Liebes Tagebuch, heute ist einer der Tage, an denen ich verwirrt bin. Zugegeben, ich bin an ziemlich vielen Tagen verwirrt, aber heute ganz besonders. Schuld ist Halloween, meine Überzeugung und natürlich auch die Kindheit. Aber von vorne. Ich fahre also heute von der Arbeit nach Hause und blicke verträumt aus dem Fenster während das Autoradio schwarze Hymnen dudelt. Meine Rückfahrt führt mich über die ländlichen Vororte der Stadt, die geprägt sind von kleinen Kapellen, Kreuzen und Jesusfiguren an denen eigentlich immer jemand eine brennende Kerze hinstellt, sie mit Kränzen oder Blumen verziert und sich um die Pflege bemüht. Heute war es anders, oder es fiel erst heute auf. Denn nicht die kleine Kapelle war mit Kerzen erhellt, sondern ausgehölte Kürbisse, die in den sauber gepflegten Vorgärten inmitten von anderen „gruseligen“ Dinge aufgestellt waren. Nicht das es erst seit heute so ist, nein, schon mit dem schleichenden Tod der Grillsaison nutzten Supermärkte die entstandenen Freiflächen für Weihnachtsgebäck und eben diese Halloween-Dekorationen. Wisst ihr was ich gruselig finde? Wenn heute Abend verkleidete Kinder durch die Stadt gehen, vor den Türen mit großen Tüten um Süßigkeiten buhlen und womöglich auch noch frech werden, wenn man ihnen die Türe nicht öffnet. Ganz nach dem Motto: „Süßes oder Saueres!“
Ich bin tatsächlich verwirrt, weil ich mich an einen christlichen Brauch erinnere, den viele unter dem Namen „Sankt Martin“ kennen und der ein paar Tage nach Halloween stattfindet. Ich fand den Tag immer schön. Da sind wir als Kinder mit selbst gebastelten Laternen durch die Stadt gelaufen, vor uns so ein Kerl auf einem Gaul, während eine mitlaufende Kapelle passende Lieder dudelt. Auf dem Platz, wo dann immer ein großes Feuer entzündet wurde, gab es dann immer eine Tüte mit einem frischen Weckmann. Und während ich damals den Kopf gegessen habe, erzählte der Kerl auf dem Pferd die bekannte Geschichte. Danach sind wir dann immer mit ein paar Leuten durch die Wohngegend gezogen und haben bei den Leuten geklingelt um ihnen ein Ständchen zu bringen. Mit Laternen und keiner Verkleidung. Als Belohnung gab es dann meistens Selbstgebackenes, Obst und manchmal auch Schokolade. Oh weh, was hatte ich am nächsten Morgen für Bauchschmerzen!
Woher nun meine Verwirrung? Nun ja, viele Jahre später beschäftigte ich mich mit dem Glauben, den Religionen und der Kirche. Ich beschloss, aus der Kirche auszutreten und auch keinen Hehl daraus zu machen, dass ich die Kirche und das mit den Religionen für völligen Mumpitz halte. Umgedrehte Kreuze finde ich nämlich nicht nur hübsch anzusehen. Heute morgen hört mein Unterbewusstsein dann genau zu, als ich meinem Arbeitskollegen erkläre, wie blöd ich das mit Halloween finde und wie schade es ist, dass zu Sankt Martin immer weniger Kinder die Straßen erhellen. Ein paar Stunden später, im Auto, während die besagte schwarze Hymne dudelt und ich über die Kürbisse nachdenke, schmiert mir dann mein Unterbewusstsein genau diese Erinnerung eiskalt auf das Butterbrot. Verteidige also ausgerechnet ich, der die Kirche, den christlichen Glauben und Religionen für doof und gefährlich hält, genau diese Tradition? Wünsche ich mir tatsächlich wieder mehr Kinder, die mit Laternen durch die Straßen ziehen?
Eigentlich ist es mir völlig egal, was und wer da durch die Straßen zieht. Ich werde auch den Teufel tun mir eine Meinung darüber zu bilden, was für Kinder gut ist und was nicht. Hab ja keine Kinder. Keine Kinder die im Kindergarten Laternen basteln, die in der Grundschule Kürbisse massakrieren dürfen und sich anschließen gruselig verkleiden. Keine Kinder, die 2 Wochen vor Halloween ihre Eltern mit eben diesen gewonnen Erkenntnissen und der daraus abgeleiteten Wunschliste quälen. Ich fand es ja als Kind auch superschön mit meiner Laterne auf die Jagd nach Keksen zu gehen. In kindliche Umzüge eine religiöse oder antiimperialistische Ideologie zu interpretieren halte ich für völlig übertrieben. Doch wo zieht man die Grenze? Wann ist Schluss mit lustig? Jugendliche und spätestens „Erwachsene“ sollten doch wissen, was sie da tun. Ich erinnere mich an einen Tweet aus dem letzten Jahr, liebes Tagebuch, da hieß es:
Elend, dass die Jugend nicht mehr weiß, was man an Halloween feiert. Hätte Jesus den Riesenkürbis nicht besiegt, wären wir alle nicht hier.
— Sunshine Acid (@Snow_One) 31. Oktober 2013
Wenn das keine Satire wäre… das wäre wirklich traurig. Ich meine, was habe ich in den letzten Jahren nicht Erklärbärmäßig gebloggt! Eine ganze Serie mit dem Titel „Es muss nicht immer Halloween sein“ habe ich verfasst. Ein Sammelalbum der Klugscheißerei. Und wofür? Nur damit ich jetzt im Auto sitze und mich frage, warum ich etwas verteidige, was ich eigentlich ablehne. Super. Ich hatte doch eigentlich gehofft, dass aus dem Schreiben die ultimative Weisheit wachsen würde. Ist sie aber nicht. Höchstens eine Überzeugung. Die Überzeugung, dass ich Halloween doof finde, es total verwerflich finde dass heute niemand mehr weiß woher das alles kommt und diesen „Kürbis-Karneval“ total ablehne! Basta!
Das Unterbewusstsein unterbricht: „Aber Kinder mit Laternen sind okay?“ Hach verdammt, ich kann es mir nicht recht machen. Womöglich bin zu anpassungsfähig um meine Ansichten nach außen hin durchzuprügeln. Vielleicht fehlt mir auch die jugendliche Fixierung und Rebellion für EINE Sache zu kämpfen. Wenigstens kann ich für mich entscheiden: Da mache ich nicht mit! Außer heute Abend, da gehe ich vielleicht zu „All Hallows Eve“ ins TIC. Und jetzt halt bloß die Klappe, doofes Unterbewusstsein.
Also in einem Punkt sind wir Rabenhorstler doch sehr konsequent: Wir machen keinem die Tür auf:
– keinen Laternenkindern
– keinen Sternsingerkindern
– keinen Halloweenkindern
Eventuelle rein zufällig im Haus in Erscheinung tretende Süssigkeiten werden selbst vernichtet.
Und natürlich gestehe ich, quasi „alleine“ in einem Waldstück zu wohnen, hat schon deutliche Vorteile in dieser Beziehung. :-)
Schöner Artikel!
Falls es dich beruhigt, Robert, mir geht’s da wie dir. Sankt Martin kann und konnte ich immer etwas abgewinnen, von Halloween halte ich genauso wenig wie vom Christentum. Zumal ich das Gefühl habe, dass Halloween immer „schlimmer“ wird und sich weiter verbreitet. Selbst die hiesigen Stadtwerke verstärken ihre Nachtbusse, was sonst eigentlich nie geschieht.
Aber gut, es heißt ja leben und leben lassen. Und zumindest hat Halloween (zumindest hier) noch keine wochenlange Vorlaufzeit – es ist ein Tag, und dann ist es auch wieder gut. Er lässt sich also ganz gut ignorieren.
Zum Vergleich mit Sankt Martin: Ich dachte ja immer, dass wir damals wenigstens noch eine Leistung erbracht haben, schließlich haben wir gesungen. Mittlerweile frage ich mich, ob das nicht doch eher eine Negativleistung war…
@Robert Warum schließt du das eine aus, nur weil das andere mittlerweile auch praktiziert wird?
Ich habe ein kleines Kita-Kind, das sich über (gruselige) Verkleidungen freut (der aber noch nicht um die Häuser für Süßes oder Saures zieht) UND mit selbstgebastelter Laterne an St. Martin die Straßen erhellt. Ich sehe absolut nicht, warum man nicht beides machen soll?! Es ist doch schön, wenn die Kinder ihren Spaß an beidem haben und man sich als Erwachsener mit ihnen freuen kann! Außerdem muss man sich ja nicht dem Kommerz hingeben, selbstgemachte Kostüme und Deko sind sowieso liebevoller und schöner :-) Kürbisse haben wir als Kinder auf dem Ländlichen schon immer ausgehölt und mit Kerzen versehen, ohne dass wir den Namen „Halloween“ kannten!
Also bei uns sind Laternenkinder und Halloweenkinder willkommen. Hat nur keiner geklingelt. Süßigkeiten werden jetzt selbst vernichtet ;-)
Ach noch was: Im Gegensatz zu „früher“ gibt es auch immer weniger Kinder in Deutschland (wer will sich denn noch unnötige Verpflichtungen aufhalsen?). Weniger Kinder, weniger Brauchtümer, die überleben können.
Als ich Kind war, sind wir zu Fasching konstümiert um die Häuser gezogen und haben Süßigkeiten bekommen. Lampionumzüge hatten wir auch, aber das wurde nicht als St.-Martins-Zug bezeichnet. Naja…so war das eben im unchristlichen-/unkatholischen Osten *lach*. Ich bin mit diesem St. Martin-Kram erst später in Berührung gekommen. Am 31.Oktober ist hingegen der Reformationstag bis vor wenigen Jahren mehr im Fokus gewesen. Da gab es daheim auch immer Reformationsbrot (was mir egal war, denn ich mag keine Rosinen). Nun gerät das alles bissl ins Hintertreffen, verkauft sich halt nicht so gut, wie das ganze Kürbis-Grusel-Zeug. Die Kirche jammert dementsprechend und man trommelt für das 500-jährige Reformationsjubiläum 2017. Nunja, gerade in diesen Zeiten, wo religiöser Fanatismus fröhliche Urständ feiert, ist das Gedanken an die damaligen Vorgänge und die durchaus ambivalente und streitbare Figur Luthers nicht verkehrt, auch für nen schnöden Atheisten wie mich. Doll finde ich den ganzen Halloween-Hype nicht, da ich ihn als inhaltsleer empfinde. Die meisten, die ihn mitbetreiben, wissen nicht was dahinter steht. (O.k., zugegeben, das mag bei anderen Festen mittlerweile auch der Fall sein)
Bei St. Martin steht aber wenigstens noch ne Aussage/Geschichte dahinter, die den Kindern auch vermittelt wird.
Ich hab mich schon immer gewundert , warum Sankt Martin seinen eigenen Feiertag hat.Bestimmt gab/ gibt es eine ganze Menge Leute, die mehr für Obdachslose getan haben/ tun als ihnen einen halben Mantel zu schenken, oder ? Ausserdem glaub ich nicht das sich irgendein Kind über Sankt Martin freut, weil dann endlich wieder daran erinnert wird, dass man anderen Menschen helfen soll. Laternen basteln macht Spass und Weckmann schmeckt lecker. Das ist meiner Meinung nach alles , worum es den hauptsächlich geht .
Ja, Shanti, z.B. Elisabeth von Thüringen. Ihr Todestag wird nach kath. Tradition ebenso wie der Martinstag als „gebotener Gedenktag“ begangen. Hochfeste oder gar gesetzliche Feiertage sind beide nicht. Die Mantelgeschichte ist natürlich legendär. Ich vermute, dass die (frühe) Popularität des Martinsfestes damit zusammenhängt, dass im Mittelalter nach dem Martinstag die Advents(fasten)zeit begann (noch mal ordentlich Rosinenbrot und Gans essen, Du verstehst schon…). Ähnlichkeiten findet man ja in der „prallen“ Fastnachtszeit vor dem Osterfasten. Die Lampionumzüge scheinen sich bemerkenswerterweise auf einen lutherischen Brauch aus Erfurt zurückzuführen – behauptet jedenfalls das Ökumenische Heiligenlexikon https://www.heiligenlexikon.de/BiographienM/Martin_von_Tours.htm). In Erfurt war der Martinstg mit großen Lampionumzügen in der Altstadt übrigens auch zu DDR-Zeiten (zumindest in den mir erinnerlichen 80er Jahren) üblich. Aber wahrscheinlich, Gruftfrosch, war das in der Tat eine Ausnahme im Arbeiter- und Bauernparadies.
Wie auch immer… ich finde die Martinsumzüge sind – ebenso wie Halloween – ein für Kinder schöner Brauch. Wenn darüber hinaus bzw. nebenbei der eine oder andere durch eine Martinsandacht zu Empathie und Hilfsbereitschaft ermutigt wird, ist das in unserer Zeit gewiss auch kein Schaden.
Schöner Artikel! Mir geht es da ähnlich wie dir, Robert!
Wir sind früher auch mit selbstgebastelten Laternen singend durch die Straßen gelaufen am Martinstag. Dass man zu Halloween an den Türen klingelt kannte ich als Kind nie. Wir haben dies jedoch zu Nicolaus gemacht (das ist Tradition in meiner Heimatstadt) – es wurden Lieder gesungen, Gedichte aufgesagt oder Blöckflöte gespielt ;) – und dafür bekam man dann eine kleine Belohnung.
Dieses dusselige „Süßes oder Saures“ finde ich in der Tat einfach nur… anstrengend. Leider habe ich dieses Jahr den Fehler gemacht und die Tür geöffnet, da ich dachte, dass mein Besuch schon kommt…Grober Fehler, denn als ich den Kiddies sagen musste, dass ich nichts habe -ich habe tatsächlich keine Süßigkeiten im Haus und mit einem APfel wären sie wohl nicht einverstanden gewesen -, sind sie beleidigt abgezogen…Mhm, aber warum!? Bin ich tatsächlich in der Pflicht Kindern Süßigkeiten zu geben!? Irgendwie widerstrebt mir das zutiefst…
Wie du richtig sagtest, Robert, „früher“ hat man dafür zumindest noch „eine Leistung erbracht“, heute sind die Kinder so „dreist“ und wollen für nichts etwas haben und dann ist man noch der/die Doofe, wenn man dem nicht nachkommt…
@Mone vom Rabenhorst: Das bei euch keine (oder wenig) Kinder vorbeilaufen, wundert mich jetzt nicht wirklich. Bei eurem Domizil mitten im Nirgendwo müsste es einen St. Martins Fahrdienst geben ;)
@Irmin: Wieso Negativleistung? Meinst du, weil wir völlig falsche christliche Werte vermittelt haben?
@Madame Mel: Schließe ich das eine aus? Vielleicht unterschwellig, weil ich Halloween eben doof finde. Ich finde es tatsächlich sehr schwierig mir selbst die Frage zu beantworten. Auf der einen Seite finde ich es ziemlich armseelig jeden Trend mitzumachen, weil nunmal jeder mitmacht. Vor 20 Jahren war von Halloween (bis auf die Horrorfilme) keine Rede. Auf der anderen Seite ist ja Sankt Martin auch nichts anderes als ein Trend der jeder mitmacht. Folge ich also moralisch der Tradition oder breche mit christlichen Übersetzungen heidnischer Feste. Aber du hast schon recht, ist muss ja meine Vorstellung und Ablehnung nicht auf Kinder übertragen.
Einen Teil deiner Antwort verstehe ich aber nicht:
Ja, es gibt weniger Kinder als „früher“, aber anstatt weniger Brauchtümern habe ich eher den Eindruck, als würden es mehr werden. Halloween hat sich ja auch von einer Randerscheinung zur festen Größe entwickelt. Oder meinst du, dass mit den Kindern, für die wir die Feste „veranstalten“ auch solche Feste ausbleiben werden?
Gruftfrosch: Ein durchaus interessanter Gedanke. Prinzipiell gebe ich Dir Recht. Die „Geschichte“ von Sankt Martin ist doch tatsächlich etwas, was für Kinder meiner Ansicht nach greifbarer ist, als ein Fest, bei dem es darum geht fehlende Süßigkeiten durch Streiche zu bestrafen. Auch das Basteln von Laternen empfinde ich als sehr schön. Halloween macht für mich häufig den Anschein wie eine herbstliche Ausgabe des Karnevals. Oftmals sehe ich sogar Kinder, die ganz ohne Verkleidung mit Tüten durch die Gegend klingeln. Keine Frage, wenn man Halloween mit selbstgemachten Kostümen, gemeinsamen Kürbis-Ritualen und Süßigkeiten verbindet kann ich auch dabei etwas schönes entdecken. Nur leider habe ich nicht den Eindruck, als würde die Mehrheit es so angehen.
@Shanti: Wir sollten sowieso nicht unsere Vorstellungen von Moral, Sinn und Logik auf die Kinder übertragen, das macht keinen Sinn. Für die Kinder, da gebe ich Dir Recht, sind es möglicherweise die Laternen, das Feuer, ein Reiter auf dem Pferd, der Weckmann und das gemeinsame Singen. Als ich um die Häuser gezogen bin, war mir der „christliche Gedanke“ auch ziemlich fern. Es ging um eine volle Tüte ;) — Eine Sache ist jedoch hängengeblieben: Wenn du etwas bietest, bekommst du auch etwas. Wir haben gesungen unsere Laternen eingeschaltet während die Menschen in ihren Wohnungstüren lauschten. Dafür bekamen wir etwas. Heute brüllen die Kinder „Süßes oder Saures“ ins Treppenhaus und zerfleddern Zeitungen, wenn sie nichts bekommen.
@Agricola:
Da stimme ich Dir zu. Aber was ist an Halloween ein schöner Brauch? Was wird den Kinder da vermittelt? Wenn du nichts bekommst, spiel einen Streich?
@black bat: Genauso sehe ich das auch, wenngleich es mir wirklich schwerfällt FÜR etwas einzutreten, was ich eigentlich ablehene. Darf ich als überzeugter „Ungläubiger“ ein christliches Fest bevorzugen? Bringe ich mich damit nicht in eine argumentative Zwickmühle? Ich denke man könnte das am ehesten mit Patchwork-Moral betiteln. Feste die in meine Moralvorstellung passen, unterstütze ich, andere sind mir egal und die meisten lehne ich ab. Stellenweise ein wenig zu engstirnig gedacht, aber dafür gibt es ja diesen Blog. Da kann ich auch mal über den Tellerrand meiner Vorstellungen gucken ;)
Nein, so tief gehend war der Satz gar nicht gemeint. Die „Negativleistung“ war nur ein Kommentar zu meinen (damaligen wie heutigen) Gesangskünsten ;)
Was soll daran engstirnig gedacht sein, Robert? Ich finde deine Haltung im Gegenteil sehr vernünftig. Man sollte nicht aus allem und jedem ein heilsnotwendiges Dogma machen, sondern die Vertretbarkeit des Einzelfalls für sich prüfen – nenne es meinetwegen Patchwork-Moral. Was die Feste angeht, da hat es die Kirche bezeichnenderweise auch nicht anders gemacht, sonst gäbe es heute nicht nur kein Halloween, sondern auch kein Weihnachten, Ostern usw. (jedenfalls nicht in ihren heutigen, von heidnischem Brauchtum durchsetzen Ausformungen).
Gut, dann bleibe ich bei meiner Patchwork-Moral, Patchwork-Kultur und Patchwork-Weltanschauung. Ich glaube damit fühle ich mich tatsächlich wohl. Ich freue mich jedenfalls, wenn ich heute noch Kinder sehe, die mit Laternen hinter Pferde her laufen und Lieder singen.
@Irmin: Gesangsleistung lassen wir ganz galant mal unter den Tisch fallen. Ich glaube ich hätte mir bei meinem gekrächze die Tür vor der Nase zugeschlagen :-) Ich denke, der gute Wille zählte und das Herzblut an der Sache. Hoffe ich jetzt irgendwie.
Ach ja, der Martins-Umzug. Irgendwo liegen hier bestimmt noch Bilder von den Umzügen und Laternen rum. Wir haben zwar während des Umzugs kein Gebäck bekommen, allerdings hat meine Mutter -macht sie auch heute noch- immer Martinsbrezeln für die ganze Familie gebacken. Hmmm…
Was ich traurig an Halloween finde ist, dass es für manche nicht mehr selbstverständlich zu sein scheint, dass man, um Süßigkeiten zu bekommen, ein Gedicht aufsagen sollte/muss. Wir hatten dieses Jahr für die kleinen Gespenster und Monster eine Tüte mit Süßigkeiten draußen hängen und als zwei kleine Jungen geklingelt haben und ein Gedicht aufgesagt hatten, war die Tüte bereits leer.
Auch wissen viele ja schon nicht mehr, dass am 31.10. auch noch Reformationstag ist und nicht nur Halloween. So gehen Traditionen verloren.
@Lilie Marie: Das finde ich auch. Traditionen sind nicht immer schlecht, sondern formen auch den lokalen Kulturkreis und nicht zuletzt den Gemeinschaftssinn. Wichtig finde ich allerdings, dass man jede Tradition oder Brauch in Frage stellen sollte, sozusagen auf den moralischen TÜV-Prüfstand legen sollte um für sich zu entscheiden, ob und warum man ihn gut findet.
Irgendwie kann ich viel des Gesagten hier verstehen, auf der anderen Seite lese ich zwischen den Zeilen auch so leise „Früher war alles besser“. Ehrlich mal, so schlimm erlebe ich das nicht. Zumindest hier sind mir kaum verkleidete Kinder begegnet, sondern nur einige kostumierte Jugendliche auf dem weg zur nächsten Party. Dafür habe ich aber unzählige Laternenkinder gesehen. (Den Brauch, dass man mit der Laterne an der Tür klingelt und singt, ist mir übrigens völlig unbekannt).
Irgendwie dachte ich immer, dass die ursprüngliche Leistung bei Halloween sei, sich möglichst kreativ mit Selbstgewerkeltem zu verkleiden.^^
Da ist mit der Veranstaltung an sich aber nichts anfangen kann, mag es sein, dass mein Eindruck trübt.
Ich empfinde das, was an Halloween teilweise veranstaltet wird auch weniger unter dem Traditions-, denn unter dem Spaß/Veranstaltungsaspekt.
Traditionen in dem Sinne sind doch auch eigentlich nur wichtig, weil sie etwas Vertrautes schaffen, ein wohliges Gefühl im besten Falle, das Jahr gliedern und Zeiträume schaffen, die sonst keinen Platz fänden.
Ob man das jetzt ut oder schlecht findet, was diese Traditionen transportieren ist eine andere frage und ja, auch ich neige da zur Doppelmoral, aber das ist okay…
Da schreit die Sozialforscherin in mir jetzt aber ganz laut auf. Das hat in der Regel weniger was mit „unnötigen Verpflichtungen“ zu tun, denn mit strukturellen Rahmenbedingungen (Benachteiligungen von Müttern im Berufsleben/hinsichtlich der Karriere, betreuungsmöglichkeiten etc.) und Wertewandel (zunehmende Bedeutung des Kindes als Individuum, Liebesobjekt und Sinnstiftung für das Leben der Eltern etc.). Übrigens würde ich Robert da auch zu stimmen, die Zahl der Kinder nimmt ab, aber deshalb werden die Traditionen herausgestrichen und vermehrt mit Bedeutung gefüllt.
@Robert: Da stimme ich dir zu, wie zum Beispiel die Diskussion, ob der Zwarte Piet rassistisch ist oder nicht…
Ich denke aber, man sollte deswegen nicht gleich ganze Traditionen verteufeln, sondern -wie Luther- reformieren.