Faszinierend, erschreckend, aufwühlend. Das was wir nur von düsteren Filme kannten ist Realität geworden, das Internet ist zum integralen Bestandteil unseres Lebens mutiert. Jahre fristete es einer Existenz als Nebensache, als Spielplatz oder auch als Lexikon das man zuklappen und ins Regal stellen kann. Doch für manche unmerklich, für andere absehbar hat sich das Internet in das reelle Leben geschlichen. Das mag für den ein oder anderen absonderlich klingen, doch in meiner Jugend war das Wort Internet noch nicht bekannt. Als „Generation Golf“ bin ich in das Internetzeitalter hineingewachsen und habe schon früh damit begonnen mit auseinanderzusetzen. Viele gleichaltrige werden mir beipflichten, wir kennen beide Seiten und haben damit denen die es gar nicht anders kennen etwas voraus, jedenfalls in dieser Hinsicht.
Das tagesaktuelle Geschehen zeigt es deutlich: Die klassischen Nachrichten berichten immer häufiger über das Netz, Wikileaks und seine selbsternannte Galionsfigur Julian Assange haben geschafft, was niemand vor 30 Jahren für möglich gehalten hätte: Digitale Informationen sind zur Waffe geworden, mit der Verteilung der geheimen Dokumente von Diplomaten an viele Redaktionen auf diesem Planeten haben sie nicht etwa gezeigt was ein US-Diplomat über Angela Merkel denkt, sondern vielmehr welche Macht das hat, was vor Jahren belächelt wurde und warum Informationen der Schlüssel zu einer vielleicht besseren Welt sein können. Robert Basic nennt Wikileaks „the next big thing“ und spiegelt damit meine Sicht der Dinge und lenkt den Fokus auf das großartige, das Wikileaks und seine Aktivisten ausmacht. Sie zeigen auch die andere Seite der Medaille und fordern damit Regierungen, Geheimdienste und Organisationen heraus, die Wikileaks und Julian Assange den Krieg erklärt haben. Die echte Welt, gegen die virtuelle Welt.
Vielleicht ein Video von einer Interview mit Julian Assange, das erklärt Warum die Welt WikiLeaks braucht um zu verstehen worauf sie meine Ansicht stützt. Nehmt die zahlreichen Untertitel in Anspruch, mir hat es beim Verstehen geholfen.
Paradox möchte man meinen. Hier wird etwas kriminalisiert was gar nicht kriminell ist, hier arbeiten plötzlich Behörden, Regierungen und Organisationen zusammen um Wikileaks zu stoppen, und Assange zu inhaftieren. Faszinierend, das das was seit Jahren bei Cyberkriminalität nicht möglich schien nun wie von Geisterhand funktioniert, erschreckend wie Regierungen und Firmen zusammenarbeiten, aufwühlend wenn man sich die Konsequenzen ausmalt.
Das geht mich nichts an? Legen wir den Krieg der Welten wie eine Blaupause auf die deutschen Ereignisse und ziehen (wohl möglich hinkende) Schlüsse zum JMStV, dem Jugendschutzschwachsinn der Bundesregierung, der 2011 in Kraft treten soll. Zusammen mit den jüngsten Facebook-Skandalen, dem Google Street-View Eklat und dem Krieg der Welten rund um Wikileaks entsteht ein bizarres Bild, das den, der sich nie mit dem Netz und seiner Macht auseinandergesetzt hat vor Fragen stellt, die er sich nicht beantworten kann. Die Medien schüren Ängste und erzeugen ein Weltbild das fern von dem ist, was wirklich passiert.
Glücklicherweise gibt es Prominente, die uns ihre Sicht der Dinge präsentieren, das man durchaus zum lachen finden könnte, ich finde es jedoch erschreckend. Prominente haben die unangenehme Eigenschaft, das deren Gedanken und Wort häufig von der entsprechenden Zielgruppe zur eigenen Meinungsbildung heran gezogen werden: „Wenn ich auf einen Knopf drücken könnte […] und könnte das Internet abschaffen für alle, ich würd‘ ihn sofort drücken.“
Es ist nicht meine Absicht jedes Wort auf die Waage zu legen, geschweige denn jeder Wort eines Bill Kaulitz für bare Münze zu nehmen (von Joop ganz zu schweigen), aber es spiegelt irgendwo die Sichtweise eines großen Teils der Gesellschaft und genau das macht mir Angst.
Abschalten. Abschaffen. Ausblenden. Ich will nichts schlechtes mehr hören, ich will mich weiterhin in meiner kleinen bescheidenen Welt wohlfühlen. Was ich nicht sehe und höre, das gibt es nicht. Und wenn alle so wären wie ich, dann wäre die Welt bestimmt ganz toll.
So ganz falsch liegt Bill Kaulitz da nicht. Bloß die Schlussfolgerung ist nicht wirklich durchdacht. Natürlich nimmt das Internet vielen Dingen (Musik, Bücher usw.) den Wert, weil alles direkt verfügbar ist – digital, ohne den alten Charme und das Gefühl, einen „Schatz“ zur Sammlung hinzufügen zu können. Selbst ich bin mittlerweile auf Flohmärkten genervt, weil es nirgendwo eine Suchfunktion gibt. Ebay ist irgendwie einfacher. Auch der Zauber ist gerade bei künstlerischen Projekten futsch, wenn jeder Idiot seine undurchdachten Kommentare ins Netz schießt – da hat der Kleene Recht.
Dennoch bietet das Internet jenseits der Konsumseiten ein sehr wichtiges Gut: Informationen, die wir früher in dieser Fülle nicht hatten. Selbstverständlich nimmt uns das nicht die Arbeit ab, aus den Infos ein eigenes Bild zu basteln. Ich möchte auf diese Infos und auf den Kontakt zu Leuten, die mir sonst eher nicht begegnet wären, weil sie ganz woanders wohnen, nicht verzichten. Die Welt wird dadurch anstrengender und die vielen, schnellen Informationen sind sicher auch manchmal nervtötend und man wünscht sich Ruhe, aber dafür gibt es ja schon einen Knopf: „Computer runterfahren“.
Das Netz ist durchaus ein zweischneidiges Schwert und dein Statement für Bill Kaulitz in allen Ehren, aber ich finde Tokio Hotel gehört abgeschaltet, „würde es einen Knopf geben, ich würd‘ draufdrücken.
Ich finde nicht das der Zauber von künstlerischen Projekten verloren geht weil jeder „idiot seine undurchdachten Kommentare in Netz schießt“. Überhaupt nicht. Im Gegenteil: Mit dem Netz ist eine neue Stimme entstanden, die so manche Künstler einfach nicht gewohnt sind, die bisher Kritik zu ihren Werken nun in einschlägiger Presse lesen konnten oder an den Verkaufs- und Besuchszahlen ihrer Platten und Konzerte messsen konnten. Und wenn ich als Künstler Angst vor dem dem habe, was man kommentieren könnte, bleibt immer noch die Enthaltung aus dem Netz. Es gibt auch künstlerische Projekte die erst du das Netz leben, denke ich beispielsweise mal an OKgo.
Aber Kaulitz profitiert vom Netz und zwar deutlich, da wäre es doch ziemlich unklug den Ast zu sägen auf dem man sitzt. Vor dem Hintergrund wird die Äußerung immer hirnrissiger.
Sicher, in vielen Dingen nimmt das „Netz“ den Dingen ihren Wert. Doch das finde ich etwas engstirnig. Den Wert der Dinge bestimmt doch die Industrie selbst. Allen voran Apple mit ihrem Preis 0.99 Cent für ein Lied. Angebot und Nachfrage? Klar so funktioniert die Marktwirtschaft, aber das Netz selbst ist nicht schuld, sondern die die es gestalten und das schliesst ALLE mit ein.
„Selbstverständlich nimmt uns das nicht die Arbeit ab, aus den Infos ein eigenes Bild zu basteln.“ – Völlig richtig. Das Netz bietet für viele die Möglichkeit sich überhaupt ein Bild zu machen. Stell Dir vor wir würden die Welt nur aus dem kennen was Presse und Medien uns vorkauen. Ein schrecklicher Gedanke :)
Ich meinte doch nicht den finanziellen Wert :-) Ich meinte den persönlichen Liebhaber-Wert. Ein altes Buch, das man irgendwo auf dem Flohmarkt entdeckt – eine LP, die man zufällig im Independent Laden findet. Oder die Geschichte, dass du ewig nach einem Poster oder Konzertplakat suchst und es dann in einem kleinen versteckten Laden in einer dunklen Hintergasse… :-) Sowas eben.
Ich hab früher meine Nena-Kassette geklebt, weil das Band gerissen war (zu oft gehört – ich hab vielleicht geheult). Der blöde Laden in unserer Kleinstadt hatte kein weiteres Exemplar und konnte die Kassette nicht nachbestellen. Das war mein Heiligtum. Wehe, du lachst! :-)
Heute ist alles immer und überall verfügbar in unvorstellbaren Massen. Klick und schon hast du den Song neu runtergeladen, wenn du ihn aus Versehen gelöscht hast. Auf der einen Seite gut, auf der anderen Seite auch schade. Konsumgesellschaft in Höchstform.
Aber klar: Künstler profitieren auch vom Internet. Die Welt dreht sich weiter und den Knopf zum Ausschalten gibt es nicht – auch nicht den für Tokio Hotel ;-)
Nur, weil Konsumgüter nun schneller verfügbar sind, geht meiner Meinung nach auch nicht der Liebhaber-Wert den Bach runter.
Keine Audio-Datei der Welt könnte mir das Gefühl ersetzen, das mir aufkommt, wenn die Nadel sanft auf Knopfdruck herunterfährt und die Klänge einer Jahrzehnten alten Platte wiedergibt. ;)
Und Konsum ist wahrlich nicht der einzige Faktor, welchen das Internet ausmacht.
Für den Durchschnittsbürger mögen vielleicht die Konsummöglichkeiten in den Vordergrund gerückt sein, aber gerade Projekte wie Wikileaks zeigen, dass das Netz der Raum für ideellen – nicht praktischen – Anarchismus in Bezug zu Informationen und Meinungsaustausch bietet.
Und ganz ehrlich: Ich geh lieber in Buchläden und Plattenläden als mir alles per klick zu bestellen. Mal abgesehen davon, dass meiner Sichtweise nach Datenpakete keinen Wert haben – auch keine 99cent/Lied auf Itunes.
Edit: Abgesehen davon muss ich bei der aktuellen Wikileaks-Diskussion, besonders hinsichtlich der Kriminalisierung der Betreibung solcher Sites an „V wie Vendetta“ denken.
„Ein Volk sollte keine Angst vor seiner Regierung haben, eine Regierung sollte Angst vor ihrem Volk haben“
@TheRisen: Gerade Vinyl schwimmt ja schon eine ganze Zeit auf der Nostalgie-Welle. Darüber hinaus gebe ich Dir recht. Bücher im Regal sind immer noch die beste Möglichkeiten Wissen bereit zu halten und Erinnerung zu bewahren. Das Netz zeigt sich immer zu schnelllebig als das Wissen in dieser Form für Dauer erhalten werden könnte, ohne das es sich ständigen Überarbeitungen ergeben muss.
Genauso musst du aber die „Datenpakete“ akzeptieren, denn die sind ja zum wichtigen Bestandteil der Netzwelt geworden. Abgesehen von der 99Cent-Strategie kaufe ich gerne Musik Online direkt bei den Künstlern oder Indielabels, weil ich Musik zu einem Großteil am Rechner höre und es einfach liebe darin zu stöbern.
Ich denke es ist grundsätzlich nicht richtig das ein oder andere zu verurteilen, denn alles hat doch seine Daseinsberechtigung und ist (ob gut oder schlecht) der Lauf der Zeit. Wer weiß wo wir in 10 Jahren sind?
Das Konsum nicht der einzige Faktor ist der das Netz ausmacht, stimmt ABSOLUT. Im Gegenteil, Konsum ist der schlechte Teil des Netzes. Darüber hinaus bietet das Netz aber so unendlich viele Möglichkeiten der eigenen Selbstverwirklichung. Man muss nur lernen die Dinge die man lernt auch ohne Bildschirm leben zu können.
@Risen Ich geh auch lieber in Plattenläden und in Buchläden – ich mache es bloß nicht mehr.Es ist einfach viel bequemer, mal kurz die Suchmaschine zu bemühen und zu klicken. Da helfen auch oft die guten Vorsätze nichts.
@Robert Auch der Konsum ist nicht generell zu verurteilen. Ich habe mir beispielsweise aus allen Ländern dieser Welt Schmuckteile bestellt, um mir individuellen Schmuck zu basteln, der mir gefällt. Oft bin ich da nicht in Deutschland fündig geworden sondern in England oder den USA. Ohne Internet undenkbar. Auch viele antiquarische Bücher hätte ich ohne Internet niemals gefunden. Eine klare Einteilung in Gut und Böse ist – wie immer – nicht möglich.
Für mich stellt sich die Frage, ob sich Bill Kaulitz überhaupt großartig Gedanken gemacht hat, wie die (kreative) Welt ohne Internet aussehen würde? Gerade für kreative Menschen ergaben sich dadurch doch ganz neue Möglichkeiten. Ein Musiker muss sich nicht an eine Plattenfirma verkaufen, sondern kann seine Musik in Eigenregie vermarkten, ohne in Werbekampagnen zu investieren. Fotokünstler, Maler, Autoren können ihre Werke der gesamten Welt zeigen und sind nicht einzig auf Galerien oder Verlage angewiesen. Die Vielfalt ist nahezu grenzenlos – zugegeben: dadurch auch nicht so leicht zu überschauen. Von der Informationsvielfalt mal ganz abgesehen.
Natürlich besteht ebenfalls die Gefahr, dass sich falsche Informationen rasend schnell verbreiten (so stand und stehen immer noch Haftungsausschlüsse auf Millionen von deutschsprachigen Webseiten, welche u.a. ein Urteil des Hamburger Landgerichts falsch wiedergeben – sogar auf den Seiten von Rechtsanwälten). Aber falsche Informationen wurden auch schon vor dem Internet verbreitet.
Die Wertigkeit der Musik hat sich für mich durch das Internet nicht verändert. Gerade durch das Internet kann ich mich viel intensiver informieren und vor dem Kauf ausgiebig probehören. Welche Möglichkeiten hatte man früher? Entweder musste man sich auf die Kritiken in Magazinen etc. verlassen oder sich mit dem Sortiment in den Plattenläden zufrieden geben – und das Probehören in den Geschäften war niemals so entspannt wie jetzt zuhause vor dem eigenen PC… wobei es schon ein Spaß war, andere Kunden durch das Abspielen einer Platte zu „schocken“. (In dem Plattenladen meines Vertrauens gab es nur einen Plattenspieler und keine Kopfhörer. Jeder Anwesende musste mithören.)
Der Liebhaberwert des Gesamtprodukts (also nicht der reinen Musik) ging hingegen schon mit der Einführung der CD und nicht erst durch das Internet verloren.
Einen Buchladen hingegen kann das Internet aber (noch) nicht in seiner Gesamtheit ersetzen. Zumindest nicht, wenn es um das Stöbern geht. Ich mag es einfach, beispielsweise einen Bildband in Händen zu halten, komplett durchzublättern und die einzelnen Bilder in voller Größe wirken lassen zu können.
Orphi: Sehr diplomatisch. Nein, natürlich kann man den Konsum nicht generell verurteilen, auch ich konsumiere gerne. Sagen wir es einmal so: Konsumiere mit Verstand, denn obwohl man meinen könnte bei Worte passen nicht zueinander, so ist das doch eine Möglichkeit der Partizipation ohne völlig darin aufzugehen. Auch ich schätze die Möglichkeit mir Magazine einfach so aus den USA kommen zu lassen und Schuhe aus England, doch der Wert der Dinge leidet darunter. Denn nicht der Besitz der Dinge hat einen Wert, sondern nur der Wert der Dinge selbst. Für ein Video, (VHS) das man „damals“ besaß, wurde man beneidet, heute geht jeder nach Amazon und bestellt es sich.
@Marcus: Völlig Richtig. Wir leben in einer Informationsgesellschaft in der es immer wichtiger wird, die Flut der Informationen für sich zu sortieren, einzuordnen und zu bewerten. Wenn wir einmal in der späten 80er von 2 Bands im Monat etwas neues hörten, so ist es uns heute möglich das jeden Tag zu tun. Eine Art Vorsortierung durch Musikmagazine oder Redakteure fällt weg – und das ist gut und schlecht.
Die Gefahr der Falschinformation könnte man auch umdrehen, wenn die Bild-Zeitung in den 70er etwas schrieb, nahmen es viele Leute für voll, denn es fehlte ihnen die Möglichkeiten die Daten zu vergleichen. Heute schreibt die Bild-Zeitung etwas, doch die, die das für voll nehmen, werden immer weniger :)