Eine ganze Menge Fremdwörter im Titel, ich bemühe mich, zunächst den sprachlichen Knoten zu lösen. Bodymodification (kurz Bodymod), das im Deutschen wohl am ehesten mit „Körperveränderung“ übersetzt werden könnte, ist der Sammelbegriff für alle Veränderungen des Körpers durch Piercings, Tätowierungen, Implantationen oder auch das anbringen von Ziernarben oder Verbrennungen. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Das nehmen einige Japaner besonders genau und lassen sich sei nun Kochsalzlösung unter die Haut spritzen, um die entstandene Beule auf dem Kopf dann durch den geschickten Einsatz ihrer Hände in die Form eines Bagels (Das ist dieses runde Gebäck aus Hefeteig mit dem Loch in der Mitte) zu bringen.
Ryoichi „Keroppy“ Maeda, ein japanischer Fotograf und Journalist der dortigen Bodymod-Szene, beschäftigt sich seit 20 Jahren mit dem japanischen Underground und der dortigen Bodymod-Szene. Ironischerweise war es Ryoichi selbst, der das Injektionsverfahren in Japan etablierte, das von den dortigen Anhängern der Körperveränderungen begeistert angenommen wurde. Das Magazin Vicestyle hat mit ihm ein Interview geführt, das ich begleitend zu einigen seiner Bilder übersetzt habe.
Vice: Wann wurden die Salzlösungs-Infusionen populär? Ryoichi: „Eigentlich war es Zufall, das ich Jerome Abramovitch, der als Pionier der Salzlösungs-Infusion gilt, 1999 auf der Modcon traf. Die Modcon ist eine sehr extreme Bodymodification Convention, die in diesem Jahr nach Japan kam und über die ich für das Magazin „Burst“ einen Artikel schrieb. Ich unterhielt mich mit Jerome, wir blieben in Kontakt und 2003 machte ich dann selbst einige Erfahrungen mit der Salzlösung und durfte das ganze in Japan einführen, wo ich in Tokio ein paar Leute fand, die den Leuten dort seit 2007 die Infusionen verpassen.“
Du warst also der Verantwortliche, der das Ganze den Massen näher brachte. Wie läuft das Verfahren ab? „Das ist eigentlich ganz simpel. Wir benutzen medizinische Kochsalz-Lösung, die wir mittels einer Infusion unter die Stirn bringen. Das dauert etwa 2 Stunden oder solange, bis es fertig ist.“ Zwei Stunden? Um Himmels willen! Wie lange bleibt die Salzlösung unter der Haut? „Nur eine Nacht lang. Der Körper absorbiert die Lösung mit der Zeit, am nächsten Morgen ist es wieder verschwunden. Wir genießen es, Freaks für eine Nacht zu sein, haha.“ Wird die Haut davon nicht mit der Zeit schlaff? „Nein, bei allen meinen Bekannten, die sich das haben machen lassen – unabhängig davon wie oft – ist die Stirn genau so wie vorher.“
Den tollen Bagel-Effekt erreicht man übrigens, wenn man sich während der Infusion den Daumen auf die Stirn drückt, die Salzlösung verteilt sich dann in markanten Form mit dem Loch in der Mitte. Bevor man also zur Party nach Tokio geht, wird schnell noch die Stirn mit Salzlösung verschönert, ein lustiges Loch in der Mitte rundet das Gesamtbild ab. Zweimal im Jahr veranstaltet man sogar Salzlösungsparties, zu der sich alle Anwesenden sicherlich ihre neuesten Trends servieren. Doch wer glaubt, das ist alles, sollte weiterlesen. Auf die Frage hin, ob dass das extremste sei, was die japanische Bodymod-Szene zu bieten hätte entgegnet Ryoichi:
„Oh nein, noch lange nicht. Es gibt noch viel extremere Praktiken, zum Beispiel Ear Pointing, Nabelentfernung, Amputationen oder auch traditionell japanische Ganzkörpertätowierungen.“ Was ist Ear Pointing? „Dabei werden die Ohren angespitzt, damit sie so ähnlich aussehen wie bei einer Katze. Bei der Nabelentfernung wird der Bauchnabel entfernt und bei der Amputation lassen sich die Leute einzelne Finger, oder andere Dinge abschneiden.“
Meine Güte das klingt alles so locker. Warum machen das die Leute? „Ach, wissen sie, Menschen, die extreme Bodymodifications mögen, wollen ihren eigenen Weg finden Dinge zu tun. Sie sind immer auf der Suche nach neuen Pfaden. Je weiter sich die Szene entwickelt, desto mehr Menschen experimentieren damit, ihren Weg zu gehen.“
Wer fragt, bekommt Antworten. Ich weiß noch nicht, ob ich eine Steigerung zu Augapfeltätowierungen erkennen kann, bin mir aber sicher das immer wieder neue Grenzen überschritten werden, um sich zu erfahren und den ein oder anderen mit seinem Anblick zu verschrecken. Pervers? Ein Frage der Sichtweise. In Zeiten, in denen man Gesichtshaut strafft, Nasen verkleinert, Lippen aufspritzt oder die Brüste mit Kissen praller macht sollte sich jeder fragen, wo seine Grenzen liegen. Messlatte sollte das eigene Empfinden für Ästhetik sein, keine gesellschaftliche Norm oder eine vorgelebte Sicht der Dinge. Für mich lehne ich es ab, ich finde diese Art der „Verschönerung“ unästhetisch und überhaupt nicht aufregend. Tätowierungen sind im Mainstream angekommen, für manche sind sie sogar modisches Accessoire, ein Piercing findet niemand mehr schlimm – vor 30 Jahren sah das noch ganz anders aus, wie sieht es in 30 Jahren aus?
(via Nerdcore)
Wenn es rel. Risikofrei und temporär ist – warum nicht? Bei den Damen auf dem Bild ist es mir persönlich zwar viel zu viel auf einmal, aber ist – wie so oft – Geschmackssache.
Ich liebäugel schon längeren mit Zungenspaltung und/oder Hörnern – sind aber leider beide inreversibel :(
Gut, wenn es risikofrei ist…das kann ich mir aber irgendwie nicht vorstellen, dass es ungefährlich ist, sich Salzlösung irgendwo reinzupumpen. Ganz davon abgesehen, dass ich das absolut nicht schön finde, muss das natürlich jeder selbst wissen. Aber sich Finger oder so etwas amputieren zu lassen… das grenzt für mich dann doch schon ins Krankhafte…
Da bleib ich lieber bei Tattoos und Piercings^^
Aus dem Pflegebereich kann ich nur sagen, dass es selbst bei „isotonischer Kochsalzlösung“ zu Komplikationen kommen kann. Wie eigentlich immer, wenn man Gewebe verletzt…
Ich habe einfach schon viel zu viele dick geschwollene Arme und Hände gesehen. Und irgendwie hatten alle meine Patienten dabei Schmerzen. Wobei wer sowas macht, den Schmerz wohl auch haben möchte :/
Du bist sehr tapfer! Ich habe mich nie getraut, einen Blogbeitrag über Body-Modification zu schreiben. Wer ein aussagekräftig bebildertes Buch zu diesem Thema sucht, dem kann ich „Body-Modification: Psychologische und medizinische Aspekte von Piercing, Tattoo, Selbstverletzung und anderen Körperveränderungen“ von Erich Kasten „empfehlen“. Danach fällt einem gar nichts mehr ein…
Die Kochsalzbeulen auf der Stirn
finde ich persönlich megabescheuert…
Dunkle Grüße
Melle
Nein, meinen Geschmack treffen Beulen auf der Stirn auch nicht. Was krankhaft ist und was nicht, ist schwierig zu beurteilen und nur an den eigenen Maßstäben oder an denen von Organisationen (WHO) zu messen. Dabei bleibt die Frage, ob die Maßstäbe richtig oder falsch sind. Ich lehne ab, was ich ablehne, ich toleriere, was ich tolerieren will.
Erich Kasten (danke Tobi für den Tipp) beantwortet sich die grundlegendeste Frage selbst: „Als Hauptanliegen schließt Kasten mit dem Plädoyer, die Psyche eines Menschen niemals danach zu beurteilen, wie sein Körper aussieht.“
Was passiert denn wenn man sich die Kochsalzlösung in die Brüste spritzt? hat das schon jemand probiert?
Also ich noch nicht… stelle ich mir nicht sehr gesund vor.