Urlaubsziel Leipzig: Besuchen sie unser Kuriositätenkabinett zu Pfingsten!

Das ältere Ehepaar steht fasziniert am Rand der weitläufigen Wiese und staunt. Überall sitzen Leute herum, die wie Adelige aus dem 19. Jahrhundert aussehen, andere haben merkwürdige Maschinen auf dem Rücken geschnallt und an ihren Armen sind metallische Teile befestigt. Sie trinken Wein, essen Weintrauben und rauchen Zigaretten mit Spitze. „Mach mal schnell ein Foto!“ zischt Hildegard ihren Ehemann an. Hermann nestelt an der Kamerahülle, die um seinen Hals hängt, herum, entfernt hastig den Schutzdeckel und schiebt seine Brille auf die Stirn. Gerade als er die Dame im Reifrock, die sich in ihrem Korsett kaum bewegen kann, beim Kuchen essen knipsen will, läuft ein Pferd durchs Bild. Es ist kein echtes Pferd, sondern ein Mensch der komplett in Gummi gehüllt ist, einen Pferdekopf aus Kunststoff trägt und an einem Halsband eine ebenfalls in Gummi gehüllte Frau hinter sich herzieht, die auf der Wiese sichtbare Schwierigkeiten damit hat, ihre Absätze nicht zum vertikutieren des Rasens zu verwenden. Zack! Hermann bewundert seinen Fang auf dem kleinen Monitor. Stolz zeigt er das Bild von dem Pferdepärchen seiner Frau: „Guck mal, ist schön geworden, oder?

Das Pferd, die vermeintliche Reiterin, die Dame im Reifrock und die Leute mit den Maschinen auf dem Rücken sind Teil von Leipzigs Kuriositätenkabinett, das jährlich zu Pfingsten im Clara-Zetkin-Park stattfindet und von dem die beiden aus dem Leipziger Amtsblatt erfahren haben. Sie sind wahrlich nicht die einzigen Schaulustigen, die sich an diesem Freitag dort versammelt haben. Die Wiese ist umringt von Menschen, es müssen hunderte sein. Die meisten haben eine Kamera dabei, ihre Familie im Schlepptau und schlecken selbstzufrieden ein Eis. Das viktorianische Picknick ist mittlerweile fester Bestandteil von Reiseführern und Leipzig-Guides und eines der „Höhepunkte“ des Festivals, wie das Amtsblatt verspricht.

Konsum, Kommerz und Kritik!

Ich bin gespannt, wann die ersten Kommentare auf Facebook altklug resümieren: „Kommerz ist doch nichts neues!“ , „Jedes Jahr dasselbe Gemecker“ oder „Dann geh doch nicht hin!“ vielleicht auch noch „Karneval ist das WGT schon seit Jahren!“ Zu früh gebrüllt, ihr Löwen. Es geht nicht um Konsum, denn wir sind alle Konsumenten, Kommerz ist ein unausweichlicher Teil jeder Großveranstaltung und Subkultur geworden und die Kritik richtet sich nicht gegen das Wave-Gotik-Treffen und ihre Macher. Die haben dieses Jahr sogar fast vollständig auf unterschwellige Botschaften und kryptische Symbolik verzichtet. Und natürlich habe ich die kleine Geschichte in der Einleitung überspitzt erzählt.

Ich möchte gerne verstehen. Ich möchte gerne begreifen, was Menschen dazu bewegt sich auch 2017 in diesen Kessel der Schaulustigen zu begeben. Die ursprüngliche Idee von einem Treffen der Leute, die sich ihr WGT-Gefühl schneidern, basteln, bauen und kreieren, die ihrem Nostalgiegefühl Ausdruck verleihen und sich mit ihresgleichen treffen, um sich auszutauschen, scheint doch längst verloren gegangen zu sein. Das haben die ursprünglich Initiatoren bereits vor einiger Zeit festgestellt:

Eigentlich stand das Ritual Anfang des Jahres noch auf der Kippe: Die Ideengeber Dirk und Viona wollten das Viktorianische Frühstück 2015 nicht mehr einplanen. Beim vergangenen Mal sei es derart ausgeartet, erzählt WGT-Sprecher Cornelius Brach: Die kostümierten Picknicker wurden fast schon schamlos in unvorteilhaften Situationen während des Trinkens und Essens abgelichtet – auch von Hobbyfotografen und Passanten. „Paparazzis standen teilweise zwischen den Decken, auf dem Gras und waren ständig mit Knipsen beschäftigt“, erinnert er sich. (Quelle: LVZ Online vom 22. Mai 2015)

Man wich auf andere Örtlichkeiten aus und versuchte, sich etwas von dem Wir-Gefühl zurückzuholen. Ist es den WGT-Machern vorzuwerfen, das man das Treffen unter eigener Regie weitergeführt hat? Tatsache bleibt, dass das viktorianische Picknick trotz seiner Alternative „Victorian Village“ (die in diesem Jahr leider ausbleibt) an Popularität zugenommen hat und die Anzahl der Schaulustigen und der Bestaunten stetig zu steigen scheint. Aber warum nur? Wo ist die Abgrenzung geblieben, wo die Introvertierten, wo sind die geblieben, die tatsächlich versuchten etwas aus ihrem facettenreichen Innersten etwas nach außen zu spiegel und sich mit Gleichgesinnten zu treffen?

Am kommenden Pfingstfreitag, wenn ich ihn dann mal so nennen darf, wird wieder gefällig in die Kameras gelächelt, in Mikrofone gesprochen, zurechtgerückt und in Pose gesetzt. Hier und da galoppiert ein Fetisch-Pferd über die Wiese, oder ein maskierter im Kampfanzug schwingt seine Spielzeugwaffen. Orks gruppieren sich grimmig für die Fotografen und Vampire zeigen bereitwillig ihre spitzen Zähne.

Für mich wirkt das alles wie eine gut inszenierte Freak-Show für Leipzig-Touristen. Es wird ja auch fleißig damit geworben, dass man hier auch ohne Eintritt zu bezahlen vorbeikommen kann und eine gut gemeinte Etikette, an die sich Besucher bitte halten sollen, scheint es nicht zu geben. Und wenn es sie geben sollte, wird sie ignoriert, wenn man sie dann überhaupt finden kann. Was ist es, dass die Teilnehmer am Viktorianischen Picknick dazu bewegt, bereitwillig vor jeder Linse zu posieren? Was hält die Leute auf der überfüllten Wiese, wo einem die Fotografen auf der Suche nach dem besten Bildausschnitt auf der Picknickdecke rumtrampeln? Schließlich gehen die Besucher des viktorianischen Picknicks freiwillig dorthin. An anderen Plätzen der Stadt scheint das Aufeinandertreffen von Besuchern des Wave-Gotik-Treffens und Schaulustigen unvermeidlicher, so wie die Belagerung der Moritzbastei oder das Spalier der Fotografen vor dem Agra-Gelände. Da heißt es dann: Augen zu und durch.

Schwarze Facetten der Szene sind vielfältig, aber nicht beliebig

Hereinspaziert!“ ruft der Zirkusdirektor im Clara-Zetkin-Park den Besuchern entgegen. „Staunen sie über die Gruftis, bewundern sie prunkvolle Adelige aus dem 19. Jahrhundert, die von schwarz gekleideten Männern in Kampfanzügen bewacht werden! Blicken sie in das Antlitz waschechter Vampire, die nach Blut dürsten und ihre Zähne zum Biss bereithalten. Trotzen sie dem Mündungsfeuer von Dampf betriebenen Maschinen und entkommen sie den Fängen mechanischer Arme. Vielleicht wagen sie auch einen waghalsigen Ritt auf einem unserer abwaschbaren Gummi-Pferde? Trauen sie sich! Kommen sie näher! Hereinspaziert!“

Viktorianische Picknick - Eine Wunschvorstellung
Das Szene-Leben ist vielfältig, aber eben nicht beliebig. Schöne Momente wie dieser, gehen im Gedränge der Schaulustigen und dem Andrang der Fotografen leider verloren.

Man verstehe mich nicht falsch. Wie man sein ästhetisches Empfinden für die Gothic-Szene äußerlich auslebt, bleibt jedem selbst überlassen. Morbid, düster, melancholisch, edel, schwarz. Es gibt viele Formen das auszudrücken, was die Szene ausmacht. Und bevor die Frage aufkeimt, nein, Fetisch-Pferde, Orks, Wasserelfen, menschliche Kampfroboter, Lolitas im lachsfarbenen Kleidchen, Latex-Krankenschwester, nackte Hintern unter durchsichtigen Reifröcken, Soldaten jedes erdenklichen Krieges, Adelige und ihre Zofen, mittelalterliche Minnesänger oder Mägde, Ritter, Knappen und Wikinger sowie blutüberströmte Zombies und offene Fleischwunden gehören für mich nicht dazu. Bin ich jetzt intolerant?

Für viele, mit denen ich in den letzten Jahren Interviews geführt habe, oder die ich für das Pfingstgeflüster befragen durfte, ist das, was sie tragen und wie sie sich zurechtmachen, ein Stück von sich selbst. Sie sagen, es ist eine Facette ihres Inneren, etwas, um sich selbst auszudrücken, sich wohlzufühlen, sich auszuleben. Ich verstehe nur nicht, warum man dann mit seinem „Innersten“ so inflationär umgeht? Warum man es jedem bereitwillig hinhält, wohlweislich in irgendeinem Familienalbum zu landen, in einer völlig szenefremden Zeitschrift oder auf einer völlig zusammenhanglosen Internetseite zu erscheinen. Mir selbst wäre das dann doch irgendwie zu wertvoll.

Und wenn das alles mit dem Innersten nichts zu tun hätte, wenn es nicht darum gehen würde etwas von sich selbst zu zeigen oder auszuleben, wäre es Karneval. Ich kenne mich mit Karnevalisten aus, wohne ich doch seit über 40 Jahren im Rheinland. Hier verkleidet man sich, um einmal im Jahr was anderes zu sein, als man selbst ist. Genau dieses Gefühl beschleicht mich, wenn ich die Bilder von Picknick betrachte, die Videoaufnahmen anschaue und dabei in manche Gesichter der Menschen blicke. Die haben doch im Grunde nichts mit der Szene zu tun und suchen so das Fünkchen Aufmerksamkeit in ihrem sonst so langweiligen und angepassten Leben. Die wollen mal für ein paar Tage in eine andere Rolle schlüpfen oder eine dunkle Phantasie ausleben, während sie im Alltag peinlichst darauf bedacht sind, nirgendwo anzuecken. Weder Äußerlich, noch moralisch. Und so kommt es dann, dass die Urlauber in Leipzig neben dem Stadtfest 2017 auch noch ein kostenloses Kuriositätenkabinett präsentiert bekommen bei dem sie wiederum andere Urlauber bestaunen, die den Mut aufbrachten, den Karneval in Leipzig zu etablieren.

Das Wave-Gotik-Treffen ist und bleibt eine einzigartige und großartige Veranstaltung, das einmal im Jahr die Macht hat, tausende Gruftis aus aller Welt anzulocken und auch in Sachen Musik, Veranstaltungen, Kunst und Kultur mehr zu bieten hat als alles, was man sonst noch besuchen könnte. Das es ein Stück weit kommerziell und populär geworden ist, ändert nichts an seiner Einzigartigkeit. Für mich und sicherlich viele andere, bleibt es das absolute Jahresereignis. Und das gilt es schützen, vor den Urlaubern auf und am Rand der Wiese. Sucht euch neue Wiesen! Organisiert selbst eine Kleinigkeit! Und haltet nicht jedem Fotografen eure Nase in die Linse, da darf man auch gerne mal weitergehen. Nur zu meckern und tatenlos zu Hause zu bleiben, ist keine brauchbare Option.

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Isabelle
Isabelle (@guest_55234)
Vor 7 Jahre

GANZ GENAU SO! Sie alle gehören nicht dazu, so oft sie das auch beschwören, gebetsmühlenartig wiederholen, mit Schaum vorm Mund hinausschreieen, sich in die Szene hineinfantasieren, das Bunte beschwören und erzählen, dass es ja früher alles noch viel bunter war (nein, war es nicht!) und vom Verändern der Szene faseln. Es bleibt dabei – sie gehören nicht dazu :D

Darcy
Darcy (@guest_55235)
Vor 7 Jahre

Ja was soll man da noch hinzufügen?

Amen und Danke…

Leider bin ich nicht so wortgewand wie du, aber du sprichst mir aus vollster Seele. Auch wenn ich für einige (zum Glück wenige), die das erste WGT schon mitgemacht haben, aufgrund meines Alters schon nicht mehr zur „richtigen“ Szene gehörne kann. So empfinde ich doch genau so.

Jenly
Jenly (@guest_55237)
Vor 7 Jahre

Ach Robert, du hast ein Nerven getroffen! Ja wohl!

Ich war die erste zwei Jahre beim viktorianischen Picknick, als es noch hinten der Agra, vorm Parkschlosschen war. Dort war es klein und schön, ohne Touristen, ohne Fotografen. Sofort als das Picknick zum Clara Zetkin Park umgezogen ist fing der Zirkus an.

Ich gehe einfach selber nicht mehr zum „Victorian Picnic“, das fast gar nichts mehr mit viktorianisches, und noch weniger mit Gothic/Gotik zu tun hat.

Ich finde es irgendwie schade, dass ein Großteil die Medienfotos, die WGT repräsentieren, sind beim Picknick gemacht. Das Picknick ist nur ein paar Stunden von vier Tage, wo nur ein kleines Teil von den 20.000 Besuchern gehen.

Isidor
Isidor (@guest_55238)
Vor 7 Jahre

Robert, du sprichst mir aus der Seele, allerdings glaube ich, dass bereits ein Umdenken stattfindet. Immer mehr Grufts meiden die Foto-Hotspots und verzichten auf auffällige Outfits um ihre Ruhe zu haben. Auch viele Fotografen sind gelangweilt von Karnevalisten in seelenlosen „Kostümen“ (ich hasse das Wort).

Was Darcys Kommentar anbelangt, es ist keine Frage des Alters ob jemand zur Szene gehört, es ist eine Frage der Geisteshaltung und wer vor jede Kamera hüpft hat diese Geisteshaltung definitiv nicht.

Zinsman
Zinsman (@guest_55239)
Vor 7 Jahre

Ich muss das mal anders formulieren … eigentlich blende ich weitesgehend alles was zur Betrachterfraktion gehört mit wachsendem Erfolg aus und konzentriere mich aufs Wesentliche … dies besteht für mich eben genau darin, mir aus dem reichhaltigen Angebot mein kulturell ansprechendes, treffentechnisch wertvolles und vergnügungsmäßig kurzweiliges WGT zusammenzubasteln. Ich genieße es nicht auf einem Festivalgelände eingepfercht zu sein und das Leipzig meiner Wahl immer wieder neu zu erkunden. Das Leute treffen überlasse ich teils dem Zufall und andernteils wird es geplant. Und ja, ich gehe nicht hin zum Victorianischen Frühstück … reizt mich Null. Ich verurteile keinen, der hingeht … aber es ist halt ein öffentlicher Park und heutzutage wird alles geknipst und gefilmt, was sich irgendwie veryoutuben läßt und Klicks bringen könnte, egal ob Verkehrsunfall oder victorianisches Kleid … von daher bleib ich lieber einigermaßen unauffällig und hab meinen Spaß mit Gespräch, Musik und Text und weiterer Kultur… ein wenig darf ich auch noch selbst dazu beitragen … was will man mehr :)

Mischa
Mischa (@guest_55240)
Vor 7 Jahre

Stimmt! Mit Goth hat das alles nichts (mehr) zu tun. An 361 Tagen ist uns doch auch egal, was der Rest der Gesellschaft über Goth denkt oder meint zu wissen. Lasst es 365 Tage sein und lasst alle für sich selbst vertreten, was sind oder sein wollen. Wo es mir nicht gefällt, bleibe ich nicht. Wer sich exhibitioniert, soll es tun. Meins ist das sicher auch nicht.
Es sind so viele tolle und interessante Menschen an diesem Wochenende vereint (nicht nur Goth) und die machen die Atmosphäre, das WGT aus; Karnevalisten und Pferde etc. meine ich damit aber sicher nicht :-)

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Vor 7 Jahre

Grins, ich hab heute einige Zeit damit verbracht, mir WGT-Fotos der letzten Jahre anzusehen. Und was muss ich sagen? ich hatte auch den Gedanken, dass fast ausschließlich beim Viktorianischen Picknick fotografiert wurde – zumindest das, was dann in den Medien im Internet landet. Typische Feld-Wald-und-Wiesen-Gruftis interessieren halt kaum jemanden geschweige denn die meisten Fotografen.
Ich werde, wie sonst auch wenn ich schwarz ausgehe, eher bewusst oldschool-schwarz tragen, sehr 80er-/frühe90er-Style, da hab ich bestimmt meine Ruhe vor den Paparazzi. Und wenn jemand doch um ein Foto bitten sollte, dann bin ich wohl eher (positiv) überrascht, dass ich unter all den schrägen Karnevalisten wahrgenomme werde. Dann ist das auch okay, aber ich lege es nun wirklich nicht drauf an.
Ich hab vorhin jedenfalls mal bewusst nach Fotos von WGT-Besuchern im Netz gesucht, die eher typisch gruftig ausschauen, ohne groß aufgesetztes Bimbamborium. Wie zu erwarten findet man kaum solche Bilder. Entweder ganz schräge Vögel, historisch anmutende Kostüme oder brave Bürger die mal eben für’s WGT ein beliebig schwarzes Teil übergezogen haben und so posieren, als wären sie ein Teil des ganzen. Letztesres ist ja schon fast wieder niedlich, wenn Oma und Opa oder Lieschen Müller sich verkleiden. Aber ich finde schon, dass das ganze Karnevals-Feeling echt nicht sein muss. Das war auch ein wichtiger Grund für mich, jahrelang das WGT zu meiden. Okay, diesmal bin ich bewusst als Oldschool-Grufti da und freue mich, auch ein paar ebensolche zu treffen, spätestens am Montagnachmittag ;-)

KlausA
KlausA (@guest_55242)
Vor 7 Jahre

Irgendwie ist es doch typisch, sowohl für die Szene, als auch für die post-industrielle/post-moderne Gesellschaft (Ja, ich weiß, dass das jetzt schon linksintellektuelles Großkotzgeschwätz ist):
Bewusst oder nicht in gerade diesen paar Stunden treffen Voyeurismus und Objektgier von Schaulustigen und (Hobby)-Fotojägern auf Geltungssucht und Eitelkeit der Flaneure. Das ergiebt einen Mikrokosmos der gegenseitigen Existenzberechtigung: Jener Sinnhaftigkeit in der Sinnlosigkeit, die fast alle Menschen irgendwo für sich suchen. Natürlich lässt sich diese Variante der Selbstbestätigung als banal abtun, gerade weil am Ende die Jagd nach dem besten Bild, dem besten Motiv, dem begehrtesten Outfit, den meisten Blitzlichtern nicht über die Fassade der Oberflächlichkeit hinauskommt. Aber immerhin, zumindest auf dieser banalen Ebene war man dann mal etwas Besonderes in einem Meer der Banalität und mit einem guten Bild hinterlässt man vielleicht etwas mit Bestand. Nungut, das Picknickbild als Memento Mori greift sicher zu weit, eher geht es wohl darum im Hier und Jetzt wahrgenommen zu werden. Ein Star für 15 Minuten … Warhol hätte seine Freude an diesem geschehen, vielleicht auch weil das Besondere unter all diesen Besonderheiten am Ende vermutlich das Profane ist. Wenn alle besonders sind, dann ist es niemand mehr und damit höhlt sich das Picknick auf Dauer irgendwann selbst aus, oder die Selbstdarstellungen müssen sich in ihrer Intensität steigern.

Es ist dennoch nicht mehr mehr, als es die Nackten auf der Loveparade in den 90ern waren. Eine dekorative Randnotizen welche allerdings einen gewichtigen Teil der Außenwahrnehmung ausmacht, eben auch weil es dekorativ wirkt. Und da sind wir wieder am Anfang: Wahrgenommen werden, etwas Besonderes sein.

T.S.
T.S. (@guest_55244)
Vor 7 Jahre

Tja, Robert, da hast Du wahre Worte – nicht ganz gelassen – ausgesprochen, bzw. verfasst. Und wie es KlausA ganz richtig, den Nagel absolut auf den Kopf treffend, zusammengefasst hat: die berühmt-berüchtigten (und immer mehr und mehr lästig, peinlich und aufdringlicher werdenden) „15 minutes of fame“ sind wohl Hauptmotivation eines solchen grenzwertigen Spektakels. Da schlägt das (entweder aufgeblasene oder angekratzte) Ego Purzelbäume vor mediengeiler Wollust, die Eitelkeit steuert neue Rekorde in Punkto überzüchtete Spiegelfechterei an.
Da kommt dem Begriff „Fremdschämen“ eine Intensität hinzu, die in der Lage ist, dieses Gefühl noch toppen und sprengen zu können…

Wie heisst das Dingens? „Viktorianisches Picknick“? PICKNICK! Und um sich ein paar Brösel Kuchen oder ein Häppchen hipstriges veganes Irgendwas mit einem Schlückchen Secco einzuverleiben, macht man ein Möchtegern-Fetish-Event der exhibitionistischen Extraklasse draus, Voyeure natürlich herzlich Willkommen. Jaja, da geht es letztendlich schon drum, seinen Hunger zu stillen, jedoch nicht den des Magens…
Auch in dieser Hinsicht stimme ich dem Beitrag von KlausA absolut zu.

Letztendlich ist es wohl auch fast schon unnötig anzumerken, wie ich mir ein Picknick vorstelle – vor allem eines, das seinem ursprünglichen Sinn auch nahekommt…

Anyway, irgendwann läuft sich alles einmal tot. Und viel schneller kommt man auch zur Erkenntnis, was solch ein „Event“ überhaupt wert ist, wenn sein Zweck der Zweckentfremdung – um dann doch einem gewissen Zwecke nachzukommen… – allzu offenbar und langweilig wird. Wie toppt man das (und vor allem sich) dann noch? Aber das überlasse ich den ach-so-Kreativlingen unter den Selbstdarstellern…

Aber um zur Essenz zu kommen: warum zieht das Etikett „Gothic“, bzw. der „Dunstkreis“ „Schwarze Szene“ auch noch so ausufernde Stilblüten an? Oder treibt selbst welche? Offenbar wird mit beliebigem Gleichmut auch noch jede Gehirnakrobatie und verworrene Marotte mit offenen Armen empfangen, bzw. als Anhängsel (oftmals mehr als) geduldet. Was ist aus der ehemaligen Haltung der Abgrenzung geworden? Ohne jetzt „elitär“ (steht mir nicht, und steht mir auch nicht zu – „Eliten“ stehe ich sowieso skeptisch gegenüber, btw.) oder intolerant erscheinen zu wollen, aber jedem daherkommenden Wichtigtuer, Egomanen und Selbstdarsteller die „gotische“ (sic!) Tür und Tor zu öffnen, ist nicht immer von Vorteil. In das sich immer weiter aufplusternde Szeneetwas wurde seit den Neunzigern sowieso schon jeder erdenkliche Tinnef „eingebürgert“…
Und dann wird gejammert, daß alles so beliebig erscheint, Lieschen Müller und Agathe Bauer jeden schwarzen Faden, jede bunte Strähne, jeden Prinzessinnen-Schwank der Gebrüder Grimm und jedes Tönchen Moll als „Gothic“ definieren – und Halloween und Fastnacht das ganze Jahr über auf einen Tag fallen.
Da trägt die „Szene“ einen grossen Teil Mitschuld. Ich lade ja auch nicht jeden Hinz und Kunz zu meiner Party ein, nur weil er gerade mal übers Gartentürchen schielt…

Aber im Kern ist auch schon seit Anfangstagen einiges schief gelaufen, hat man sich (bereits in den Neunzigern – ja, ich war auch mal dort…) zum WGT nicht wie üblich „aufgedonnert“, sondern ist mal dezent „nur“ in schwarzer Jeans, schwarzem Hemd, nicht „szenefrisiert“ und (ach Gottbewahr…) Chucks auf dem („heiligen“) Gelände aufgelaufen, schon wurde man von manchen (auch befreundeten) Mitszenlern pikiert angeguckt: „wie siehst DU denn heute aus…?“

Aristides Steele
Aristides Steele (@guest_55247)
Vor 7 Jahre

Vor genau 10 Jahren gab es im Übrigen das erste dieser victorianischen Picknicks, damals noch beim Parkschlößchen auf der Wiese und im Anschluß der erste der „Wedel-Abende“ des WGTs überhaupt, im Parkschlößchen selbst.
An das WGT erinnere ich mich immer gern zurück, die Jahre vorher gab es keine Treffen oder Parties für diese Richtung und das Grüppchen beim Picknick war überschaubar – man kannte sich im Grunde ja schon, entweder bereits persönlich oder vom Sehen oder damals noch – myspace, und hatte dann die Möglichkeit mal „in echt“ Hallo zu sagen. Insofern kann ich bestätigen was im Artikel ja schon gesagt wird – die Grundidee war ein Treffen, so wie es zum WGT jedes Jahr etliche gibt, sei es von Foren-Usern oder anderen Grüppchen. Ganz inoffiziell eben.

Die Wedel-Party am Abend war ebenfalls angenehm klein, so wie ich die heimischen Göttertänze von vor 10 Jahren und länger kenne, im Untergeschoß war damals die „When we were young“, und die Mischung war perfekt – man konnte mittendrin mal kurz unten den Reifrock zu Wave und dergleichen übers Parkett schieben, oder Pikes- und Iroträger schauten oben vorbei um sich zu Dead Can Dance und Co dazuzugesellen.

Zwei Jahre darauf zog das Picknick in den großen Park um, und das wars dann. Es wurde bekannter, die rumknippsenden Zaungäste kamen dazu und mit den Zaungästen die Leute die speziell auf den Rudelknipps scharf waren, jüngere Leute die da erst so dazukamen schielten die vereinzelt auftauchenden Iro-Träger mit den zig Buttons am Jacken-Revers komisch an und tuschelten hinter vorgehaltenem Fächer „Schau dir die an, das ist ja gar nicht victorianisch, die haben hier nix zu suchen!“ , und die Leute vom „ersten Mal“ nahmen nach und nach Reißaus und suchten sich andere Treffpunkte, weil – ja, vom „Treffen“ war irgendwann eben nichts mehr übrig.

Insofern hat Dein Artikel, Robert, auch meine vollste Zustimmung, weil genauso schaut die Sache inzwischen nunmal aus. Ich weiß auch noch wie man uns vorwarf, blöde elitäre Arschlöcher zu sein, die nur die „berühmten“ Gesichter dabei haben wollten, als wir anfingen zu kritisieren, daß die Sache uns zu groß wird und zu viel Rummel um alles drumrum wurde. Nur vom Treffen war halt nichts mehr übrig.

Insofern schließe ich mich auch der Ratlosigkeit an, wieso man sich das antut, ich fand es die letzten paar Male an denen ich dort war (2013 war zuletzt bei mir) mehr stresserzeugend. Viona hat zwar mit der Alternativveranstaltung im Panometer eine schöne Lösung gefunden, das Picknick im Park ist danach aber ein Selbstläufer geblieben. Das wirds sicher auch bleiben.

Paradoxerweise gebe ich zu, dieses Jahr wieder mal beim Picknick vorbeizuschauen, einige Freunde und Bekannte haben das als Treffpunkt vorgeschlagen, also – schauen wir mal, flüchten kann man immer, allerdings bin ich auch etwas neugierig was inzwischen daraus geworden ist, freue mich aber wenn im nächsten Jahr wieder das Panometer mit im Programm ist.

Kurze Korrektur: 2008 war das erste, nicht 2007, wie eben mein kurzer Blick in alte digitale Bilderalben ergab ;)

An T. Pathie
An T. Pathie (@guest_55249)
Vor 7 Jahre

Ich weiß wirklich nicht, was dieses, mit Verlaub, Geschwafel jedes Jahr erneut soll. Die Szene, das Zusammengehörigkeitsgefühl, das „Wir“ usw. usf. Ewig gestrig funktioniert nicht. Und ehrlich, es wäre auch schlimm, wenn wir alle in den 80er stehengeblieben wären. Leipzig toleriert uns, also muss man sie m.E. auch gucken lassen. Ich fände es wesentlich schlimmer, wenn an jeder Ecke ein Mensch stünde, der mich böse ansieht und anpöbelt, dass ich verschwinden soll.

Wessen Ego nicht zumindest einen Zentimeter gehoben wird, wenn es tatsächlich Menschen gibt, die uns – die sonst keiner haben will, weil wir Kinder essen und Friedhöfe verwüsten – fotografieren, der werfe den ersten Stein. ;) Es kann schon lästig sein, wenn man für 50m Strecke 30 Minuten benötigt, keine Frage. Und doch lieben wir es, wie sie uns ansehen, unser „Inneres“, was wir nach außen kehren. Und sei es schmutzig und verdorben, sie nehmen uns wahr, sie fühlen sich einmal nicht davon provoziert, sondern bewundern uns. Vielleicht sogar, weil sie nicht so sein können oder dürfen wie wir oder weil sie nicht den Mut finden. Das ist keinesfalls zu verurteilen und mir auch wenig lästig. Würde es mich tatsächlich stören, dann sollte ich mich im Keller einsperren, da gafft mich keiner an und doofe Sonne scheint auch nicht.

Neulich war ich selbst noch jung, wenn ich jetzt in Clubs gehe, sind da plötzlich „Kinder“. Und erst dachte ich so: „Hä?, was soll denn das jetzt?“ und nun denke ich: „wunderbar, die nächste Generation, wir sterben nicht aus!“ Und die nächste Generation hat plötzlich bunte Plastikzöpfchen und hört komische Musik – für mich voll die Revolution! Und die sagen zu mir: „Ih, Du stinkst nach Moder!“ Und das alles ist gut so.

Es gibt nur eine Sache, die ich an meinen Eltern und Großeltern hasse: wenn sie sagen: „Früher war alles besser!“ das ist sooooo…. bäh und ich hoffe, dass ich das nie zu meinen Kindern sagen werde.

RaBe
RaBe (@guest_55250)
Vor 7 Jahre

Danke für diesen großartigen Artikel, Robert.
Ich gebe zu ich halte mich sehr zurück in deinem Blog zu schreiben, sei es einerseits, dass ich mich nicht so gut artikulieren kann, wie es hier eine Großzahl tut.

Faszinierend für mich ist, wie man immer wieder versucht uns die Toleranzschiene aufzuzwingen. Es liegt ihnen doch wirklich frei ein eigenes Treffen zu organisieren und ihm den eigenen Stempel aufzudrücken.

Das meiste wurde hier schon mehr als gut ausgeführt und muss von mir nicht mehr schlecht als recht wiedergegeben werden.

Zumindest freue ich mich darauf die „normalen“ Menschen auf dem WGT zu treffen, die anderen versuche ich weitestgehend zu meiden,…… sonst bekommen die noch mit wie wir Gruftis über diese lästern :)

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Vor 7 Jahre

Aristides, das was Du zur (negativen) Entwicklung des viktorianischen Picknicks beschreibst, kann eigentlich getrost auf das ganze WGT seit Ende der 90er ausgeweitet werden. Das war am Anfang auch überschaubar, familiär. Dann wurde es größer und die Gaffer und Paparazzi kamen hinzu, es wurde eine Bühne für Selbstdarsteller geschaffen und genutzt. Das Ergebnis war dann ein Wettrüsten der Kostümierungen, das bis heute andauert und der Charakter eines Treffens, des unter-sich-Seins, ist verloren gegangen. Dafür entwickeln sich wieder kleine Nischen-Treffen wie das der Spontis „Family“. Es wird sich zeigen, ob diese dann auch irgendwann (hoffentlich nicht) einmal Gefahr laufen, auszuarten und auszuufern, womit dann wiederum vielleicht dieselben Mechanismen losgetreten werden… Es ist eigentlich so wie mit allen Szenen, Moden oder Veranstaltungen, die populär werden. Ein normaler Lauf der Dinge? Das ist die Frage. Aber schade ist es natürlich auf jeden Fall, wenn solche Entwicklungen losgetreten werden und nicht mehr rückgängig gemacht werden können – es sei denn, man weicht alle paar Jahre im kleineren Kreis aus.

Bibi Blue
Bibi Blue(@biljana)
Vor 7 Jahre

Danke für den prägnanten Text, Robert. Ich kann kaum etwas hinzufügen, vor allem auch nach den richtig guten Kommentaren. Einige darin enthaltene Aussagen haben um viel Aufruhr außerhalb des Blogs gesorgt, im facebook gab es heftige Wortgefechte. Das sehe ich nicht negativ (abgesehen von einigen Beleidigungen), denn verschiedene Positionen wurden deutlicher und wurden immer präziser artikuliert. Neulich hat eine Frage von einer jungen Frau in einer der WGT-Gruppen bereits zu ähnlichen Auseinandersetzungen geführt: Ob es in Ordnung sei, in weißem Outfit zu kommen, da einige anscheinend etwas dagegen hätten und ob sie sich auf böse Kommentare gefasst machen müsse. In ihren weiteren Kommentaren wurde deutlich dass sie Cosplayerin ist und sie schrieb aus Versehen „WGT-Messe“. Letzteres sagt mehr als genug. Der Unmut zahlreicher Gruftis ist für mich aus vielen Gründen verständlich. Was ich aber bezeichnend finde ist die kokettierend wirkende Art zu fragen, um sich danach über ein fehlendes Gutheißen von verschiedenen Personen zu echauffieren. Das Beispiel hat für mich eine Ähnlichkeit damit, was in einem größeren Kontext geschieht. RaBe hat es hier gut auf den Punkt gebracht: „Faszinierend für mich ist, wie man immer wieder versucht uns die Toleranzschiene aufzuzwingen. Es liegt ihnen doch wirklich frei ein eigenes Treffen zu organisieren und ihm den eigenen Stempel aufzudrücken.“

Viele, denen das Picknick wichtig ist, ob um lediglich Freunde zu treffen und gegenseitig die Gewänder zu bewundern oder eben sich als Rampensäue vor jeglichen Kameras zu präsentieren, reagierten auf den Link zu diesem Text sehr emotional. Es wurden Vorwürfe über fehlende Toleranz geschleudert, es kam sogar die Schwarznazikeule zum Einsatz. Ich finde die Situation sehr delikat. Viele, die das WGT gerade durch Zuläufergruppen kennengelernt haben, regen sich über den Unmut einiger Goths und Waver extrem auf. Ich finde es eigenartig, dass sie so ignorant gegenüber dem ursprünglichen Sinn und ebenso der ursprünglichen Intention für ein solchen Treffen sind. Stattdessen beschimpfen sie diese und meinen auch noch, ausgerechnet SIE sollten zu Hause bleiben!? Dabei ist das eine Umkehrung der Tatsachen. Es wird nämlich tatsächlich viel kaputtgemacht. Es reicht nicht, solche karnevalesken Veranstaltungen zu meiden, dem ganzen Treffen wird ein anderer Stempel und eine ganz andere Atmosphäre aufgedrückt. Was heißt es denn, wer darüber richten solle? Es werden wohl solche, die der ursprünglichen Idee nahe sind, ihren Unmut über die Verkitschung und Spektakelisierung äußern. Manche sollen einfach lernen damit zu leben, so wie viele von uns es auch damit tun müssen, dass Zuläuferszenen die ursprüngliche Idee verfremdet haben.

@An T. Pathie: Es ist keinesfalls so schwarz-weiß, Ältere versus Kinder oder „Früher war alles besser“. Dazu habe ich mich zum Teil im Kommentar zum Witchhouse-Text von Robert vom 2. Mai geäußert. Ich freue mich über gute und authentische junge Bands und neue Subkulturen, auch über Weitereintwicklung und Wandel. Aber ein verhunzendes Wiederkäuen von alten guten Sachen ist für mich parasitäres Kreativitätsfleischwolfsverhalten.

KlausA
KlausA (@guest_55263)
Vor 7 Jahre

Ich würde es wichtig finden, zur eigenen Abgrenzung zurückzufinden. Dass das nicht von zu Hause aus geht, sollt klar sein.

Die Frage hast Du hier ja schon Mal aufgeworfen. Kann Gothic oder Schwarze Szene als Gegenkultur gelten, und wenn gegen was überhaupt? Wir wollen nicht normal sein, aber auch nicht als sonderlich gelten. Wir wollen nicht in eine politische Ecke gestellt werden, aber uns auch nicht politisch positionieren. Wir wollen individuell sein, aber dennoch als Teil einer Gemeinschaft wahrgenommen werden … geht vielleicht jetzt zu weit aber ohne gemeinsamen Wertekanons gibt es eben auch keine gemeinsame Abgrenzung gegen irgendwas, dann ist das alles doch nur Mode und Musik und alles was darüber hinaus geht ist der subjektive Bedeutungshintergrung den jeder für sich definiert und mal mehr, Mal weniger auf die Szene projiziert. Insofern empfinde ich dieses Posieren vor Gaffern und Fotojägern auch nur als Facette dieser Szene. Ich würde das auch nicht despektierlich Werten wollen. Bei einem großen und offenem Event wie dem WGT ist es irgendwie normal, dass es da einen Teil gibt der seiner Geltungssucht auf dieser Ebene Ausdruck verleiht. Die Vergleiche zum Wacken oder zur Loveparade liegen nah. Und in diesem Feld der sich Verlustierenden ist das Picknick vielleicht ein Event wie das Sponits-Familientreffen für Dich.

Ich habe kein Problem mit Cosplay und LARP. Ich stelle mir auf subjektiver Ebene ähnliche Fragen wie Du, warum tut man sich das selbst an, warum möchte man das mit all den Fotos und Schaulustigen? Ich mochte das noch nie. Ich wollte nie auf Clubfotos, Festivalbilder etc. aber das kann jeder halten wie er mag. Ich käme mir wie ein Tier im Zoo vor. Ich habe was die Frage warum und wie man das anders sehen kann, eine Möglichkeit der Antwort für mich gefunden, ob die richtig ist kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Und am Ende werden die Kostümierten sicher sagen, dass es für sie eine Form der Wertschätzung darstellt. Puh, wer das in der Form möchte, soll es doch so bekommen. Die Cosplayer tun niemandem weh, sie machen nichts kaputt, sie bringen allerdings auch kaum etwas neues ein …

Und um das Mal in Relation zu setzen, jeder kommt irgendwo seiner Geltungssucht nach. Wo und wie jeder von uns sein Ego streichelt ist gewiss ganz unterschiedlich, dass es aber jeder tut ist sicher. Ich bringe zum 3.6. die Schwarze Szene auf die Hauptseite der Wikipedia. Zu behaupten, dass hätte nichts mit meinem Ego zu tun wäre albern.

… Bei den Cosplayern sehe ich einzig ein Problem in der Darstellung und Wahrnehmung der gesamten Szene. Wenn über das Picknick die Szene auf diese Gruppe reduziert wird, ist wieder ein Pauschalurteil über uns alle gefallen. Aber dass eine Szene, die es nicht schafft sich auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen reduzierend und pauschalisierend dargestellt wird wundert mich auch nicht und dass dann diese sehr dekorative Gruppe dazu herhällt wird wohl auch niemand in Frage stellen. Zumindest bis zum nächsten „Satansmord“. Und da ist es mir dann lieber Kostumierungen als Ritualmorde für mich zu verneinen und ich glaube, da sind wir uns auch alle einig.

Aristides Steele
Aristides Steele (@guest_55264)
Vor 7 Jahre

@Robert: ich habe es auch in keinster Weise als Angriff aufgefasst :) – wir hatten das Thema immerhin schon oft genug, und ich sagte ja, ich pflichte Deinem Text uneingeschränkt bei, da er ja genau die Tatsachen wiedergibt, wie sie inzwischen vor Ort sind.
Der Zusatz über die „Geschichte“ dieses speziellen Treffens war mehr als – ja, Zusatz gedacht, auch für alle weiteren Leser hier. Es gibt durchaus auch Stimmen die mittendrin meinten, das Picknick sei von Anfang an als Profilierungstreffen der besonders Hochgetakelten gedacht gewesen, weil – eine bekannte Fotografin hats „erfunden“, also muss es so sein – das war allerdings – wie ebenfalls gesagt – nie der Sinn und die Zoo-Veranstaltung von jetzt ist eben das Ergebnis von einigen sehr unglücklichen Umständen, was eben die alteingesessenen Rüschen-Leute nach und nach eh in die Flucht geschlagen hatte. Und dahingehend hatte ich mich mit Viona auch schon vor Ort direkt unterhalten.

Meine beiden Freundinnen aus Leipzig haben letztes Jahr auch die Anfänge solcher Mechanismen erlebt, wir treffen uns seit wenigen Jährchen nämlich zu einem privaten Treffen mit historischem Tanz in einem Park, ab vom Schuß, das ist ein reines Privatvergnügen was mit dem WGT auch so nichts zu tun hat – ausser vielleicht daß dann andere Freunde von uns aus ganz Deutschland und von noch weiter her, auch hier sind, die ihren Spaß an sowas haben.
Dann fanden wir heraus daß irgendjemand von dem Termin Wind bekommen hatte und die Geschichte in diverse Programme eingetragen hatte – sogar am Hauptbahnhof hatte man es dort bei der Fotoausstellung auf einer Wand mit abgedruckt gehabt … das war nicht schön, weil das letzte was die zwei wollen, ist ein zweites „Knipps-Nick“ heraufbeschwören – bei dem Thema läge die Gefahr leider ja nahe. Und von uns ist auch niemand mit dem Termin hausieren gegangen, weil Privatvergnügen für uns, keine Zaungäste erwünscht.

Es ist also schon irgendwie erschreckend wie schnell sowas vereinnahmt werden kann. Sicher wollen die die sowas in Programmhefte schreiben, nichts böses, es kommt dann eben auch von dieser unerfreulichen Aussenwahrnehmung daß man speziell zum Angucken sowas überhaupt macht, daher – umso mehr glotzen, umso wünschenswerter – guckt mal alle her, da gibt es schon die nächste Sensation!

Ich treibe mich ja seit wenigen Jahren auch am Rande in der Cosplay-Szene rum – ich fand das relativ aufschlußreich in Bezug auf diese „Guck mich an!“-Wahrnehmung, und mich würde nicht wundern wenn viele Zaungäste das WGT auch teilweise mit in so eine Ecke stecken, bei dem was man in den Medien so sieht, ist stellenweise nicht viel Unterschied zu einer Cosplay-Convention – für Unwissende eh nicht – nur halt in vielleicht etwas „gruseliger“, auch wenn man die Reaktionen von Leuten beobachtet die einen dann ansprechen -„Tolles Kostüm, muss spitze sein wenn man sich einmal im Jahr als jemand anderes verkleiden kann, oder?“

Ja, sowas hab ich letztes Jahr erst gehört und das war auch nicht das erste Mal. Wenn man dann erklärt daß das keine Verkleidungsparty ist, und man selbst alltags schwarz unterwegs ist (wenn auch dezenter, natürlich), dann knallen Kinnladen gen Erdboden, im Dutzend.

In meiner vormaligen Heimatstadt habe ich ausserdem eine Unterhaltung mit ein paar Fotoleuten geführt, die da so in unserem Workshop-Ründchen plötzlich auf die Idee kamen, man könne ja auch mal zum WGT fahren, Leute fotografieren, die richten sich ja doch immer so toll her, das ist Sehenswert … natürlich hab ich dann erklärt daß es in erster Linie eine Musik-Veranstaltung ist und das Treffen einer Subkultur, und ich zwar niemandem verbieten kann, zum knippsen hinzufahren, aber man möge sich das bitte gut überlegen da die Geschichte nie für die Linsen Aussenstehender gedacht war. Ich redete über das Programm, über Ausstellungen und Museen und Konzerte – und davon wussten die nichts, alles was ankam war – da rennen Fotomotive frei rum! Die waren recht erstaunt daß da doch viel mehr dahinter ist .. und meistens merkt man den Leuten – egal obs die Foto-Runde war oder vor Ort Leute die einen beim Vorbeilaufen fragen, was man denn gerade darstellt – das peinliche Berührtsein merkt man jedem nach dem Aufklärungsversuch deutlich an.

Also vielleicht ein neuer Ansatzpunkt – den Leuten die es eben nicht wissen, zeigen daß das keine Art von Cosplay-Veranstaltung ist, sondern Subkultur die wir auch im Alltag leben, statt sie nach dem WGT in den Schrank zurückhängen, bis zum nächsten Jahr …

Julius
Julius (@guest_55269)
Vor 7 Jahre

Ähh…nichts für ungut aber hier wird doch auch nur von der Wand bis zur Tapete gedacht.

Seit wann wird der Szene die Toleranzschiene von anderen aufgenötigt? Solange es darum geht, sich selbst ins beste Licht zu rücken, wird seit Jahrzehnten(!) nicht ein einziger Grufti müde zu betonen wie tolerant (nebst anderen selbstattestierten Attributen) die Szene doch ist und nun, wo die vollmundigen Versprechen Konsequenzen zeigen, war alles nicht viel mehr, als ein bloßes Lippenbekenntnis! Jetzt will man davon nichts mehr wissen.

Praktischerweise ist hier auch jeder mit dem Scannerblick ausgestattet und weiß bei jedem, ob er sich so expressiv ausstaffiert, weil er fotogeil ist oder ob er es tut, weil er so ein kreatives Kerlchen ist, das einfach nur sein Innerstes mehr oder weniger szenekonform ausdrücken möchte.
Ich weiß ja nicht, manche beten hier auch nur ein paar Standardsprüche runter, vorzugsweise solche, die einen selbst in die Opferrolle des wahren Gruftis stecken und die bösen Kostümierten als aufmerksamkeitsgeile Selbstdarsteller abstempeln.

Mir geht es nicht darum, hier jemanden zu beleidigen, ich halte jeden einzelnen hier für einen intelligenzbegabten Menschen aber in manchen Dingen wird einfach zu wenig nachgedacht. Statt sich eventuell auch mal selbstkritisch mit sich und seiner Szene zu befassen, wird wie im Kindergarten nur mit dem Finger auf andere gezeigt. Kann man natürlich so machen, ist mir dann aber doch zu billig.
Dass man an der Situation noch viel ändern kann, glaube ich fast nicht. Es ist auch nicht so, dass ich die Ärgernisse nicht verstehen oder nicht sogar teilen würde aber wenn man sich ernsthaft damit auseinandersetzen will, muss man auch dahin vordringen, wo es weh tut.

Der Punkt ist doch der: würde es genügen nur nach innen schwarz zu sein, würde sich niemand so anziehen, die Haare toupieren und die Visage kalken. Selbstdarstellung gehört doch zu der Szene dazu und wer ist denn jeder einzelne von uns, dass er entscheiden könnte wieviel davon erlaubt ist?
Na klar, man ist immer auch nur ein Mensch und als solcher neigt man auch mal zu Vorurteilen und Pauschalisierungen aber könnte es beim ein oder anderen nicht auch sein, es stört insgeheim nicht die Aufmerksamkeit an sich, sondern der Umstand, dass ihrer Meinung nach die Falschen die Aufmerksamkeit bekommen? Oder man bewundert vielleicht auch den Mut, die Kreativität oder die Schamlosigkeit, mit der andere sich auszudrücken vermögen.
Das soll kein plumper „Ihr seid ja nur neidisch“-Vorwurf sein, bitte nicht falsch verstehen. Eher ein Aufruf auch mal in sich zu horchen. Gemecker geht einem oftmals leichter über die Lippen als Lob und Anerkennung, was nicht heißen soll, dass man die Leute nicht auch ehrlich scheiße finden darf.
Aber wann hat man im Alltag schon die Chance, mal so richtig üppige Outfits auszuführen? Gerade wenn man weiß, dass man nicht allein ist mit seinem extremen Look, traut man sich doch eher mal. Ich kann das schon verstehen.

Dass man in einer Zeit, in der jedes verschissene Smartphone hochwertige Fotos produziert, nicht kontrollieren kann, wer einen wann fotografiert, lässt sich nicht vermeiden und ebensowenig, dass Leipzigs Otto-Normal-Bevölkerung zu Pfingsten nicht plötzlich beschließt kollektiv blind zu werden. Die Leute sehen da Spektakel und sie sehen es gern, wer kann es ihnen verdenken? Letzten Endes muss das jeder mit sich selbst ausmachen wie er damit umgeht. Manchmal kann man ein Foto ablehnen, es gibt aber Leute, die dann trotzdem knippsen und wie gesagt, zig weitere, die es ohnehin ungefragt tun.

@Robert: Ich bin fast ein bisschen enttäuscht, weil du einerseits die extremen Looks der New Romantics so feierst und hier nun von Beliebigkeiten anfängst. Du kannst das persönlich so empfinden aber ich denke, auf irgendeine Weise wird dir auch z.B. ein Uniformträger darlegen können, wie das auf verschlungenen Pfaden doch wieder mit der Szene zu tun haben kann. Der bloßen Wahrscheinlichkeit nach wird sich dahinter keine überbordend kreative Inspirationsstory verbergen aber wissen kann man es nie. ;)
Bei bloßem Cosplay und schlecht mit Kunstblut bekleckerten Schürzen, stoße ich ja auch an meine Grenzen des Wohlwollens aber hierzu noch ein kleines abschließendes Anekdötchen:

Bei meinem allerersten WGT-Besuch war ich absolut geflasht von der bloßen Vielfalt an Aufmachungen. Ich war zu dem Zeitpunkt mit den vielen Untergruppierungen schlicht nicht vertraut. Manches hat mir gefallen, vieles nicht aber ich konnte es nicht sortieren. Dann sah ich während einer nächtlichen Straßenbahnfahrt ein angesoffenes, knallpinkes, knapp bekleidetes Mädel mit Puscheln an den Beinen, die angeregt umschwärmt wurde und ich dachte mir damals nur: „Wow.“ Nicht, weil ich die nun herausragend toll gefunden hätte, sondern einfach nur, weil mir da zum ersten Mal vor Augen geführt wurde, dass Goth offenbar auch knallpink, puschelig und halbnackt sein konnte. Das hat mich erstmal beeindruckt. Weder positiv noch negativ, einfach nur beeindruckt und ein bisserl dachte ich schon auch, ob ich dem Anlass gemessen vielleicht nur ungenügend aufgemacht war und nächstens extremer auftreten sollte. Ich habs nicht getan aber der Gedanke war da, dass das wohl so sein muss.
Jetzt, Jahre später, ich bin ganz ehrlich, ist das anders. Wenn ich mir die WGT-Fotogallerien und Impressionen-Videos auf Youtube ansehe, filtere ich auch mit strengem Blick und hätte mir bei dem Knicklichtmädel von damals vermutlich eher andere Gedanken gemacht. Aber ist dieser Blick auf das Festival nun wirklich der bessere? Es ist schwer ihn abzulegen aber eigentlich sollte man sich selber dabei nicht so wichtig nehmen und zusehen, dass man selbst genauso seinen Spaß hat, wie alle anderen auch.

*Ende des Hippievortrags*

KlausA
KlausA (@guest_55270)
Vor 7 Jahre

Wer für die vorhandenen Objektive, unabhängig von der persönlichen Bekanntschaft zu den anwesenden Fotografen und Schaulustigen, bereitwillig auf das gesetzlich zugesicherte Recht am eigenen Bild verzichtet, und das im Internetzeitalter, der fordert eine solche Diskussion schon etwas heraus.

Ihr könnt da alle gern machen was ihr wollt, wie gesagt, ich hab kaum ein Problem damit und wenn ich Robert halbwegs richtig verstehe er auch nicht. Die Frage lautete ja warum man das überhaupt in der aktuellen Konstellation noch mitmacht. Und die Gewichtung dabei liegt nicht auf der Kostümierung, sondern auf der Konstellation und der daraus resultierenden Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. Das ist also der Wunsch zu verstehen wie und warum dort so interagiert wird und nicht die rigorose Ablehnung dessen was dort aus der Szene kommt.
Das gleiche Treffen mit der Bitte keine Fotos zu machen und nicht gaffend als Zaungast zu verweilen würde vermutlich jede Diskussion darum obsolet machen.

Bibi Blue
Bibi Blue(@biljana)
Vor 7 Jahre

Kleiner Nachtrag: Um nicht falsch verstanden zu werden möchte ich noch etwas hinzufügen, worauf mich die Kommentare von KlausA und Aristides Steele gebracht haben. Ich kenne sehr interessante Personen, die kreativ historische Kleider oder Lolita-Outfits interpretieren, mit denen ich schon sehr interessanten Austausch über Musik und andere Themen hatte. Ich empfinde deren Stil auch nicht als unpassend. Es ging um eine ganz andere Art Individuen, die hier schon ausführlicher beschrieben worden ist. Manche fragen sogar nach Meinungen und lechzen nach Anerkennung, können aber nicht mit geäußertem Missfallen umgehen und beschimpfen „Urgothen“ als Geschmacksfaschisten.
Ich selbst bin gelegentlich auch bei LARPs dabei, ob um Alter-Egos auszuleben, soziologische Studien für mich selbst zu machen oder einfach kindlich ernst spielend jemanden nachts im Wald zu jagen. Doch ich komme deswegen nicht auf die Idee, als mittelalterliche Untote auf dem WGT vor Schaulustigen zu posieren.

Julius
Julius (@guest_55273)
Vor 7 Jahre

Meinst du damit jetzt mich, Klaus?

Sag mir doch mal wie du das verhindern willst? Mit Tarnkappe anreisen lassen und dann alle in einen blickdichten Bunker stopfen? Und ich glaube selbst im Bunker wären dem Robert die Uniformierten unangenehm, ganz unabhängig von der Außenwahrnehmung, was ihm ja auch zugestanden sein soll.
Wer draußen rumläuft kann nicht verhindern gesehen zu werden und welche Schlüsse der Rest der Welt aus dem Gesehenen zieht, darauf hast du keinen Einfluss, ganz egal ob und falls ja welche Fotos geschossen werden.

Was mich irritiert ist hierbei nur der Eindruck, dass immer wieder Leute der Meinung zu sein scheinen, bestimmen zu können, wer der Außenwahrnehmung in ihrem Sinne abträglich ist und da wurden die Schuldigen einhellig und schnell gefunden. Das ist doch aber ein schlechter Scherz. Natürlich geht es hier wie so oft einzig darum, wen man nicht dabei haben will. Die ganze Szene zieht sich doch immer und immer wieder an der einen Frage hoch was denn nun ein echter Grufti ist und da jeder die Sache so auslegt, dass er selbst unausgesprochen als Musterbeispiel dasteht, ist das die unendliche Geschichte. Noch nie aufgefallen?
Wenn es in der Szene eine einzige Konstante gibt, dann ist es doch diese völlig bekloppte Diskussion. Aber mir wurscht. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. :)

Edit: @Bibi Blue Solches Volk findest du aber auch bei den „Urgothen“ und davon ab sind ja auch viele davon Geschmacksfaschisten, weil das wahrscheinlich so ziemlich jeder in gewissem Umfang ist. Ich nehme mich dabei nicht aus. Warum jemand unbedingt das Blitzlichtgewitter benötigt, kann ich auch nicht begreifen aber reicht doch auch, wenn die sich selbst verstehen und wissen, was sie tun. Man wird nur diese Art von Mensch auch nicht wegdiskutieren können.

KlausA
KlausA (@guest_55276)
Vor 7 Jahre

Sag mir doch mal wie du das verhindern willst? Mit Tarnkappe anreisen lassen und dann alle in einen blickdichten Bunker stopfen?

Es gibt das Recht am eigenen Bild. Ich kann dadurch jedem der ein Objektiv auf mich richtet sagen, dass ich nicht fotografiert werden möchte und er muss dem entsprechen und ich kann jeden der ohne meine Einwilligung Bilder von mir ins Internet stellt verklagen. Das ist Teil meiner informellen Selbstbestimmung und damit ein auf das Grundgesetzt zurückzuführendes Recht. Es ist eines jedermanns Recht Gaffer freundlich aber bestimmt darauf hinzuweisen, dass man nicht beglotzt werden möchte und dieses Recht lässt sich sogar mit Hilfe von Ordnungskräften durchsetzen. Wenn man das allerdings nicht will, sondern diese kleine Bühne im Privaten für sich irgendwie haben möchte, dann sollte man meiner Meinung nach auch dazu stehen. Ich möchte es nicht, aber das kann wirklich jeder für sich entscheiden.

Die ganze Szene zieht sich doch immer und immer wieder an der einen Frage hoch was denn nun ein echter Grufti ist und da jeder die Sache so auslegt, dass er selbst unausgesprochen als Musterbeispiel dasteht, ist das die unendliche Geschichte.

Es geht nicht darum wer oder was zur Szene gehört und wer oder was nicht. Diese Kostümträger gehören zur Schwarzen Szene und fertig (Nicht Gothic, aber die Diskussion muss man vielleicht diesmal nicht führen). Die Schwarze Szene ist auch viel zu groß und zu unterschiedlich um ein Musterbeispiel auszumachen oder einen tiefen Kern zu bestimmen. Es gibt diesen Kern einfach nicht und niemand kann als ultimatives Szeneideal gewertet werden.

Was mich irritiert ist hierbei nur der Eindruck, dass immer wieder Leute der Meinung zu sein scheinen, bestimmen zu können, wer der Außenwahrnehmung in ihrem Sinne abträglich ist und da wurden die Schuldigen einhellig und schnell gefunden.

Ne, das verstehst Du miss, ich mag nicht auf etwas reduziert werden, mit dem ich mich nicht identifizieren kann. Da können aber m.M.n. die Leute auf dem Picknick nichts für. Ich schrieb davon, dass es bei einer Szene, die es nicht schafft sich auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, nicht verwundert, dass sie reduzierend und pauschalisierend dargestellt wird und dass diese sehr dekorative Teilgruppe dazu herhält irgendwie auch einleuchtet. Bei den Ravern hatten auch alle nackte Mädchen mit Blumenbrille und bemalten Brüsten sowie Muskeltypen mit Schweißerbrille oder Gasmaske im Kopf. Da konnten die nackten Mädchen der Raver nichts für, da können die Kostümierten beim Picknick nichts für. Aber es repräsentiert mich eben nicht als Teil der Szene. Von Innen gesehen ist das eine Facette einer irrsinnig großen Szene. Ein Teil dessen Geltungsbedürfnis ich zwar objektiv verstehen, aber subjektiv für mich an dieser Stelle, in dieser Form nicht nachvollziehen kann, aber dennoch ist es ein Teil der Szene. Wenn der Blick von außen aber sagt „Das ist die Szene und so sind alle in der Szene“ dann regt sich in mir Wiederstand, auch wenn mir diese Pauschalisierung immer noch lieber ist als viele der vorausgegangenen Pauschalisierungen die ich über die Jahre so als Teil der Szene erfahren habe.

Julius
Julius (@guest_55278)
Vor 7 Jahre

Ich bin mir gerade nicht sicher ob ich mich wirklich so missverständlich ausgedrückt habe oder ob du mich womöglich falsch verstehen willst. Aber ich wiederhole mich jetzt nicht noch einmal. :)

KlausA
KlausA (@guest_55280)
Vor 7 Jahre

Entschuldige, ich wollte Dir wirklich nicht auf den Schlips treten. Ich versuche es noch mal im Schnelldurchlauf und lasse es dann auch von meiner Seite damit gut sein …
Deine Aussage:

Praktischerweise ist hier auch jeder mit dem Scannerblick ausgestattet und weiß bei jedem, ob er sich so expressiv ausstaffiert, weil er fotogeil ist oder ob er es tut, weil er so ein kreatives Kerlchen ist, das einfach nur sein Innerstes mehr oder weniger szenekonform ausdrücken möchte. […] Dass man in einer Zeit, in der jedes verschissene Smartphone hochwertige Fotos produziert, nicht kontrollieren kann, wer einen wann fotografiert, lässt sich nicht vermeiden und ebensowenig, dass Leipzigs Otto-Normal-Bevölkerung zu Pfingsten nicht plötzlich beschließt kollektiv blind zu werden.

Ich habe nach §22 KunstUrhG kombiniert mit Art. 2 Abs 1 GG, Art. 1. Abs 1 GG sowie Art. 8 Abs. 1 EMRK das Recht darauf sowie die Möglichkeit zu bestimmen wer mich wann und wie ablichtet und noch mehr wie Bilder von mir genutzt werden. Entsprechend war auch meine Antwort dazu gemeint:

Wer für die vorhandenen Objektive, unabhängig von der persönlichen Bekanntschaft zu den anwesenden Fotografen und Schaulustigen, bereitwillig auf das gesetzlich zugesicherte Recht am eigenen Bild verzichtet, und das im Internetzeitalter, der fordert eine solche Diskussion schon etwas heraus.

Und darum, wirklich nur darum, geht es:
Warum ist man trotz der Möglichkeit sich auch an dieser Stelle im privaten zu bewegen damit einverstanden sich im Rahmen des Picknicks zum öffentlichen Objekt zu machen?

Alles andere sind kleinere Nebendiskussionen:
* Es geht nicht darum wer oder was zur Szene gehört und wer oder was nicht. Diese Kostümträger gehören zur Szene. Es geht darum wie und warum da in welcher Form zwischen diesem Szeneteil und der Öffentlichkeit interagiert wird.
* Es geht auch nicht darum jemanden die Schuld für eine pauschalisierende Wahrnehmung der Szene zuzuschreiben. Wenn der Blick von außen sagt „Das ist die Szene und so sind alle in der Szene“ dann regt sich in mir Wiederstand, aber nicht gegen diese Gruppe, sondern gegen die Pauschalisierung.

Victor von Void
Victor von Void(@vivovo)
Vor 7 Jahre

Ich kann leider nicht auf jeden Kommentar eingehen, daher werde ich nur kurz meine Sicht darlegen. Ich war bei jedem meiner WGT-Besuche der letzten Jahre beim VicPick (als Besucher, nicht im Fummel) und habe in der Zeit einige der angesprochenen Veränderungen erlebt: zunehmend mehr Leute, mehr Selbstdarsteller, mehr Gaffer und Paparazzi. Mein erstes WGT war 2001, da gab es das VicPick noch nicht, aber auch schon Fotografen und Selbstdarsteller.

Dass das Picknick zu so einem Event wurde, ist weder Zufall noch noch eine Überraschung, denn im Grunde genommen ist bzw. war das Picknick auch schon immer die Öffentlichkeitsarbeit des WGT. Hier kann die „normale Gesellschaft“ die Szene aus der Nähe begutachten und feststellen, dass die Leute zwar verschroben, aber harmlos und meistens ziemlich nett sind. Ich behaupte einfach mal, dass neben dem Geld das VicPick überhaupt erst dafür gesorgt hat, dass das WGT in Leipzig so gut aufgenommen wird. Dass dort mittlerweile sehr viele Selbstdarsteller und Exhibitionisten herumlaufen, ist subjektiv bedauerlich, aber eben auch eine normale Entwicklung.

Was aber vielleicht einigen Kommentatoren entgangen ist, ist dass auch versucht wurde, gegen zu steuern: zumindest 2015 (2016 war ich leider nicht beim WGT) war ein Bereich speziell für „korrekt“ gewandete Picknicker abgeperrt, der meines Wissens auch von Fotografen nicht betreten werden sollte/durfte. Inwiefern das auch durchgesetzt wurde, kann ich allerdings nicht sagen. Grundsätzlich zieht so ein Event natürlich auch Leute an, die nicht an der Szene und ihren Inhalten interessiert sind, aber hier muss ich leider sagen (egal wie abgedroschen es klingt): das muss man bei einer derart öffentlich zugänglichen Veranstaltung ertragen. Alles andere ist realitätsferne Arroganz.

Natürlich prägt das auch das Bild, das „außerhalb“ von der Szene herrscht, aber aus meiner Sicht ist das immernoch tausendmal besser, als das Bild vom drogensüchtigen, friedhofsschändenden Möchtegern-Vampir.

Persönlich gehe ich immer gern zum VicPick, nicht als Teilnehmer, sondern mehr als Zuschauer und in der Regel, um mich dort mit Leuten zu treffen, die ich sonst nicht sehen würde. Auch wenn ich nicht alles toll und schön finde, genieße ich doch erst einmal das bunte Treiben und die Kreativität vieler Besucher. Ich kann nachvollziehen, dass es für andere ein Höhepunkt ist, sich in Schale zu werfen und dort für ein paar Stunden das zu sein, was sie im ’normalen‘ Leben nicht sind, und dafür auch Anerkennung in welcher Form auch immer zu bekommen. Natürlich ärgere ich mich und lästere ich auch über Geschmacklosigkeiten, unpassende Kostüme, Kamerahuren (gibt es dafür auch ein geschlechtsneutrales Wort?) usw. aber letztendlich erkenne ich es als das an, was es ist: Teil eines Festivals, das den Besuchern Freude bringen soll.

Eine Sache ist mir allerdings ins Auge gefallen:

Gothic-Strickstunden, Gothic-Run-for-Fun, Gothic-Gottesdienste und was noch für Unmöglichkeiten zu Pfingsten so stattfinden. Demnächst gibt es noch eine Gothic-Tupperware Edition und den Thermomix in schwarz statt in weiß. Ich würde es wichtig finden, zur eigenen Abgrenzung zurückzufinden.

@Robert: ich glaube, du mischt hier Äpfel mit Birnen. Soweit ich mich zurück erinnern kann, war der Strickzirkel schon immmer Teil des WGT (oder zumindest ist er das seit sehr langer Zeit), und aus meiner Sicht stellt er auch sowas wie eine Grundtugend der Szene dar: das Selbermachen und das sich daraus ergebende Gemeinschaftsgefühl, die die Anfangszeit der Szene geprägt haben. Bei aller Kirchenkritik sind die Gottesdienste meines Wissens ebenfalls keine kommerzielle Veranstaltung (per se), sondern etwas, dass entsprechend veranlagten Teilnehmern Orientierung und Freude spenden kann. Das mit rein kommerziell motivierten ‚Unmöglichkeiten‘ wie schwarzer Eiscreme und anderen „schwarzen“ Produkten in einen Topf zu werfen, halte ich für Kritik, die nicht nur etwas am Ziel vorbei geht, sondern gleich grundsätzlich die Frage aufwirft, ob dann nicht alle Veranstaltungen abseits der Konzerte solche ‚Unmöglichkeiten‘ sind?

Mandy
Mandy (@guest_55284)
Vor 7 Jahre

Warum unterbricht man sein Gespräche, wendet sich von seinen Freunden und Bekannten ab um in irgendeine Kamera zu lächeln? Das ist die Frage die ich mir stelle.

Geltungssucht?
Anders kann man sich das eigentlich nicht erklären. ‚Schaut her, ich bin soooo begehrt.‘
Das Schlimme ist ja, dass es tatsächlich Leute gibt, denen das imponiert. Die sich im nächsten Jahr noch auffälliger kleiden, noch stärker schminken etc, um auch eine solche Aufmerksamkeit zu erhaschen. Ein Teufelskreis, der sich so schneller wohl nicht mehr unterbrechen lässt. Es sei denn, das Ganze bricht irgendwann in sich selbst zusammen (gab es ja schon bei anderen Großevents). Vielleicht ist ja irgendwann das Interesse der Öffentlichkeit weg (oder zumindest nicht mehr so groß).

KlausA
KlausA (@guest_55285)
Vor 7 Jahre

Es geht mir um das absichtliche posieren, sich in Szene setzen, drapieren, darstellen, schauspielern. „Vampire“, die ihre Zähne fletschen, Fetisch-Pferde, die für die Kamera wiehern und Reifrockträger, die besonders edel in die Kamera lächeln wollen.

Ist das nicht die Konsequenz dessen was ich nicht so ganz verstehe?
Es ist Teil meines Jobs Jugendlichen klar zu machen, dass sie entscheiden können und sollen, wann wer welche Bilder von ihnen machen und veröffentlichen darf.
Ich schrieb nicht umsonst „unabhängig von der persönlichen Bekanntschaft zu den anwesenden Fotografen und Schaulustigen“, vor Bekannten und Freunden sehe ich das alles noch mal anders, aber sich zu jedermanns Fotovieh zu machen und die Kontrolle über das eigene Bild und die Verbreitung des eigenen Bildes abzugeben, widerstrebt mir.
Das ist vielleicht das andere Extrem, dieses ausdrückliche „Bitte nicht, ich bin hier Privat“ auf der einen und das „Fotolächeln in jede Kamera“ auf der anderen Seite. Irgendwo in der Mitte gibt es sicher einen Graubereich des gesund Gangbaren, bei mir persönlich liegt und lag dieser Bereich weit mehr auf der Bitte-Nicht-Seite. Gen End geht es mir dabei vornehmlich um eine Form des Bewusstseins für die eigenen Handlungen und Ehrlichkeit gegenüber einem selbst. Ich betonte ja mittlerweile mehrmals, dass da jeder machen kann was er für richtig hält und was er wirklich will.

Julius
Julius (@guest_55289)
Vor 7 Jahre

Robert, ganz kurz: https://youtu.be/w8ekIDJKDRE
Keine Ahnung wie realitätsgetreu die Darstellung ist, bei solchen Dokumentationen muss man wahrscheinlich immer etwas vorsichtig sein aber für mich schließt sich „Posers“ und „im Verborgenen bleiben“ irgendwie aus. :)
Ist insgesamt aber ein nettes Filmchen allein schon als Zeitdokument. Vielleicht kennst du es ja auch schon.

Und zu den Fotojunkies: ich würde es einfach den Zeitgeist nennen. Warum machen Leute bei DSDS, GNTM, usw. mit? Warum posten die Leute jeden Furz, den sie lassen auf facebook, Instagram, etc.? Und warum sollte so eine Einstellung vor irgendwelchen Szenen halt machen? Ich kann es ja auch nicht nachvollziehen und mitmachen würde ich es sowieso nicht aber wer kann/will es denen denn verbieten?
Außenstehende halten die Veranstaltung so oder so für ein Kostümfest oder wahlweise eine harmlose Ansammlung Irrer. An einem authentischen Eindruck ist doch gar niemand interessiert, der zum Gaffen und Fotografieren kommt. Die wollen spektakuläre Bilder, die bekommen sie.

Orphi
Orphi(@orphi)
Editor
Vor 7 Jahre

Julius, selbstverständlich habe auch ich keinen Scannerblick, aber doch ein Gefühl dafür, ob jemand authentisch ist oder nicht. Klar, kann ich mich selbst dabei irren, aber den New Romantics in der Doku nehme ich ihre Outfits ab und fühle mich wohl mit dem Anblick, auch wenn es nicht mein Stil ist. Viele viele Leuten auf dem WGT sind aber keinesfalls authentisch und tragen einfach nur Kostüme und ich gebe gerne zu, das das mein ganz persönlicher und subjektiver Eindruck ist. Trotzdem stört mich das genauso wie jeden anderen Besucher, der sich mit authentischen SZENE-Leuten treffen und umgeben möchte. Vielleicht kommt es gar nicht so sehr darauf an, was jemand für ein Outfit trägt, sondern eher WER dieses Outfit trägt. Und nein… ich verbiete niemandem sich zu verkleiden und teilzunehmen, aber ich muss es nicht gut finden.

Paco de la Luz
Paco de la Luz (@guest_55294)
Vor 7 Jahre

Klasse Artikel! Du sprichst mir aus der Seele. Bin ich selbst Fotograf und wundere mich immer über die Bereitwilligkeit mit der sich Menschen unserer Szene „abknipsen“ lassen…. Auch sprichst Du viele weitere wichtige Aspekte an, die mich auch seit längerem beschäftigen. Alle zu kommentieren würde sicher diesen Rahmen sprengen. Danke für den Artikel

Julius
Julius (@guest_55299)
Vor 7 Jahre

Orphi, ich sehe keinen Widerspruch in dem was du schreibst und dem, was ich meine gesagt zu haben.

Mir ging es darum, dass ich dachte hier werden mal eben alle Leute genommen, deren Stil man scheiße findet, und gleichgesetzt mit denen, die sich nur kostümieren sowie denen, die vor jede Kamera hechten, die sie nur finden können. Man kann jede einzelne dieser Gruppen mehr oder weniger berechtigt kritisieren und nach Lust und Laune doof finden und das alles auch gerne so äußern. Dass es bei denen untereinander zu einer möglicherweise nicht unerheblichen Schnittmenge kommen könnte, will ich ebenfalls nicht abstreiten. Nur so zu tun, als gäbe es die beschissenen Leute eben ausschließlich bei denen, deren Style man jetzt persönlich kacke findet und hier wähnt sich dann die Elite mit der alleinigen Wahrheit (überspitzt ausgedrückt), war mir dann doch zu billig. Nun hat man mich korrigiert, dass ich das falsch verstanden habe. In Ordnung. Damit ziehe ich meinen Vorwurf auch zurück. Nichts für ungut.

Ich wollte lediglich dazu anregen, die ganze Angelegenheit einerseits differenzierter zu betrachten und andererseits vielleicht einfach nicht so ernst zu nehmen, dass einem dabei der Spaß am WGT flöten geht vor lauter Ärgern über blöde Hanseln. Das ist schon alles.

Ronny Rabe
Ronny Rabe (@guest_55301)
Vor 7 Jahre

Schöner Artikel Robert , der den nagel auf den Kopf trifft.
Ich habe dem Picknick schon einige male beigewohnt . Am Anfang war die Atmosphäre sehr gemütlich und fast schon familiar. Mittlerweile ist es leider zum „Karneval“ geworden. Nicht bei allen , aber bei sehr vielen . Leider ;-(
Nichtsdestotrotz werde ich dieses Jahr zum Picknick vorbei schauen , aber nicht um im „Mittelpunkt“ zu stehen , sondern eben um Bekannte / Freunde zu treffen .
Ich werde mich dafür auch nicht verkleiden – ich nennen es bißl aufbrezeln . Dennoch ist es für mich keine Verkleidung oder Kostümierung. ( Obwohl wenn ich meine Einhornmaske aufsetze , erspart mir das einiges :-)))
Nee,Nee – niemals , würde ich so in der Öffentlichkeit erscheinen . Das machen schon leider! genug andere .
Auf ein schönes WGT und vielleicht trifft man sich ja – spätestens am Montag ;-)

T.S.
T.S. (@guest_55307)
Vor 7 Jahre

Allzu deutlich wird nicht nur durch diesen Artikel und die nachfolgende Diskussion, sondern auch durch die seit geraumer Zeit immer wiederkehrenden Themen-„Dauerbrenner“ (auch hier im Blog) „Szenekritik“ und „Szeneflucht“, daß etwas im Argen liegt, und Bedarf an Austausch, bzw. Diskussion – offenbar auch vehementer – besteht.
Um so bemerkenswerter, daß alleine schon ein (als relativ – im Grossen und Ganzen – ähem… „szeneirrelevantes“, bzw. als verzerrt einzustufendes) „Event“ dermassen Wellen verursacht. Vor allem, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Reaktionen dies nach sich zog, so wie Bibi Blue in Beitrag 15 berichtete. Heha, ich musste kurz mal innerlich zusammenbrechen vor Lachen – und auch Verwunderung, Danke Bibi dafür…
(was will die mediengeile „15 min. of fame“-Fraktion denn? – auch negative Schlagzeilen sind welche, und die Aufmerksamkeit ist den Leutchen doch gewiss… ;-) Übrigens: der getroffene Hund bellt, nicht wahr?)

Aber von mir aus – was mich allerdings doch etwas anfrisst, ist (da dies auch schon mal artikuliert wurde) die zu kurz gedachte und schnell bei der Hand geführte und oftmals aus dem luftleeren Raum gegriffene „früher vs. heute“-Allgemeinplatz-Scheinargumentations-Bereitschaft, mit der manche (offenbar mit Hang zu Minderwertigkeitskomplexen ausgestatteten – nichts für ungut…) „Post/Update/Nachwuchs-Szenler“ btw. gerne mal die Goth-Historie und deren Protagonisten meinen marginalisieren zu müssen…
Das ist nämlich ganz gewiss nicht der Knack-, Dreh- und Angelpunkt der Kritik, und auch nicht die irgendwo hier gemutmasst-gemunkelte „du-bist-sch***-weil-dein-Stil-mir-nicht-passt“-„Anti“-Haltung (wie billig und pubertär wäre das denn…?), sog. (ich zitiere) „Kamerahuren“ und ähnliche fingerschnipsende Möchtegern-Szenegockel kannte auch die Ur-Goth-Szene schon, allerdings damals noch nicht so raffiniert eventklientelmässig „geschult“. „Dank“ DSDS und Konsorten-Massen-Zeitgeistigkeiten, wie richtigerweise irgendwo in dieser Diskussion angeführt, ist das ja heute keine Schwierigkeit mehr, dies überall zu kopieren und einzubringen (yep, copy and paste, solange bis es – augenscheinlich – passt…) – das sowas vor Subkulturen (auch „altehrwürdigen“) nicht halt macht ist allerdings ein Ärgernis, da Subkulturen vom Prinzip her ursprünglich ja Gegenkultur praktizierten, mit Abgrenzung, Kritik und Revolte, etc. (oh je, das war ja „früher“, huah, nicht wahr?)
Aber wie ich bereits in anderen Beiträgen gerne unterstrichen habe, „Szenen“ scheinen mittlerweile ja obsolet zu sein, zumindest haftet ihnen immer ein Anachronismus an. Und wer in diesem Zusammenhang mal wieder die „Stromlinienförmigkeit“ der breiten Masse der „heutigen Jugend“ bejammert, der sollte auch bedenken, warum offenbar keine grosse Bereitschaft mehr da ist, sich „Subkulturen“ anzuschliessen – wäre ja auch vielleicht zu kompliziert oder langweilig. Wird hier vielleicht eingedenk dieser Entwicklungen gar ein Kreis geschlossen, der Zeitgenossen dazu bringt, „Eventhopping“ ohne Tiefgang, bzw. sich festzulegen, zu betreiben? Sich für einen kleinen Moment einer vergänglichen Wochenend-Party im Ausverkaufs-Ramschladen der Jugend-/Subkultur-Historie zu bedienen, ein wahlloser Griff in die üppig – aber auch chaotisch wahllos und beliebig – ausgestatteten Regale der „verkulteten“ Geschichte der Jugend-/Popkultur der letzten 50-60 Jahre (natürlich plus unreflektiert irgendwo aufgeschnappten Fetish-Phantastereien, die moderne media(le)geile Welt ist ja ein unerschöpfliches Füllhorn an „Inspirationen“ – auch wenn man manchmal kaum imstande ist, diese komplett zu kapieren, nicht wahr?). Z.B. heute WGT-Show(wo)man, morgen tatsächlich Meenzer Fastnacht, übermorgen hipstriges Zeitgegeiste, überübermorgen Mittelalterschranze, im Sommer Hippietrine (aber mit „Nirvana“-T-Shirt…) und nächstes Jahr vielleicht Kirchentag, etc.etc.etc.?

Wer weiß?

Jetzt möchte ich nicht mißverstanden werden, ich bin absolut dafür, daß, wenn es die „Szene“ schon noch de facto gibt, diese sich auch adäquat weiterentwickelt und gemäß den heutigen Begebenheiten updated. Früher war früher, nicht alles besser und gewiss manches auch kritikwürdig. Jedoch sollte die Motivation immer noch halbwegs plausibel und benennbar sein, sich nicht ausschliesslich in Äusserlichkeiten und Outfits äussern – und nicht immer nur dann hohe Wellen schlagen, wenn mal wieder die „vier tollen Tage“ in Leipzig anstehen…

Und abschliessend, @Robert: ja doch, ich habe mich damals auch gehörig aufgebrezelt, es sogar genossen, aber nicht nur zum WGT (oder sonstigen ähnlich gelagerten „Events“ – damals nannte sich sowas noch anders…), nicht für die Kameras von irgendwem, und schon mal gar nicht für die des „Rundfunks“… ;-)

Lizzy
Lizzy (@guest_55329)
Vor 7 Jahre

Danke für diesen Artikel! Auch wenn das „Altgrufti-Gejammer“ über den heutigen Kommerz geradezu verpönt ist, freue ich mich doch um jeden Beitrag, der diesbezüglich aus meiner Seele spricht.
Ich war als kleiner Stöpsel Mitte der 90er das erste Mal auf dem WGT, ab Anfang der 2000er gab es dann eine lange Pause. Erst in den 2010er Jahren habe ich mich noch einmal nach Leipzig begeben und war..überrascht. Zwar war mir dank Berichten und Fotoreihen schon klar, dass man das Ganze nicht mehr mit dem WGT aus den 90ern vergleichen kann,
diese extreme Kostümshow habe ich dann aber doch nicht erwartet. Man sollte das WGT in CT (Cosplaytreffen) umbenennen. Grenzenlose Aufmerksamkeitsheischerei, pinke Ponykostüme, sabbernde Fotografen…definitiv nichts mehr für mich :(

Daniel
Daniel (@guest_55330)
Vor 7 Jahre

Ein interessanter Artikel, der grundlegende Probleme so genannter Subkulturen im Allgemeinen und der Gothic-Kultur im Besonderen aufwirft:

Zum einen leben Szenen von Veränderung und auch Expansion. Es ist ein natürlicher Prozess. Eine neue Bewegung formiert sich, wird von der „Außenwelt“ registriert, es wird darüber berichtet und weitererzählt. Das zieht wiederum mehr Schaulustige an, vielleicht sogar Sympathisanten, die sich dieser Bewegung anschließen. Nach und nach wird aus einer Subkultur eine massenwirksame Bewegung. Die Sozialen Medien wirken dabei wie ein Brandbeschleuniger, der noch schneller aus einer Gegen- eine Trendbewegung macht. Ich würde soweit gehen zu behaupten, dass es keine „Subkultur“ mehr in diesem Sinne gibt, da sie sofort von der Gesellschaft un ihren Informationswegen assimiliert wird.

Das gleiche in Grün gab es übrigens bei der Love Parade. 1989 mit ein paar VW-Bullis gestartet, hinter denen eine Hundertschaft bunter Leute durch die Berliner Stadt hertanzten, waren es neun Jahre später 1,5 Millionen Besucher. Schließlich endete das ganze tragisch 2010 in Duisburg mit der Massenpanik; die Bilder dürften immer noch präsent sein.

So ein Ende wünsche ich dem WGT natürlich nicht, aber das Festival steht gerade an einem Punkt, bei dem es sich weiter aufblasen kann und dabei Gefahr läuft, zu implodieren, oder beginnt, die Festivalstruktur neu zu überdenken.

Zum zweiten, und da spreche ich jetzt genau dieses Picknick an, das ich selbst zwei Mal mitgemacht habe (als Journalist), ist und bleibt Gothic für mich eine apolitische, rein auf ästhetisch-künstlerische Werte beasierende Gegenkultur. Deswegen ist auch die Frage, was „Gothic“ in der Musik ist, gar nicht klar zu umreißen, da diese Szene seit Anbeginn sehr durchlässig für verschiedene Musikstile war, solange sie nur genügend Molltöne besaßen. Meiner Meinung nach könnte auch Lana Del Rey beim WGT auftreten, aber das ist eine anderes Feld, das es zu beackern gilt.

Nur lebt eine Szene, die sich vor allem durch Äußerlichkeiten und Manierismen auszeichnet, zwangsläufig von der Interaktion mit seiner Außenwelt. Jeder, der sich aufwändig zurechtmacht, sei es für das Picknick oder einfach nur für den Alltag, will etwas damit aussagen, auch wenn manche nun meinen, sie machen das „nur für sich“. Sie wollen gesehen werden! Und das Picknick ist der ideale Ort dafür, weil er eben die Möglichkeit der „freak show“ anbietet. Die Frage ist eben, ob man so einer Show als aktiver Teil beiwohnen will.

Kunst wird allerdings auch erst dadurch zu selbiger, in dem es in Interaktion mit anderen Menschen tritt. Davor ist es einfach nur ein Neutrum. Das ist bei der bildenden Kunst so, in der Musik, Fotografie, Bildhauerei, im Theater, in der Literatur…und nicht zuletzt auch in der Mode. Was nützt das schönste Kleid oder der bezauberndste Gehrock, wenn er an einem Kleiderbügel im Schrank oder in der Mottenkiste im Keller vegetiert?

Deswegen bin ich auch der Meinung, dass dieses Picknick nur daran krankt, dass es einfach durch die Menge der Selbstdarsteller – und da gibt es doch einige in der Gothic-Szene – vielleicht beliebig geworden ist. Um es „authentischer“ zu gestalten, müsste man auch hier ein Umdenken starten und sich vielleicht überlegen, das Picknick wieder in einen nicht-öffentlichen Raum zu verlegen. So lange es an diesem zugegebenermaßen schönen Ort stattfindet und für Jedermann zugänglich ist, wird es auch immer welche geben, die bereitwillig vor der Kamera etwaiger Journalisten posieren, also gar nicht daran denken, ein kleines Picknick einzunehmen.

Aber dass es in der Gothic-Szene vor allem um „sehen und gesehen werden“ geht, ist für mich unbestreitbar. Das Thema „Kommerz“ und die Vermarktung eines Großereignisses ist für mich nur ein Grundrauschen, das einfach dazugehört, wenn man Feierlichkeiten in diesen gigantomanischen Ausmaßen veranstalten will.

Noch ein Vergleich: In Kalifornien gibt es das Coachella Festival, das als Kunst- und Musikfestival gestartet und mittlerweile zum Sammelbecken für Blogger und Internetstars verkommen ist. Einen sehr interessanten Artikel dazu gibt es hier

Was mich wiederum zur Frage bewegt, die seit einiger Zeit heiß diskutiert wird. Sind Festivals wie das WGT oder M’era Luna am Ende nicht doch obsolet geworden? Funktioniert der kollektive Gedanke eines Festivals in Zeiten übersteigerter Ego-Zentrik noch? Macht es beispielsweise noch Spaß als Musiker aufzutreten, wenn das Publikum ihm nur noch geteilte Aufmerksamkeit schenkt, weil sie seine Darbietungen nur noch durch die Linse ihres Smartphones erlebt(oder gar nur sich selbst ablichten mit den Musikern als pittoreske Kulisse)?

Zusammengefasst: das WGT unterliegt den selben Prozessen wie anderen Festivals und Großereignisse auch. Entweder man macht sie mit und beklagt sich nicht, oder man bleibt ihnen fern, ohne dieses „früher war alles besser“ Gejammer anzustimmen. Es gibt Mittel und Wege, sein eigenes „Viktorianisches Picknick“ zu gestalten.

Zumal ich dachte, dass der Gruftie, ganz im Sinne der Romantik, lieber vor einer Burgruine oder einem Grabstein sitzt und seiner Vergänglichkeit nachsinniert. So viele Ruinen gibt es in Leipzig gar nicht ;)

waver71
waver71 (@guest_55349)
Vor 7 Jahre

Pseudos überall, sieht man im ganzen Land nur…

Pseudos haben wir in den Achtzigern verachtet. Toleranz war für uns ein Fremdwort. Wir waren die Elite, die auf andere herabschaute. Diese „Verkleideten“ auf dem WGT sind für mich Pseudos. Echte Waver sind immer Waver und zwar 24/365. Der Rest ist 08/15!

Ich finde, es sollte ein Waver-Treffen und ein Gothic-Treffen geben. Beides hat nämlich nicht viel miteinander zu tun.

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Vor 7 Jahre

Oh nein, eben war der neue Artikel von Flederflausch zum WGT (der Blues danach) noch online und ich habe einen sehr langen Kommentar verfasst… nun ist beides verschwunden. Während des Absendens kam nur eine weiße Seite und derBeitrag von Flederflausch ist auch nicht mehr zu sehen. Ich hoffe, beides taucht wieder auf… :-(

Blackneon
Blackneon (@guest_56725)
Vor 6 Jahre

Ja so ist es was soll man dazu noch sagen . Ich Lehne mich ,mal aus dem Fenster und behaupte das mann sofort oderrelativ schnell Merkt ob sich, jemand mit der Szene Identiviziert oder nur mal, sein Wochenende mit anderen Klamotten ausleben möchte. Traurig das das nachher Prägend ist für die meisten Menschen :(.

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