Im sächsischen Torgau, rund 50 km von Leipzig entfernt, soll im August 2021 das „Schwärzeste Festival“ stattfinden. „Stella Nomine“ nennt Organisator Thomas Richter seine Vision von einem Gothic-Festival, das Besucher aus Deutschland und der ganzen Welt anlocken soll. In den sozialen Medien diskutiert die ausgehungerte schwarze Gemeinde diese angekündigte Vision sehnsüchtig, obwohl bisher weder Bands angekündigt noch ein Rahmen ausstaffiert wurde. Und obwohl ich objektiv berichten wollte, wirkt das auf mein Meinungszentrum, wie frühmorgendliches Sonnenlicht in Kajal-umrandeten Grufti Augen nach einer durchtanzten Nacht.
„Einfach etwas ausprobieren“
Thomas Richter organisiert seit 15 Jahren das Metal-Festival „In Flammen“ erfolgreich am gleichen Ort. Gegenüber der Torgauer Zeitung schildert er sein Beweggründe: „Schon in seiner Jugend habe ihn die Grufti- und Gothic-Szene fasziniert, nun wollte er diesem ganz speziellen Genre ein eigenes Festival in der Region bieten.“ Und obwohl er Gartenparty-Charme verströmen will, ist der Ansatz „alles anderes als Low-Budget„. Die Internetseite Tag24 nimmt sogar das geplante Festival zusammen mit dem WGT in die Schlagzeile und titelt: „Neben dem WGT: Neues Gothic-Festival bei Leipzig in Planung!“
Kommerziell findet Richter sein Festival nicht: „Ich möchte der Szene zeigen, dass es auch anders geht und mich vom Kommerz distanzieren.“
Die einzige Gemeinsamkeit mit dem WGT dürfte aber wohl die örtliche Nähe zu Leipzig sein, denn vom gewünschten „Gartenparty-Charme“ dürfte das Treffen zu Pfingsten wohl meilenweit entfernt sein.
Für mich ein weitere Derivat des Gothic-Franchise, dessen Ankündigung im November 2020 sich ein bisschen so anfühlt, wie Regen in der schwarzen Wüste, der nach fast einem Jahr völlig Festivallosigkeit die vertrockneten Grufti-Blumen wieder zum Blühen bringt.
Ja, ich wollte einfach nur über ein neues Festival berichten, aber leider ist meine Meinung heute stärker als der objektive Sachverstand. Das oben genannte Interview wirkte dabei wie ein Katalysator, denn Richter möchte keinen „großen Reibach“ machen, sondern „einfach etwa ausprobieren„. Ein paar Kontakte in die Gothic-Szene hätte er ja schon gesammelt und viele der guten Gothic-Bands kommen ja aus Deutschland, „was die Organisation etwas erleichtere„.
Gothic, das Festival Franchise
Der Name „Gothic“ ist ein lizenzfreies Franchise, an dem jeder teilnehmen kann. Es gibt (oder gab) unzählige kleine und familiäre Festivals in Deutschland, die mit den gleichen Begriffen auf sich aufmerksam machen wollen. Viele davon werden dann wirklich leidenschaftlich und voller Herzblut organisiert und wirken auf mich nicht so beiläufig wie „Stella Nomine“. Außerhalb des WGTs könnte man beispielsweise das NCN-Festival im Kulturpark Deutzen (30 km südlich von Leipzig) nennen, das im September für die Region durchaus etwas bietet. Auch für 2021 plant man bereits mit Front 242, Midge Ure und den Men Without Hats.
Sicher, in diesen Zeiten in denen Veranstalter unter Corona leiden, braucht es Zuversicht und Mut, um nach vorne zu schauen. Auch die Künstler freuen sich sicherlich wieder darauf, Live ihren Fans in die Gesichter zu blicken, während sie sich auf der Bühne verausgaben. Auf mich wirkt das „Stella Nomine“ allerdings so ein bisschen wie ein fahrender Händler, der mit seinen Wasserfässern durch die Wüste fährt und mit den Tropfen, die er auf seinem Weg verliert, die ausgehungerten Gruftis hinter sich schart.
Ich bin der Meinung wir brauchen keinen schwarzen Trittbrettfahrer, der zeigt, dass es auch „ohne Kommerz“ geht. Denn das wissen viele kleine und leidenschaftliche Festivals, die aus der Szene entstanden sind, schon seit Jahren.
Niemand weiß, was nächstes Jahr sein wird. Allerdings ist sicher, dass nach einer bedingungslosen Öffnung von Veranstaltung die Gruftis in Scharen zu Festivals strömen, um nachzuholen, was ihnen bis dahin entsagt bleibt. Ich hoffe, dass die damit belohnt werden, die durch die Krise hinweg an ihren Ideen festgehalten haben und auch möglicherweise 2021 schwarze Angebote für uns stemmen werden.
Grundsätzlich finde ich es ja gar nicht schlecht wenn noch ein paar kleinere Festivals mit viel Herzblut aus der Asche hervorgingen, die Corona gerade zu hinterlassen droht. Allerdings wäre für mich Leipzig auch schon mit einigem Aufwand verbunden, daher hoffe ich ehrlich gesagt aktuell mehr darauf, dass bereits bestehende kleine und mittlere liebgewonnene Festivals wie das Owls ´N Bats, das Minicave, oder das Autumn Moon heile aus der Coronanummer hervorgehen werden, anstatt auf gänzlich neue Pferdchen zu setzen. Diese liegen zugegebenermaßen aber auch deutlich näher an meiner eigenen Haustür. ;)
Dazu fällt mir nicht viel ein außer „Mund zu voll“.
Wie lange ist die Seite schon online? Mein erster Eindruck geht eher in Yoricks Richtung und das nicht nur wegen Corona.
Weder die Hochglanzmagazinästhetik der Webseite noch die vollmundige Konzeptlosigkeit sprechen mich wirklich an. Wenn ich ein familiäres Festival zusammen stellen will, dann verspreche ich kein (Entschuldigung für die Stichelei!) „super billing quer durch den Gemüsegarten der Extreme“, sondern suche nach Bands, die bislang kein berühmtes Forum zum auftreten bekommen haben oder suche ein Genre, das vielleicht noch nirgendwo gebündelt wurde.Unter der News-Sektion wird dann zugleich nach Bands gefragt, die erwünscht sind. Wie passt das denn zusammen?
Abgesehen davon scheint Herr Richter ja Erfahrung im Organisieren von Festivals zu haben, von daher ist es wohl eher die Präsentation, die mich irgendwie abstößt.
Um mir eine echte Meinung bilden zu können, ist das bisher Dargestellte leider viel zu schwammig und undeutlich. Was bitteschön soll ich mir unter einer Festival-Gartenparty der angeblich allerdüstersten Sorte vorstellen? Da wäre mir so etwas wie das leider nicht in diese Jahrtausend gerettete Festival Herbstnächte (auf Burg Rabenstein in Brandenburg) lieber – da stimmte wenigstens das Ambiente.
Bis auf das WGT besuche ich eh kaum noch Festivals, weil mir das meist zu anstrengend ist und ich mir lieber eine oder zwei Bands in ordentlicher Spiellänge anschaue als dass alle dreiviertel Stunde was anderes spielt. Ich schau mir aber auch maximal einen Spielfilm auf einmal an und mag keine Filmguck-Marathons, aus demselben Grund. Lieber häppchenweise genießen und das aufgenommene nachwirken lassen als massenweise konsumieren und dann übersättigt sein.
Beim WGT ist es was anderes, das ich mir das dann einmal im Jahr doch antue, hinterher völlig geplättet zu sein – aber dafür auch das Programm ausgekostet zu haben. Aber das reicht dann auch wieder für ein Jahr ;-) Hier habe ich aber auch die Möglichkeit, mich zwischendurch mal ganz auszuklinken und einfach durch die Stadt zu schlendern, entspannt essen zu gehen, ein Nickerchen zu machen etc. und muss nicht die ganze Zeit auf einem Festivalgelände ausharren. Durch die Museen, Filmvorführungen, Theater usw. bietet sich beim WGT auch außerhalb der Konzerte ein alternatives Programm, wenn man mal keine Bands sehen möchte.
Nach dem erfolgreichen Durchimpfen… und erst danach… setze ich in erster Line aufs Owls
n
Bats und das Autumn Moon. Die haben mir in den letzten Jahren am Meisten zugesagt. Vielleicht sind wir mit unserer Bevölkerung in Deutschland und im näheren Ausland, beim Winter Owlsn
Bats 2022 soweit, dass risikoarm verantstaltet werden kann.Um den Kommerz in welcher Form auch immer wird er nicht rumkommen, er will ja Geld verdienen damit.
Ich finde es mutig, grad in der jetzigen Zeit so einen Plan zu verfolgen, und werde die Sache im Auge behalten.
Meines Erachtens ist es nicht fair, gleich zu sagen ‚doof‘ und ‚brauchen wir nicht‘.
Anschauen kann man es sich auf jeden Fall, und wenn sich dann rausstellt, dass es tatsächlich doof ist und wir es nicht brauchen, fährt man halt kein zweites Mal hin.
Zimmer in Torgau ist reserviert, ich bleib am Ball….
;)
Ich bin erstmal kritisch, wenn ich mir die Seite so ansehe…. Ohne große Infos reizt mich das erstmal nicht. Andererseits ist es schön, wenn mal Alternativen geschaffen werden. Und garstiger als das M’era Luna mit seinen sich alle 2 Jahre durchwechselnden Bands und dem nicht ansprechenden Flugplatz – Ambiente kann es eigentlich nicht werden 😉
Ach, was bin ich froh, das ich mein Kärtchen für das Autumn Moon habe und vielleicht auch das Bruits de la cave stattfinden kann. Das ist wirklich unkommerziell, jedes Mal spannend und wirklich familiär…
Von der Sache her gebe ich Saphra und Klein Grün recht. Mutig ist der Plan in jedem Fall und sowohl die Besucher und auch der Veranstalter könnten davon profitieren.
Allerdings litten wir schon vor der Corona-Krise an einem Überangebot von kleinen Festivals, die alle um die Gunst der Besucher buhlten. Einige davon werden schon seit Jahren mit Leidenschaft und einer völligen Nullnummer (also kein Gewinn) am Leben erhalten, weil die Leute da wirklich Bock drauf haben.
Leider kann ich diese Leidenschaft bei dem oben genannten Veranstalter nicht erkennen und daher finde ich es schade, dass man so künstlich Konkurrenz erzeugt, die dann zur Folge hat, das möglicherweise andere Festivals einpacken können.
Mich beschleicht immer das Gefühl, hier wird der Besucher zum „Konsumenten“, der sich berieseln lässt. Auf FB fragt der Veranstalter gerade nach den Bands, die man sich im Line-UP wünscht. Die meist gewählten Bands bilden da die Speerspitze der Bands, die nahezu auf jedem großen Festival auftauchen. Ich finde das nicht gut und gleichzeitig bezeichnend.
Das was wir brauchen sind Festivals, die wieder Fans und Musiker zusammenbringen, die der Szene wieder das Gefühl geben, abseits eines Mainstreams zu stehen und so ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen.
Das erkenne ich leider nicht bei oben erwähntem Ansatz. Im Gegenteil. Schmeckt wie eine x-beliebige Gothic-Serie bei Netflix. Und das finde ich schade. Sowas kann man besser machen.
„Die meist gewählten Bands bilden da die Speerspitze der Bands, die nahezu auf jedem großen Festival auftauchen. “
Genau das war meine Befürchtung. Wer die sehen will, braucht kein weiteres Festival, weil die eh schon alle naselang auftreten.
Zumindest sollte man dann nicht ankündigen, es wäre was ganz Innovatives.
„Auf FB fragt der Veranstalter gerade nach den Bands, die man sich im Line-UP wünscht. Die meist gewählten Bands bilden da die Speerspitze der Bands, die nahezu auf jedem großen Festival auftauchen. Ich finde das nicht gut und gleichzeitig bezeichnend.“
Das ist wohl der Hauptgrund für meine Skepsis! Auch meine Stichelei wider den „Gemüsegarten der Extreme“ rührt daher, dass Herr Richter darin seine musikalische Vertrautheit vor allem mit Metal deutlich macht. Zumindest dort gilt „extreme“ Musik mehr oder weniger automatisch als interessant, was ich halt im Wave-Postpunk-Gothic-Bereich so überhaupt nicht sehe.
Prinzipiell könnte aus den 200 Bandvorschlägen immer noch ein interessantes Line-Up hervorgehen… nur wer wird schon die ganzen unbekannten Bands (etwa Isolated Youth, Twin Tribes oder Ötzi) einladen, wenn er mit dem Event Geld verdienen will (von The Creeping Terrors, Jesucrisis oder Solo Ansamblis muss ich wohl gar nicht erst anfangen).
„Auch meine Stichelei wider den “Gemüsegarten der Extreme” rührt daher, dass Herr Richter darin seine musikalische Vertrautheit vor allem mit Metal deutlich macht. Zumindest dort gilt “extreme” Musik mehr oder weniger automatisch als interessant, was ich halt im Wave-Postpunk-Gothic-Bereich so überhaupt nicht sehe.“
Na na, also NDT ist schon ziemlich „extrem“ und für mich jedenfalls auch extrem interessant.
Ja, da hast du sicher recht. Es ist zwar schon etwas her, dass ich entsprechende Alben von Das Ich, explizit einsam, Stillste Stund oder Goethes Erben hervorgekramt habe, doch einprägsame Erlebnisse waren diese Gruppen auch für mich und ich erinnere mich auch an Gespräche mit Szenegängern, für die frühe Goethes Erben oder diverse Benn-Vertonungen von Das Ich einrägsam waren.
Davon abgesehen würde ich behaupten, dass dies vor allem mit Blick auf die Texte gilt. Was es im WPPG-Bereich m.E. nicht gibt, ist eine klare Entwicklungsgeschichte von früheren zu späteren Bands, die auf eine immer radikalere klangliche und subszenetypische Erscheinung hinausläuft. Es gibt im WPPG-Bereich auch keine wirkliche Vermarktung von Musik als extrem, etwa durch kryptisch-unleserliche Bandnamen oder ein Kokettieren mit Ekel wie etwa bei Coverbildern von Death Metal Bands.
was heißt denn WPPG?
Wave-Post-Punk-Gothic
Schade, aber damit geht mein Optimismus dann auch schon wieder dahin. Irgendwie ist es natürlich auch zu erwarten, dass die Besucher am ehesten die Bands der schwarzen Oberfläche wählen werden, die sich nach wie vor der größten Beliebtheit erfreuen. Da brauchen wir uns wohl nichts vormachen, auch wenn ich es selbst ein wenig schade finde.
So wirkt das ganze jedenfalls auch auf mich wie viel Schall und Rauch um nichts. Zumindest um nichts, was es nicht auch anderswo schon im kleinen wie großen Maßstab gibt.
Klingt auf jeden Fall interessant. Bin gespannt auf weitere Informationen. Die Homepage ist schön gestaltet, enthält aber bisher wenig Konkretes. Der Veranstalter sollte sich auch im Klaren sein, dass die Gothic-Community keine reine Musikszene und auch schon lange keine reine Jugend-Subkultur mehr ist. Sie bildet nahezu den gesamten Altersquerschnitt der Gesellschaft ab und ist für viele eher ein Lifestyle-Ding. Daher ist das Rahmenprogramm für viele potentielle Besucher mindestens genauso wichtig wie die Konzertveranstaltung. Darauf beruht letztlich auch der Erfolg des WGT.
Mutig, dass jetzt vollmundig rauszuhauen, wo noch keiner weiß, was im Sommer bezüglich Corona geht. Betrifft ja auch WGT, dass in alter Normalität ja stattfinden soll. Das Durchimpfen wird bestimmt noch bis in die zweite Jahreshälfte andauern. Ohne ausreichend Schnelltests oder verkleinerten Rahmen wird das wohl ins Wasser fallen aufgrund der zu erwartenden Auflagen. Ob sich ein verkleinertes Festivals mit solchen Headlinern lohnen wird, die zur Zeit nach ganz oben gevotet werden bei Fb, wird man sehen. Fazit: Am Ende wieder so ein Festival, was sich an den Mainstream der Szene wendet mit den ewig gleichen Bands. Klein geht anders siehe die familiären Post Punk Festivals oder das NCN, was damit ja auch wirbt. Ich denke, es braucht nicht wirklich noch so ein Nullachtfünfzehn Festival, was Mera Luna, Amphi etc. abkupfert, um den schnellen Reibach zu machen. Fahrt lieber zu den kleinen aber feinen einschlägigen Batcave / Post Punk Festivals in Deutschland / Polen, die mit viel Liebe / Herzblut veranstaltet werden und gerade jetzt jeden Support brauchen, um zu überleben. Keiner will am Ende die Gothic Mainstream Festivals, wo der Schwarze Ballermann läuft.