bevor ich sie veröffentliche, so kann es sein das sie nicht mehr verfügbar sind. Desweiteren erhalten ich auch E-Mails von sehr lieben Mitlesern, die mir ihre Linkstips mitteilen. Darüberhinaus ist es ein Hobby von mir zu meiner Lieblingsplaylist im Netz nach Kuriositäten zu suchen – daraus wächst auch ein wenig Erfahrung im Umgang mit Stichworten.