Im Jahre 2013 begann die Polizei von Manchester damit, Angriffe gegen Goths als „Hate Crime“ einzuordnen. Das sind Straftaten, bei denen Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe zu Opfern werden. Wie die Zeitung „The Telegraph“ berichtet, sollen in Zukunft in ganz Großbritannien Verbrechen gegen Goths und Mitglieder anderen Subkulturen als sogenannte Hassverbrechen eingeordnet werden. Trotz zahlreicher Gesetzentwürfe wird „Hate Crime“ in Deutschland bislang nicht explizit erfasst.
Was ist eigentlich „Hate Crime“?
„Hate Crimes“ sind sogenannte Botschaftsverbrechen mit Vorurteilsmotiv. Die Angreifer wollen nicht nur eine konkrete Person treffen, sondern eine ganze Gruppe von Menschen einschüchtern und damit eine Art Botschaft verbreiten.
Der Begriff stammt aus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und fand erstmals im dortigen Rechtssystem Anwendung. Man bezeichnet so Straftaten gegen Menschen, die aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe verübt werden. Neben antisemitischen, rassistischen, sexistischen oder ausländerfeindlich motivierten Straftaten, zählt man dazu auch Straftaten gegen Schwule, Lesben oder Transgender, ebenso wie gegen Mitglieder von Subkulturen, wie beispielsweise Gothics oder auch Punks.
Auch in Großbritannien wird „Hasskriminalität“ gesondert erfasst. Seit dem Mord an Sophie Lancaster im August 2007 sind auch Subkulturen stärker in den Fokus des britischen Rechtssystems gerückt. 2013 begann die Polizei von Manchester damit, Angriffe auf Goths als „Hate Crime“ zu definieren, nun steht das – wie Eingangs erwähnt – vor einer Landesweiten Umsetzung.
Warum ist eine Unterscheidung so wichtig?
Wie ich finde, bleiben Straftaten gegen Mitglieder von Subkulturen aufgrund ihrer offensichtlichen oder angenommenen Zugehörigkeit weitestgehend unbemerkt. Um Angriffe, die aus einem vermutlich empfundenen Hass gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen begangen werden, sichtbar zu machen, ist es wichtig, sie einzuordnen.
So sind rechtsextreme Verbrechen, die aufgrund von Hass oder Vorurteilen gegen Ausländer begangen werden, erst in letzten Jahren in die Wahrnehmung der Gesellschaft gedrungen. Der Mordfall Walter Lübcke, der am 1. Juni 2019 von einem Rechtsextremisten erschossen wurde, zeigt die Wichtigkeit, Hass als Ursache für Straftaten noch viel relevanter und sichtbarer zu machen. Schnell führten Ermittlungen, die von einem Rechtsextremen Hintergrund ausgingen zum Ziel. Obwohl bereits seit Jahrzehnten Hasskriminalität von Rechtsextremen ausgeübt wird, wurden viele Verbrechen lange damit nicht in Zusammenhang gebracht, wie beispielsweise am Fall des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) deutlich geworden ist.
Eine frühzeitige Verknüpfung ist bereits bei der Ermittlung von Verbrechen wichtig. So sehen sich Opfer von Hassverbrechen oft einem starken Misstrauen seitens der Ermittler konfrontiert. Auch die Staatsanwaltschaften, die bei der Wahl der Anklagepunkte die Taten bagatellisieren und aus einem Angriff auf Gothics beispielsweise einen Streit unter Jugendlichen machen, tragen nicht gerade dazu bei, Hass und Vorurteile gegenüber gesellschaftlichen Gruppen oder Subkulturen beim Namen zu nennen und hindern so die Gerichte daran, ihre Befugnisse auszuschöpfen.
Urteile, die klar benennen, dass der Täter sein Opfer nur wegen des empfundenen Hasses oder aufgrund von Vorurteilen angegriffen hat, hätten darüber hinaus auch einen symbolischen Charakter: Die Gesellschaft duldet keine Verbrechen aus Vorurteilen und Hassgefühlen. Egal, ob es nun ein „falsches“ Outfit oder eine „falsche“ Hautfarbe ist.
Hate Crime in Deutschland?
In Deutschland lebende Gothics als potenzielle Opfer von Hassverbrechen wahrzunehmen, bleibt offensichtlich auf absehbare Zeit nur ein gut gemeinter Wunsch, obwohl die bereits seit den späten 80er zum Ziel von Attacken wurden.
Ich bin in Osterberlin geboren und habe schon zu DDR-Zeiten in Hohenschönhausen Hetzjagden erlebt. „Zecken klatschen“ hieß das damals. Die „Glatzen“ wußten genau, wann „wir“ uns im Rotkamp trafen und warteten vor der Tür bis wir rauskamen.
In Deutschland hält man den §46 des Strafgesetzbuches für ausreichend, denn der erfasst bereits „die Beweggründe und Ziele“ des Täters, wozu man auch die als „Hate Crime“ zu bezeichnenden Taten mit einschließt. Tatmerkmale wie „Voreingenommenheit, Vorurteil, Hass auf Rasse, nationale oder ethnische Herkunft, Sprache, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, Alter, geistige oder physische Behinderung, sexuelle Orientierung oder ähnliche Faktoren“ sind also grundsätzlich abgedeckt, allerdings mangelt es noch sehr an der Wahrnehmung solcher Kriterien.
Weder Ermittler noch Behörden verfügen über ausreichend Fachkenntnisse und Kapazitäten, Vorurteilsmotive zu erkennen und einzusortieren. Daher werden immer wieder Straftaten in bekannten Schubladen gelegt, um die Bearbeitung zu vereinfachen. Hier ist die Zusammenarbeit mit Vereine, Verbänden und Institutionen erforderlich, die oftmals die Situationen der Betroffenen viel besser einordnen können, um so die Motive der Taten besser ergründen zu können.
Es ist traurig, aber wahr: Erst wenn in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wird, dass Vorurteile gegen Subkulturen oder Randgruppen der Grund für Straftaten sein können, macht sich auch ein Bewusstsein breit, etwas Falsches zu machen. Wenn man beispielsweise vorbeilaufende Gothics belästigt, bedrängt oder bedroht, braucht es häufig nur einen Funken, der ein Feuer entfacht. Kein Wunder also, dass die Thematisierung von Sophie Lancasters Ermordung in der Trash-Soap „Coronation Street“ sehr positiv aufgenommen wird.
„The Blogging Goth“ schreibt dazu etwa: „It was thankfully an isolated, albeit horrific incident – and it has understandably left an indelible mark on the goth subculture as a community. I expect it will resonate significantly with audiences who are familiar with the tragedy when such similar circumstances appear on their screens. Whilst Sophie and her boyfriend were attacked by strangers, Nina’s character knows her assailants – but both Nina and Sophie are from the same part of England which will add an additional level of painful similarity to this storyline.“
Aus Vorurteilen wächst Hass und der mündet häufig in Gewalt. Gerade in Pandemiezeiten ist auffällig geworden, wie sehr den Menschen ihre Feindbilder fehlen. Jeder ist schuld an der eigenen Misere. Da ist es eben einfach, seinen Frust in Vorurteilen abzulegen, sich mit anderen zu solidarisieren und Hass zu schüren. Ich finde, eine Gesellschaft, in der Vorurteile schon als Gefahr identifiziert werden, hat es wesentlich einfacher, diese abzubauen und einem schwelenden Hass vorzubeugen.
Ich denke leider nicht, dass sich durch so eine Einstufung wirklich viel ändern wird. Wer seine Vorurteile pflegen will, wird dies weiter tun und an anderen auslassen. Warum gibt es nach all den Jahren der Aufklärung, durch Zeitzeugen, Berichte, Geschichtsunterricht usw. denn immer noch Neonazis, die das Dritte Reich und dessen widerliche Ideologie toll finden? Warum gibt es immer noch Vorurteile und Anfeindungen gegen Menschen anderer Hautfarbe, Religion und Sexualtität, obwohl da seit Jahren wenn nicht gar Jahrzehnten versucht wird, vorzubeugen und aktiv gegen anzuarbeiten?
Es stimmt, bereits Ender der 80er/Anfang der 90er gab es viele Anfeindungen und tätliche Übergriffe gegen Gruftis – ich habe es selbst mehrmals erlebt und einige aus meinem Umfeld auch, das war zum Teil echt heftig. Ich denke, der einzige Grund, warum das inzwischen weniger geworden ist sind die weniger reißerischen und eher aufklärerischen/verniedlichenden Medienberichte über die Szene aus den letzten Jahren. In den 80ern/90ern herrschte noch der Tenor vor, wir seien alle satanistische, psychopatische Suzidgefährdete. Das hat natürlich den Hass erst so richtig mit geschürt und Vorurteile geschaffen.
Aber ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass die Menschheit dieses groteske und herabwürdigende Schubladendenken jemals aufgeben wird. Dazu sind viele Menschen zu einfach gestrickt, denken vorrangig in Schwarz-Weiß und übernehmen fertige Meinungsbilder, anstatt sich ein eigenes Bild zu machen und zu hinterfragen.
Warum sind denn inzwischen wieder so viele populistische Parteien und Regierungen entstanden und erstarkt? Nicht weil die Menschheit in der Lage ist, dazu zu lernen und sich in Toleranz zu üben. Ein leider nicht gerade kleiner Teil der Menschen will es einfach, überschaubar, klar in Gut und Böse getrennt vorgekaut haben, anstatt Denkarbeit zu leisten und zu differenzieren. So traurig es ist, aber wir sind in der breiten Masse deutlich weniger aufgeklärt und vernünftig, als wir von uns als Gesellschaft glauben.
Zwar halte ich die Menschheit auch für einen (fast) hoffnungslosen Fall, dennoch finde ich darf man nicht die Hände in den Schoß und den Kopf in den Sand stecken. Sonst wären ja alle Bemühungen etwas zu verändern, zu verbessern, nutzlos und man könnte einfach nur der Welt beim untergehen zusehen. Aber wenn man schon desillusioniert auf diesem Planeten voll Sinnlosigkeit umherirrt, kann man ja hier und da trotzdem mal was anstoßen. Zumindest versuche ich mich mit dieser Strategie trotz und mit meinem „Pessimismus“ bzw. Realismus und meiner Misanthropie durchzuschlagen.
Zum Thema: das Hasskriminalität gesondert erfasst wird, finde ich gut. Denn dadurch wird klar, das es in o.g. Beispielen eben nicht „nur“ ein persönliches Problem zwischen zwei Parteien ist, sondern ein strukturelles, ein gesellschaftliches. Gerade auch wenn es um Mitglieder von Subkulturen geht. Das es eben nicht nur ein privates Ding und man „selbst schuld“ ist, wenn man sich durch sein Äußeres zur Angriffsfläche „macht“/ gemacht wird. Das muss klar geregelt werden, damit solche Behauptungen nicht ziehen.
Dann kann das etwas verändern. Die Prävention kann verbessert werden, die Strafverfolgung und der Opferschutz.
Hass und Gewalt machen mich traurig und fassungslos und jeden Versuch dem entgegenzuwirken begrüße ich. Zumal mir die im Artikel erklärten Argumente sehr schlüssig erscheinen. Das hilft auch sich die eigenen Vorurteile vor Augen zu halten und zu hinterfragen.
Gar nichts zu unternehmen ist natürlich keine gute Idee, denn dann ändert sich erst recht nichts. Nur habe ich meine Erwartungshaltung an den Erfolg mittlerweile sehr runtergeschraubt – lasse mich lieber positiv überraschen als desillusuionieren ;-)
Das Thema Äußeres bietet Angriffsfläche kommt ja leider auch oft zur Sprache, wenn es darum geht, die Schuldfrage bei sexuellen Belästigungen oder Schlimmerem zu klären. Da wurde ja leider auch nicht selten die Frau für mitschuldig erklärt, weil sie durch ihre Kleidung oder Aufmachung ja angeblich geradezu dazu aufgefordert habe, angemacht oder vergewaltigt zu werden. Hier findet zum Glück mittlerweile ja ein Umdenken statt! Es kommt nur leider für sehr viele zu spät.
Im Prinzip ist es ja dasselbe Problem: dass jemand das Äußere eines anderen zum Anlass nimmt, sich gemein, übergriffig bis rabiat zu verhalten.
Es ist schon wichtig, dass so etwas geächtet wird und klargestellt wird, dass nicht die eigene Projektion auf einen anderen Menschen korrekt sein muss und es keinerlei Entschuldigung für übergriffiges Verhalten gibt – aus welchem vermeintlichen Anlass auch immer.
Vorurteile gegen Subkulturen wie Gothics werden in der Tat in Deutschland noch völlig unterschätzt. So deckt das Antidiskriminierungsgesetz z.B. derartiges noch nicht ab. Die Begründung dafür ist, wie ich vor etwa 12 Jahren lernen musste: Im Gegensatz zur Hautfarbe, Ethnie oder der sexuellen Orientierung suche man sich seine musikalisch-modische Subkultur ja aus. Dass sich hinter der Subkultur durchaus auch tiefere identitätsstiftende Haltungen verbergen können, wie man sie auch für Religionen akzeptiert, wird nicht beachtet (denn technisch gesehen könnte man das mit dem „aussuchen“ ja auch auf Religionen beziehen). Tatsache ist, dass es durchaus Fälle gibt, in dem gegenüber Subkulturen ein Verhalten an den Tag gelegt wird, welches z.B. gegenüber Homosexuellen, religiösen Menschen, Frauen oder Migranten problemlos als Diskriminierung erkannt würde. Z.B. forderte 2009 mein damaliger Prof von mir alle Kontakte in die Gothic-Szene abzubrechen, wenn ich Diplom machen wolle (was schwierig ist, wenn 80 % des Freundeskreises inklusive des besten Freundes aus der Szene sind). Ich brauchte einen Monat ihn davon abzubringen (denn natürlich verweigerte ich die Erfüllung dieser Forderung, ich hätte sonst nicht in den Spiegel schauen können), aber wegen meiner Szenezugehörigkeit legte er mir weiter Steine in den Weg: kein eigener Diplomanden-Arbeitsplatz, Auflagen zur Kleidung, die für andere so nicht galten (in der Geologie gibt es üblicherweise keine Klamottenrichtlinie), Verschleppung wichtiger Bewertungen von Teilarbeiten für den Abschluss, meiner Freundin, die am selben Institut studierte, wurde faktisch ein Abschlussthema verweigert (man hat das natürlich nicht so ausgedrückt…sie hat dann in Sachsen ihren Abschluss machen müssen). Handhabe dagegen hatte ich praktisch keine, weil wie gesagt die Antidiskriminierungsvorschriften Subkulturen wie Gothics nicht abdecken. Mir wurde kommuniziert, ich solle mal kleine Brötchen backen, mich doch gefälligst anpassen und mal diese „Jugendsache“ sein lassen (der Satz „lösen Sie sich von ihren proletarischen Ursprüngen“ war noch mal eine andere Stichelei, die damit nur insofern in Zusammenhang stand, dass sie die reaktionäre Haltung des Profs dokumentierte). Und nein, ich hab mir das nicht eingebildet. Der werte Prof erklärte mir unter vier Augen ganz offen, dass er uns schwarze Gestalten alle für gefährliche, potentiell kranke Gewalttäter hält, die er aus seinem Fach raushalten will. Grund war, dass ein Postdoc aus Hessen aus unserem Fach, der sich selbst der schwarzen Szene zurechnete und als SM-Fotograf unterwegs war, eins seiner Models ermordet hatte. O-Ton mein Professor: „Sie müssen das politisch sehen und akzeptieren, dass Sie jetzt der sind, den es trifft.“ …wie gesagt, ich hatte gegen nix ne Handhabe. Keine Gesetzgebung dagegen, die meisten harten Äußerungen unter vier Augen, viele kleine Nickeligkeiten, die erst in der Summe ein Bild ergeben, keine große Unterstützung durch Kommilitonen, die Fachschaft ein zahnloser Tiger. Nur einmal konnte ich die Verschleppung einer Bewertung durch eine Zeugenaussage belegen, das gab dann für den Einzelvorfall einen Einlauf vom Dekan. Am Ende hab ich meinen Abschluss trotz erschwerter Bedingungen geschafft, aber das war’s dann auch. Der Mann ist international gut vernetzt, hat mit seinen Professorenkumpels natürlich überall kundgetan, dass ich ein unberechenbarer gefährlicher Mensch bin und so waren alle Bewerbungen auf eine Doktorandenstelle am Ende für den Arsch. Meine Beziehung von damals zerbrach dann am Fernbeziehungszustand nachdem meine Freundin an die Uni in Sachsen wechseln musste. Mein einziger später kleiner Sieg war dann noch ein privates kleines Forschungsprojekt, für das ich 2016 einen Vortrag auf einer Tagung gehalten hab – ganz in Tiefschwarz, im Publikum mein alter Prof, mit angesäuertem Blick, der hilflos ansehen musste, wie mein Vortrag alle anderen überzeugte. Aber mehr als Ruhm und Ehre gab es dafür nicht. Ich hab dann nie in dem Berufsfeld wirklich gearbeitet. Inzwischen war ich als zäher Bursche in der Lage mir ein anderes Leben aufzubauen, ich will aber nicht wissen wie viele krassere Fälle es da draußen noch gibt.
Was du erleben musstest ist einfach nur schrecklich. Aber ob es andere von Diskriminierung betroffene Gruppen „einfacher“ haben sich zu wehren, selbst wenn die rechtliche Lage da etwas deutlicher ist, da wäre ich skeptisch. Das sollte kein Wettkampf sein wer es schwerer hat und darf nicht dazu führen das betroffene untereinander in Konkurrenz um ihre Rechte treten müssen. Aber du schreibst ja auch das es sicher noch krassere Fälle da draußen gibt.
Deshalb sollte Solidarität im Vordergrund stehen. Für mich ist es daher klar wie Kloßbrühe, dass sich gerade auch Gruftis und Mitglieder anderer Subkulturen, gemeinsam stark machen, gegen Hass und Vorurteile jeder Art. Zu denken andere haben es einfacher, ist vermutlich eines der gängisten Vorurteile.
Respekt an dich das du es geschafft hast dich von deinen Erlebnissen nicht unterkriegen zu lassen!
Ich habe die Uni immer als eine Art Save-Space erlebt. Ein Ort an dem ich mich in jeder Form frei entfalten konnte. Schätze ich hatte da echt Glück mit dem Studiengang und den Profs und Dozenten und dafür bin ich unfassbar dankbar. Aber es sollte keine Glückssache sein, sondern Selbstverständlichkeit.
Das ist wirklich übel, was Du erlebt hast. Aber wenigstens bist Du Deinen Weg konsequent weiter gegangen und hast diesem Charakterschwein nicht noch sein Erfolgserlebnis gegönnt, Dich vergrault und Deine berufliche Laufbahn kaputt gemacht zu haben. Im Gegenteil, Du konntest Dich noch in seiner Anwesenheit bei dem Vortrag behaupten – zwar ein kleiner Trost, aber immerhin ein Teilsieg und etwas Genugtuung.
Nicht nur die berufliche, auch die schulische Laufbahn ist ja häufig durch Sym- und Antipathien von Lehrkräften, Ausbildern und Vorgesetzten geprägt und beeinflusst. Es gibt Lehrer/Ausbilder/Profs, bei denen kann man sich noch so Mühe geben, die wollen einem einfach keine Chance auf gute Bewertungen geben, weil ihnen äußere, religiöse oder ethnische Zugehörigkeiten nicht passen.
Das hab ich selbst erlebt, sowohl in der Schule als auch in meiner Berufsausbildung, und ich habe es auch von sehr vielen anderen gehört, dass es ihnen ebenso ging. Das ist fatal, schulische und berufliche Benotungen und Einschätzungen so viel kaputt machen können, wenn sie sub- statt objektiv oder gar willkürlich gegeben werden.
Da gibt es schon das gesetzliche Anrecht auf Gleichstellung/Gleichbehandlung, aber trotzdem ist es schwer, sich gegen solche Willkür zur Wehr zu setzen. Wer kein dickes Fell, ein angekratztes Selbstbewusstsein, keine Unterstütung von anderen oder keinen guten Anwalt hat, bleibt da schnell auf der Strecke.
Mich macht es irgendwie wütend und traurig zugleich, dass wir bis heute noch immer Anfeindungen dieser und ähnlicher Art erleben müssen. Zwar kann ich mich selbst nicht beklagen. Mehr als ein paar blöde Pöbeleien oder abwertende Seitenblicke habe ich zeit meines schwarzen Lebens nicht ertragen müssen. Meine Schulzeit klammere ich hier mal ganz bewusst aus, da ich dort noch nicht schwarz gekleidet unterwegs war. Vielleicht blieb ich verschont weil während der letzten rund 20 Szenejahre die Bekanntheit dieser schwarz gekleideten Leute dank der Medien tatsächlich erheblich höher wurde, so wie Tanzfledermaus es schon ganz schön beschreibt. Vielleicht weil ich mit Ausnahme von meiner Kleidung, Kajal um den Augen und Schmuck um Hals und Handgelenke meist eher unauffällig unterwegs war. Ich habe mich nie gekalkt weil meine Haut seit Kindertagen manchmal echt pingelig reagiert (vielen Dank an meine Neurodermitis -.-). Meine Haare waren zwar die meiste Zeit lang und sind seit Jahren auch an den Seiten ausrasiert, waren aber eben nur höchst selten aufgestellt, weil ich dafür ohne Hilfe von Freunden schlicht zu ungeschickt bin. Vielleicht hatte ich in all den Jahren aber auch einfach nur mehrheitlich Glück, wenn ich von solch recht modernen Fällen wie die Schilderungen von Rabe lese. Wer weiß…
Nichts desto trotz sind mir diese Schilderungen natürlich nicht unbekannt. Einige habe ich aus meinem Bekanntenkreis mitbekommen, viele weitere hier aus dem Spontisblog. Der werte Hagen hatte vor einer Weile ja auch mal ähnliche Erlebnisse in seinem Beitrag „Warum damals auch alles scheiße war“ geschildert. Diese und weitere, viel neuere Fälle empfinde ich alles andere als beneidenswert und es bringt daher auch mich zu dem Schluss, dass es tatsächlich notwendig zu sein scheint solche Fälle sichtbarer zu machen, in dem man dem britischen Beispiel folgt und Subkulturen mit in die gesetzliche Aufzählung bei Hasskriminalität nimmt. Denn auch ich empfinde es durchaus als inkonsequent, dass der Gesetzgeber Religionen (die man zumindest ab einem bestimmten Alter jederzeit verlassen könnte) unter Schutz stellt, andere selbst auferlegte und verfassungskonforme Arten der subkulturellen Zuordnung jedoch nicht. Das ergibt in meinen Augen einfach keinen Sinn.
Allerdings kann ich auch Tanzfledermaus verstehen:
Das sehe ich leider ähnlich. Immer wenn es darum geht das Menschen über den Rand ihres eigenen Tellers bzw. ihrer eigenen kulturellen Wurzel hinaus blicken sollen, dann scheint es zu massiven Problemen zu kommen. Anders kann ich es mir beispielsweise auch nicht erklären wie unterschiedliche Menschen, die unter der selben Weise von Diskriminierung leiden sich auch noch gegenseitig anfeinden, anstatt zusammen zu halten. Menschen einer bestimmten Gruppierung scheinen eben Probleme damit zu haben sich vorstellen zu können, dass es auch gänzlich andere Arten der kulturellen Lebensgestaltung geben kann, die trotz aller Unterschiede im Rahmen einer Verfassung nebeneinander koexistieren können. Ganz ohne das jemand dadurch Schaden nimmt oder benachteiligt wird. Weil sonst müsste ich oller Misanthrop wieder mit der Mensch = halt doch nur Tier – Formel um die ecke kommen. Und das möchte ich heute offen gesagt gar nicht.
Ob also ein „sichtbarer machen“ durch klare Benennung überhaupt einen langfristigen Effekt erzielen würde bleibt für mich zumindest fraglich. Es nicht zu tun scheint mir aber auch nicht die beste Lösung zu sein. Vielleicht sollten wir es einfach mal ausprobieren und gucken was passiert. ;)