Deutschland 1984: „Letzte Trendmeldung! Bisher nur in London, nun auch bei uns: Jetzt schminken sich auch unsere Jungs. Zwischen Flensburg und Konstanz tragen sie in der Disco ihre Kriegsbemalung zur Schau. Verwegene wagen sich derart geschmückt auch in die Schule oder in die Lehrstelle.“ Die Idole der Jugend machen es vor: Schminke bei Männern fällt auf, nie waren die Möglichkeiten vielfältiger das Umfeld zu provozieren. Adam Ant oder Boy George machen es vor, wie man durch den Exzessiven Gebrauch von Schminke den eigenen Style maximiert. Jahre später nannte man dieses Phänomen New Romantic und war eben so schnell vorbei wie es kam, doch in den Jugendkulturen ließ es seine Spuren.
In der Gothic-Szene verzichtete man weitestgehend auf Farbe, sondern konzentrierte sich auf den Kontrast zwischen Schwarz und Weiß und den dezenten Einsatz von roten Lippen. Ganz so wie Robert Smith es den Fans zeigte. Während dessen machten sich die eigenen Eltern große Sorgen, welchen Weg ihr Sohn nun ging und der Streit um die Schminke und Badezimmerhoheit war unter Geschwistern vorprogrammiert. Die ersten Gehversuch mit dem Kajal der Schwester endeten nicht selten mit blutigen Augen, weil man wieder einmal vom Lid abgerutscht war. Die männliche Motorik ist ja auch nicht unbedingt geeignet und feinmotorische Gesichtsverzierung auszuführen. Nicht selten endete so machen Schminkorgie des eigenen Kindes bei der örtlichen Familienberatung.
In gut unterrichteten Gruftie-Kreisen sprach man liebevoll von totschminken, denn die mit weißer Theaterschminke applizierte Blässe im Gesicht und die schwarz umrandeten Augen erinnert an die blasse Farbe verstorbener Menschen, die ja kurioserweise bunt geschminkt wurde um bei offenen Särgen den gewohnten Anblick des Verstorbenen zu wahren. Ergänzt wurde der Style durch teilweise fraktale Verzierungen der Augenpartie oder dem nachzeichnen der entfernten Augenbrauen.
Schwarzromantiker fokussieren damit auch den Look des Adels und beziehen sich auf das Mittelalter, denn hier half die Hautfarbe dabei den Stand eines Menschen zu erkennen. Die „edle Blässe“ war oftmals den adligen vorbehalten, die ja zum hüten ihrer Reichtümer das Haus selten verließen, während das gemeine Volk ein Tätigkeit im Freien nachging, was unweigerlich zu einer gewissen Bräune führt.
„Wer schön sein will muss leiden.“ Könnte auch aus dem Mittelalter stammen, denn um ihre Gesichter weiß zu machen verwendete man das giftige Bleiweiß, was nicht unbedingt dermatologisch getestet war. Die Königin Elisabeth I. war prominentes Beispiel und verfeinerte ihren Look später durch das Färben von Wangen und Lippen mit roter Farbe, die man damals aus der lustigen Koschenilleschildlaus gewann.
Ich schweife ab. Fakt bleibt, das die Kids hauptsächlich das imitierten, was ihnen durch ihre Idole auf der Bühne vorgelebt wurde. Die Texte animierten dazu sich auszuleben, die Provokation war erwünscht. In der Bravo vom 20. September 1984 fragt man: Irre gut oder ätzend? Heute, 26 Jahre später stelle ich die Frage noch einmal. Wieviel Schminke für den Gothic-Mann von heute? Muss ich mir meine schwarzen Fingernägel wieder entfernen? Ist Kajal beim Mann nun gesellschaftlich Akzeptiert? Was ist ein No-Go für den Mann? Birgit meinte damals:“Mir gefallen geschminkte Typen irgendwie ganz gut. Bei manchen sieht es auch wirklich toll aus. Aber bloß zum anschauen. Wenn mein Freund sich schminken würde, nein ehrlich, ich käme mir ziemlich blöd mit ihm vor. Ich schminke mich ja selber auch nur selten und wenig.“ Was meint ihr?
Definitives: JA!
Ist aber auch auf jeden fall Typabhängig, wie viel und was gut aussieht. So ein wenig verwischter Kajal finde ich steht den meisten – Ausnahmen bestätigen die Regel ;) die Herren die eh schon gegen androgyn tendieren, vertragen entsprechend ein bissl mehr. Ich find generell auch gut wenn „Mann“ sich traut auch mal solche ach so typisch weiblichen Bereiche auch für sich entdecken. Aber ich bin ja eh Verfechter des Geschlechtergrenzen-Verwischens ;) – denn ich finde das lässt einem als Indiviuum einfach mehr Platz sich selbst zu finden und zu begreifen. Sich selbst zu finden auf der Linie irgendwo zwischen den extremen Polen Mann-Frau. Optisch gesehen fand ich sowieso schon immer Leute interessant, die mehr zur Androgynität neigen und das irgendwie sichtbar machen, auch ich spiele gern damit, obwohl mir scheint daß vornehmlich Männer in der Szene sich androgyn zeigen und auch mit einer gewissen geschlechstspezifischen Uneindeutigkeit spielen, wo der größte Teil weiblicher Goths sich eher eindeutig weiblich zeigen.
Übrigens wär ich erfreut wenn mein Freund mal zum Kajal greifen würde, tatsächlich bin ich ihm sogar schonmal damit zu Leibe gerückt, einfach weil ichs sehen wollte *g* natürlich in heimischen 4 Wänden ohne Gefahr sich damit wo anders hin zu begeben. Is aber nicht sein Ding, also für mich absolut OK. Wie bei Klamotten – wenn man sich so nicht echt gut fühlt dann bleiben lassen, weil das merkt man sonst.
Es gibt aber auch Formen von geschminktem Mann die ich wirklich nicht mag – meist find eich aber die wieblichen gegenstücke ebenso unattraktiv, liegt dann wohl einfach an dem gruffeligen Ästhetikempfinden, und nicht am Mann mit Make-Up an sich.
@Rosa: Definitives Ja, daß dann relativiert wird? Naja trifft irgendwie meine fast immer ambivalente Meinung.
Deswegen kein definitives Ja, wobei ich auf den androgynen Scheiss echt nicht stehe. Aber ich kannte Männer, die mit Kajal interessanter aussahen, als manche Frauen, was auch daran gelegen haben könnte, daß manche Frauen mehr Kajal als Gesicht zeigten.
Ich erliege bei androgynen oder geschminkten Männern nicht dem neidvollen Staunen.
Zwar ist mir ein femininer Mann mit gepudertem Gesicht, Lipgloss und Kajalstrich lieber, als ein Schrat, der mir Brauereigeschwür, Raucherzähne, Speckhals und ausgedünntes Schmierhaar entgegenstreckt. Aber ich kann z.B. Kerle, dessen Oberarme einen ähnlichen Umfang besitzen wie meine Handgelenke nicht ernst nehmen. Ohne geistig chauvinistische Gedankengänge bin ich doch noch Liebhaber der optischen Geschlechtertrennung. Was nicht besagt, dass geschminkte und oder androgyne Männer keine optische Ästhetik besitzen können. Für mich entbehrt sich dabei nur jeglicher optischer Reiz.
Es ist auch kein Ideal, dem ich nacheifern würde. Und das nicht nur aus dem Grund, dass es bei mir wohl mehr als lächerlich aussehen würde. Sondern auch aus dem Grund, dass ich mich dadurch meiner „männlichen Ausstrahlung“ beraubt sehen würde und mir enorm lächerlich vorkäme. Aber wie gesagt, dass ist eine persönliche Sichtweise und wird auch nicht negativ auf die übertragen, deren dahingehende Grenze eine andere ist. So gehört es bei mir einfach dazu, im Fitnessstudio an meiner Statur zu arbeiten und manch einen schlaksigen Geschlechtsgenossen gerne neckisch oder abwertend als „Hämpfling“ zu titulieren. Während andere über den Aspekt des Trainings belustigt mit den Augen rollen. Oder die Tatsache, dass ich meinem Winter- wie Sommerfell konsequent zu Leibe rücke. Etwas, was der taffe Mann mit Coolness-Garantie schon als „putzig süss“ belächelt. Ebenso verstehe ich wiederum nicht, wie Mann sich als „Gillettefresse“ wohl fühlen kann.
Die Sache ist nur die, dass ich so oder so nicht auf übermäßiges Angepinsel stehe. Nagellack oder Kajal, zur Untermalung der Augen, kein Thema. Ich würde sogar den fehlenden Schwarzstrich vermissen. Aber alles andere fasziniert mich überhaupt nicht. Im Grunde bewirkt es mehr das Gegenteil. Und da ich das bei Frauen schon so sehe, sehe ich es bei Kerlen noch „vorurteilsbehafteter“.
Ich möchte, dass sich meine Freundin aufgrund ihres natürlichen Aussehens wohl fühlt und nicht ihre Selbstvertrauen von der Beutezugs- oder Kriegsbemalung abhängig macht. So nach dem Motto: „Ungeschminkt gehe ich nicht aus dem Haus, warte bitte die 30Minuten, bis ich fertig bin.“. Auch sollte Schminke die Gesichtspartien unterstreichen und keine separat dominanten Kontraste schaffen. Etwas anderes ist es natürlich im kosmetischen Sinne.
Ebenso trifft das ganze Getue zum Schutz der Blässe bei mir auf Unverständnis. Zum einen da ich früher als „gemeines Volk einer Tätigkeit im Freien nachging, was unweigerlich zu einer gewissen Bräune führt.“. Und ich heute noch immer kein Problem damit habe, schnell und erkennbar braun zu werden. Zum anderen durch die heutige Tätigkeit am Monitor, bei der ich das Wetter mehrerer aufeinander folgender Tage nur vom Hörensagen her kenne. Und mich freue, wenn ich einmal Zeit finden kann, um bewusst die Sonne auf der Haut oder den Wind zu spüren. Ich bedauere fast diese Gestalten, die dann laut quieksend ihr Gothicschirmchen aufspannen und angenervt von Schatten zu Schatten hopsen.
Aber jeder hat dahingehend seine Toleranzgrenze für optische Ästhetik. Und auch wenn es interessant wäre zu diskutiere, wo der Grenzstein für gesellschaftliche Akzeptanz zu setzen sei, wird dieses wohl ins Leere laufen. Zumindest in diesem Land, was sich in der Tradition der Konsequenzlosigkeit windet. Bestes Beispiel dafür wäre ebenso der Piercingschmuck. Ohren: Ja möglich, aber bitte dezent. Nase: Stecker ist geduldet aber kein Ring. Augenbraue: Ja naja, wenn es halt sein muss, aber dann bitte ganz klein. Beim Schminken am Arbeitsplatz dasselbe. Keiner traut sich etwas zu machen oder zuzulassen, was nicht der Norm entspricht. Mit dem typisch deutschen, wenn auch berechtigten, Argument: „Ich weiß ja nicht wie meine Kundschaft darauf reagiert.“. Für mich als Konsument zählt ja nicht die Leistung des Gegenübers, sondern sein Auftreten. Mir persönlich ist jedenfalls ein zugeschminkter Fachmann lieber als ein Dummschwätzer in Nadelstreifen. Egal, ob ich dieses als Mann ernstnehmen kann oder nicht. Da sich beides ja nicht bedingen muss.
Zu Rosa Chalybeia
[…]wo der größte Teil weiblicher Goths sich eher eindeutig weiblich zeigen.[…]
Darüber bin ich auch froh. Denn ich werde nicht mit Freude dabei zuschauen, wie sich die Weiblichkeit der ebensolchen beraubt. Der Grund liegt wohl darin, dass das Feminine als Symbol für Sinnlichkeit, für Leben und Freude(n) als Ideal besser in die Gruppenmentalität der romantisch verklärten passt, als nun das Sinnbild des grobschlächtigen brachialen Maskulinums. Somit bewahrt sich der weibliche Goth seine Weiblichkeit, während es manche Testosteronträger zur ebensolchen Verkörperung dieses Ideals zieht. Was unweigerlich zur androgynen Erscheinung führt. Als kurzer Exkurs, mir ist auch kein weibliches Gegenstück zur Drag Queen bekannt. Und auch was die Travestiekunst anbelangt findet man dahingehend weniger weibliche Darstellerinnen als Darsteller.
@Rosa: Schön geschrieben. „denn ich finde das lässt einem als Indiviuum einfach mehr Platz sich selbst zu finden und zu begreifen“ Ich sehe das pragmatisch, man muss etwas ausprobieren um mitreden zu können. Ich möchte aber hier noch ein wenig differenzieren. Man kann mit Schminke die Ausrichtung des eigene Empfindens deutlich in eine Richtung lenken. Weiblich geschminkte Männer finde ich unattraktiv, dagegen finde ich männlich geschminkte Männer besser. Klingt jetzt komisch ist aber so. Kajal, Nagellack und Lippenstift können die männliche Akzente eines Gesichtes noch deutlich hervorheben. Von Extrem androgynen Männer mit extrem weiblichen Auftreten halte ich persönlich nichts. Finde ich einfach nicht schön.
@Vizioon: Im Punkt Kajal sind wir einer Meinung :)
Guldhan: Diesen Satz: „Keiner traut sich etwas zu machen oder zuzulassen, was nicht der Norm entspricht. Mit dem typisch deutschen, wenn auch berechtigten, Argument: „Ich weiß ja nicht wie meine Kundschaft darauf reagiert.“.“ unterschreibe ich. Es findet aber diesbezüglich eine deutliche Verschiebung gesellschaftlicher Normen statt, jedenfalls ist mir das in den letzten Jahren aufgefallen. Eigentlich auch eine logische Konsequenz: Je populärer ein Trend ist, desto verbreiteter ist er auch in unserer Gesellschaft.
Ein schrecklicher Gedanke, wenn ich irgendwann im Alltag von Grufties umgeben wäre, nicht weil ich mich dann nicht wohl fühlen würde, sondern weil ein wichtiger Grundstein des eigenen Lebensgefühls fehlen würde. Andersartigkeit und Provokation waren, sind und bleiben wichtige Elemente. Die Gewichtung fällt unterschiedlich aus.
Das Ästhetische Empfinden ist sehr individuell. Leider nimmt das immer kuriosere Formen der Verwirklichung an, vielleicht müsste man zunächst den Begriff der Ästhetik für sich definieren. Für mich ist das ein Gefühl, eine extrem subjektive Erfahrung. Gerade in menschlicher Hinsicht.
Guldhan: Ich würde mich freuen, wenn Du Deine Meinung einfach mal schreiben würdest, und sie nicht hinter unverständlichem und widersprüchlichem Gefasel versteckst.
„Keiner traut sich etwas zu machen oder zuzulassen, was nicht der Norm entspricht. Mit dem typisch deutschen, wenn auch berechtigten, Argument: „Ich weiß ja nicht wie meine Kundschaft darauf reagiert.“
Allein das, Du sagst ja selbst: Berechigt! Und die Kundschaft entscheidet, nicht das typisch Deutsche, was auch immer das sein mag.
In Ordnung. Damit es auch jeder versteht versuche ich das Gefasel zu unterlassen. Vielleicht gelingt es mir.
Punkt 1: Der Mensch ist in seinem Tun nun einmal widersprüchlich. Und ich wiederhole mich ungern, aber dieser Widerspruch sollte auch dargestellt werden. Da es immer mehrere Seite zu beleuchten gibt. Das Pro hat ebensolche Existenzberechtigung wie das Kontra. Auch wenn es vielleicht verwirrt, dass man beide Seiten verstehen und sich demzufolge für beide Seiten einsetzen kann. Was man allerdings nicht immer sollte. Denn ich gebe zu, dass eine derartige Neutralität keine eigene Meinung aufkommen lassen kann.
Punkt 2: Der Norm abweichendes Verhalten stößt auf Kritik. Sei es im Alltag oder im Berufsleben. Und gerade im letzteren will niemand diese Kritik provozieren.
Punkt 3: Somit ist es verständlich, dass man aus Angst vor der Reaktion der Kundschaft keine „äußeren Abnormitäten“ in seinem Unternehmen haben will. Würde ich auch so machen, schließlich geht es um die eigene Existenz. Ergo: Das Argument ist berechtigt.
Punkt 4: Es ist typisch deutsch, dass das, was einem nicht passt oder fremd ist erst einmal kämpfen muss, um überhaupt unvoreingenommen betrachtet zu werden. Mag sein, dass ich mich hierbei irre und es unabhängig von der Nationalität typisch menschlich ist. Aber Reisende berichteten mir, dass es in anderen Ländern weniger darauf ankommt wie man aussieht, sondern nur wichtig ist wie man sich gibt. Aber da es hier nun einmal Fakt ist, ist es so oder so typisch.
Jedenfalls ist es schade, dass eine Mentalität herrscht, die Punkt 3 nötig werden lässt. Denn wäre es so, dass jegliches Anderssein ganz neutral angesehen wird, so würde die Kundschaft über Produkt- bzw. Dienstleistungsqualität entscheiden. Allzu oft entscheidet sie aber nur über das Aussehen des Anbieters. Wodurch sich niemand traut gegen die Norm anzutreten, da dann womöglich die Kundschaft entrüstet zur Konkurrenz abtritt.
Bei einer anderen Lebenserfahrung darf man mich gerne korrigieren…
Guldhan: Ich bin erst mal über Deine Reaktion begeistert! Ich wollte auch nicht grundsätzlich Gefasel unterstellen, nur für mich.
Zu 1: Neutralität lässt alles zu. Und was heißt „der Mensch“? Bist Du „der Mensch“? Abgesehen davon muß man keineswegs beide Seiten verstehen.
Zu 2: Richtig, wäre ja auch ziemlich dumm
Zu 3: :)
Zu 4: Nö, sehe ich gar nicht so, auch weil es komisch ausgedrückt ist. Alles fremde wird fast überall nicht wirklich freudig angenommen, allein weil es fremd ist. Und was einem nicht passt, passt einem nicht, egal ob deutsch, italienlsch, oder was auch immer.
Und wieder machst Du einen komischen Vergleich, denn wenn die Kundschaft zur Konkurrenz abtritt, hat sich das Geschäft erledigt. Wobei das mit Moral wenig bis gar nichts zu tun hat.
Es gibt aber durchaus internationale Unterschiede in der Auffassung des Äußeren und im Umgang mit Klischees und Vorurteilen. Gerade damit geben sich vor allem die Deutschen krampfhaft korrekt. Die Schweden beispielsweise sind sehr offen im Umgang mit Dir als Mensch und sehen das Äußere meist erst an zweiter Stelle, so habe ich das eigentlich kennengelernt. Amerikaner (wie mein Cousin) haben die herrliche Eigenschaft sich selbst nicht so ernst zu nehmen und sehen Klischees und Vorurteile öfter angenehm locker, was sich aber hauptsächlich auf Ballungszentrenbewohner reduziert. Aber gut, individuelle Phänomene sind ebenso wahrscheinlich.
Zu Punkt 3: Das sehe ich ähnlich. Vielleicht ein Gedankenanstoss: Sind diese Punkte nicht die Grundlage vieler Jugendkulturen und Szenen? Was würde passieren wenn sich alle Menschen wie ein Idealbild verhalten? Auch wenn ich Gedanklich abschweife finde ich das in diesem Zusammenhang interessant. Ich glaube das Konflikte und die Fähigkeit damit umzugehen ein wichtiger Bestandteil des eigenen Seins sind. Aber das können wir ja mal in einem weiteren Artikel ausdiskutieren :)
Zu Vizioon:
[…]was heißt „der Mensch”? Bist Du „der Mensch”? Abgesehen davon muß man keineswegs beide Seiten verstehen.[…]
„Der Mensch“? Das ist doch etwas anmaßend. Doch „ein Mensch“ bin ich in der Tat. Und keiner kann leugnen, dass er im Leben nicht einmal widersprüchlich gehandelt, gedacht oder geplant hat.
Aber es ist richtig, man muss definitiv nicht beiden Seiten verstehen. Zumal es auch oft passiert, dass man die andere Seite gar nicht verstehen kann. Dafür sind Lebensauffassung und Mentalität zu individuell. Doch das Studium lehrte mich, dass es mit unter Recht interessant ist, wenn man seine eigene Meinung außen vor lässt und schaut, welche Argumente der beiden Seiten nun logisch wären und welche nicht. Aber das dient auch nur kurzzeitig der Argumentation. Denn auf Dauer kann eine solche ohne exakte Meinung nicht weiterleben.
[…]denn wenn die Kundschaft zur Konkurrenz abtritt, hat sich das Geschäft erledigt. Wobei das mit Moral wenig bis gar nichts zu tun hat.[…]
Nüchtern betrachtet ist es so. Das Geschäft hat sich somit erledigt. Aber auf welcher Basis… Ich kenne Einzelunternehmer und erfuhr auch schon einige nette Anekdoten aus deren Arbeitsalltag. So beispielsweise ein junger talentierter Buchbinder, der oft ungehobelt gefragt wird, wo denn der Chef stecke, man habe einen Auftrag zu besprechen. Die Sache ist nur die, dass in dem Moment der Chef schon vor ihnen stand. Und nehmen wir die Situation, bei dem sich der Kunde dann verarscht fühlt und mit dem Auftrag zum nächstgelegenen Buchbinder geht. Weil dieser aufgrund seines Alters mehr nach Können aussieht. Damit hat die optische Einschätzung über die eigentliche Arbeitsqualität gesiegt. Eine Moral würde ich da schon hineinlegen.
Zu Robert:
[…]Ein schrecklicher Gedanke, wenn ich irgendwann im Alltag von Grufties umgeben wäre[…]weil ein wichtiger Grundstein des eigenen Lebensgefühls fehlen würde. Andersartigkeit und Provokation[…]
Ein schrecklicher Gedanke, in der Tat. Aber das war jetzt nur gelästert.
Andersartigkeit und Provokation…Nun, Andersartigkeit kommt auch für mich in Frage. Aber keine Provokation. Wobei die Andersartigkeit auch nur darin begründet liegt, dass die breite Masse meinen Geschmack nicht teilt. Und nicht, dass ich diese bewusst hervorrufe. Lapidar gesagt: Es gefällt mir halt. Ich kann mich bestens damit identifizieren. So fühle ich mich auch im Anzug wohl und dieser zeugt nicht gerade von Andersartigkeit und Provokation. Zumindest die Standardmodelle.
[…]Was würde passieren wenn sich alle Menschen wie ein Idealbild verhalten?[…]
In den Zusammenhang fällt mir Huxleys Roman „Brave New World“ ein. In dem das Individuum für das Idealbild seiner Klasse/Kaste, und damit der Gesellschaft als solcher, getilgt wurde.
Aber was das Idealbild anbelangt, so habe ich kein Problem damit dieses bis zu einer gewissen Grenze zu erfüllen. Man sollte sich nicht selbst verleugnen, aber sich grundsätzlich nicht anzupassen ist ebenso vermessen. So wurde ich letztens gefragt, ob ich mich in dem Auftreten denn auch bewerben würde. Natürlich ist die Frage berechtigt, aber in gewisser Hinsicht auch herabwürdigend. Denn sie unterstellt mir, dass ich nicht dazu fähig bin, mein Wirken auf die Allgemeinheit realistisch einzuschätzen und mich in die Norm einzugliedern. Denn was bringt die „optische Rebellion“, wenn sie einem nur den Gang zur Agentur für Arbeit ebnet….nichts.
Berechtigt war die Frage allerdings, weil auch viele dasitzen und meinen: „Der Arbeitgeber hat mich so zu akzeptieren wie ich bin.“.
„Aber ich bin ja eh Verfechter des Geschlechtergrenzen-Verwischens ;)“
Geht mir ebenso ^^
Damals in der Schule reichten dazu schon lange Haare und mehr als ein Ohrring.
Seit acht Jahren trage ich dann Röcke, seit fünfen schminke ich mich und trage Nagellack, seit zweien werden die Augenbrauen gezupft und seit kurzem fallen auch meine Arme meiner Rasierei zum Opfer.
Alles nicht gerade extrem maskulin, aber das finde ich auch garnicht so erstrebenswert. Aufgrund meiner stetig wachsenden Fleischmütze wurde mir schon öfter gesagt, ich solle mir doch einfach eine Glatze rasieren, aber so bizarr es auch klingen mag: Das wäre mir zu maskulin. Ich bin einfach nicht der Typ für etwas so kerniges wie einen rasierten Kopf. So etwas asoziiere ich mit Skinheads oder EBM-Leuten, von denen gerade letztere ihre Maskulinität (in einem für mich absolut albernen Maße) derartig zur Schaut tragen, wie ich vermutlich das Gegenteil versuche.
Männlich fühle ich mich dennoch. Und wer das anders sieht: Bitte, kein Problem ^^
Eine Studienkollegin meinte mal grinsend „Ich kann garnicht fassen, dass du ’ne Hete und nicht mindestens bi bist“ – Ich glaube meine Antwort lautete „Oh, Dankeschön“, die Schwulen die ich kenne sind auf jeden Fall ästhetischer und gepflegter als die meisten Hetero-Männer :)
Meine Freundin hat mich in voller Kriegsbemalung kennengelernt – also mit Puder, zweierlei Lidschatten, Kajal und Mascara und findet es entsprechend toll, wenn ich mich schminke (und ohne ein klein wenig Kajal gehe ich eh kaum aus dem Haus). Heute kaufen wir unsere Schminke zusammen ein und habe auch einen gemeinsamen Fundus :)
Und zum Thema „dicke Oberarme“:
Als ich mir mal ein Nietanarmband zulegen wollte und den Verkäufer fragte, ob ich es mal probieren kann antwortete dieser zu meinem maßlosen Erstaunen „Das willst du nicht“. Auf mein Fragen hin warum ich das nicht wolle erwiderte er „Das ist was für kleine Mädchen“. Ich antwortete, dass ich Handgelenke wie ein kleines Mädchen habe und das hat sich scheinbar auch bewahrheitet – passt nämlich hervorragend.
Ob man mich deshalb weniger ernst nimmt, das sei jedem selbst überlassen, so lange ich meiner Freundin die Einmachgläser öffnen und ihr ganz kitschig ein wenig Geborgenheit an meiner Brust spenden kann und wir beide mit meinem Äußeren völlig zufrieden sind sehe ich nichts Änderungswürdiges.
[…]die Schwulen die ich kenne sind auf jeden Fall ästhetischer und gepflegter als die meisten Hetero-Männer[…]
Geht mir genauso. Liegt wahrscheinlich daran, dass Schwule keine Interesse daran haben den „Proleten heraushängen zu lassen“ und sich dementsprechend optisch gehen zu lassen. Ist wohl eine Frage des Feingefühls.
Bei manchen maskulinen Heterogestalten die mir entgegenkommen frage ich mich eh, wie die jemals eine Frau bezirzen konnten/können.
Guldhan: Widersprüchlich gegen was?
Und zu dem Buchbinder-Beispiel: Verstehe ich nicht. Was hat das mit Moral zu tun? Oder sind Buchbinder nicht in der Lage, seriös aufzutreten? Und was hat denn Alter und Auftreten mit Moral zu tun?
@von Karnstein: Du kaufst Deine Nietenarmbänder einfach im falschen Laden. Ich habe meine ohne Kommentar bekommen…obwohl, sie sind mir zu weit: ich hab wohl eher die kleine Mädchen-Handgelenke ;)
Klar sind Dinge, ob man Androgynität ästhetisch findet oder Menschen bevorzugt die eindeutig ihrem biologischen Geschlecht entsprechend auftreten, ist eine ganz persönliche Geschichte, darüber zu diskutieren ist vielleicht unmöglich da Geschmackssache.
„Definitiv Ja“ zu geschminkten Männern – da steh ich weiterhin zu. Auch diejenigen die ich persönlich mit Make-Up nicht ansehnlich finde dürfen das meiner Meinung nach trotzdem und sollen sich da auch frei fühlen zu tun was sie für richtig halten. Was ich zB optisch schön finde, ist eine andere Sache – ich gestehe mich dahingehend nicht eindeutig ausgedrückt zu haben, was wie gemeint war ;)
Es geht ja nicht darum daß sich jeder genötigt fühlen muss, als Kerl mit Schminke und in Röcken rumzurennen, sondern daß die Option für die Herren weit akzeptierter und offener zur Verfügung steht, gesellschaftlich gesehen. Da sind wir zwar noch weit entfernt von, aber prinzipiell bin ich voll dafür. Frau im Hosenanzug, der ja männliche Stilelemente benutzt, ist nicht ungewöhnlich. Also pro Gleichberechtigung auch für Kerle.
Ich finds auch bisschen doof das dann an sexuellen Präferenzen festzumachen, wenn ein Typ Make-Up benutzt. Es kann, muss aber eben nicht.
Was die „zu männlichen“ optischen Eigenschaften angeht – in meinem Fall gibts auch Dinge die mir zu weiblich sind und mit denen ich mich nicht sehen kann ;) weil das einfach nicht ich bin. Da kann ich mich aber nur selbst mit mir auseinandersetzen und bewerten, worin ich mich wohl fühle und wie nicht. Ist aber eigentlich eh ein anderes Thema.
Geschlechtergrenzen-Verwischen sehe ich als einen Weg für mehr Vielfalt und individueller Entfaltungsmöglichkeit, nicht als Gleichmachen aller Menschen. Jeder sollte frei die Ausdrucksmöglichkeit und Selbstdefinition finden könne, mit der er sich wohl fühlt. Und das Thema kann verflixt komplex sein …
Dieses Geschlechterverwischen reizt auch wegen der Gratwanderung zwischen der Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit und dem verfälschen des eigenen Ich’s.
Auch ich kann mich für Make-Up bei Männern begeistern, wenn die Person dahinter das ist was sie darstellt. Spätestens wenn man aber mit dem Make-Up etwas verbergen will, identifiziert man sich nicht, sondern verkleidet sich.
Ich glaube auch, das eben das immer noch eines der letzten provokanten Mittel ist, eben diese festgelegten Grenzen der Geschlechter zu verwischen. Bewusst oder unbewusst lassen wir einmal dahingestellt. Röcke bei Männern bin ich ebenfalls nicht abgeneigt, ich finde sogar, das das richtig gut aussehen kann. Die Schotten machen es vor :)