Klaus Farin und das Ende der Jugendkulturen

Als ich jung war, umgaben mich unzählige Jugendkulturen, ich wusste es nur nicht. 1987, da war ich 13 Jahre alt, stellte ich mich zum ersten mal auf dem Schulhof zu denen, die schwarze T-Shirts von Depeche Mode trugen und die Haare so trugen, wie Martin Gore. Von meinem Taschengeld und dem Geld von Oma kaufte ich mir meine ersten Alben, gebrauchte T-Shirts und schwarze Wildlederpikes. Als ich meiner Mutter androhte, ich würde mir die Haare so schneiden lassen wie der schüchterne blonde von Depeche Mode, drohte sie mir mit Rausschmiss.

Argwöhnisch betrachteten wir von unserer Ecke des Schulhofes wie der Techno und der Hip-Hop wieder für bunten Gestalten sorgte und auch musikalisch in die Charts einzog. Ich probierte mich aus, versuchte eine neue Szene und lernte andere Leute kennen. Irgendwann bin dann zurückgekehrt zu meinen Wurzeln, die ich nie wirklich ausgegraben habe und denen ich unterbewusst immer treu geblieben bin.

Mit dem Erwachsen werden reift dann die Objektivität, man lernt, wie man einen Schritt zurück tritt und das ganze Werk betrachtet. Erst jetzt bekommen Jugendkulturen ihren Namen und man versucht das neue und unbekannte in eine Schublade in die es nie passen wird einzuordnen. Immer wieder betrachte ich die Mode der Jugend und frage mich, wo die Kreativität geblieben ist. Alles was heute so getragen oder kombiniert wird, ist irgendwann und irgendwo schon mal gewesen.

Die Überschrift: „Seit den neunziger Jahren entstehen keine großen Jugendszenen mehr.“ regte mich nachdenken an. Klaus Farin, der Leiter des Archivs der Jugendkulturen und Autor zahlreicher Werke, die auch mein Bücherregal schmücken gibt dem Spiegel-Online ein Interview zum Thema Jugendkultur. „Die letzte dominante Jugendkultur ist im Augenblick noch HipHop – und sie wird die letzte sein. Es wird kleinteiliger, widersprüchlicher, schneller. Die Stile fließen ineinander über.“ 

Ist wirklich seit dem keine Jugendkultur mehr entstanden? Ist der HipHop wirklich das Ende der Fahnenstange? Es ist richtig, das sich immer wieder Stile aus bereits vorhandenen Elementen neu erfinden. Ich denke aber, das gerade Szenen wir der Visual Kei, Cosplay oder auch die Cybergothics auf dem Weg zu Eigenständigkeit sind. Zunächst bediente man sich aus vorhandenen Elementen, entwickelte diese weiter und formt daraus irgendwann eine autonome Szene. Sicher, rein inhaltlich ist nicht viel vorhanden. Protest oder Auflehnung sucht man vergebens, Inhaltslosigkeit und Konsum stehen im Vordergrund. Doch warum gibt es keine neuen Massenbewegungen mehr?

Sie haben keine Zeit mehr dazu. Neue Trends werden so schnell von Medien aufgegriffen und zum Mainstream geformt, dass das langsame Heranwachsen einer großen Jugendkultur kaum mehr möglich ist. Damit eine Jugendkultur so groß werden kann wie etwa HipHop, müssten sich die Medien mit dem Phänomen kontinuierlich drei Jahre beschäftigen. So viel Zeit gibt es aber nicht mehr.“

Ich denke schon länger, das Jugendlichen immer mehr die Zeit geraubt wird. Zwischen Schule, Ausbildung oder Studium geht man noch zum Sportverein, zum Musikunterricht oder auch zur Nachhilfe. Kein Raum für Kreativität? Angesichts zunehmender Berichterstattung über Flatratesaufen, Amokläufen und Gangsterrap mag so mancher vermuten, das viele Jugendliche zuviel Zeit hätten. In Wahrheit wird es für die Jugendlichen immer schwieriger sich abzugrenzen und sich gegen die Regeln der Eltern aufzulehnen. Punk, Techno, bunte Haare, Ringe im Gesicht, Tätowierungen und kaputte Klamotten schocken heutzutage kaum noch einen. Da muss es schon noch extremer, noch lauter, noch agressiver sein um sich abzugrenzen, etwas eigenes zu haben.

Es geht bei Jugendkulturen einfach darum, etwas Eigenes zu haben, das nicht jeder Gleichaltrige hat. […] Die Musik muss nur ein bisschen schneller und extremer werden, dann ist man die Über-30-Jährigen schon los. Dancehall mag auch für Papa akzeptabel sein, Black Metal sicher nicht.

Und so bekomme ich dann auch gleich mein Fett weg als alternder Mit-Dreißiger. Es passt mir gar nicht, das Jugendliche als Cybergothics kleiden und zu agressiver Technomusik die eigenen Rückzugsorte belagern. Industrial ist heute ein Begriff für einen Tanzstil und hat nichts mehr mit dem zu tun, was es in den 80er einst gewesen ist, Gothic ein Modewort für Menschen, die sich gerne in schwarzen Klamotten zeigen. Vielleicht will ich nicht akzeptieren das es so ist. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur traurig, das viele Jugendliche von heute sich der Leere hingeben, dem Konsum frönen und nur noch Spaß haben wollen. Vielleicht bin ich auch traurig das die Versuche der Jugend etwas neues zu machen im Keime erstickt werden. Mixkultur und das vermischen von Dingen zu etwas neuem wird von vielen Verurteilt und sogar strafrechtlich verfolgt. Neue Trends werden von der Industrie aufgesaugt, aufpumpt und ausgenutzt, noch bevor sie überhaupt kulturell werden können.  Doch eine Ende der Jugendkulturen zu prognostizieren, wäre meiner Meinung nach kurzsichtig.

Was ausstirbt, sind von Medien hochstilisierte Phänomene. […] Das wird bald vergessen sein wie alles, was nicht in der Alltagsrealität von Jugendlichen selbst erfunden und gelebt werden kann.

(Bildquelle: Archiv der Jugendkulturen Zitate: Aus dem Interview mit Klaus Farin vom 11.12.2009 bei Spiegel-Online von Carola Padtberg)
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Jessica
Jessica (@guest_5331)
Vor 14 Jahre

Lol, ich lach‘ mich immer kringelig, wenn irgendwer behauptet, Cosplay wäre etwas sagenhaft Neues. Ich habe das schon mit Anfang 20 (also Ende der 90er) gemacht – nur nannte das damals niemand so. Das Gleiche mit Bloggen. Mache ich schon seit 2002. Der Begriff „Blog“ und Web 2.0 sind viel jünger. Ich bin meiner Zeit halt weit Voraus. ;)

Sebastian
Sebastian (@guest_5342)
Vor 14 Jahre

Nun es gibt sicherlich noch Jugendkulturen, wenn auch nicht immer so groß wie dereinst als es meistens nur zwei gab die durchgehend von den Medien begleitet wurden.

Es gibt halt mehr als nur Rolling Stones vs Beatles, oder Punk vs Mods, oder was weiß ich.

Was ist zum Beispiel mit der Ultras Szene in den Stadien ?

Sebastian
Sebastian (@guest_5353)
Vor 14 Jahre

Also in Düsseldorf finde ich schon das die Ultras Szene noch Nachwuchs hat. Doch würde ich sie dort auch nicht in die Kategorie der Hooligans einsortieren sondern eher in die Kategorie der Stimmungsmacher, die Aktionen im Stadion, meist krative Sachen, veranstalten.

Ansonsten, Szenen zu Musikrichtungen gibt es schon noch, doch sind die meistens durchmischt. Es ist keine richtige Festlegung mehr, sondern nur noch gemischter Geschmack.

Death Disco
Death Disco (@guest_5386)
Vor 14 Jahre

Wie kommt man ausgerechnet auf Hip Hop? Dem geht es nicht besser als anderen Kulturen. Was in den Charts geboten wird, ist bestenfalls Pop, der mit dem, was Grandmaster Flash, Public Enemy, NWA, De la Soul und Co. fabrizierten, nur sehr wenig gemein hat. Das gilt auch für solche Sachen wie Fanta 4. Es ist schlicht ange-hop-ter Pop. Und Leute, die darauf abfahren, sind Popper.

Sebastian
Sebastian (@guest_5393)
Vor 14 Jahre

@ Robert: Ja, das sind schon 2 Bewegungen, Wobei in Deutschland die Ultras neuer sind. Hools sind meist nur wegen den Randale da, die Ultras haben eine neue Welt in die Stadien gebracht und eine neue Kultur der Stimmung, wie ich finde.

Aber hast schon recht, auch wenn es bei F95 dort viele junge Leute gibt, eine richtige Jugendkultur ist es dann doch nicht.

Es ist zwar eine Bewegung im Stadion aber keine in der Jugendszene.

Es gibt eben keine einheitliche Richtung mehr, die Jugend und deren Kultur ist einfach versplittet. Hier ein paar Punx, dort Hiphop, Techno, Jumpstyle was weiß ich. R n B , RNR usw.

Ich bin ja auch nicht nur in einem drin. Klar Metal, aber nicht mit Kutte und Shirt. Hier ein bisschen RocknRoll, Trash, Black und ein wenig Punk und Oi.
Das ist eben immer mehr gemischt.

Farin
Farin (@guest_5568)
Vor 14 Jahre

Jugendkulturen wird es immer geben, weil es immer Leute geben wird, die keinen Bock auf das Eingefahrene haben, die kreativer sind als andere und bereit, auch selbst was zu tun. Nur glaube ich nicht, dass noch einmal eine Jugendkultur so sehr dominieren wird wie Rockmusik in den 70ern, Techno in den 90ern und HipHop bis gestern. Aber machen wir uns nichts vor: Die Mehrheit jeder Generation – auch der jeweils jungen – sind wenig kreative Couchpotatoes, konsumfreudige Mitläufer, Wochenendgrufties, Part-time-Punks usw., die gerne Partys besuchen, natürlich die gerade angesagten, aber nie auf die Idee kämen, selbst eine zu gestalten. Anders würde dieses System der Konsumgesellschaft auch nicht funktionieren. Das ist natürlich okay; jeder hat das Recht, auf seine Art glücklich zu werden, aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir doch feststellen, dass Jugendkulturen (& Bands), sobald sie Pop geworden sind und jeder Willi sie COOL findet, zumeist nur noch langweilen und sie selbst froh sein können, wenn sie wieder auf den kreativen Kern zusammenschrumpfen.

Farin
Farin (@guest_5592)
Vor 14 Jahre

Warum „traurige Wahrheit“? Sind Jugendkulturen nur dann spannend, wenn jeder sie gut findet? Ging es nicht immer schon eher um das Gegenteil: etwas Besonderes zu haben, was eben nicht jeder mag und kennt? Und dass die Mehrzahl aller Menschen politisch ungebildete KONSUMENTEN und Mitläufer sind, ist nun einmal eine – in der Tat traurige – Wahrheit. Die gute Nachricht: Wenige engagierte Menschen können die Gesellschaft immer ein Stück weit verändern, weil die Masse eben mitläuft (siehe „die 68er“ – realistisch betrachtet damals 3-5 Prozent der Studierenden). Prinzipiell hab‘ ich natürlich nichts gegen die Masse – ich möchte nur nicht dazu gehören. Und natürlich gibt es supergeile Popstars und -bands. Trotzdem finde ich, dass Musiker in der Regel (!) langweiliger werden, je berühmter sie werden. Nicht nur, weil sie dann einem gewissen Sog verfallen (H.R. Kunze hat mir mal in nem Interview gesagt: „Wenn du einmal vor 10.000 Leuten auf der Bühne standest, willst du da nicht mehr weg, du willst sie immer wieder erreichen“), weil sie merken, dass es gar nicht so schlecht ist, von seiner Leidenschaft Musik auch noch gut leben zu können, sondern vor allem, weil sie im Laufe der Jahre immer professioneller werden und damit in der Regel auch weniger aggressiv. Die Musik wird filigraner, die Texte werden WICHTIGER (von wegen „Verantwortung“ und so …) und irgendwie klingt bald alles SOZIALDEMOKRATISCH. Okay, das gilt nur für den Bereich der Musik, den ich vorwiegend höre, also Rock-/Punk-Geschichten, für Techno, Soul oder Reggae vermutlich weniger.

PS: Stimmt, über die Communities im Netz wissen wir wenig. Ich warte auch immer noch auf ein supergutes, cooles, subkulturelles Manuskriptangebot für unsere Buchreihe! Bisher bekomme ich nur pädagogische Ratgeber von Jugendschützern und anderen Berufsbetroffenen angeboten. Und sowas werde ich NIE veröffentlichen!

NewWave
NewWave (@guest_10153)
Vor 14 Jahre

Rock’N’Roll (50er, frühe 60er), Beat-u. Hippie-Bewegung(Mitte 60er), Glam-Rock (70er), Disko/Punk (70er-frühe 80er) und New Wave (frühe/mitte 80er) sind echte Bewegungen gewesen. Dann kamen HipHip/Techno (obgleich es Ansätze dieser Bewegung schon in den 80ern gab, nur keiner wollte sie haben). Bei HipHop und Techno war es so, dass diese schon faktisch von skrupelosen Managern u. der Musik/Modeindustrie supportet wurden, somit war schon bei diesen beiden Bewegungen klar, dass es zukünftig keine Bewegung mehr eben wird.

Marcus
Marcus (@guest_10430)
Vor 13 Jahre

@Robert: „Sind Bands die ‚Pop’ geworden sind wirklich langweilig? Ist kommerzieller Erfolg wirklich der Tod eines kreativen Grundgedanken?“

In letzter Zeit mache ich mir – nicht zuletzt aufgrund des Schmökerns in Deinem Blog – u.a. über diese Fragen so meine Gedanken.

Für jemanden, der sich auch musikalisch von der großen Masse abgrenzen möchte, wird eine kommerziell erfolgreiche Band sicherlich eher uninteressant werden. Schließlich erfüllt sie wegen ihres Erfolgs nicht mehr den Grundgedanken der Abgrenzung. Ich meine, dass es dann auch gar keine Rolle spielt, ob sich eine Band geändert hat, um diesen Erfolg zu haben. Allein die Tatsache, dass die Band von vielen gehört wird, reicht schon aus, um sich von ihr abzuwenden.

Zur zweiten Frage: Kommerzieller Erfolg muss nicht zwangsläufig der Tod der Kreativität sein. Aber leider ist er das doch recht häufig. Künstler geben aufgrund des Erfolgs zu oft ihre „Freiheit“ auf und lassen sich in gewisser Weise steuern. Es werden Ideale über Bord geworfen, um erfolgreich zu sein bzw. zu bleiben. Vielleicht ist das nicht einmal in jedem Fall die Schuld der Musiker, sondern vielmehr der Einflüsse (und Menschen), denen sie nun ausgesetzt sind.

Dass ein wachsender Zuspruch für eine Szene bzw. Jugendkultur, die sich eigentlich von der Masse abgrenzen möchte, nicht unbedingt bekommt, hat ja das Beispiel „Punk“ gezeigt. Was heute als „Punk“ bezeichnet wird, ist gesellschaftsfähig und widerspricht somit komplett dem Grundgedanken dieser Bewegung.
Im musikalischen Bereich gab (und gibt) es den Begriff „Independent“. Bands haben ihr eigenes Ding durchgezogen. Mittlerweile ist der Begriff durch die Kommerzialisierung nur noch ein Witz.
Manchmal schadet der Erfolg auch Veranstaltungen. Bestes Beispiel: das Bizarre Festival. Dieses schien anfänglich ziemlich unabhängig zu sein und die Auftritte von beispielsweise Siouxsie and the Banshees, New Model Army, Einstürzende Neubauten, Ramones, The Pixies und Fields Of The Nephilim standen im Mittelpunkt. Aufgrund eines zunehmenden Interesses wurde aus einem Festival für alternative Musik aber eine Art musikalisches Volksfest. Immer größer, immer mehr und irgendwie auch immer angepasster. Am Ende waren die Gagen der verpflichteten Bands so hoch, dass das Festival pleite ging. Zu diesem Zeitpunkt war das Festival aber schon lange tot – zumindest der ursprüngliche Gedanke scheint bei der ganzen Kommerzialisierung auf der Strecke geblieben zu sein.

orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 13 Jahre

@Robert

Was meinst du mit „angepasster Musik“ bei Unheilig? Klingt doch wie immer – Schlager eben. Fand ich schon immer scheußlich. Ich finde nicht, dass sich da was verändert hat. Außer dass ich den Graf neulich in einer Frauenzeitschrift meiner Schwiegermutter entdeckt habe. :-) Künstler müssen von irgendwas leben und sind genauso gefangen im System wie alle anderen. Das heißt: Geld verdienen!

Subkulturen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich in irgendeiner Art und Weise gegen das System auflehnen. Oft recht halbherzig nach Feierabend und an Wochenenden. Wenn die Szenebands dann so offensichtlich „dem Kommerz“ verfallen, werden sie aus der „Familie“ geschmissen. Oft von denen, die nach dem Konzert die schwarzen Klamotten ausziehen und sich im Anzug ihrem Brotjob widmen.Schließlich repräsentieren die Bands die Auflehnung. Das ist nicht fair, oder?

Ich stimme allerdings zu, dass es schwierig ist, sich selbst treu zu bleiben, wenn das große Geld winkt. Damit wird so mancher Künstler zu kämpfen haben. Selbst Prince hat seinen Namen geändert, um den Knebelverträgen zu entkommen und das ist nur ein Beispiel, das zeigt, dass viele Künstler sich nicht freiwillig in diese Abhängigkeit begeben. Was sollen sie denn machen? Nach dem Konzert schnell duschen und dann irgendwo kellnern gehen? Kommerzialisierung hat in den meisten Fällen sicher nichts mit Sucht nach Geld und Erfolg zu tun sondern mit Lebenshaltungskosten.

orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 13 Jahre

Ja, Musik hat insbesondere für die Künstler selber eine emotionale Bedeutung. Kritisieren darfst du, aber wenn die Künstler sich diese Kritik zu Herzen nehmen würden, könnten sie den Laden gleich dicht machen und auf dem WGT gäb es demnächst nur noch kommerzielle Verkaufsstände statt Konzerte. ;-)

Musiker hängen eben mitten in der Musikindustrie und können da kaum wählen. Den 100sten Aufguss eines Erfolgs-Songs leitet meist das Label in die Wege, nicht die Band. Vielleicht wird das Internet die Musikindustrie weiter aufmischen. Viele Bands verkaufen ja schon direkt über ihre Webseiten ohne Label. Die Fans müssen dann aber eifrig mitziehen und die Musiker unterstützen.

Marcus
Marcus (@guest_10449)
Vor 13 Jahre

Grundsätzlich ist es sicherlich ein Problem, dass die „Forderungen“ der Fans oft gar nicht unter einen Hut zu bringen sind. Die favorisierten Bands sollen sich nicht dem Massengeschmack unterwerfen, bestenfalls jährlich eine vor Kreativität strotzende Platte veröffentlichen, regelmäßig Konzerte in allen möglichen Gegenden spielen. Dies ist doch kaum möglich.

Bei den Festivals ist es ggf. ähnlich. Die Besucher verlangen u.a. nach großen, namhaften Bands, die kräftig Geld kosten. Der Ticketpreis darf aber natürlich nicht steigen. Sponsoren müssen her. Und am Ende versperrt die Reklame eines Bierstands den Blick auf die Bühne…

Musik bzw. Kunst als Hobby oder Beruf? In den meisten Berufen muss man dummerweise Kompromisse eingehen. Ein Musiker bewegt sich auf einem schmalen Grad zwischen Idealismus und Kommerz. Tja, und Erfolg verführt eben auch Idealisten. Vor allen Dingen wenn es um die eigene Existenz geht. Schließlich muss jeder von irgendetwas leben. Und dann doch vielleicht lieber von Musik, hinter der man selbst gar nicht steht, als von Hartz IV. Und auch wenn man diese Entscheidung nachvollziehen und respektieren kann, wird man als „Musikkonsument“ dadurch glücklicherweise noch lange nicht gezwungen, einer Band die Treue zu halten.

orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 13 Jahre

@Marcus
Nicht zu vergessen, die ganzen Nebenbaustellen, die ohne ordentliches Label selber übernommen werden müssen: Werbung, Produktion, Booking, Webseite usw. Das kostet auch alles Zeit und Nerven.

Aber ich stimme zu: Es bleibt beim Musikkonsument nur ein Gedanke, wenn die Independent Band in den Mainstream rutscht: Mist, schon wieder eine gute Band weniger.

Madame Mel
Madame Mel (@guest_10457)
Vor 13 Jahre

Hand auf´s Herz: In welchem Lebensbereich muss man keine Kompromisse schließen? Ich sehe dies genauso wie Marcus, der Künstler allein kann nicht von Luft und Liebe leben (oder er wandert nach Indien aus, um Asket zu werden).

Edle Gesinnung hin oder her, aber welcher Künstler, welcher Autor, sähe es nicht gerne, seine Ideen – ja; seinen Idealismus – einem breiten Publikum vorzustellen. So ist Anerkennung und letztendlich auch der Absatz seines Produkts zugegebenerweise zuerst eine „Bauchpinselei der Seele“, aber bei dem schönen Nebeneffekt „Geld einfahren“ sagt schließlich niemand Nein! Man kann deshalb niemanden verteufeln, aber für sich selbst die entsprechende Konsequenz schließen.

Authentizität ist immer noch das prinzipielle Zauberwort. Trotz Kommerzialisierung sollte man sich selbst treu bleiben, alles andere wirkt unglaubwürdig – und das merkt letztendlich nicht nur der Konsument sondern auch das persönliches Umfeld.

Bis zur Apokalypse wird es sicherlich noch ein Weilchen dauern; bis dahin werden sich immer wieder neue Jugendkulturen formatieren, die sich mit ihren Attitüden und ihrer Optik von anderen unterscheiden wollen. Auch das ist einer der fundamentalen Eigenschaften des Menschen, Gleiches zieht Gleiches an.

orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 13 Jahre

@ Robert Nur wegen dir habe ich mir jetzt „Mein Stern“ angetan. :-) Er singt von einem Kind, oder? Wenn er nicht immer so furchtbar theatralisch intonieren würde, wäre es ja ganz nett. So schüttelt es mich nur – brr – trotz des Textes, den ich nachvollziehen kann.

Ansonsten: Ich bin mir nicht sicher, ob man immer so frei entscheidet bei Künstlern. Ich finde beispielsweise, dass Robbie Williams ein großartiger Sänger ist und Songs/Videos wie „Sexed up“ sind genial. Aber ich kann mich nicht mit ihm identifizieren. Deshalb ist er mir nicht wichtig. Andere Künstler aus der Szene hingegen gehören zu „meiner Welt“. Ich weiß nicht, ob das noch so wäre, wenn sie – wie der Graf – in Mainstream-Frauenmagazinen auftauchen würden. Die Musik wäre die selbe, das Gefühl dazu ein anderes…

orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 13 Jahre

Mich hat mal irgendwer gefragt, warum mir das immer so wichtig sei, welcher Künstler hinter der Musik steht. Warum ich mir Interviews mit den Bands durchlese und auch Nebenprojekte interessiert verfolge, die ich unter Umständen gar nicht so toll finde. Und warum ich Künstler uninteressant finde, deren Musik ich mag, deren Lebenseinstellung oder Aussagen in Interviews ich aber nicht nachvollziehen kann. Musik sei doch Musik und würde alleine wirken. Ich konnte es nicht richtig widerlegen, glaube aber, dass es nicht stimmt.

Ein Erklärungsversuch: Musik – und damit meine ich nicht nur die Texte – ist Ausdruck der Persönlichkeit des Musikers. Der Musiker nimmt dich mit auf seine Reise. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass der Songtext oder die Musik zu dem Stück nicht von diesem Musiker stammt (oder von der Band als Ganzes), wird diese Reise für mich uninteressant, weil sie ein „kommerzielles Produkt“ ist und keine persönliche Einladung. Und wenn der Künstler aus irgendeinem Grund nicht auf „meiner Wellenlänge“ schwimmt, dann mag ich ihm nicht folgen. Dann höre ich bloß zu und finde es gut oder schlecht – wie bei Robbie Williams.Was bei dir Martin Gore ist, ist bei mir Peter Spilles – ich mag ihn, ich mag seine Gedanken und seine Energie, seine Weltanschauung und natürlich auch die Musik (den Punkt darf man nicht ganz vernachlässigen). Selbst Songs und Texte, die ich nicht so toll finde, betrachte ich aufmerksam. Ist mir auch völlig egal, ob Robbie besser singen kann.

Um den Dreh zurück zu bekommen: Ich glaube, man nimmt es einem lieb gewonnen Künstler sehr übel, wenn er durch Eintritt in den Mainstream, durch Knebelverträge und Druck von außen die persönlichen Reisen durch „kommerzielle Produkte“ ersetzt. Selbst wenn er das nicht macht und sich irgendwie treu bleibt, nimmt man ihm das nicht mehr ab. Ich hoffe, das war jetzt nicht zu blumig erklärt. ;-)

Marcus
Marcus (@guest_10467)
Vor 13 Jahre

 Orphi: Ähnlich sehe ich das auch. Die Handlungen der Künstler können die Empfindungen hinsichtlich der Musik ändern – ganz unabhängig davon, ob sich die Musik selbst geändert hat. Dies beschränkt sich natürlich nicht nur auf den kommerziellen Aspekt. Vor Jahren habe ich einmal erlebt, wie bei einem Konzert ein Sänger ins Publikum gespuckt hat. Danach hatte ich beim Anhören der Musik komplett andere Empfindungen. Für mich war dadurch das Thema erst einmal erledigt. Ich möchte die Auftritte von Unheilig bei Carmen Nebel und ähnlichen TV-Sendungen nicht auf die gleiche Stufe mit einer Spuckattacke stellen, doch auch dies ändert wohl bei dem einen oder anderen Hörer die grundsätzlichen Gefühle.

@Robert: So gesehen hast Du natürlich recht. Die Plattenlabels sind der Haupteinflussfaktor. Und ob diese immer wissen, was die Fans wirklich wollen, ist natürlich dahingestellt. Letztendlich ist es der Musikindustrie sicherlich auch vollkommen egal, ob man die alten Fans zufrieden stellt, sofern man durch die Einflussnahme auf den Künstler eine neue und vor allen Dingen größere Hörerschaft ansprechen kann.

Grundsätzlich ist es wohl begrüßenswert, wenn eine Band ihr eigenes Label betreibt und dadurch gewisse Freiheiten hat. Unterm Strich muss aber auch diese Band einen Gewinn erwirtschaften, um davon leben zu können. Bei manchen scheint dieser Balanceakt aber recht gut zu funktionieren. Spontan fällt mir „New Model Army“ ein, die ich mir am Sonntag mal wieder live ansehen werde :-)

Letztendlich muss jeder Künstler für sich entscheiden, wo seine Grenzen liegen und welche Kompromisse er eingehen möchte. Aber es ist sicherlich nicht leicht, seinen Prinzipien treu zu bleiben, wenn einem einen Vertrag unter die Nase gehalten wird, der einen gewissen Verdienst garantiert, aber zugleich die eigene Handlungsfreiheit einschränkt.

orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 13 Jahre

Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel. Ich finde Andrew Eldritch ein wenig…eigentlich sehr… na ja … die Musik fängt mich trotzdem ein. Und andersrum: Ich mag Bela B. als Person sehr gerne. Die Soloalben kann ich mir aber bei aller (Jugend-)Liebe nicht antun. Ist vielleicht doch komplizierter das Ganze… ;-)

@Marcus
Geb ich dir völlig Recht. Wenn der Spilles ins Publikum spucken würde, würde ich die CDs nach ganz unten in den Stapel legen. Hat ja auch was mit der Persönlichkeit des Künstlers zu tun.

Madame Mel
Madame Mel (@guest_10469)
Vor 13 Jahre

Es ist doch immer wieder ein gutes Gefühl, auf Menschen zu treffen, die die Medaille ebenfalls von zwei Seiten betrachten und ihre eigenen Rückschlüsse ziehen. Dem Geschriebenen kann ich, ohne eine Redundanz hervorzubringen, nichts mehr hinzufügen.

Die Thematik der Hinterfragung könnte man jetzt ins Unendliche weiterführen; diese hört schließlich nicht im Musikbereich auf, es geht weiter in Richtung Kunst, Literatur, Wissenschaft, Wirtschaft & Politik bis hin zur Religion (sollte ich noch etwas außer Acht gelassen haben, möge mir verziehen werden).

Wir hören, was wir mögen und es wäre jammerschade, wenn so manche Band einem großen Publikum verwährt bliebe.

Also „Lebe jetzt den Augenblick“ und „Enjoy the silence“.

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