1981: Deutsche Welle – Ein Film über verschmähte Perlen der 80ern

Während man die Wortschöpfung „New Wave“ gemeinhin als Synonym für coole englisch-sprachige Musik aus den späten 70ern und frühen 80ern empfindet, so steht der deutsche Ableger, die „Neue Deutsche Welle (NDW)“ doch eher unter dem Stern der Lächerlichkeit. Auf Bierzelt-Party-Sampler gebrannt, in deutschen Hitlisten zu Tode gedudelt und auf immer die gleichen 50 Stücke reduziert, fristet das Genre seit seinem Höhenpunkt in den frühen 80ern ein Schattendasein und ist allenfalls Grund, so manch abgehalftertem Musiker zu einem fragwürdige Comeback zu verhelfen. Zu Unrecht.

Die Deutsche Welle war ein äußerst ergiebige Zeit musikalische Kreativität. Der Geist des Punk, selber machen um jeden Preis, machte aus den zurückgezogen Nerds mit Synthesizern und zusammengewürfelten Schulbands mit Gitarre, Bass und Schlagzeug in atemberaubender Geschwindigkeit Bands. Einige davon mit beachtlichem Erfolg, denn zu Beginn der 80er lechzte die gebeutelte Musikindustrie nach frischem und leicht verdaulichen Sound. Sie fanden ihm im Überfluss: Wer kennt nicht Nena, Trio, Peter Schilling und Hubert Kah? Verkauft auf Teufel komm raus. Doch unter der Oberfläche der Hitparaden und unter dem Karnevalskostüm des Mainstream tummelten sich unzählige Perlen dieser Zeit. Wer kennt schon Bands wie Palais Schaumburg, Östro 430, Bärchen und die Milchbubies oder Brausepöter?

Glücklicherweiser gab es Michael Bentele, der sich mit seiner zweiten Filmarbeit an der HFF München genau mit diesen Bands beschäftigte. Zusammen mit Kameramann Thomas Merker begab er sich unter die Oberfläche und drehte 1981 einen Film über die Szene, über die heute kaum noch einer spricht. 43 Minuten (echte) deutsche Welle mit: Deutscher Kaiser, Mannschreck, Östro 430, United Balls, Brausepöter, Bärchen & die Milchbubis, Palais Schaumburg, Margitta & Mufti und Front.

Bentele bot seine Arbeit den öffentlich-rechtlichen an, die den Film aber nur ein einziges mal im 1982er Vormittagsprogramm von ORF/ARD zeigten, dann nie wieder. Der Regisseur beendet 1982 sein Studium und arbeitete dann für Formel Eins und später für die Harald Schmidt Show. Das Label Gutfeeling Records hat nach dem Film geforscht und ihn zusammen mit Hagen Keller und Leonie Felle, die den Film nachbearbeitet haben, auf Youtube gestellt. In diesem Sinne: „Gibst du mir Wasser, rühr ich den Kalk!

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Soul
Soul (@guest_50689)
Vor 9 Jahre

Ein anderer passender Filmtipp:
http://www.b-movie-der-film.de/ B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979-1989.
Letzte Woche gesehen, tolle Bilder/Musik aus den 80igern. Sehr empfehlenswert.

Wombel
Wombel (@guest_50693)
Vor 9 Jahre

Wer einen umfassenden Überblick über die entsprechenden Künstler und deren Veröffentlichungen sucht, ist mit Frank Apunkt Schneider’s „Als die Welt noch unterging – von Punk zu NDW“ sehr gut beraten.
Ein informatives, wenn auch manchmal im nervigen ‚Spex-Slang‘ verfasstes Buch zum Thema New Wave im deutschsparchigen Raum.

caterpillargirl
caterpillargirl (@guest_50715)
Vor 9 Jahre

Bei uns kam heute ein Artikel in der Tageszeitung über eine Ausstellung im Haus der Kunst in München:
„Geniale Dilletanten“
Eine Ode an die wilden 80er, mit Doppelkonzert der Goldenen Zitronen und Ornament&Verbrechen im Oktober.
https://hausderkunst.de/

Saturin
Saturin (@guest_50722)
Vor 9 Jahre

Vielen Dank für diese tolle Ausgrabung! Hab’s mit Genuss (wieder?-)gesehen.

Ich will es nicht zu 100% beschwören, aber ich meine, die ominöse Erst- und Einzigausstrahlung anno ´82 tatsächlich gesehen zu haben; mit damals 12, bzw. 13.; als meine Entdeckungsreise nach den eigentlich spannenden Dingen hinter dem Mainstream sachte begann. Damals gab es einen TV-Slot am Sonntag-Vormittag, zwischen der „Sendung mit der Maus“ und dem „Internationalen Frühschoppen“ (Vorläufer des „Presseclub“), in dem – aus heutiger Sicht erstaunliche – Pop-Dokus liefen. Wolfgang Bülds „Punk in London“-Filme wurden, meine ich, ebenso gezeigt, wie Porträts des Westberliner-Untergrunds (alle Protagonisten von New-Wave-Filmen wie „Kalt wie Eis“ tauchten da auf, die Einstürzenden Neubauten in ihrer krassesten Phase, usw. ….). Gut möglich, dass auch dieser Film damals in diesem Umfeld ausgestrahlt wurde – das ist heute gar nicht mehr vorstellbar.

Als Buch-Tipp würde ich noch „Alles nur geträumt – Fluch und Segen der Neuen Deutschen Welle“ empfehlen. Es ist mir zwar insgesamt etwas zu flüchtig geschrieben, aber es ist immerhin von Hollow Skai, der ab Ende der 70er das „No Fun Records“-Label in Hannover betrieb (Bärchen und die Milchbubies, Mythen in Tüten, Hans-á-Plast, etc); der somit aus der Sicht eines der beteiligten Indie-Machers die NDW-Phase 82/83 beschreibt. Wenn man Teipels Buch kennt, sind die Beschreibungen der frühen Szenen in Düsseldorf oder Hamburg sicherlich nichts besonderes mehr – aber die komplette zweite Hälfte des 2009 erschienen 250-Seiten-Buches beschäftigt sich mit dem Untergang der deutschen New Wave gegenüber der Hitparaden-Kommerzialisierung (was mir bei Teipel viel zu kurz kommt und hiermit eine sehr okaye Fußnote bildet).

In diesem Zusammenhang ist „B-Movie“ natürlich unbedingt zu empfehlen; ganz groß!

Jetzt gilt es, zwei andere, verlorene deutsche TV-New-Wave-Filme aufzustöbern: „Lastwagenkrieg“ (1981) mit Fehlfarben-Sänger Peter Hein und „Terminal Darling“, eine Programmierer-verliebt-sich-in-seinen-Rechner-Romanze (ca.1983 oder –85) mit Annette „Ideal“ Humpe. Beides sind Spielfilme mit Handlung; meiner Erinnerung nach unter Beteiligung des Schriftstellers Peter Glaser („Der große Hirnriss“, 1983). Beides so klassische 45-Minüter. Wer die findet, kriegt einen Keks!! ;)

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