Das Hotelzimmer ist stickig. Ich öffne das Fenster um den Raum mit frischer Luft zu fluten, ich schaue in den Raunheimer Nachthimmel, atme tief durch und beobachte einige Flugzeuge im Landeanflug auf den Frankfurter Flughafen. Kein schöner Ort zum leben. Das Hotel bietet alle Annehmlichkeiten, ein großes Bett, eine überteuerte Minibar, ein Badezimmer mit Badewanne und Dusche. Auf dem Kopfkissen trohnt das obligatorische Bonbon, das sich geschmacklich zwischen eingeschlafenen Füßen und einem Hauch Orange bewegt.
Wer hat sich das eigentlich ausgedacht? Bestimmt ein heimlicher Schachzug der niedergelassenen Zahnärzte. Sie verleiten den erschöpften Besucher nach dem abendlichen Zähneputzen zum Konsum eines Bonbons oder eines Stückes Schokolade. Der schafft es natürlich gerade noch die vermeintliche Aufmerksamkeit des Hauses zu naschen, bevor sich der Schlaf über seine Augen legt. Und nachts, ja nachts hat dann der Zucker genügend Zeit sich durch den Zahnschmelz zu fressen und den Zähnen zuzusetzen, bis der von Schmerzen gepeinigte Hotelgast dann irgendwann den Zahnarzt aufsuchen muss. Raffiniert! Sollen die doch lieber eine von diesen kleinen Flaschen Wasser auf das Kopfkissen legen, bevor daraus ein alter Tropfen wird, denn ich bin sicher, für 3,50€ benutzt man lieber den Wasserhahn.
Ich erinnere mich an das Gespräch mit der Dame hinter dem Schalter der Rezeption. „Haben sie W-Lan?“ frage ich die dunkelhaarige mit dem unausprechlichen Namensschild. „Selbstverständlich. Soll ich das gleich dazubuchen?“ – „Was kostet das denn?“ entgegne ich überrascht, bevor einige fatale Mausklicks später die Option gebucht werden würde. Sie schaut zu mir auf, lächelt und sagt: „10,70€„. Kurzes schweigen. Um meiner Fassungslosigkeit Ausdruck zu verleihen und mein Entsetzen zu verbergen scherze ich: „Entschuldigung, ich möchte nicht die ganze Woche einen Internetzugang, ein Tag reicht mir aus.“ – „Nein, die ganze Woche kostet 71,40€„.
Ich schüttele den Kopf während ich mich an diese bizarre Szene erinnere. Ein bisschen sprachlos bin ich ja schon, Internet scheint hier eine der neuesten technischen Errungenschaften zu sein. Für einen Bruchteil surfe ich von zu Hause den ganzen Monat, während ich hier 24 Stunden unverschlüsselt und mit 256 kBit/s bis zu einem Volumen von 100 MB surfen darf. Schöne neue Welt. Ich beschließe, auch für die letzten beiden Stunden des Tages eine Code für meinen Surfstick einzugeben.
Ich schließe das Fenster. Draußen steigern sich Flugzeuge, vorbeifahrende Züge und das niederfrequente Brummen der entfernten Großstadt zu einer nervtötenden Geräuschkulisse. Stille ist Luxus. Mein trockener Mund erinnert mich daran, dass ich immer noch nichts getrunken habe. Ich werde mir wohl nochmal die Pikes unter die Füße schnallen müssen, um zur nahe gelegenen Tankstelle zu eilen damit ich mir zu mindestens halbwegs erschwingliche Getränke mit Geschmack zulegen kann.
Da kontere ich doch mal mit den Münchener W-Lan Preisen: Holiday Inn Schwabing 14,00 Euro und Hilton Munich Park ähnlich. Ich empfehle den Bild W-Lan Stick mit der Bildmobil Karte.
Trotz deiner unausweichlichen Melancholie –bei der man beim Lesen das Gefühl hat, neben dem Fenster auf dem Stuhl zu sitzen, den letzten Rest des Reinigungsduftes einzuatmen und sich in der Einöde des Zimmers selbst zu viel zu sein- besitzen Hotelzimmer doch eine eindringliche Atmosphäre. Und zwar den Zwiespalt zwischen der greifbaren Weltverbundenheit und der unendlichen Einsamkeit.
Ich weiß nicht, ob ich diese Unterkünfte lieben oder hassen soll. Aber definitiv besser als 10-Bett-Lehrgangswohnheim-Zimmer. Da dort die Kopfkissen oft genug mit anderem als Bonbons verziert waren.
Wow, an sich werden hier nur gewöhnliche Gegebenheit besprochen, an denen nichts weiter besonders ist. Aber trotzdem kriegst du es wunderbar hin dem ganzen eine Trostlosigkeit und Melancholie zu verpassen, die sich schwer beschreiben lässt.
Schön geschrieben :)
Guldhan
Diese Einöde und der von dir beschriebene Zwiespalt sind sehr reizvoll, aber der Krach, den Robert beschreibt, würde es mir unmöglich machen, mich auf irgendwas zu konzentrieren. Nicht mal auf Einöde.
Zu den Lehrgangswohnheimen: Ich hoffe, du hattest dein eigenes Kopfkissen mit. ;-)
@Robert
Das animierte mich sogleich, eine passende Stelle aus einem Buch ausfindig zu machen; habe sie gefunden und möchte sie dir natürlich nicht vorenthalten (entnommen aus W.G. Sebald, Schwindel.Gefühle). Solch eine melancholische Hotelstimmung scheint schon seit jeher gewisse Inspirationen auszulösen…
[…]Wie oft, dachte ich mir, bin ich nicht schon so in einem Hotelzimmer gelegen, in Wien, in Frankfurt oder in Brüssel, und habe, die Hände unterm Kopf verschränkt, nicht wie hier auf die Stille, sondern mit wachem Entsetzen auf die Brandung des Verkehrs gehorcht, die zuvor schon stundenlang über mich hinweggegangen war. Das also ist, habe ich mir dann immer gedacht, der neue Ozean. Unaufhörlich, in großen Schüben über die ganze Breite der Städte kommen die Wellen daher, werden lauter und lauter, richten sich weiter und weiter auf, überschlagen sich in einer Art Phrenesie auf der Höhe des Lärmpegels und laufen als Becher aus über Asphalt und die Steine, während von den Stauwehren an den Ampeln bereits neue Wogen hereinrauschen. Ich bin im Verlauf der Jahre zu dem Schluss gelangt, daß aus diesem Getöse jetzt das Leben entsteht, das nach uns kommt und das uns langsam zugrunde richten wird, so wie wir das langsam zugrunde richten, was da war lange vor uns. […]
Guldhan
Da ich solche Etablissements nicht kenne, wüsste ich nur zu gerne, was sonst noch auf dem Kissen gelegen haben könnte ;-)
Das könnte der Einstieg für ein interessantes Buch werden, wenn man das so liest…
zu orphi:
Nein. Es wurden nicht einmal Plüschtiere und Schmusedecken gestatten. Eine echt harte Zeit damals, aber Lehrjahre sind nun einmal keine Herrenjahre.
zu Madame Mel:
Die Rückstände der Lehrlingsfreuden. Zumeist Kippenbrösel, Futterflecken und verschwitzte Groupiehaare oder die Hintern von Berufsschulkameraden, deren alleinige Anwesenheit im Zimmer von mir schon schwerlich geduldet worden war. Mehrbettzimmer außerhalb des Freundeskreises sind mir ein Gräuel.
[…]Das könnte der Einstieg für ein interessantes Buch werden, wenn man das so liest…[…]
In der Tat.
Meine Erinnerung schweift von der Jugendherberge über die 5-Sterne Suite zum letzten Zahnarztbesuch.
Und zu meinem „Froschkönig“. Er hat es sich zum Hobby gemacht, Knabbereien, Getränke, etc. unbemerkt zu öffnen. Seine meisterleistung waren bisher die 4 inneren Stücke einer Ritter Sport.
Ich bin ja dafür, dass die Chipstüten aufs Kopfkissen legen. Wenn es unbedingt sein muss, esse ich dann auch zum Frühstück Müsli. ;-)
Vielen Dank für eure Kommentare! Ein Buch werde ich in absehbarer Zeit nicht schreiben, nicht weil es sich für mich nicht in Frage kommt, sondern weil es bereits geschrieben ist. Hier in diesem Blog. Ein Buch voller Notizen und Randbemerkungen von lieb gewonnenen Lesern die Lust hatten, in dieses immer noch offene Buch herumzustöbern.
Vielleicht möchte ich auch nur meinem Impuls eines Tagebuchs nachgehen, Inspiration bewahren und Erinnerungen festhalten. Oft geht es mir so, das ich solche „Hotelerinnerung“ einfach beiseite lege und verdränge um irgendwann festzustellen das sie verblasst sind. Das wäre schade, finde ich jedenfalls.
Bücher zu schreiben, das überlasse ich lieber denen, die es können, gemacht haben und tun werden. Neben Herrn Sebald, den Madame Mel zitierte, stöbere ich lieber in Werken eines gewissen Guldhan und einer Dame namens orphi und versuche mir für den eigenen Stil eine Scheibe abzuschneiden. Ich fürchte nur, mein Messer ist zu stumpf ;)
@Robert
Nein, ich finde, du solltest deinen eigenen Schreibstil bewahren (genau wie Guldhan & orphi), da er genau so einzigartig wie ein Fingerabdruck ist. Hättest du sonst so eine große Leserschaft?
Ich lese auch gerne „alte“ Literatur von Tolstoi, Goethe & Co, aber schreibe und rede immer noch nicht so „poetisch blumig“ – sondern eben wie Madame Mel ;-)
@Madame Mel: Da hast du auch wieder recht. Das hast du gut geschrieben. Was im übrigen auch für deine sonstigen Kommentare und vor allem die jüngste Teilnahme am Gothic-Friday gilt. Aber du weißt ja, der Autor ist selbst der kritischste Leser.
Die Kommentatorin dankt ;-)