WGT 2010 – Vom Mythos des Unpolitischen in der Gothic-Szene

Im vergangenen Jahr wurde in der Gothic-Szene sehr intensiv darüber diskutiert, in welchem Umfang Symbole und Inhalte des Rechtsextremismus tolerierbar sind. Dass diese Diskussion immer noch stattfindet, liegt auch daran, dass der Produktanbieter „Verlag und Agentur Werner Symanek“ (VAWS) auch in diesem Jahr an Pfingsten die Möglichkeit hatte, rechtsextreme Waren auf dem “Wave-Gotik-Treffen“ (WGT) in Leipzig zu verkaufen. Dem Veranstalter des WGTs, der “Treffen & Festspielgesellschaft für Mitteldeutschland mbH“, scheint es offensichtlich weiterhin gleichgültig zu sein, dass die Präsenz des VAWS-Verkaufsstands auf dem WGT von vielen Anhängern der Gothic-Szene abgelehnt wird.

Das WGT gilt weltweit als das wichtigste Festival der schwarzromantischen Musikszene. Doch leider scheint der Veranstalter nur bedingt den Aufgaben gewachsen zu sein, die bei der Durchführung eines solchen Festivals anfallen. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass der Händler VAWS bereits zum wiederholten Mal seine zum Teil rechtsextremen Artikel auf dem WGT feilbieten konnte. Vielmehr lässt auch die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Veranstalters zu wünschen übrig: Als es im vergangenen Jahr nicht nur wegen der Duldung des VAWS-Verkaufsstands, sondern auch wegen der Verwendung eines rechtsextremen Symbols auf einer der beiden Eintrittskarten Kritik hagelte, blieben viele kritische Anfragen von Bands und anderen Szene-Aktivisten unbeantwortet.

So wurden beispielsweise alle Anfragen der Macher des Gothic-Webportals „LabelLos.de“ von den Organisatoren des WGTs ignoriert. „LabelLos.de“ hat sich zu einer zentralen Anlaufstelle derjenigen Szene-Aktivisten entwickelt, die an einer konsequenten, aber auch konstruktiven Kritik des WGT-Veranstalters Interesse haben. Als der Veranstalter des WGTs im vergangenen Jahr in seinem Internetforum die Diskussion zum Thema Rechtsextremismus unterdrücken wollte und dabei auch nicht vor der kompletten Löschung ganzer Diskursrubriken zurückschreckte, waren viele Nutzer des WGT-Forums zu „LabelLos.de“ gewechselt, weil hier noch eine freie Diskussion zum Thema möglich war. Seitdem wird im Forum des Webportals unter der Rubrik „WGT, die Politik und das Verbot der freien Meinung!“ ausgelotet, wie es den kritischen Kräften der Gothic-Szene gelingen könnte, die politischen Missstände des WGTs zu beseitigen.

Leipziger Oberbürgermeister kritisiert das Verhalten des WGT-Veranstalters

Ein Schritt in die richtige Richtung dürfte es gewesen sein, dass ein Mitglied des Diskussionsforums von „LabelLos.de“ angeblich eine E-Mail an den Leipziger Oberbürgermeister geschrieben hat, in der die politischen Missstände des letztjährigen WGTs thematisiert werden. Denn allem Anschein nach antwortete der Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, Burkhard Jung, der Aktivistin mit einem Schreiben, in dem die politischen Unzulänglichkeiten des WGTs offensichtlich ernst genommen werden. Das Schreiben des Stadtoberhaupts, das am 11. Januar dieses Jahres im Forum von „LabelLos.de“ in Form einer glaubwürdig wirkenden Abschrift veröffentlicht wurde, beginnt mit einer eindeutigen Kritik am ignoranten Verhalten des WGT-Veranstalters: „Zunächst bedaure ich, daß die Treffen- und Festspielgesellschaft zu der von Ihnen dargestellten Problematik zu keiner Stellungnahme bereit war. Hier wäre ein klares Bekenntnis des Veranstalters gegenüber den Besuchern angezeigt gewesen, da es im besonderen Interesse des Veranstalter (sic!) sein müsste, das international beachtete Wave-Gotik-Treffen von jedem Zweifel an seiner Seriosität freizuhalten.

Zudem scheint der Oberbürgermeister der Stadt Leipzig im Gegensatz zum Veranstalter des WGTs gewillt zu sein, historisches Fachwissen zu berücksichtigen, um zu einer Einschätzung des rechtsextremen Symbols zu gelangen, das im vergangenen Jahr auf einer der beiden Eintrittskarten Platz fand: „In Fachkreisen wird diskutiert, ob und welche Ursprünge speziell auch das von Ihnen abgebildete Symbol in der älteren Geschichte hat, aber bei der Herkunft auf der ‚Obsorgekarte‘ dargestellten Version handelt es sich zweifelsfrei um eine spezielle, charakteristische Darstellung mit 12 Siegrunen, die zum ersten Mal in der von Heinrich Himmler dahingehend umgebauten Wewelsburg auftauchte.

Brisant wirkende Information zur Händlerliste des Jahres 2009

Besonders interessant werden die Ausführungen des Oberbürgermeisters, wenn er auf die Präsenz des Händlers VAWS auf dem WGT zu sprechen kommt: „In der dem Ordnungsamt vorliegenden Händlerliste anlässlich des Wave-Gotik-Festivals (sic!) 2009 ist der Verlag Werner Symanek durch den Veranstalter nicht aufgeführt gewesen. Aus diesem Grund konnte eine Überprüfung und Bewertung des Verlages durch das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen nicht erfolgen.“ Natürlich kann man darüber spekulieren, was es damit auf sich haben könnte, dass der Veranstalter darauf verzichtete, auf seiner Händlerliste den Produktanbieter VAWS zu führen – obwohl dieser zweifelsfrei auch im Jahr 2009 mit einem Verkaufsstand auf dem WGT vertreten war. Gleichwohl ist festzuhalten: Der derzeitige Kenntnisstand rechtfertigt es meines Erachtens (noch) nicht, zwangsläufig davon auszugehen, dass irgendwelche finsteren Absichten bzw. eine bewusste Kumpanei mit Rechtsextremen hinter dem betreffenden Verhalten des Veranstalters stecken muss. So ist es auch möglich, dass es sich dabei schlichtweg um eine (weitere) Schlamperei handelt. Wie dem auch sei: Die Information zur Händlerliste des Jahres 2009 wirkt gerade im Zusammenspiel mit den anderen Missständen des letztjährigen WGTs brisant.

Gegen Ende des Schreibens weist das Stadtoberhaupt von Leipzig noch darauf hin, dass Werner Symanek „für Druck und Vertrieb der rechtsextremistischen Zeitschrift ‘Unabhängige Nachrichten‘ verantwortlich sein“ soll. Hierzu würde freilich passen, dass Symanek seit Jahren mit seinem Verlag die Waren des rechtsextremen Musikprojekts „Von Thronstahl“ (VT), für das der Antidemokrat Josef Klumb verantwortlich ist, auf dem WGT feilbietet.

Am Ende des Schreibens äußert sich der Oberbürgermeister zum zukünftigen Verhalten der Stadt Leipzig im Fall von weiteren rechtsextremen Auffälligkeiten des WGTs: „Mit Blick auf die sich in Vorbereitung befindliche Verantaltung (sic!) Wave-Gotik-Festival (sic!) 2010 kann ich Ihnen jedoch versichern, dass die im Vorfeld zu beteiligenden Behörden diesbezüglich sensibilisiert sind und schon im Anschein von strafbaren Handlungen unverzüglich entsprechende Maßnahmen einleiten werden.“

Angesichts des Gesamteindrucks des Briefs wirkt es durchaus glaubwürdig, wenn der Oberbürgermeister der Stadt Leipzig bekundet, dass er auch in Zukunft nicht gewillt ist, die politischen Unzulänglichkeiten des Veranstalters des WGTs auf die leichte Schulter zu nehmen. Dass der Händler VAWS dennoch erneut auf dem WGT 2010 vertreten war, dürfte indes auch daran liegen: Tatsächlich kann der WGT-Veranstalter kaum mit strafrechtlichen Mitteln dazu gebracht werden, dass er den besagten Verlag vor die Tür setzt. Denn schließlich handelt es sich weder bei diesem Verlag noch beim Musikprojekt VT um politische Phänomene, die – rein juristisch gesehen – verboten sind.

Ein besserer politischer Stil des WGT-Veranstalters wäre vonnöten

Es wird deutlich: Wenn der Veranstalter des WGTs darauf verzichten würde, seine Verkaufsflächen dem Händler VAWS zur Verfügung zu stellen, wäre dies vor allem ein freiwilliges Zeichen eines guten politischen Stils. Und zum finanziellen Aspekt eines solchen Zeichens: Die Beendigung dieser Geschäftsbeziehung – man darf ja noch wohlwollend davon ausgehen, dass es sich allein um eine solche handelt – dürfte sich der WGT-Veranstalter leisten können. Schließlich ist kaum anzunehmen, dass das wirtschaftliche Wohl des Veranstalters von der Standgebühr eines einzigen Verlages abhängt.

Doch da der Veranstalter bislang bei Fragen der politischen Kultur nicht gerade durch Sachverstand, sondern eher durch mangelndes Fingerspitzengefühl aufgefallen ist, erscheint es zumindest fraglich, ob es in Zukunft wirklich zu einer Beendigung der kritisierten Geschäftsbeziehung kommen wird. So ist der Veranstalter auch im Vorfeld des diesjährigen WGTs durch unqualifizierte politische Äußerungen aufgefallen. Zum Beispiel veröffentlichte das Gothic-Webportal „pentanox.eu“ vor dem WGT 2010 ein Interview mit dem Veranstalter. Dabei nimmt das Webportal auch auf die politischen Missstände des letztjährigen WGTs Bezug und schlägt vor: „Eine einzige klare Ansage aller Verantwortlichen wie ‘wir wollen keine Rechtsextremen auf dem WGT‘ würde doch sicherlich endlich allen Spekulationen ein Ende setzen.“ Anstatt ohne Umschweife den konstruktiven Vorschlag des Webportals anzunehmen, beschwört der Veranstalter lieber trotzig den Mythos eines angeblich unpolitischen WGTs: „Klare Ansage von uns ist: Wir wollen keine Politik beim WGT, in welcher Richtung auch immer.

WGT-Veranstalter pflegt den Mythos eines unpolitischen Festivals

Darüber hinaus wurde am 15. April dieses Jahres in der “Leipziger Internet Zeitung“ (L-IZ.de) ein Interview veröffentlicht, in dem der Pressesprecher des WGTs, Cornelius Brach, in realitätsferner Manier den vermeintlich gänzlich unpolitischen Charakter des Festivalgeschehens betont. Beispielsweise versteigt er sich zu dem Standpunkt, dass Bands angeblich nur dann auf dem WGT auftreten dürfen, wenn sichergestellt sei, dass sie mit ihrer Musik keine explizite politische Botschaft verbreiten. In diesem Zusammenhang heißt es: „wir gucken genau darauf, dass keine politschen (sic!) Aussagen vermittelt werden, in welcher Richtung auch immer.

Der Pressesprecher scheint nicht in der Lage zu sein, zu erkennen, dass es gar nicht darum geht, ob überhaupt Politik auf dem WGT stattfindet. Vielmehr ist es die Frage, welche politische Kultur auf dem WGT durch den Veranstalter gepflegt werden sollte. Und dass dies ausschließlich eine demokratische politische Kultur sein sollte, müsste eigentlich klar sein. Aber solange der Veranstalter – mehr oder weniger glaubwürdig – annimmt, dass es sich beim WGT um eine politikfreie Insel der Seligen handelt, ist natürlich kaum mit Besserung zu rechnen.

Nach dem diesjährigen WGT wurde im Internet-Forum des Festivals wieder über das Problem des Rechtsextremismus in der Gothic-Szene diskutiert. Unter der Rubrik „Rechte raus“ wurde auch erneut gefordert, dass der Produktanbieter VAWS in Zukunft vom WGT ausgeschlossen werden sollte. Wahrscheinlich ist es zu optimistisch gedacht, dass schon die Tatsache, dass die Diskussion bislang nur für 48 Stunden unterdrückt wurde, das Ende des VAWS-Verkaufsstands auf dem WGT einläuten könnte.

Dieser Artikel wurde erstmals auf dem inzwischen geschlossenen Portal redok am 26.06.2010 unter der Rubrik „Rechtsextremisten / Braune Waren“ veröffentlicht.

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