Mit den ersten warmen Sonnenstrahlen riecht die Luft nach Frühling. Ich sitze auf dem Balkon, lasse mich von der Sonne wärmen und lausche dem Vogelgezwitscher. Wenn ich die Augen schließe, kann ich mir fast vorstellen, es wäre eine laue Sommernacht und ich säße zu Pfingsten in Leipzig. Aus einer Location würde dumpf Musik schallen, eine Hauch von Patschuli in der Luft liegen und vor meinen Augen die Schwarzgewandten vorbeiziehen – freudig, neugierig, anmutig, ausgelassen. Die richtige Zeit, der richtige Ort.
Dummerweise ist es erst Februar und für die Jahreszeit viel zu warm. Pfingsten ist noch ganz weit weg und mein Tag hat außer meiner schwarzen Kleidung bisher noch so gar nichts wirklich gruftiges gehabt. Also schmeiße ich da nächste WGT Video an, dieses Mal aus dem Jahr 2002. Noch 97 Tage.
Nach dem Crash der Veranstaltung zwei Jahe zuvor, welche als Chaos-WGT in die Geschichte einging, fand das 11. WGT unter neuer Federführung und in Zusammenarbeit mit der Stadt Leipzig statt. Was dem Treffen übrigens einen Eintrag in das Kulturprogramm der Stadt bescherte. Vielleicht ist das Event ja auch dadurch mehr zum Touristenmagnet geworden?
Bereits in früheren Jahren muss die AGRA-Meile der Laufsteg gewesen sein. Die einen wandeln, die anderen beobachten. Frisuren mit Flauschezöpfen oder gelgetränkten Strähnenzotteln erfreuten sich großer Beliebtheit. Als ein Auftritt von den Crüxshadows eingespielt wird, wird mir auch klar warum. Rogue hat wohl seit mehr als 20 Jahren die gleiche Frisur. Als Beispiel für den wenig düsteren, sondern eher elektronisch-poppigen Einfluss, der zunehmend Fahrt aufgenommen hat in den 2000er Jahren ist ein Auftritt der Band auf jeden Fall gut geeignet. Für mich erscheinen die 2000er als ein Bruch. Musikalisch, wie ästhetisch. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit des Internets in dieser Zeit verbinde ich auch eine zunehmende Kommerzialisierung und Ausdifferenzierung. Waren Musik, Ästhetik und Inhalt doch leichter erforschbar, Kontakte knüpfen nicht mehr nur an den Wohnort gebunden und Informationen zu Veranstaltungen online abrufbar. Wer diese Zeit selbst erlebt hat kann sicher aus seinem Erfahrungsschatz berichten: Teilt ihr meine Wahrnehmung? Empfindet ihr es anders? War der Bruch eigentlich schon nach den 80er Jahren da? Oder seht ihr zwei Brüche und Wandlungen?
Die zunehmende Kommerzialisierung wird auch von Michael Popp, Mitglied der Band Estampie angesprochen:
Ich bin nicht zum ersten Mal in Leipzig und bestimmt auch nicht zum letzten Mal. Ich glaube ich war beim allerersten Wave-Gotik Treffen sogar da. Und diverse Male mit verschiedenen Formationen. Also ich bin sozusagen ein alter Hase. Sehe auch die ganze Entwicklung: Sehe auch das anwachsen des Wave-Gotik Treffens, wie glaube ich alle der ersten Stunde mit lachendem und weinendem Auge. Einerseits ist es schön, dass es viele Anhänger gibt, die sagen wir mal anspruchsvollere, außergewöhnliche Musik bevorzugen. Andererseits nimmt natürlich auch der Kommerz und so weiter zu und das lässt sich vermutlich nicht vermeiden. Ich bin aber natürlich als Estampie-Spieler unkommerzielles Verhalten gewohnt. Und vielleicht auch einer der wenigen, der da offen drüber sprechen. Weil natürlich die allermeisten, die mehr oder weniger davon profitieren stillschweigen. Und dieser Punkt mehr oder weniger unter den Tisch gekehrt wird. Natürlich liegt es mir fern eine beinharte Kritik zu üben, weil ich finde so überkommerzialisiert ist es nicht. Aber manchmal sprengt es schon den Rahmen dessen, was man als angenehm empfinden würde.
Der Hut ist also schon ziemlich alt und hat nichts an Aktualität verloren. Trotz allem ist die Szene auch heute lebendig und auch das WGT bietet viele Gelegenheiten der eigentlichen Subkultur und deren Underground zu fröhnen.
Mir graut ein wenig davor, sollte es doch ein Beitrag zum WGT 2008 hier auf die Plattform schaffen, wo die neonfarbene Cyberflut ihren Höhenpunkt erreichte…2002 schien hingegen noch ein wenig der Wind der 90er über das Festivalgelände zu wehen…
Einen Beitrag mit möglichst vielen Cybern werde ich, insofern wir sowas finden, Dir ganz persönlich in Deine Nachrichtenbox legen, um auch ja Deine Aufmerksamkeit zu erhaschen :D
„Wind der 90er“…mmh wobei bei mir die 90er auch wieder nicht einheitlich waren. In meiner Wahrnehmung unterteile ich da immer in Früh-90er und Spät 90er. Die Früh-90er (also so bis 1995) waren noch geprägt von einem gewissen Underground-Spirit (obgleich die Lakaien und Pitchfork auch schon immer bekannter wurden)…Gothic-Rock, Electro-Wave, Neofolk, NDT, Industrial, Dark Ambient und artverwandtes, experimentelles, avantgardistisches…alles in Einem. Ab Mitte der 90er kam dann ein Cut..und dann war in vielen Dissen halt mehr Marylin Manson, Rammstein, Theatre Of Tragedy und komischer Elektro zu hören. Es bedurfte halt dann in den Spätneunzigern halt solcher damals neuer Veranstaltungen wie bspw. „Pagan Love Songs“ im Zwischenfall um wieder etwas von dem alten Spirit (und vor allem die Musik) zurückzuholen..na ok..neue Bands Cinema Strange waren in der Zeit dann ja auch bekannt und es gab neue Musikbezeichnungen (bspw. Batcave…vorher war es halt Gothic-Rock..oder Wave oder wie auch immer). Das ist insofern super und auch das Einzige was machbar war (ist)..bedingt durch den Cut hatte vieles (nicht alles) nun auch einen mehr stereotypen Charakter.
An Flederflausch: Danke für den Artikel – ist eine tolle Idee mit dem WGT-Countdown.
Genau das Richtige, um die Vorfreude aufs nächste WGT zu steigern.
An das WGT 2002 erinnere ich mich gerne zurück. Gerade bei diesem WGT waren viele Künstler dabei, die ich sehr schätze. Vor allem haben mir die Auftritte von Mila Mar, Moonspell, The Mission, The House Of Usher, Kiss The Blade und Last Rites sehr gut gefallen.