1973. Im Anschluss an die Ölkrise plant die Bundesregierung den Ausbau der Atomenergie. Öffentliche Diskussion über den Super-GAU, den größten anzunehmenden Unfall und mögliche Strahlenschäden durch den Betrieb solcher Anlagen, schüren die Ängste der Bevölkerung. Brokdorf ist das Symbol der Anti-Atomkraft Bewegung. 1976 begannen die Bauarbeiten und die Demonstrationen, die zu einem 4-jährigen Baustopp führten. Als 1981 weiter gebaut werden sollte, gingen 100.000 Menschen auf die Straße. Erfolglos. Unter dem Knüppel der Exekutiven wird der Bau des Atomkraftwerks durchgesetzt. 1986 explodiert in Tschernobyl der Atomreaktor, auch Deutschland ist indirekt davon betroffen. Spielplätze werden gesperrt und tausende Tonnen Gemüse und Obst aus hiesigem Anbau landen auf dem Müll. Die Angst erreicht auch die konservative Mitte der Bevölkerung, doch im selben Jahr geht Brokdorf als weltweit erstes AKW nach dem Unglück ans Netz.
Es wird still um die Atomkraft. Obwohl sie eigentlich niemand so richtig will, akzeptiert man sie, denn Hauptsache der Strom bleibt billig. Als die Bundesregierung sich zaghaft für einen Atomausstieg stark macht, rebelliert die Wirtschaft und serviert Märchen aus der Steckdose. Atomkraft sei umweltfreundlich und mache den Strom auf Dauer günstig.Laufzeitverlängerungen müssen her, damit die sicheren deutschen Meiler, die bis jetzt so tadellos funktioniert haben, weiter einen so günstigen Preis garantieren können. Sind wir dumm?
Die Jugend, die in den frühen 80ern aufwächst, hat Angst. Umweltzerstörung, Pershing und Atomkraft beherrschen nicht nur die Medien sondern auf die Köpfe derer, die noch nach ihrem Platz im Leben suchen. Die Demonstration ist ein Mittel der Demokratie und zeigt das Angst nicht nur lähmt, sondern auch bewegen kann. Heute, genauso wie damals.
2010, die Laufzeitverlängerung ist beschlossen, die Stromkonzerne beschwichtigen „Alles wird gut.“ – Die Shell Jugendstudie zeigt: „Familie, Ausbildung und Leistung sind das Wichtigste im Leben […] Sie stellt außerdem fest, dass die Jugendlichen optimistischer sind als vor vier Jahren. Nur sieben Prozent sehen ihre Zukunft schwarz.“
Schwarz, die Farbe der Gothics. Sind wir wirklich nur eine ästhetische Provokation? „Die bildungsbürgerlich aufgeschlosseneren Grufties dagegen standen zu keiner Zeit in Fundamentalopposition zur Mehrheitskultur. Ihre Rebellion war keine sozial begründete, ihre Provokation keine politische, sondern eine ästhetische.“ 1 Empfand man nicht auch, dass schwarz die Zukunft unserer Gesellschaft sein könnte? Viele von uns lehnten sich nicht allein gegen die grässlich bunte Ästhetik der 80er auf, sondern auch gegen das, was sie verkörperte. Spaß, Konsum und Verdrängung – weitermachen als sei nicht passiert. Heute symbolisiert das schwarz meiner Kleidung nicht nur die Andersartigkeit, sondern auf den zunehmenden Verfall unserer Gesellschaft. Arbeit, Freizeit, Abschalten. Das Leben ausblenden, sich vom den Medien ersticken lassen, Gedanken und Probleme runterschlucken. So funktioniert das nicht, oder besser gesagt, so sollte es nicht funktionieren.
Fukushima 2011. Der atomare Wecker hat geklingelt. Laut. Sehr laut.
Und obwohl bunte Tageszeitungen das Ende der Welt zu verkünden scheinen, interessiert es kaum jemanden. „Ist ja in Japan, weit weg. Atomkraft ist schlecht und gefährlich, aber mehr für den Strom bezahlen? Nein, das geht nicht. Ich komme jetzt schon kaum mit dem Geld aus.“ Die Angst dreht sich nur um die eigenen Existenz, um den Rest kümmert sich jemand anders. Bestimmt.
Schwarz ist aktueller denn je, die ästhetische Provokation sollte Hand in Hand mit der inhaltlichen Provokation stehen. Nicht nur zeigen was einen an der Gesellschaft stört, sondern es auch sagen können. Atomkraft? Nein Danke! Dazu fehlt ein wenig Information abseits von Schlagzeilen in überdimensionalen Schriftgrößen, bei Quarks & Co. gibt es zum Thema eine wirklich informative Sendung, die Hintergrund schafft. Jetzt kann man mitreden, demonstrieren und schwarz tragen um zu zeigen: „Wenn ihr so weitermacht, ist das eure Zukunft!“
Was antwortet ihr auf die Frage: „Warum trägst du schwarz?“
Angst ist ein Auslaufmodell. Paradox, gehört doch die Angst um die Gesundheit und die eigene Existenz zu den Urängsten die uns bewegen. Offenbar spielt die Entfernung eine zentrale Rolle, was weit weg ist, kann bei uns nicht passieren. Wie weit weg ist euer nächstes Atomkraftwerk? Was hat das mit Gothic oder Jugendszenen zu tun? In den letzten Jahren ist Szene = Modetrend. Man sieht eben anders aus, hört bestenfalls andere Musik. Das war es schon? Macht euch Gedanken, informiert euch. Damit ihr nicht auf die Frage „Warum trägst du schwarz?“ nicht nur antworten müsst: „Weil ich es schön finde.“ Gothic als „Great Tiefsinn Swindle“ ist die wirklich düstere Vision. Sagt mir eure Meinung!
https://www.youtube.com/watch?v=118azAQtz3M
Einzelnachweise
- Farin, Klaus: Jugendkulturen in Deutschland – die Gothic, bei der Bundeszentrale für politische Bildung, abgerufen am 22.03.2011 – http://www.bpb.de/themen/8LNMJT,0,Einf%FChrung.html[↩]
Dabei fällt mir gerade ein Zitat von Alexander Spreng (alias Asp) ein:
„Seht her, wir tragen Trauer für die Welt die ihr ausschlachtet.
Mit dem Kopf gegen die Mauer – kollektiv geistig umnachtet.“
Lustig, dass Pieter Breughel das schon vor über 400 Jahren ähnlich sah, als er ein Bild eines schwarzgekleideten Mannes malte, dem die Welt den Geldbeutel klaut.
Darunter steht zu lesen „Weil die Welt so untreu ist trage ich Trauer“.
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8f/Pieter_Bruegel_d._%C3%84._035.jpg
Es fehlen Informationen, richtig! Zumindest fehlten Informationen. Die jüngere Generation, die Tschernobyl nicht mitbekommen hat, wurde weder eindringlich durch die Medien noch durch den Schulunterricht oder die Eltern auf die Gefahren der Atomkraft aufmerksam gemacht. Man kann es ihnen kaum übel nehmen, dass dieses Thema keine Priorität hatte. Alternativen zum Atomstrom wurden allenfalls wohlwollend betrachtet. Wird schon nix passieren, bis alles umgestellt ist! Der Strom kommt aus der Steckdose und wie er da reinkommt, ist so lange egal, bis ein Unglück wie in Japan passiert und das Thema in die Köpfe und – angesichts der Bilder – vielleicht auch in die Herzen jagt.
Wenn man überhaupt auch nur ansatzweise etwas Positives aus dem Vorfall ziehen kann, dann, dass die Diskussion um die Atomkraftwerke wieder aufflammt. In der Schule meines Sohns wurden seit dem Unglück viele Unterrichtsstunden auf dieses Thema verwendet. Er weiß inzwischen vom Aufbau der Atome über die Kernspaltung bis hin zu den Auswirkungen der Radioaktivität auf Natur und Menschen alles, was vorher nirgendwo ein Thema war. Es gibt wieder Demonstrationen und ein Bewusstsein für die Gefahr, die von den Atomkraftwerken ausgeht.
Wie lange das so bleibt, weiß ich natürlich nicht, denn Japan ist in der Tat weit weg und in den Medien widmet man sich langsam auch wieder den Nichtigkeiten der westlichen Welt. Ich glaube trotzdem, dass insbesondere die jüngere Generation einen gehörigen Schreck bekommen hat, der nachwirkt.
Egal, ob „schwarz“ oder „bunt“ – das Thema geht uns alle an. Ein Dank an Robert für den Link zu den Standorten der Atomkraftwerke in Europa. Die Karte sollte man in jeder Schule und in jedem öffentlichen Gebäude und vor allem in jedem Wahllokal in Übergröße aufhängen. Daneben vielleicht ein paar Bilder von Strahlenopfern.
„Wie weit weg ist euer nächstes Atomkraftwerk?“ – Ein Blick auf die Landkarte brachte eine konkrete Antwort: etwa 160 Kilometer. Kann ich jetzt die Füße hochlegen und mich sicher fühlen? Ist ja nicht in dem unmittelbaren „Einzugsgebiet“. Natürlich nicht. Diese Gefahrenquelle, dieser Dreck muss weg! Wenn ich jetzt nicht komplett falsch informiert bin, muss jedes Industrieunternehmen nachweisen können, was mit ihren Abfällen passiert. Wenn es dafür keine Lösung gibt, erhält das Unternehmen keine Genehmigung. Beim Betrieb von Atomkraftwerken wurden hier aber beide Augen fest verschlossen. AKWs dürfen Müll ohne Ende produzieren. Irgendwann wird sich schon noch eine Lösung finden. Mal abgesehen davon: Was scheren uns die Probleme nächster Generationen? Wir schmeißen das Zeug in irgendein Bergwerk und gut ist. Blöd nur, wenn es schon während unserer Lebenszeit zu Problemen kommt und man den Müll wieder an die Oberfläche holen muss (siehe Asse). Das wird wohl auch Jahre bzw. Jahrzehnte dauern und Milliarden an Steuergeldern verschlingen. Aber die Atomenergie ist ja soooo günstig. Das ich nicht lache. Ich werde das Gefühl nicht los, dass man uns nach Strich und Faden vera… lbern möchte. Wie ist das eigentlich beim Rückbau eines AKWs? Wer trägt hier die Kosten? Was passiert mit dem ganzen verstrahlten Schrott? Und wer überwacht die Einordnung in normalen und atomaren Müll? Normaler Müll lässt sich ja deutlich kostengünstiger entsorgen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt?
„Warum trägst Du schwarz?“ – Dahinter steckt sicherlich – zumindest unbewusste – der Wunsch, sich von einer Spaßgesellschaft, die zusehends das Denken und das kritische Beobachten verlernt hat, abzugrenzen. Eine Art stiller Protest gegen den Umstand, dass Konsum und Wirtschaft über Meinungen und Handlungen entscheiden. Trauer sehe ich darin nicht. Eher Wut. Wobei einen gewisse Umstände und die Machtlosigkeit, mit der man diesen gegenübersteht, schon ziemlich deprimieren können.
„Wie weit weg sind eure nächsten Atomkraftwerke?“ … sehr, sehr nah: Brunsbüttel ca. 26km (Laufzeit bis 2013; Laufzeitverlängerung bis 2022), Brokdorf ca. 37km (Laufzeit bis 2019, Laufzeitverlängerung bis 2034) und Stade ca. 85km (Stilllegung 2005; Restbetrieb: derzeit in Phase 4: Abbau der restlichen kontaminierten Anlagenteile, Nachweis der Kontaminationsfreiheit)…
Es ist wie es immer ist: erst wenn etwas passiert dann wird was getan … und was in welchem Umfang getan wird, ist abhängig von der Wirtschaft. Weder E.ON, RWE, Vattenfall oder EnBW interessieren die Menschen in Japan (oder anderswo), die menschlichen Tragödien und die Langzeitfolgen für Mensch und Umwelt.
Ostern werden wir an der Demo am AKW Brunsbüttel teilnehmen, unsere Kinder und uns weiter auf dem Laufenden halten und entsprechend handeln, sei es bei der anstehenden Landtagswahl in SH oder im privaten Umfeld.
Ich als ’95er kann das natürlich nicht so gut beurteilen, mir scheint, dass damals die Angst vor Atomarer Bedrohung wesentlich vertretener war als heute.
Mit dem Bezug auf das Ästhetische machen es sich viele recht einfach (schließe mich da nicht aus), da es meist praktischer ist, das aufs optische zu schieben, als ewiglang irgendwem, den es wahrscheinlich eh nicht so sehr interessiert die Zusammenhänge und alles zu erklären.
Ein bisschen erinnert mich das jetzt auch an den Herrn Johnny Cash, welcher einst verkündete: „I wear the black for the poor and the beaten down…“ und ich glaube das trifft es auch bei Gruftis häufig ganz gut.
Das nächste Atomkraft? 3,6 km.
Und gerade wegen dieser äußerst geringen Distanz zu einem KKW sollte ich mir doch Sorgen machen? Ja, das sollte ich. Aber ich glaube, in meiner Generation ist dieses Demo-ding nicht so drinne, einfach von der Mentalität her. Ich habe noch nie ernsthaft darüber nachgedacht, demonstrieren zu gehen…
Danke für den Gedankenanstoß!
Und auch die „Schwarz-Frage“ wird mich noch etwas beschäftigen ;D
Ich verfolge die Entwicklungen in Fukushima seit dem Vorfall auch mit Spannung – aber keineswegs einer positiven!
So viel bleibt da im Unklaren wenn man sich die Berichte so anhört, ich würde mich nicht groß wundern wenn irgendwann so im Nachhinein dann bekannt würde, daß die Kernschmelze ja schon längst im Gange war, aber alles erstmal vertuscht wurde – freilich zum Schutz der Bevölkerung *hust* – wer weiß was da noch so alles ans Tageslicht kommen wird.
Vor allem weil ich ja den wissenschaftlichen Hintergrund ein bisschen mitbringe, ich bin zwar nicht im Einzelnen davon informiert wie ein AKW im Detail funktioniert, doch ich weiß durchaus was für ne üble Sache Kernenergie ist, und wie unkontrollierbar das ist wenn was schief geht.
Da wäre mir neulich bei einem Bericht fast der Mühlsteinkragen geplatzt als so ein Typ, Physiker, wie er sagte, aufgrund seiner wissenschaftlichen und technischen Ausbildung in dem Bereich darauf vertraut daß die Sache in den Griff zu bekommen sei, denn er *glaube* fest an die Technik.
Da frag ich mich echt was der Hirsch denn studiert hat, Physik kanns kaum sein, denn wenn dann würde man nicht so labern, und „Glaube“ an Technik widerspricht sich mal völlig, jeder Ingenieur ist sich bewusst daß Technik versagen kann und auch die sie bedienenden Menschen ein großer Unsicherheitsfaktor sind.
Kernenergie birgt halt die große Gefahr daß, wenn was passiert, die Kacke so richtig am Dampfen ist, und sowas runterzuspielen ist eine bodenlose Frechheit.
Und ja, ich trage nicht nur schwarz weil ich mich irgendwie „anders“ fühle, sondern weil das anders-sein auch in dem Gefühl zugrunde liegt daß die Menschheit so viel Mist macht und oft so verdammt dämlich handelt, anders-sein heißt für mich daß ich mich mit der Menschheit dann oft nicht identifizieren kann. Und mein gewählter Ausdruck dafpr ist schwarz, und auch die bewusste Künstlichkeit des kalkweißen Gesichtes.
Ich habe dazu noch eine sehr schöne Karikatur gefunden:
:D
Interessant, vielen Dank für eure Kommentare. Es ist schön zu lesen, das schwarz auch Farbe des Ausdrucks sein kann, denn genauso sehe ich das auch. Rosa schreibt sehr treffend: „Und ja, ich trage nicht nur schwarz weil ich mich irgendwie »anders« fühle, sondern weil das anders-sein auch in dem Gefühl zugrunde liegt daß die Menschheit so viel Mist macht…Und mein gewählter Ausdruck dafür ist schwarz, und auch die bewusste Künstlichkeit des kalkweißen Gesichtes.“
Mit der Farbe Schwarz zeigt man der Gesellschaft den Spiegel ihrer selbst. Wir stören das Gesamtbild einer heilen bunten Welt, von der viele träumen, in der die Medien zeigen, was richtig oder falsch ist, wo aus mündigen Bürgern ziellose Marionetten werden.
Marcus schreibt: „Eine Art stiller Protest gegen den Umstand, dass Konsum und Wirtschaft über Meinungen und Handlungen entscheiden. Trauer sehe ich darin nicht. Eher Wut.“
Stille Wut. Ein sehr spannender Gedanke. Ich sehe in der Farbe auch die Tatsache, das wir uns damit beschäftigen was sein könnte, sein wird, wenn wir so weiter machen, wir lassen die „Dunkelheit“ zu, während sich viele anderen vom „Licht“ blenden lassen. Sind wir doch in der Summer introvertiert und scheuen den offenen lauten Protest, habe aber unseren Weg gefunden das innere nach außen zu tragen.