Am 7. März 1988 wurde die Werner-Seelenbinder-Halle in Ost-Berlin der Ort für ein legendäres Konzert. Depeche Mode gaben ihr erstes und einziges Konzert in der DDR.
Bereits Stunden vor dem eigentlichen Konzert standen tausende schwarz gekleidete Jugendliche vor der Halle am Prenzlauer Berg. Es war bitterkalt und leichter Schneefall tauchte das schwarze Meer der Wartenden in eine bizarre Atmosphäre. Eine Eintrittskarten hatten nur die Wenigsten von ihnen, das „Geburtstagskonzert der FDJ“ – wie das Konzert offiziell ausgewiesen wurde – war längst ausverkauft. Die frierenden Fans boten den Anstehenden utopische Summen, um an eine Eintrittskarte zu gelangen.
Eine reelle Chance die Karten auf legalem Weg zu kaufen, hatten sie sowieso nicht, die Karten wurden zum überwiegenden Teil an die Berliner Schulen verteilt, wo sie dann klassenweise vergeben wurden. Katrin kommentiert: „An meiner Schule waren es pro Klasse der Stufen 8 – 10 je 2 Karten. Die Vergabe erfolgte bei uns durch Abstimmung durch die Schüler selbst.“
Die tausenden Fans vor der Halle, die ohne Aussicht auf Eintritt und nur aufgrund eines Gerüchtes nach Ost-Berlin gekommen waren, interessierte das nicht. Für sie war es eine Sensation, die angesagte New-Wave Band in der DDR zu wissen. Aus der ganzen Republik reisten die Jugendlichen in die Hauptstadt. Depeche Mode war nicht nur eine Band, sondern ein Symbol für die Freiheit hinter dem eisernen Vorhang.
Der MDR hat zum 30-jährigen Jubiläum dieses Ereignisses einen Dokumentarfilm gedreht, der neben unfassbar tollen Aufnahmen aus dem damaligen Zeit auch einige Besucher des Konzerts vor die Kamera gezaubert hat inklusive der Protagonisten von Detlef Bermanns legendärer Video-Doku „People are People“, den der damalige Sozialarbeiter mit einer von der FDJ gesponserten Kamera drehte. Die Aufnahmen, die Bestandteil der Dokumentation sind, feiern so eine gelungene Premiere. Obendrauf gibt es noch Interviews mit Martin Gore und Daniel Miller, denen damals gar nicht so richtig klar war, wo sie da spielten und was sie da „anrichteten“. Am 10. März wird das Meisterwerk ausgestrahlt, es ist aber bereits jetzt und in voller Länge in der Mediathek verfügbar. Ich sag nur soviel: Wenn der Film einmal läuft, macht ihr ihn nicht wieder aus. Fantastisch!
Für die DDR-Führung war das der Beginn einer ganzen Reihen von Konzerten mit westlichen Superstars, mit denen man versuchte, die Jugend wieder für ihre sozialistische Ideologie zu begeistern. Das hat letztendlich nicht geklappt, denn bereits ein Jahr später fällt die Mauer.
Warum die Begeisterung für Depeche Mode gerade in DDR so ausgeprägt war, lässt dieser Dokumentarfilm nur erahnen. Möglicherweise ist der Sound und die Ästhetik der Band das, was für die Jugendlichen Identitätsstiftend wirkt, während die Texte Gedanken und Träume von einer besseren Welt transportieren. Es wird jedoch deutlich, dass die Begeisterungskultur in DDR deutlich ausgeprägter war als in Westdeutschland, der Zusammenhalt, der sich in rund 70 Fanclubs zwischen Rostock und Zwickau manifestiert, einzigartig. Das Wave-Gotik-Treffen ist übrigens ein Kind dieses Zusammenhaltes.
Das Autorenteam Heike Sittner und Nils Werner geht auf Spurensuche, wie es zu dieser Faszination Depeche Mode in der DDR gekommen ist und welche Parallelen es zwischen den jungen Musikern aus dem ostenglischen Basildon und der sozialistischen Jugend gibt. So wird das legendäre Konzert in Ostberlin mit den damaligen Veranstaltern, Musikexperten und Fans minutiös nachgezeichnet. Ebenso die Erfolgsgeschichte von Depeche Mode, ihre Anfänge in einem englischen Arbeiterort, ihre Schaffenszeit in Westberlin, ihre Einstellung zum Ostblock und ihr besonderes Verhältnis zu den Fans der DDR.
Update vom 7.3.18 – 17:00 – Die Karten wurden nicht – wie zunächst von mir gebloggt – an Linientreue Genossen und ihre Familien verteilt, sondern zum großen Teil an Berliner Schulen verteilt. (Danke Katrin)
Das ist unrichtig. Die Karten wurden zum überwiegenden Teil an die Berliner Schulen verteilt, wo sie dann klassenweise vergeben wurden. An meiner Schule waren es pro Klasse der Stufen 8 – 10 je 2 Karten. Die Vergabe erfolgte bei uns durch Abstimmung durch die Schüler selbst. Kein Genosse in Sicht. ;-)
Schöne Korrektur, Katrin! Informationen aus erster Hand, sind immer noch die besten. Da habe ich die Doku insoweit falsch verstanden. Ist denn soweit richtig, dass man außerhalb von Berlin NICHT an die Karten herankam und es auch keinen „Verkauf“ im eigentlichen Sinne gegeben hat?
Hab die Doku gestern angeschaut, finde, hat den Zauber, den Depeche Mode vor allem in den 80ern, Anfang der 90er hatte, sehr gut rübergebracht. Hat mich sehr berührt, mich an meine Depeche Mode Abende im Libella und im 4rooms erinnert, auch wenn diese nicht vergleichbar sind, mit denen, die in der Doku beschrieben wurden. Wäre schön, wenn die Doku dauerhaft verfügbar ist.
Es gab keinen offiziellen Kartenverkauf, das ist richtig. Und da es überhaupt nur 6000 (offizielle) Karten gab, wurden die meines Wissens hauptsächlich in Berlin vergeben und vielleicht eine Handvoll in Schulen im angrenzenden Umland. Alle anderen sind leer ausgegangen oder hatten Glück dann eben über einschlägige Kontakte (Parteigenossen o.ä.) oder den Schwarzmarkt eine zu bekommen.