Er hat viele Worte. Jedes Jahr sterben in Deutschland rund 10.000 Menschen durch den Suizid, Selbstmord, Freitod oder die Selbsttötung. Die Motive sind unterschiedlich, vielschichtig und für die meisten Menschen nicht leicht nachvollziehbar. Heute ist der Welttag der Suizidprävention, der 2003 von der WHO ins Leben gerufen wurde, die den Suizid als das größte Gesundheitsproblem der Welt darstellt. Jährlich, so die WHO, nehmen sich rund 1 Million Menschen das Leben.
Seit Jahren hält sich auch die Behauptung, dass die Gothic-Szene ein Sammelbecken für selbstmordgefährdete Individuen ist. Offenbar verbindet man düstere Musik und schwarze Kleidung gleich mit einem Hang zu psychologischen Grenzbereichen. Einzelfälle mit schwarz gekleideten Leuten geben den Gerüchten immer wieder neues Futter: “ Statt Freude am Leben der Hang zu Depressionen und Selbstmord-Fantasien.“ 1 Vielleicht ist es auch die Leidenschaft für Friedhöfe und die morbide Ästhetik, vielleicht ist der Grund, dass sich manche Szene-Gänger intensiver mit der Thematik auseinandersetzen. Aber das sind auch nur Gerüchte, die drei jungen Männer haben ihren Tod freiwillig herbeigeführt, oder?
Ist der Selbstmord immer eine freiwillige Entscheidung? Nietzsche prägte zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Begriff „Freitod“, den er in seinem Werk „Also sprach Zarathustra“ eingehend thematisiert. „Seinen Tod stirbt der Vollbringende, siegreich, umringt von Hoffenden und Gelobenden. Also sollte man sterben lernen; und es sollte kein Fest geben, wo ein solcher Sterbender nicht der Lebenden Schwüre weihte! […] Dass euer Sterben keine Lästerung sei auf Mensch und Erde, meine Freunde: das erbitte ich mir von dem Honig eurer Seele. […] Meinen Tod lobe ich euch, den freien Tod, der mir kommt, weil ich will.“ Er selber konnte dieses Ziel nicht erreichen. Dement und teilweise gelähmt starb er an den Folgen einer Lungenentzündung.
Die moderne Psychologie bezweifelt die Fähigkeit, seinen Tod bewusst und freiwillig herbeizuführen, weil sie annimmt, das Menschen, die vor dieser Entscheidung stehen, durch die intensive Beschäftigung damit nicht mehr im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten sind. Man sieht den Selbstmord als eine Folge von psychischen Störungen wie Depression oder Schizophrenie. Neuzeitliche Philosophen wie Wilhelm Kamlah sehen das anders. Er hält den rationalen Suizid, der auf einer bewussten und klaren Entscheidung beruht, für ein Grundrecht des Menschen.
Fakt ist, dass Selbstmord gesellschaftlich nicht hoch angesehen ist. Hierzulande dürfte die Kirche für dieses Bild verantwortlich sein, denn schließlich gehört das eigene Leben Gott und der Selbstmord verletzt seine Herrschaft. Gräber von Selbstmördern sind auf Friedhöfen nicht gerne gesehen, bis ins frühe 20. Jahrhundert wurden die Leichen in ungeweihter Erde beerdigt. Der Name Eselsbegräbnis, der dafür geschaffen wurde, spricht für sich selbst.
Der Welttag der Suizidprävention suggeriert, dass der Selbstmord etwas ist, vor dem man die Menschheit schützen sollte. Man sieht es als psychische Krankheit an und vermutet, dass die Menschen, die mit dem Gedanken spielen, sich das Leben zu nehmen, vor sich selbst geschützt werden müssten. Ob das immer der Fall ist, sei einmal dahingestellt. Dabei ist ein Welttag schon bezeichnend. Offensichtlich muss man einen Tag ins Leben rufen, an dem man sich mit dem Suizid auseinandersetzt. Einmal im Jahr setzt man sich mit denen auseinander, die sterben wollen, vielleicht sogar mit den eigenen Gedanken zum Selbstmord. Es ist traurig, dass man schwierige Themen so ausblendet, dass man Gedenktage einrichten muss, um sie in der bunten Spaßgesellschaft deutlich zu kennzeichnen. Wenn es in der Gothic-Szene noch die Menschen gibt, die sich nicht davor scheuen sich Gedanken darüber zu machen, ist es eine angenehme Szene. Nicht etwa, weil man aus dem Leben scheiden möchte, sondern erkennt, dass man die Wahl hat. Vielleicht lebt man sein Leben so bewusster und schätzt, was man lebt.
Einzelnachweise
- Quelle: Artikel in der Bild vom 23.05.2010: „Was trieb die drei jungen Männer in den Tod?“[↩]
Prävention? Kann man den Menschen absolut nichts selbst überlassen?
Warum diese Betroffenheitsstimmung? Vielleicht nur verletzter Stolz, weil man für betreffende Person nicht „wichtig genug“ war, um leben zu wollen?
Das Gefühl des allein gelassen werdens?
Am Ende doch nur egoistische Motive der „Hinterbliebenen“?
Schwieriges Thema, wie ich finde. Tragisch, wenn man sich mit den Einzelfällen beschäftigt und das ganze emotional unter die Lupe nimmt, aber dennoch schwierig.
Generell habe ich ein Problem damit, wenn Suizid als „gut“ oder „schlecht“ bewertet wird, auch wenn man das nicht abstellen kann. Aber irgendwie ist es doch fast schon arrogant, wenn man sagt, dass man das Leben gefälligst zu Leben hat und dass man Leben per se als Geschenk betrachten soll, welches man „nicht verschwenden darf“, um es mal sehr salopp zu formulieren.
Es stellt sich die Frage, ab wann ein Leben gut und wirklich lebenswert ist und ab wann nicht. Und das kann man fast nicht beantworten, eigentlich nur, wenn es um das eigene Leben, das eigene Empfinden geht.
Genauso wie die Frage, worin die Motive des Suizides liegen. Davon gibt es viele und das ist der Punkt: Ab wann ist es vertretbar, jemanden gehen zu lassen und ab wann kann man so eingreifen, dass das Leben für einen anderen wieder kostbar wird? Und zwar wirklich kostbar für ihn selbst!
Ich gebe zu ich bin während der Pubertät oft in Suizidforen unterwegs gewesen und dort hatte man alle möglichen Motive lesen können: Vom Liebeskummer, über Opfer (sexueller) Gewalt, die entsprechende Traumata erlitten haben und die nie richtig überwunden wurden, bis hin zu Menschen, die eine schwere körperliche Krankheit hatten/haben und die den Zeitpunkt ihres Todes selbst bestimmen wollen, um nicht elendig vor die Hunde zu gehen.
Im Kontakt mit diesen Menschen stellte ich erst richtig fest, wie komplex das ganze Thema ist. Eine Therapie ist eben auch keine Allroundlösung. Auch beim 2. oder 3. Mal nicht. Und der Wille kann ja da sein, doch wenn man sich selbst in seinem Erleben und Handeln nicht begreift, dann findet man sich selbst wieder in einer fiesen ambivalenten Spirale, die das ganze Leben bestimmt und mitunter auch zerstört.
Es mag von meiner Seite aus empathielos und furchtbar zynisch und gemein klingen, aber vielleicht ist der Suizid nur das Ende einer Krankheitsgeschichte und somit trotz allen Bemühungen nicht wirklich zu verhindern. Jedenfalls gibt es an psychischen Störungen so viele Dinge, da erscheint einem die Diagnose „Depression“ ja noch als harmlose Sache.
„Ein Trauma für die Hinterbliebenen“ – ach, ich mag diese Pauschalisierungen nicht. Natürlich leiden Angehörige bei einem Suizid besonders, machen sie sich doch selbst Vorwürfe, sind wütend und generell ist es schwer den Suizid zu begreifen – aber ob das alle ein Leben lang so stark betrifft? Ich will nicht abstreiten, dass es ein ganz starker Schicksalsschlag ist, den man sehr sorgfältig aufarbeiten muss. Aber gerade wenn es um Suizidfälle geht, bei denen sich Menschen umbringen, weil sie eine schwere körperliche Erkrankung haben frage ich mich, ob es die Angehörigen genauso hart trifft, besonders, wenn ein frühes Ableben bekannt war.
Auch musste ich in der Zeit in den Suizidforen noch etwas anderes feststellen: Es gibt diese tragischen Fälle, bei denen Menschen sich das Leben nehmen und die Angehörigen recht wenig Trauer übrig hatten. Und wenn man sich dann in der Sektion mit den Tagebüchern die Einträge der Verstorbenen durchgelesen hat, dann konnte man sich auch schnell ein Bild machen, warum es so weit kam.
Natürlich ist das fahrlässig, wenn man die andere Seite nicht angehört hat, aber bei einigen Fällen drängte sich dieser Verdacht leider auf (dennoch hoffe ich, dass es nur ein böser Verdacht meinerseits ist).
Allein aus diesen Gründen würde ich den Satz, dass alle Angehörigen leiden nicht unbedingt unterschreiben.
Wie immer gilt es, den Einzelfall zu prüfen.
Ich möchte diese Kampagne aber nicht zu sehr negieren. Denn grundsätzlich finde ich es wichtig, auf dieses Thema hinzuweisen. Denn ich kann mir vorstellen, dass man vielen Menschen ein Leben ermöglichen kann, welches sie selbst wieder zu schätzen wissen und das sollte man definitiv anstreben.
Das größte Problem und das wurde ja richtig erkannt, ist aber einfach diese Tabuisierung in der Gesellschaft. Der Tod ist einfach ein unbequemes Thema. Und wenn er dann durch den Toten gewollt herbeigeführt wurde erst Recht. Man kann es als Außenstehender nicht begreifen, doch man kann es versuchen und sollte es nicht verurteilen. Ich denke, dass sich viele Menschen keine Hilfe suchen, weil sie die Reaktionen der Mitmenschen fürchten, weil sie Angst haben als Spinner zu gelten. Und da versucht man ja anzusetzen, in dem man darauf aufmerksam macht und sagt: Es IST eine Tatsache, dass viele Menschen diesen Weg wählen und man KANN es verhindern.
Zu Selbstmord weiß ich eine nette Geschichte die gestern erst passiert ist.
Einige kennen sicher das viel umstrittene Imageboard 4Chan, das besonders für seinen Channel /b/ berüchtigt ist, in dem eigentlich mit allem möglichen und unmöglichen zu rechnen ist.
Auf dieser Seite stieß ich jedenfalls auf einen Thread in dem jemand ankündigte sich umbringen zu wollen, es ging im gar nicht darum irgendwen zu informieren das er das vor hat, da die Seite relativ anonym ist, er wollte sich nur für die vergangenen 8 Jahre bedanken in dem ihm die Seite wie ein Zuhause war in dem er sich wohlfühlt.
Er wollte scheinbar bei einem Casino in der Nähe irgendwo runterspringen (hat sich mir nicht so ganz erschlossen aufgrund von Übersetzungsproblemen). Dem üblichen Umgangston der Seite entsprechend wurde gar nicht versucht ihn abzuhalten, man wünschte ihm nur viel Glück und ähnliches.
Ein paar Stunden später meldete sich der Poster wieder, es war ein Wunder, das sich der Thread überhaupt so lang gehalten hat, da die meisten Threads in /b/ nur eine kurze Lebensdauer haben, und verkündete warum er nun doch nicht gesprungen ist.
Er sei auf das Dach seines Wagens geklettert um zu springen, vielleicht vom Parkhaus herunter (?), als gerade ein Jugendlicher vorbei kam und auf ihn zu steuerte. Seine Vermutung war erst das dieser ihn erst noch anfeuern wollte oder die üblichen Argumente bringen würde warum er doch nicht springen sollte. Es stellte sich aber heraus, das dieser ebenfalls ein eifriger Besucher der Seite war. In dieser Situation jemanden von dort anzutreffen, noch dazu zu dieser Zeit (es war mitten in der Nacht), überzeugte ihn dann sich doch nicht umzubringen.
Ich habe den Thread noch verfolgt bis er verschwand, er postete noch das er inzwischen die Abschiedsbriefe die er an seine Angehörigen geschrieben hat verbrannt hat und sich wohl eine Katze zu legen wird, wie es ihm der Jugendliche empfohlen hatte um einen Grund zu haben weiterzumachen.
Man mag von der Geschichte halten was man will, der eine oder andere wird, wie manche Leute auf 4Chan, es für eine Fälschung halten, ich fand das ganze einfach nur extrem rührend und ergreifend.
P.S. Passt jetzt nur bedingt hier her, aber ich denke Robert wirds mir nicht verübeln, wenn ich sozusagen „meine“ jüngste Erfahrung zu dem Thema hier schreibe, da ich sie gern mit irgendwem teilen würde nicht wüsste mir wem sonst :)
Welthungertag, Weltfrauentag, Welt-AIDS-Tag. Weltbrottag, Welttag der Jogginghose… Heiligt oder beleidigt man die Dinge oder Gruppen durch solche Tage? Oder anders gesagt, was soll ein solcher Welttag bewirken. Kurzzeitige Portionsbetroffenheit, mehr nicht.
355 Tage wird der Tatbestand im persönlichen Lebenseifer fröhlich ignoriert und plötzlich tut der brave Gutmensch so, als drehe sich dessen kompletten Denken und Handeln um dieses Thema.
Zudem…wenn ich mir solche Warnhinweise oder Selbsttest à la »Haben sie vielleicht eine Depression« so anschauen, muss ich dezent schmunzeln. Denn wenn es nach solchen Abhaklisten ginge, dann sollte man sich eher über die Sorgen machen, bei denen das Ergebnis negativ ausfällt.
Und anhand dieser Warnhinweise könnte man unstreitbar die Prognose wagen, dass alle Intelligenz unterhalb des soliden Mittelstandes bald aussterben wird. Denn jeder, der innerhalb des Prekariats zur Reflexion seines Lebens fähig ist und sich noch nicht der Selbstaufgabe hingab, wird die Mehrzahl an Punkten diese Liste erfüllen können. Ergo: Entweder ist jeder davon selbstmordgefährdet, oder man darf getrost davon ausgehen, dass nur die dahingehend exakte Äußerung und Vorbereitung ein Indiz sein kann.
Lustige Depressionstest. Die habe ich auch gerne zum Zeitvertreib ausgefüllt :D
Mir drängt sich da ja eher die Frage auf, ob man generell der Ansicht sein darf, dass das Leben einfach scheiße ist, ohne, dass man gleich eine Diagnose an den Kopf geworfen bekommt.
Dem letzten Absatz kann ich leider überhaupt nicht zustimmen.
Der Welttag heißt ursprünglich „Suicide Awarness Day“ richtig ins Deutsche übersetzt also „Suizid Bewusstseins-Tag“. Und so sollte er meiner Meinung nach auch aufgefasst werden. Es sollen nicht die Leute vor ihren eigenen Entscheidungen geschützt werden sondern die nicht betroffenen Personen sollen dazu gebracht werden, sich mit dem Thema auseinander zu setzen.Schließlich ist es viel zu oft das Umfeld, das andere in den Suizid treibt. Und sich mit dem Thema auseinander setzen, das tun – solange es nicht alle Leute zumindest einmal im Jahr machen (täglich wäre bei der heutigen Gesellschaft nun wirklich utopisch) – viel zu wenige.
Ich stimme Dir insofern zu, dass es traurig ist, dass solche Themen ausgeblendet werden, wie du es so treffend formuliert hast, aber genau deswegen finde ich es wichtig, solche Tage ins Leben zu rufen, damit das Ausblenden ein Ende nimmt. Sicher ist es naiv gedacht, dass ein spezieller Gedenktag irgendwas ändern würde (die meisten Leute wissen ja nicht mal was Weihnachten gefeiert wird), aber dennoch ist es ein ernstes Thema und solange ich auch nur einen Menschen damit zum Nachdenken bringe, habe ich alles geschafft, was ich mir für diesen Tag vorgenommen habe.
Es ist schwierig, unter Buchlänge etwas zu diesem Thema zu schreiben …
‚Vorsicht! Auch wenn Sie nur eine der zehn Fragen mit „Ja“ beantworten mussten, sollte dies unbedingt Anlass für Sie sein, professionelle Hilfe bei einem Psychotherapeuten zu suchen. Dann können Sie sicher sein: Es gibt einen Weg aus der Seelenkrise, es wird
Ihnen wieder besser gehen!‘
Ja, schon, aber wer kann heute eigentlich noch guten Gewissens alle zehn Fragen mit „nein“ beantworten? (Vermutlich würde er sich damit automatisch zum Testsieg „sollten Sie weniger Drogen nehmen?“ qualifizieren).
Nein, damit möchte ich mich nicht gegen Suizidprävention aussprechen. Aber ich finde die Aktion deutlich intelektuell unterkomplex, unter diesem Schlagwort einfach viel zu pauschal. Vorzubeugen gilt es sicher dem Suizid als Impuls (da greift die Aktion wohl kaum, aber wie häufig ist er?), oder zum Erregen von Aufmerksamkeit (der ist allerdings gescheitert, wenn er gelingt …).
Aber wie soll man denn dem Suizid derer vorbeugen, die wirklich nicht mehr leben wollen? Die Ursachen können vielfältig sein, am Ende lassen sie sich wohl immer auf entgleiste Hirnchemie zurückführen (vorausgesetzt, daß sich a. eine „Normal“chemie definieren ließe oder b. im Normalfall die Chemie keine Rolle spielte – aber wie sollte es einen Verstand ohne die ihn bestimmende Chemie geben?). Versprechungen und Illusionen zur Aufrechterhaltung der Lebensfähigkeit? Therapie kann nur helfen, wenn ein Wille da ist.
Auf der anderen Seite zwingt die Gesellschaft den Suizid ins Drama, da es keine Möglichkeit gibt, diese Entscheidung menschenwürdig zu treffen. Schmerzfreie Methoden sind sanktioniert (durchaus zurecht, wegen des Mißbrauchsmöglichkeiten), also bleibt nur (ich formuliere es bewußt brutal), das Gehirn an der Wand zu verteilen, oder die Innereien auf dem ICE. Unzumutbar für Verwandte wie Aussenstehende …
So lange es keinen humanen Umgang mit diesem existenziellen Thema gibt, greift einfach „Prävention“ einfach zu kurz …
Aber wie wäre es denn, zur Abwechslung, mit einem internationalen „macht diese Welt endlich wieder Lebenswert“-Tag? Zu kompliziert …
Nachtrag: Richtig, „Awareness Day“ macht das ganze sinnvoller
Wenn ich mir die Komentare so durchlese, habe ich das Gefühl, als wenn der Tag komplett falsch aufgefasst wird.
Es geht eben nicht darum Suizidgefährdete von ihrem Freitod abuzhalten. Es geht darum, jedem Menschen, egal ob Suizidgefährdet oder nicht, und besonders denen, die mit dem Thema eben nichts zu tun haben, ins Gedächnis zu rufen, dass Suizid ein Thema ist, welches aktuell ist.
Ich möchte hier gerne einmal zwei Zitat von der Seite „To write love on her arms“ abschreiben:
„Suicide prevention is important to me because I am alive because of people who cared enough to make sure I was okay.“
„It’s not only about preventing suicide, but also helping with depression and self-harm. The best way to prevent suicide is to treat the things that cause it.“
Der Tag ist nicht dafür gedacht, um durch die Gegend zu laufen, Stricke zu verbrennen und Rasierklingen zu vergraben, wenn ich das mal so böse ausdrücken darf. Es geht darum den Leuten ins Gedächnis zu rufen, was ihre Worte und Taten anstellen können und dass das Umfeld Sätze wie „Ich will nicht mehr“, etc. ernst nehmen sollte.
Zum Beispiel Mobbing ist ein Grund, weshalb sich viele Leute für den Suizid entscheiden. Das Umfeld ist nicht gezwungen enstprechende Personen zu „mobben“ (ot: ich persönliche finde das Wort ja furchtbar..), aber sie tun es. Tag für Tag für Tag. Ich glaube wenn man den Leuten ins Gedächnis ruft, was ihre Worte alles bewirken können und vor allem wie viel Schaden sie anrichten können, würde es weitaus weniger solcher Fälle geben.
Natürlich bleiben Einzelfälle bestehen. Es geht aber auch nicht darum alle Suizide zu vermeiden, sondern der Welt und den Menschen darin einfach nur ein Stück herzlicher zu begegnen. Zu verstehen, dass jeder Mensch seine Geschichte zu erzählen hat und jede dieser Geschichten es wert ist angehört zu werden.
Und zu den Tests im Internet: Dass diese absolut schwachinnig sind, sollte jedem gescheiten Menschen bewusst sein und ich finde es ehrlich gesagt erschreckend, dass sobald das Thema „Suizid“ aufkommt, solch Themen im gleichen Atemzug mit in den Raum geworfen werden.
Ob sich ein Mensch aus welchen Gründen auch immer das Leben nimmt, ist eine individuelle und sehr persönliche Sache. Die Beschäftigung sich das Leben zu nehmen ist sehr intensiv und geschieht nicht von jetzt auf gleich. Mal abgesehen davon das es auch Selbstmord auf Raten gibt.
Ein Nachbar von uns hat sich letzten Monat erhängt. Warum? Weil er Krebs hatte und er nicht unter seiner Würde sterben wollte. Darf die Gesellschaft oder der Staat in solch eine Entscheidung eingreifen (nicht nur auf das genannte Beispiel bezogen)? Ich denke nein, denn: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Ein Gutes hat so ein Welttag: Man kann laut sagen, dass man über Suizid nachdenkt, ohne schief angeschaut zu werden, weil der Unterschied zwischen Denken-über-das-Phänomen und Denken-über-ein-eigenes-Vorhaben deutlicher wird.
hm…wenn es gestattet ist, würde ich gerne mit zwei Buchempfehlungen einsteigen (beide vergriffen, Bibliotheken können da helfen):
Martin Neuffer: Nein zum Leben.
Anfang der 1990er erschienen, argumentiert der Verfasser Gründe, den Umstand, am Leben zu sein, nicht einfach hinzunehmen. Er führt aus, dass Sterblichkeit, Unausweichlichkeit von Leid, „[d]ie Vernichtungsstruktur biologischer Systeme“ (ein Empathie-Argument), existentielle Isolation, Enthropie, sowie das moralische und politische „Versagen“ der Menschheit es unmöglich machten, die Existenz als bewusstes fühlendes Wesen zu bejahen. Auch wenn ich seinen Ausführungen nicht mehr das negative Gewicht geben kann, dass sie haben können (m.a.W: Ich habe überall meine Gegenargumente gefunden), halte ich das Buch dennoch für wichtig, weil es einmal darauf hinweist, dass die Entscheidung „Will ich leben oder nicht?“ begründungsbedürftig werden kann, und dann auch die möglichen Rationalitäten der Lebensverneinung aufzeigt — u.U. genau die Rationalitäten, gegen die man antreten muss, wenn man einen Suizid verhindern will.
Jean Améry: Hand an sich Legen. Diskurs über den Freitod.
Mit Vorsicht zu genießen. Vor allem S. 37 ist gräßlich. Auch wenn es „Diskurs“ heißt, ist es eigentlich eher eine Lage- und Vorgangsschilderung aus dem Innenleben eines Suizidenten. Der Autor hatte zum Zeitpunkt der Abfassung bereits mehrere SV hinter sich und bringt es fertig, die Gefühlslage und Gedankengänge beim Wachsen des Entschlusses unerreicht eindringlich darzustellen. Wenn Neuffer die mögliche rationale Seite eines SV darstellt, repräsentiert Améry die möglichen affektiven Aspekte.
Ansonsten denke ich, dass es drei Hauptmotivgruppen für den Freitod gibt: 1. Fehleinschätzung der Situation; 2. herabgesetzter Wille; 3. gute Gründe.
Als guten Grund würde ich allgemein formulieren: die Unmöglichkeit eines Weiterlebens unter akzeptablen Bedingungen. Die Crux liegt auf der Frage, was akzeptabel ist.
In jedem anderen Falle dürften 1. und 2. korelliere und zur Annahme von 3. führen. Prinzipiell korrigierbar. Die oft komplizierte innere Verfassung der Aspiranten macht es unmöglich, für alle denkbaren Szenarien ein Patentrezept zum Umgang damit zu entwickeln. Mitunter hilft aber oft schon, Fragen zu stellen, um die Situation zu verstehen, was gleichzeitig verdeutlichen kann, dass die Motivation zum Suizid fragwürdig ist (das Mobbing-Beispiel etwa: Wenn ein einzelner veränderbarer Aspekt des Lebens das ganze vergällt, ist es natürlich sinnvoller, diesen Aspekt zu ändern, als alles abzubrechen).
Allerdings würde ich ziemlich viel darauf wetten, dass der Awareness Day eher zu sentimantalen Ausbrüchen a lá „ist das alles schlimm“ führt, als zur Suche nach möglichst vielen möglichst guten Gründen für das Leben.
Gabriele Fischer hat vor ein paar Jahren in einem Interview gesagt: „Es gibt nur zwei existenzielle Entscheidungen: Kinder und Selbstmord.“ Das habe ich mir gemerkt und stimme dem zu.