Der Magic Circle präsentiert: „Noel Noire“, Katakomben in Zürich 1992 (Danke! an Ernest Maerki für die Einsendung) – Früher war alles besser? „…wir lebten in den 90ern eine Utopie, unsere einmalige Utopie: Katakombe, Laby, Aera – zehn Stunden Glück, die mir den Kater wert waren. Zeitvergessenheit, Hormonwolken, ozeanische Gefühle. Und heute? Bügeln, Weiterbildung, Kinderwagen, Facebook. Wer’s verpasst hat, tut mir leid – was ist besser geworden?“ (Aus den Kommentaren zum Artikel „Zürichs verschwundene Partytempel„)
Ohne Worte: Eine Nacht in den Katakomben, Zürich 1992
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Hach, herrlich… Da überkommt mich wieder die Fremdnostalgie :)
Oh wie schön, besonders die Outfits sind wahrlich ein Träumchen. Erinnert mich ein wenig an meine ersten Clubbesuche, das war zwar fast zehn Jahre später, aber ein Hauch von diesem Flair war damals noch lebendig. Ich erinnere mich noch gut an die Stimmung, in die mich diese Nächte versetzten und für die ich bis heute keine Worte finde. Heute empfinde ich dieses Gefühl jedenfalls nirgends mehr. Keine Ahnung, ob das an mir liegt und an dem Gewöhnungs- bzw. Abnutzungseffekt, der sich mit der Zeit einstellt, oder an den objektiven Veränderungen zum Negativen, die Musikveranstaltungen dieser Art seither durchlaufen haben. Vermutlich beides.
Wirkt auf mich schon fast wieder ein bissl dekadent :D Nicht schlecht, aber mir fehlt da irgendwie was Punkiges, die stehen da alle so stocksteif rum :)
Ich finde dieses Video einfach nur wundervoll. Beim Ansehen fühle ich mich sofort in die Zeit zurück versetzt und mir wird ganz komisch. Leider bin ich vom Typ her nicht gut im „Gefühle beschreiben“, aber das Video gibt wirklich schön die „Stimmung“ wieder, die in den Clubs damals herrschte. Davon ist wirklich nichts, rein gar nichts mehr vorhanden, wenn man heutzutage weggeht, wie Yorick schon passend bemerkte oben.
Ich bin sehr gespannt auf ein weiteres Video, welches mir in den nächsten Tagen zugeschickt wird. Aufgenommen im Zwischenfall anno +/- 1990. Das Video wurde bisher nirgendwo veröffentlicht und ist auch nicht auf Youtube oder ähnliches zu finden. Vermutlich werde ich dann wieder in Tränen ausbrechen.
Kopieren/veröffentlichen darf ich es nicht, das habe ich meiner „Quelle“ fest zugesichert. Aber ich werde versuchen, ein paar Screenshots als Fotos zu erstellen von den Personen, die mit einer Veröffentlichung einverstanden sind.
Für liebe Leute, die in meiner Nähe wohnen, mach ich dann einen Nostalgie-Video-Abend bei Interesse. :-)
Sehe ich auch so..gibt die nebulös-okkulte Stimmung der Anfang-90er gut wieder…und Madre Del Vizio (die letzte Band dieses Videos) war bei mir auch angesagt. Von dieser Stimmung hab ich mich bis zum Jahre 1995 irgendwie tragen lassen..dann konnte ich mich mit der Entwicklung der Szene in meiner Umgebung nicht mehr identifizieren, viele Dinge änderten sich (auch in persönlicher Hinsicht) und nur die Musik blieb bestehen (was heisst DIE Musik…gute Musik generell zu der eben auch die 80er/90er Wave & Goth Sachen gehören).
Da stellt sich mir die Frage was sich genau geändert hat. Ist es die nebulös-okkulte Stimmung? Ist es die Musik? Oder har das Styling? Könnte es vielleicht sein, das man seinem Szenegefühl ein bisschen entwachsen ist?
Was ich meine: Früher, als man jünger war, suchte man. Man suchte Antworten, Richtungen, Meinungen und Emotionen. Die Antennen waren weit ausgefahren, man war viel begeisterungsfähiger und viel selbstbewusster. Alles war Rebellion. Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich mit in Liedtexten von The Cure oder auch Depeche Mode wiedergefunden habe. Offene Fragen bekamen eine Antwort, man konnte sich für eine Richtung entscheiden. Wie war das denn damals? Ende der 80er, ich war gerade 17 Jahre alt geworden, hatte ich im Gegensatz zu allen anderen noch keine Freundin. Das hat mich traurig gemacht, verbittert und emotional. Wenn dann Martin Gore sein „Somebody“ anstimmt, war es vorbei. Die Tanzfläche gehört mir allein, aus den geschlossenen Augen habe ich kleine Tränen vedrückt und immer wieder neuen Mut gefasst.
Ich glaube man hat die Szene intensiver gelebt. Was hat es mit der Nostalgie auf sich? Woran denkt man zurück? Ist es vielleicht das unbeschwerte, das „freiere“ in dem man sich noch nicht für Beruf oder eigene Familie zurücknehmen musste? Was es das sorglose, das Gefühl, das es „egal“ ist was morgen ist?
Robert, toller Beitrag! Bei mir verlief die Entwicklung irgendwie parallell…Mitte der 90er verschwand in meiner Umgebung Darkwave und alles was musikalisch dazugehörte aus den Clubs, neue Musikrichtungen etablierten sich auf den Tanzflächen der meisten Läden, die Medien vernachlässigten weitestgehend die alte Musik und neue Bands und Projekte (die für mich stilistisch überhaupt nichts mit Szene zu tun hatten und mir auch oftmals viel zu pathetisch und anbiedernd rüberkamen) wurden hochgejubelt, eine neue Hörerschaft bildete sich und zeitgleich stand ich vor dem Start ins Berufsleben (bei dem man sich anpassen musste)…die Szene konnte mir damals auch keine Heimat mehr bieten, nur die alte Musik blieb für mich bestehen (ich erweiterte dann auch meinen musikalischen Horizont..es musste nicht nur das Etikett Goth sein..es gab auch andere Bands und Songs fernab der Szene die musikalischen Tiefgang hatten auch ohne schwülstigen Kram zu produzieren).
Anfang der 90er (also während meiner Schulzeit) war es für mich definitv das „freiere“, Unbeschwerte, Rebellische, verträumte…abseits des gesellschaftlichen Gedanken-Systems (Glück-Suche im Materiellen, Status-Geilheit, sozialer Ruf, Rollenverhalten etc.)…und die Klamotten waren damals definitiv cooler..haha!
Heutzutage nehme ich vieles als verstrahlt und paradox wahr….“It doesn’t matter if we all die..aber vorher muss ich noch mein Glück finden“!
@Robert:
Ich würde sagen, was sich geändert hat, ist irgendwie alles zusammen. Die Musik, das Styling der Leute, die Ausstattung der Clubs, all das hat ja zusammen jene nebulös-okkulte Stimmung erzeugt. Ich habe einfach das Gefühl, dass es damals, als meine musikalische Sozialisation einsetzte (kurz nach der Jahrtausendwende) irgendwie romantischer war in seiner Gesamtheit. Aber wie gesagt, wieviel davon objektiv und wieviel lediglich subjektiver Eindruck ist, denn mit der Gewöhnung kommt die Entzauberung, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich würde immer noch sagen, dass das einfach die Nachwehen der 90er waren. Die 80er waren, was düstere Musik angeht, eher punkig, die 90er eher romantisch. Jedenfalls wurde mir das von Älteren so vermittelt, und es ist auch mein Eindruck, wenn ich in die Musikgeschichte blicke.
Was sich für mich aber definitiv erledigt hat, ist das Konzept Subkultur bzw. Szene. Denn dieses verlangt, dass man sich für eine und nur eine bestimmte Richtung entscheidet, und dazu bin ich einfach zu vielseitig interessiert. Rückblickend betrachtet war ich eigentlich nie Anhänger einer Szene in diesem Sinne, denn ich fühlte mich lange dem Konstrukt „Schwarze Szene“, das scheinbar, aber eben nur scheinbar viele verschiedene, auch nicht-musikbezogene Gruppierungen unter einem Dach vereint, verbunden. Jedenfalls habe ich es immer vermieden, den Begriff „Goth“ auf mich anzuwenden. Sogar ganz am Anfang, als ich noch gar nicht wusste, was es mit all den Szenen und Subszenen auf sich hat, war mir intuitiv irgendwie klar, dass man, um sich berechtigterweise Goth nennen zu können, ganz bestimmte Voraussetzungen erfüllen muss, von denen ich wusste, dass ich sie nicht erfülle. Ich höre zwar sehr gern Gothic-Musik, aber eben nicht nur, zudem trage ich weder Netz- noch Rüschenhemden, für weißes Gesichtspuder habe ich keine Verwendung und die Haare türme ich mir auch nicht auf. Von daher macht es nicht allzuviel Sinn, mich als Goth zu bezeichnen.
Hmm… Es ist was dran an „die Subkultur hat sich erledigt“, ich würde das ganze aber differenzierter betrachten und komme letztendlich zu einer anderen Schlussfolgerung. Grundsätzlich spricht doch nichts gegen einen vielseitigen Geschmack hinsichtlich Musik und Stilen. Allein aus meinem Interesse für Jugendkulturen kann ich dem ein oder anderen völlig Szenefremden etwas abgewinnen. Es ist jedoch fatal, diesen breiten Geschmack als Strömung in eine bestehende Subkultur zu integrieren. Im Laufe der Jahre sind immer mehr Stile und Erscheinungsformen in der Szene etabliert worden, was zu einer totalen Verwässerung und extrem breiten Vielfalt geführt hat. Es erscheint daher logisch, dass das Label „Goth“ nicht mehr auf den einzelnen zutrifft, der sich immer noch für eine Richtung interessiert.
@Yorick: Die Frage, die sich beim Lesen deines Kommentars aufdrängt, ist: Willst du Dich übehaupt eine Szene zugehörig fühlen? Nur weil man die Musik einer bestimmen Richtung bevorzugt, ist man ja nicht unbedingt Teil einer Szene, oder? Für mich gehört da auch das Wahrnehmen und Ausleben aller Randerscheinung dazu. Rein ästhetisch und thematisch.
Daher würde ich deiner Antwort etwa zwei dringliche Fragen entnehmen: Ist das Konzept der Subkultur „Gothic“ vorbei weil der Begriff zu vielen Splittergruppen und Strömungen vereint? Ist die Zugehörigkeit unmittelbar an Äußerlichkeiten gebunden? Auf Frage 2 weiß ich für mich eine Antwort: Unbedingt. Ohne äußerliche Abgrenzung und eine interne Uniformität ist die Szene nicht als solche erkennbar. Frage 1 ist komplizierter. Ich würde sagen „Gothic“ gibt es als Szene immer noch, sich ist jedoch inhaltlich beschränkt und nicht mit dem zu vergleichen, was heute als „Gothic“ betitelt wird.
@The Drowning Man: Ich stelle folgende These auf: Die Szene ist immer in Bewegung und das in steigender Geschwindkeit. Steigt man in die Szene ein, ist unabhängig und „frei“ kann man sich eine Zeit lang mit den Entwicklungen anfreunden und die Geschwindigkeit mitgehen. Man schafft ein Identifikationspotential, ein Abbild dessen, worin man sich befindet. Doch die Szene entwickelt sich weiter und irgendwann verlässt sie unweigerlich den selbst begrenzten Pfad. Man sagt sich: „Hey, DAS ist doch nicht mehr „Gothic“, das ist nicht meine Szene!“ Das Identifikationspotential sinkt, ein wenig Enttäuschung die alten Zeiten nicht mehr zurück holen zu können wird mit wehmütigen „Früher war alles schöner“ Formel bekundet. Man steigt aus, erklärt die Szene für tot. Ein möglicher Weg?
Im Prinzip eine Bestätigung der These. „Verstrahlt/Pardadox“ Das Bild der Szene passt nicht mehr zu Deinem Bild. „Unbeschwert/rebellisch/veträumt“ diese Beweggründe sind dem Alter, dem Leben gewichen. Heute musst du für dich sorgen, hast die Träume gegen schaffbare Realität getauscht und bis müde geworden Dich rebellisch gegen alle möglichen Mißstände aufzulehnen.
Richtig/Falsch?
Keine Ahnung. Mir geht es ja genauso. Es fällt zunehmend schwerer eben diese Beweggründe und Emotionen zu erhalten oder neu zu beleben. ABER es ist möglich. Gelegentlich. Manchmal. Eine gute Party, nette Leute jeden Alters und die richtige Musik aus allen Genres und Jahrzehnten. Dann stehe ich wieder da auf der Tanzfläche, habe die Augen geschlossen und schleiche drei Schritte vor und drei zurück. Und vielleicht bekomme ich auch feuchte Augen, weil der Text des Songs mich daran erinnert, wie schlecht die Menschen auf dieser Welt sein können.
Ich muss in der Tat gestehen, dass von meinem einstigen subkulturellen Enthusiasmus inzwischen nichts mehr übrig ist. Ich kann mit dem Konzept Subkultur generell heute nichts mehr anfangen, auch aus politischen und geschichtsphilosophischen Gründen. Das mag den einen oder anderen jetzt ein wenig überraschen, aber ich versuche mal, es zu erklären.
Ich bin Individualist. Subkulturen sind jedoch Kollektive, so individualistisch sie sich auch präsentieren können. In ihrer ideologischen Selbstdarstellung berufen sich Szenen immer wieder darauf, die Individualität ihrer Mitglieder zur Entfaltung zu bringen (gerade die Gothic-Szene ist da ja sehr gut dabei), faktisch jedoch tun sie das Gegenteil: Sie schaffen Normen. Sie normalisieren genauso wie die Gesamtgesellschaft, die sich ja ebenfalls als Kollektiv (als Nation) versteht, sie tun es zwar mit anderen Mitteln, aber letztlich kaum weniger wirkungsvoll. Wenn man sich einmal die Mühe macht, von all den inhaltlich-ideologischen Selbstmystifikationen der Szenen abzusehen und sie realistisch, und das kann nur heißen strukturell zu betrachten, erkennt man sie schnell als das, was sie tatsächlich sind, nämlich Erscheinungsformen des in bürgerlichen Gesellschaften virulenten Pseudo-Kollektivismus. Subkulturen sind kollektivistisch in dem Normalitätsdruck, den sie auf ihre Mitglieder ausüben, aber dieser Kollektivismus steht auf tönernen Füßen, da er nicht auf realem Zusammenleben, und das heißt vor allem auch gemeinsamem Wirtschaften basiert. Diese Eigenschaft teilen sie mit der bürgerlichen Nationalgesellschaft, deren Kollektivismus ebenfalls nur ein scheinbarer, vorgetäuschter ist. Reale Kollektivität kann es nämlich im Kapitalismus, der auf individuellem wirtschaften basiert und nur so funktionieren kann, gar nicht geben.
Damit will ich nun nicht behaupten, dass Subkulturen völlig sinnlos wären oder keine Existenzberechtigung hätten. Sie hatten vielmehr eine ganz bestimmte historische Funktion. Dazu folgendes: Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert des Avantgardismus. Die Funktion von Avantgarden sehe ich darin, Fragen aufzuwerfen, Dinge zu problematisieren. So wie die künstlerischen Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts, indem sie die Konventionen der akademischen Tradition brachen, den Kunstbegriff problematisierten und die Frage aufwarfen, was überhaupt Kunst ist oder als solche gelten kann, problematisierten die Subkulturen, die den avantgardistischen Impuls in den populären Bereich trugen, die volkstümliche Tradition oder besser gesagt das, was als Tradition ausgegeben wurde. Denn das meiste von dem, was wir heute für volkstümliche Tradition halten, besonders in der Musik (Deutscher Schlager, „Volks“-Musik usw.), sind in Wirklichkeit Erfindungen des 19. Jahrhunderts und keineswegs volkstümlich, sondern bürgerlich. Ein Germane oder ein Mensch des Mittelalters wäre jedenfalls bei dem, was uns heute als „Volks-„Musik untergejubelt wird, schreiend davongelaufen. Diese angeblichen Traditionen entstanden gleichzeitig mit dem Nationalismus und sollten diesen ideologisch stützen, und zwar durch Verwischung seiner Historizität, denn der Nationalismus beruft sich ja bekanntlich darauf, dass es Nationen immer schon gegeben habe, obwohl sie faktisch eine Erfindung des 19. Jahrhunderts sind. Die Leistung der Subkulturen sehe ich nun darin, Alternativen zum bürgerlichen Pseudo-Volkstum popularisiert und dadurch die Frage, was volkstümlich ist, neu gestellt zu haben. Dadurch haben sie einen wertvollen Beitrag zur Beseitigung der nationalistischen Ideologie geleistet, das ist ihr bleibendes Verdienst.
Diese Funktion kann jedoch mittlerweile als erfüllt gelten. Überhaupt ist der Avantgardismus ein Phänomen des 20. Jahrhunderts und hat heute keine Aktualität mehr. Solange es noch Traditionen zu brechen und Grenzen zu sprengen gab, machten Subkulturen Sinn. Das ist heute aber nicht mehr der Fall, denn der Avantgardismus stößt irgendwann an eine Grenze, von der an keine weitere Steigerung mehr möglich ist. Dass es heute immer noch Subkulturen gibt, empfinde ich daher eher als Zeichen on Stillstand oder gar Rückschritt. Jede soziale Struktur, die ihre Zeit überlebt hat, wird reaktionär. Aber damit passen die heute noch übriggebliebenen Subkulturen ja wiederum bestens zum allgemeinen Zeitgeist von heute, in dem eine Partei wie die AfD, die den endlich überwundenen Nationalismus wieder salonfähig macht, reüssieren kann. Dabei würde ich nicht einmal sagen, dass es etwa für eine Rückbesinnung auf die 80er keine guten Gründe gibt, denn die Stile, die um die Jahrtausendwende entstanden (NDH, Aggrotechno, Future-Pop usw.) sind oft von minderwertiger Qualität, und es ist danach nicht mehr wirklich etwas neues gefolgt. Da ist es durchaus verständlich, dass man nostalgisch wird. Aber letzten Endes führt Retro in eine Sackgasse. So paradox es auch klingen mag: Will man wirklich die Nachfolge der historischen Subkulturen antreten, so kann dies nur durch Innovation bestehen, und die Innovation, die aktuell bevorsteht, liegt darin, das ausgediente Konzept Subkultur hinter sich zu lassen.
Versponnene Grüße
Yorick
Mir ist noch etwas eingefallen (hab mal wieder zuviel Redewasser getrunken, sorry^^).
Nachdem mein obiger Beitrag sehr abstrakt-theoretisch geraten ist, will ich noch versuchen, es etwas konkreter zu machen. Robert, du schreibst oben, dass man, wenn man die Musik einer bestimmten Szene hört, auch alle ihre Randerscheinungen ausleben sollte (korrigiere mich bitte, falls ich das falsch verstanden habe). Nach dem Motto: Wer A sagt, muss auch B sagen. Sieh es bitte nicht als persönlichen Angriff, aber in solchen Erwartungen kommt für mich genau die Normalisierungstendenz zum Ausdruck, die ich an Subkulturen kritisiere. Die bloße Tatsache, dass ich einen bestimmten Musikstil höre, soll mich darauf verpflichten, mich in sämtlichen Lebensäußerungen nach den Vorgaben einer Szene, die diesen Musikstil für sich beansprucht, zu richten. Es tut mir aufrichtig leid, aber das mache ich nicht mit. Subkulturen verhalten sich ihren Mitgliedern gegenüber als ob diese ihr Eigentum wären, über das sie frei verfügen können. Wer sich nicht in eine bestimmte Schublade pressen kann oder will, bekommt das besonders deutlich zu spüren. Denn Szenen stehen sich mit ihren Normen ja oftmals auch feindlich gesinnt gegenüber. Wer also verschiedene Interessen hat, die von verschiedenen Szenen ‚bedient‘ werden, wird mehr oder weniger zwangsläufig zwischen ihnen aufgerieben. Dem kann man sich letztlich nur entziehen, wenn man auf das Konzept Subkultur komplett verzichtet, sich nicht als Goth, Metaller, EBMler oder was auch immer definiert, auch nicht als alles auf einmal, sondern einfach nur als man selbst, als Ich. Ich schrieb oben, dass ich Individualist bin, d.h. ich möchte auch als In-Dividuum wahrgenommen werden mit all meinen Eigenschaften und nicht auf eine bestimmte Eigenschaft reduziert wie dies in Subkulturen geschieht. Die Zersplitterung der Gesellschaft in unzählige Kleingruppen spiegelt sich in den Einzelnen ab, die dann keine Individuen mehr sind, sondern Dividuen. Heutzutage wird der Szenebegriff ja auf alles mögliche angewandt, nicht nur auf musikalisch geprägte Subkulturen, wo ich es noch am ehesten nachvollziehen kann, sondern z.B. auch auf Religionen oder sexuelle Orientierungen. Da ziehe ich es wirklich vor, einfach nur ich zu sein.
Versponnene Grüße
Yorick
@Yorick: Du hast mich ein klein wenig falsch verstanden. Möchte ich Teil einer Szene/Subkultur sein, dann sollte ich mich auch um die Randerscheinungen und eine gewisse Form der Äußeren Angleichung bemühen. Welche Musik du hörst, oder hören willst, spielt überhaupt keine Rolle. Du kannst auch Gothic hören ohne Gothic zu sein oder Dich als Teil der Szene zu betrachten.
So sehr ich Deinen schon bald philosophischen Ansatz zum Thema Subkulturen schätze, ich denke es ist viel einfacher und pragmatischer zu beantworten, auch was den persönlichen Individualismus angeht.
Selbstverständlich schafft sich die Szene einen Pseudoindividualismus, indem es zumindest die Grundfarbe der Kleidung vorgibt, ist schon eine gewisse Norm gegegeben. Das liegt in der Natur der Sache. „Szenen“ grenzen sich von der Gesellschaft ab und schaffen gleichzeitig eigene Normen. Szenen sind demnach Parallelwelten unserer Gesellschaft, die auf den gleichen Grundprinzipien der Gruppenbildung beruhen.
Szenen leben von ihrer Abgrenzung, ohne Grenzen keine Szene. Dass das mitunter verschiedene Szene „feindlich“ stimmt, erscheint da nahezu logisch. Ich glaube du siehst das zu verbissen. Im Grunde sind es doch Interessensgemeinschaften, die ihre Interessen untereinander viel intensiver leben und ausbauen können. Szenen erleichtern mitunter den Kontakt zueinander, es gibt eine Art Gemeinschaftsgefühl und eine Zugehörigkeit. Selbstverständlich bleibt jeder ein Individuum, auch wenn er sich als Mitglied einer Szene betrachtet. Das steht für mich nicht im Widespruch zueinander.
Ist das so? Ist das nicht vielmehr ein menschliches Problem? Ich betrachte jeden als Individuum, auch innerhalb der Szene. Ich habe nicht das Gefühl auf etwas „reduziert“ zu werden.
Letztendlich habe ich zum „Individualismus“ auch ein paar Gedanken, die ich gerne mit Dir teile: Maximalindividualisten, die alles ablehen was andere bereits machen, verschwenden viel zu viel Lebensenergie darauf, individuell zu sein. Dieser ständige Kampf gegen eine Schublade, gegen eine Einsortierung, gegen Zugehörigkeit und Gemeinschaftsgefühl ist ein Kampf gegen die menschliche Natur. Ich gehöre gerne eine Szene an, mache Dinge die andere auch machen und finde eine schwarzen Tenor in der Klamottenfarbe sehr entspannend. Bin nun kein Individuum mehr?
Die äußerliche Konformität könnte auch eine andere Botschaft vermitteln. Nämlich die Reduzierung auf das, was uns wirklich einzigartig macht: Unseren Geist. Das was wir denken und fühlen, was wir können und beherrschen, was wir nicht können und unsere Fehler, unsere Erfahrungen und Meinungen – DAS macht uns einzigartig. Die Hülle ist unwichtig, der Inhalt entscheidet. Natürlich ist das eine Utopie, aber was nicht ist kann ja noch werden.
Das habe ich mal aus deinem Kommentar zusammengebaut, weil es mir so sinnvoll erschien. Das Konzept der Subkultur hat sich demnach niemals überholt, da es immer neue Traditionen zu brechen gilt. Subkulturen sind durch die Konzentration von Interessen und Gedanken immer Schmelztiegel der Innovation. Ich behaupte: Ohne Subkulturen (im übertragenen Sinne) gibt keine Innovation. Ich versuche mal etwas zusammenzuspinnen, um das deutlich zu machen:
In der Zusammenarbeit liegt die Innovation, ein Individuum ist nur so gut wie seine Fähigkeiten. Kombiniert man seine Fähigkeiten mit anderen Individuuen, kann man seine Defizite kompensieren und voneinander profitieren. Die Jugendkultur „Gothic“ hat sich auf dieser Basis entwickelt: Aus reinen Musik-Fans wurde eine Subkultur, die mittlerweile auch Eigenes kreiert. Aus Fans, die vor der Bühne standen wurden Musiker, die auf der Bühne stehen. Aus Lesern düsterer Texte wurden Autoren düsterer Texte. Wäre das auch ohne Subkultur möglich gewesen? Sicherlich, aber es hätte bestimmt länger gedauert, denn in der Subkultur findest du für das, was Dich besonders interessiert, den passenden Nährboden.
Und bevor ich jetzt noch weitere unzusammenhängende Gedankenfetzen zum Besten gebe, schließe ich an dieser Stelle erstmal ab. Ich denke dass das, was ich sagen wollte, bei Dir angekommen ist ;-)
Robert, ich kann das, was du schreibst, durchaus nachvollziehen und will dir natürlich keineswegs absprechen, ein Individuum zu sein^^ Ich möchte lediglich auf eine Sache hinweisen (ich verzichte mal darauf, gezielt entsprechende Zitate aus deinem Kommentar herauszuklauben, denn ich finde darin einen Gedanken, der sich durch den ganzen Text zu ziehen scheint):
„Grundprinzipien der Gruppenbildung“ sind nichts naturgegebenes, sondern historisch und gesellschaftlich geprägt. Selbstverständlich liegt es in der menschlichen Natur, Kontakte zu knüpfen und Gemeinschaften zu bilden. Aber die Art und Weise, wie dies geschieht, ist eben nicht ein für alle mal festgelegt und in Stein gemeißelt. Demzufolge unterscheide ich zwei grundsätzliche Arten von Menschengruppen, die sich strukturell unterscheiden: Das Kollektiv und das Netzwerk. Das Kollektiv ist eine aus den Einzelnen gebildete homogene Masse, deren Grenzen untereinander verwischt werden, die sich also mitunter bis ins Innerste hinein angleichen. Demgegenüber sind im Netzwerk die Individuen Punkte, die als Schnittstellen von Linien verbunden sind, die also ihre Abgrenzung untereinander behalten und dennoch in Kontakt miteinander stehen.
Nun besitzt die erste Gesellungsform gegenüber der zweiten den unzweifelhaften Vorzug, in der Geschichte der Menschheit die vorherrschende gewesen zu sein. Das liegt ganz einfach daran, dass bis zur Entstehung des Kapitalismus, also ca. bis 1500, auch kollektiv gewirtschaftet wurde. Mit dem Kapitalismus ist jedoch erstmals eine Wirtschaftsform entstanden, die individuelles Wirtschaften verlangt. Diese fundamentale Veränderung muss mit der Zeit zwangsläufig der kollektivistischen Gesellungsform den Boden entziehen. Das ist es, was ich vorhin mit Pseudo-Kollektivismus meinte: Der Kollektivismus wird in der Ideologie aufrechterhalten, obwohl er keine reale Grundlage mehr hat.
Seinen größten Triumph feierte der Pseudo-Kollektivismus um 1800 mit der Entstehung des Nationalstaats. Paradoxerweise verdankt der Nationalismus seine Entstehung gerade derjenigen sozialen Schicht, die dem Kapitalismus zum Durchbruch verholfen hat, also dem Bürgertum. Das liegt aus meiner Sicht vor allem an zwei Faktoren: Erstens an den Machtinteressen des Bürgertums, das sich als herrschende Schicht an die Stelle des Adels setzen und folglich auch bestimmte Aspekte der agroimperial-feudalen Sozialstruktur beibehalten wollte, was dann um 1900 sehr folgerichtig zum Imperialismus und danach zu den faschistischen Staatskörper-Phantasmen führte. Zweitens an den Erfordernissen des Industrialismus (der keineswegs mit dem Kapitalismus zu verwechseln ist; so sind viele der Übel, die wir dem Kapitalismus in die Schuhe zu schieben gewohnt sind, wie z.B. die antagonistische Produktionsweise, in Wirklichkeit auf den Industrialismus zurückzuführen), der auf Massenproduktion und Massenkonsum angelegt ist. Diese Faktoren habe der kollektivistischen Gesellungsform bislang ein gewisses, wenn auch nur scheinhaftes Überleben ermöglicht. Heute nähern wir uns jedoch allmählich, nicht zuletzt dank der heute zur Verfügung stehenden neuen medialen Möglichkeiten, dem Punkt, wo sich die kollektivistische Illusion auflöst und das Netzwerk gegenüber dem Kollektiv endgültig die Oberhand gewinnt. Die Rolle, die Subkulturen in diesem Prozess spielten, habe ich vorhin aufzuzeigen versucht, um endlich zu unserem eigentlichen Thema zurückzufinden;)
Ich weiß, es wirkt befremdlich, wenn ich in einer Diskussion über Subkulturen mit Ökonomie um die Ecke komme. Aber lasst euch hierzu eines gesagt sein: Menschliche Gemeinschaften brauchen eine ökonomische Basis, wenn sie sich nicht in Freizeitspaß erschöpfen sollen. Das sage ich auch aus persönlicher Erfahrung, ich bin derzeit nämlich ziemlich viel in einem selbstverwalteten Jugendzentrum unterwegs, wo eben nicht nur zusammen gefeiert, sondern auch gearbeitet und gewirtschaftet wird. Die Folge ist, dass ich dort viel mehr inhaltliche Substanz finde als in der ganzen Gothic-Szene, auch wenn ich mich mit den dort vertretenen Inhalten oft nicht anfreunden kann, da diese oft in eine kommunistische bzw. anarchistische oder einfach generell stark politisch orientierte Richtung gehen (denn auch mit Politik habe ich es eigentlich nicht so, auch wenn das angesichts meiner Postings sicher anders wirkt, aber ich bringe Politik eigentlich nur dort ins Spiel, wo sie auch hingehört, und das Thema sozialer Strukturen ist nun einmal ein politisches Thema). Denn seien wir doch mal ehrlich, wo Gothic draufsteht, ist doch in aller Regel eine Tanzveranstaltung drin. Versteht mich nicht falsch, ich habe nichts gegen Tanzveranstaltungen, aber für eine Gruppierung, die sich immer wieder so pathetisch auf ihre Inhaltlichkeit beruft wie die Gothic-Szene es tut, ist das doch ein wenig schwach auf der Brust, wenn es sich darauf beschränkt, oder? Gut, auf dem WGT gibt es auch ein Paar Lesungen und Kunstausstellungen, aber das wars dann im wesentlichen auch schon. Finde ich persönlich etwas schade, da ich gerade den Inhalten von Gothic sehr viel abgewinnen kann. In den 80ern ist man immerhin nach dem Clubbesuch noch zusammen auf den Friedhof gegangen, aber heute?
Versponnene Grüße
Yorick
@Yorick: Vielen Dank für Deine Ausführungen zu Gruppenbildung, die sehr gut sind und sicher auch voller Wahrheit stecken aber für mich nur schwer zu abstrahieren sind. Ich hinterfrage lieber „Kleinigkeiten“ anstatt mich im viel zu Großen und Ganzen zu verlieren. Das liegt schlicht und einfach daran, dass man zunächst nur Dinge im Kleinen bewegen kann um irgendwann „große“ Dinge anzustoßen.
Wie du bereits andeutetest, ist das in der Entwicklung. Schleichend, aber stetig. Seit den 80er hat sich Gothic von einer Tanzveranstaltung zu einer (für mich) ernstzunehmenden Subkultur entwickelt. Das liegt daran, dass viel in und mit der Szene gealtert sind und ihre düstere Existenz mit Inhalten untermauern, um sich nicht als Trend zu verlieren. Genau das versuche ich auch hier im Blog im Auge zu behalten und ggf. mit anzustoßen. So habe wir beispielsweise 2011 eine sehr interessante Ausstellung besucht und damit versucht eine Brücke von der Tanzveranstaltung zur Inhaltsformung zu schlagen. Das Pfingstgeflüster von Marcus Rietzsch ist ein weiteres Beispiel für gelebte Inhaltsformung.
Sicher, all diese Bemühungen stehen angesichts einer breiten Masse schwarzer Gestalten, die lieber auf dem Zeltplatz „Helga“ brüllen, sehr einsam gegenüber, dennoch wird versucht genau das, was du der Szene abgewinnen kannst, zu entwickeln. Ich war auch schon gemeinsam mit anderen auf Friedhöfen, auch anlässlich des WGT ;-)
Das Problem an der Sichtweise des „Großen und Ganzen“ ist einfach, dass der Berg der Dinge die einem an der Gesellschaft und dem Mensch als solchen missfallen riesig erscheinen. Oftmals resultiert daraus Resignation und Rückzug. Doch das ist genau der Punkt: Resignation: Ja, gerne! Rückzug: Nein, Danke! Ich hoffe du kannst nachvollziehen was ich meine.