Innenstädte, Einkaufsstraßen und öffentliche Plätze waren in den 80er Jahren beliebte Treffpunkte der ortsansässigen Subkultur. Bei uns in Mönchengladbach hat man sich auf der Theater-Treppe getroffen, eine recht lange und sehr breite Treppe unterhalb des städtischen Theaters, die direkt an der wichtigsten Einkaufsstraße der Stadt nicht nur jeder kannte, sondern auf der man gesehen wurde und die vorbeischlendernden Passanten beobachten konnte. Punks und Grufties hockten da an sonnigen Nachmittagen nach der Schule, trafen sich und fanden es super, den Mainstream, der im wahrsten Sinne des Wortes vorbeiströmte, zum hingucken zu provozieren. So war das nicht nur hier, sondern eigentlich überall.
Die Grafton Street ist die wichtigste Einkaufsstraße Dublins und Ende der 80er Jahre eben einer dieser Treffpunkte. In losen Gruppen treffen sich dort Breakdancer, Psychobillies (die gab es bei uns nicht) und eben Grufties. Zum schlendern, rumhocken und shoppen. Der irische Fernsehsender RTE interessiert sich 1989 für die Jugendlichen und dreht eine ganze Reihe von Videos. Eins davon habe ich bereits vor einer Weile hier gezeigt. Hier kommt das andere:
Besonders schön finde ich die Antwort der jungen Dame auf die Frage der Reporterin, warum sie denn einen Rosenkranz trägt. „…weil sie die Erwachsenen nervt. Und warum magst du es, Erwachsene zu nerven? Weil sie uns nerven.“ Herrlich. Genau so funktionierte der Goth-Style für die Jugendlichen damals. Keine bedeutungsschwangere Todessehnsucht oder dauerhafte Trauer wegen dem Zustand der Gesellschaft. Abgrenzung, anders sein und provozieren. Die ganze Bedeutung kam doch erst später, als die subkulturellen Jugendlichen, die nun erwachsen geworden waren, eine Begründung brauchten, um ihre Zugehörigkeit zu einer Jugendkultur weiterhin zu rechtfertigen. Oder?
Ich glaube mit dem Internet sind die öffentliche Treffpunkte nahezu ausgestorben, vielleicht auch mit dem Ende der eigenen Schulzeit aus der Wahrnehmung verschwunden. Unsere Theater-Treppe wurde irgendwann abgerissen um an gleicher Stelle Platz für ein Einkaufszentrum zu machen. Dort sehe ich zwar Jugendliche beim Shoppen, aber keinen Funken Subkultur. Heute gafft man im Internet und versucht bei sozialen Plattformen zu provozieren. Schade eigentlich.
Hallo Robert, was genau meinst du mit „…die gab es damals bei uns nicht“? Nicht in Mönchengladbach? Natürlich gab es in den 1980ern in Deutschland eine Psychobilly-Szene, die auch heute noch lebt, deren „Helden“ noch touren und Konzerte geben und die vermutlich mehr „Underground“ ist als es die schwarze Szene je war, wenn man denn den Terminus Underground gleich setzt mit Verborgenheit im Untergrund.
Schön auch dein Satz – Zitat: Die ganze Bedeutung kam doch erst später, als die subkulturellen Jugendlichen, die nun erwachsen geworden waren, eine Begründung brauchten, um ihre Zugehörigkeit zu einer Jugendkultur weiterhin zu rechtfertigen. Zitatende. – Welche Bedeutung?
Hatte die schwarze Szene zu irgendeinem Zeitpunkt mal eine „Bedeutung“? Für mich nie, auch wenn über die Jahrzehnte immer wieder versucht wurde, ihr mit Vampirfängen, Fetischkleidung, Modeschmuck, entliehen aus jedweder Mythologie, ob nun Ägypten, Skandinavien, Keltentum bis hin zu umgedrehten Kreuzen, Naziuniformen/ Nazisymbolik und allgemein militaristischen Accessoires, Barockkleidern und ähnlichem „Zubehör“ einen Inhalt, eine Bedeutung, einen Bezug zum Beispiel zu (alternativen) Religionen und Weltanschauungen, sexuellen Präferenzen, Literatur, Kunstgeschichte, eigenen Ideologien zu vermitteln. Das geschah und geschieht dann aber bestenfalls aus persönlicher und damit subjektiver Interpretation der Träger dieser Symbolik, hatte niemals eine allgemeingültige Bedeutung für eine schwarze Szene als Gesamtheit.
Und läßt für mich weiterhin die Frage offen, warum bloß alle Welt versucht, in Büchern, Dokumentationen, Zeitungs- und Zeitschriften-Artikeln, Internetabhandlungen u. ä. eine Erklärung, Rechtfertigung von und für eine große Gruppe Menschen zu finden, die sich aus einer unergründlichen Anzahl von Beweggründen mit der schwarzen Szene verbunden fühlt. Ich vermute fast, daß alle diese Versuche nur weiter dazu beitragen sollen, daß eine anhaltend verunsicherte Mehrheit eine Schublade geliefert bekommt, in die sie alle diese Menschen einsortieren kann, weiterhin unter dem Label „Gothic“, damit man etwas greifbares hat und sich darüber weiter keine Gedanken machen muß.
Ähnlich verstehe ich auch deinen fast rührenden Versuch auf dieser Internetpräsenz, Licht und Aufklärung in die Historie und Hintergründe klassischer Grufti-Symbolik wie dem Pentagramm u.a. zu bringen. Eine vergebliche Aufgabe – schon in den 80er Jahren erhielt ich beim Tragen von Pentagramm-Schmuck bis zu fünf ungefragte „Aufklärungen“ über das, was mir denn da um den Hals baumelte. Vom „uralten magischen Beschützersymbol“ bis hin zum „Satanistenmerkmal“ war alles dabei, selbstverständlich ohne jeglichen wissenschaftlichen Nachweis einer Gültigkeit der Aussage.
Warum immer diese Sehnsucht nach „Bedeutung“ und „Inhalt“? Weil man’s selbst nicht so ganz versteht, was einen dazu treibt, schwarze Kleidung zu tragen und sich damit gegen eine Mehrheit zu stellen, die dies nicht tut? Um die Gewissheit zu haben, man tut das richtige, vertretbare, verantwortbare, man ist Teil einer Szene und kennt sich bestens mit ihren Attributen und Pflichten aus?
Markus : Ja, genau. Nicht in Mönchengladbach. Natürlich gab es die in anderen Städten sehr wohl. Vor allem im Ruhrgebiet. Aber eben nicht bei uns auf der „Theatertreppe“.
Die Bedeutungen sind gemeint, die uns später auch in Büchern oft gegeben wurden. Melancholie, Traurigkeitsliebhaber, Liebhaber des Morbiden, Fans von Gruselliteratur aus dem letzten Jahrhundert, Tiefgründigkeit, Weltschmerz. Was weiß ich.
Eben genauso wie du sagst.
Ich finde aber – ganz persönlich – dass diese Bedeutung nicht unbedingt schadet oder etwas schlechtes ist. Ich bin der Meinung, ohne Inhalte und „Bedeutung“ hätten wir uns schon lange in der Gesellschaft aufgelöst als Bekleidungsstil. Sicher, einige sehen genau diesen Zustand bereits erreicht, ich bin aber Idealist. Vielleicht durch genau diese Bedeutung, die im Laufe der Jahre gewachsen ist. Durch die Szene selbst. Durch Gedichte in Szenezeitschriften, selbst gedrehte Videos, gemeinsame Touren über den Friedhof oder auch die Leidenschaft für Verfallenes. Ich muss zugeben. NUR schwarze Klamotten tragen und mich damit gegen eine Gesellschaft zu stellen, reicht mir nicht aus.