Weil die Mittelalter-Band Irdorath auf einer Demonstration gegen den belarussischen Diktator Lukaschenko mit ihren Dudelsäcken unter anderem den Protestsong „Peremen!“ spielten, wurden 16 Personen aus dem Umfeld der Band am 2. August 2021 bei einer Geburtstagsfeier der Sängerin Nadseja Kalach festgenommen. Die Behörden begründeten die Festnahme damit, dass Irdorath mit ihrer Musik „die Demonstranten zu unrechtmäßigem Verhalten gegenüber der Polizei angestachelt hätten„. Bis zur ihrer Verhandlung, deren Termin noch nicht genannt wurde, bleiben sie in Haft.
Irdorath?
Die Band aus Minsk, die nach einer Insel aus dem Computerspiel „Gothic II“ benannt ist, ist spätestens seit ihren Auftritten beim Wacken Festival, beim Wave-Gotik-Treffen in Leipzig oder den deutschlandweiten MPS-Festivals auch innerhalb der schwarzen Szene sehr bekannt. Durch die musikalische Thematisierung Belarussischer Mythen und Legenden sollten sie eigentlich ein Aushängeschild ihres Landes sein. Doch die Realität sieht anders aus.
Seit ihrer Beteiligung an den Protesten, auf denen sie den Protestsong „Peremen!“ der legendären russischen New-Wave Band „Kino“ spielten, stehen Irdorath jedoch im Fadenkreuz behördlicher Ermittlungen. Ende 2020 verloren sie bereits ihre Arbeit für einen Jugendhilfeverein und auch der Proberaum wurde ihnen gekündigt. Die Repressionen, unter denen Musiker in Belarus leiden, nehmen immer bizarrere Züge an. Seit 2021 bemühte man sich zusammen mit deutschen Veranstaltern und Freunden eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland zu bekommen. Wie der Dunkle Parabelritter berichtet, garantierten sowohl er als Veranstalter als auch das Wacken-Festival die Beschäftigung der Band. Da Irdorath bis zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht als politisch verfolgt galten, wurde eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung abgelehnt, man bezweifelte außerdem, dass man die Band während Corona überhaupt beschäftigen könnte. Unterdessen kündigte Lukaschenko an, das Land von unerwünschten Einflüssen durch Kulturschaffende und Journalisten zu „säubern“, wie die Tagesschau berichtete:
Lukaschenkos Racheaktion begann mit oppositionellen Politikern und richtet sich nun gegen alle Einrichtungen der Zivilgesellschaft – damit sich dort kein Widerstand mehr organisieren kann. Denn der ist nach Lukaschenkos eigener Aussage das Ergebnis ausländischer Kräfte, die sein Volk manipuliert haben: „Nun läuft die Säuberung. Denken Sie, dass das einfach ist? Da arbeiten bereits Tausende unserer Leute, deren Gehirne für fremdes Geld gewaschen wurden.“
Die Band tauchte unter und organisierte eine Flucht aus ihrem Land. Kurz bevor es endlich so weit sein sollte, stürmte ein schwer bewaffnetes Sondereinsatzkommando die Geburtstags-Feier und inhaftierten die Anwesenden. Seit dem sitzt die festgenommenen Personen in einem berüchtigten Gefängnis fest, das für Folter und Misshandlungen der Insassen bekannt ist. Ihnen drohen 4 Jahre Gefängnis dafür, dass sie auf einem friedlichen Protest Dudelsack gespielt haben!
Auf dem Kanal vom „Dunklen Parabelritter“ Alexander Prinz, der mit der Band befreundet ist, gibt es eine äußerst umfangreiche Zusammenfassung der Ereignisse.
In Deutschland machen immer mehr Menschen aus und um die Mittelalter-Szene Stimmung für mehr Aufmerksamkeit zu dem Thema. Die Band Corvus Corax demonstrierte jüngst lautstark vor der belarussischen Botschaft, wie die Deutsche Welle berichtet:
Fremdscham auf einem neuen Niveau
Die TAZ titelte „Mit Maschinenpistolen gegen Dudelsäcke“ und brachte die Ereignisse für mich auf den Punkt. Allerdings ersticken einzelne Ereignisse wie dieses gerade in einer Lawine unfassbarer Nachrichten. Die Politik stolpert im Wahlgetümmel über ihre eigenen Entscheidungen, während die Situation in Afghanistan außer Kontrolle gerät. Auch die vom Hochwasser betroffenen Gebiete sind weit davon entfernt, als gerettet zu gelten, während immer neue Hiobsbotschaften über klimatischen Veränderungen die Bevölkerung verunsichern und Corona darauf lauert, uns wieder in einen Lockdown zu katapultieren.
Doch halten wir fest. Belarus ist die letzte europäische Diktatur. Präsident Lukaschenko unterdrückt sein Volk auf brutalste Weise, geht mit äußerster Härte gegen Andersdenkende vor und zwingt selbst zivile Flugzeuge im belarussischen Luftraum zu einer Landung, weil sich darin ein regierungskritischen Blogger befand, den man verhaftete.
Und während all dieser Ereignisse laufen in Berlin Menschen über die Straßen, die gegen eine vermeintliche Diktatur protestieren. Menschen, die sich offenbar selbst am wichtigsten sind und Regeln für ein gesundes Miteinander als Einschränkung ihrer Freiheit empfinden. Ich muss mich jedes mal schämen, wenn ich das sehe. Auf einem ganz neuen Niveau.
Was kann man tun, um der Band Irdorath zu helfen?
Aufmerksamkeit für dieses Thema schaffen. Auch wenn Eurer Aktionismus möglicherweise erschöpft ist, zitiere ich hier den dunklen Parabelritter: „Um ehrlich zu sein, aus einem sicheren Haus in Zentraleuropa kann man sich auch für verschiedene Themen gleichzeitig einsetzen.“
Nutzt den Hashtag #freeIrdorath auf Youtube, Facebook oder Twitter und verbreitet Videos und Artikel, die darüber berichten. Ihr könnt auch spenden, wenn ihr wollt. Das Council for Culture, dass sich aus dem Exil um die Belange belarussischer Künstler kümmert, hat eine Spendenaktion gestartet: https://getdonate.org/en/campaign/335 – Das Geld wird dafür benötigt, die inhaftierten Künstler zu versorgen, den Angehörigen zu helfen und wichtigen Support zu organisieren.
Das ist wirklich tragisch und die Zustände in Belarus sind nicht hinnehmbar (wie Recht Du hast, dass die Querdenker sich das mal anschauen sollten, um einen Vergleich zu einer echten Diktatur zu haben). Allerdings begab sich die Band mit ihrer Teilnahme an Protesten bewusst auf dünnes Eis und in Gefahr, und die Vergangenheit hat gezeigt, wie schnell dort Menschen verhaftet werden… Ich will nicht direkt sagen, dass sie selbst Schuld sind, das maße ich mir nicht an. Aber ich will sagen, sie waren sich der Gefahr vermutlich bewusst und haben es trotzdem getan.
Ich weiß nicht, wie ich in so einer Situation reagieren würde, vermutlich wäre ich nicht jemand, der sichtbar protestiert, sondern eher auf anderen Wegen (Untergrund) nach Lösungen sucht, weil ich nicht so der rebellische Typ bin. Niemand von uns kann es sich vorstellen, wie es ist in einer solchen Diktatur zu leben, so heftig war es ja nicht einmal in der DDR, als politische Gegner verfolgt wurden.
Sie waren sich der Gefahr bewusst und haben es trotzdem gemacht, und das ist gut so! Denn wie sollen wir hier sonst mitbekommen was in anderen Ecken der Welt passiert wenn es nicht Menschen gibt die darauf aufmerksam machen.
Ich bin mir auch nicht sicher ob ich mutig genug wäre so zu handeln, aber ich bin dankbar das es diese Menschen gibt!
Und danke Robert für diesen Artikel. Ja es ist alles sehr arg zur Zeit und man muss sich wohl dosiert mit diesen schwierigen Themen auseinandersetzten, aber man darf nicht die Augen verschließen.
Und exakt, das angesichts dessen, die Menschen hier in Deutschland die sich vom Tragen einer Maske unterdrückt fühlen, macht wütend und beschämt! Geht nicht in meinem Kopf!
Das sehe ich ganz ähnlich. Ich weiß nicht ob ich den Mut gehabt hätte in einem System wie Belarus so zu handeln, wie Irdorath gehandelt haben. Das sie es taten obwohl ihnen die Gefahr bewusst gewesen sein dürfte verdient aber meinen Respekt.
Auch ich gebe Robert hier vollkommen Recht. Wenn ich hier in Deutschland Leute dann von einer Diktatur schwafeln höre, weil man sie darum bittet eine Maske zu tragen, ihnen den Sinn von Impfen nahe legt, oder ihnen mitteilt, dass es eben NICHT zu ihren Grundrechten gehört während einer laufenden Pandemie ohne entsprechende Vorkehrungen auf die Malediven zu fliegen, dann möchte ich beinahe weinen. Das ist dann nur noch zum fremdschämen und sonst nichts.
Aljaksandr Staraszin von der russischen Band Theodor Bastard und die ukrainische Band FRAM haben sich neben Corvus Corax engagiert.
https://www.youtube.com/watch?v=GDN2d6HRkOE
Spende ist in Arbeit.
„Und während all dieser Ereignisse laufen in Berlin Menschen über die Straßen, die gegen eine vermeintliche Diktatur protestieren. Menschen, die sich offenbar selbst am wichtigsten sind und Regeln für ein gesundes Miteinander als Einschränkung ihrer Freiheit empfinden. Ich muss mich jedes mal schämen, wenn ich das sehe. Auf einem ganz neuen Niveau.“
Danke Robert, besser hätte man es kaum schreiben können. Zum verzweifeln, echt.