Frankfurt, 14.02.2011 – Während die Schaufenster das Fest der Liebenden propagieren, herrscht am Bahnhof emsiges Treiben. „Möchten Sie nicht Blumen kaufen? Heute ist Valentinstag!“ Schon wieder ein Fest um Geld zu scheffeln. The Grabbing Hands grab all they can. Ungeduldig warten die Reisenden auf ihre Züge, Infostände ersticken im Stimmengewirr der Sprachen, die Mitarbeiter kämpfen wacker.
Draußen strecken die Wolkenkratzer ihre knochig glänzenden Finger in den diesigen Himmel der einbrechenden Nacht. Sie lachen den alten Mann auf der Parkbank aus, der sich zum Schutz vor der Kälte mit Zeitungen und Kartons eingehüllt hat und schläft. Die gelbe Leuchtreklame der Commerzbank wirft ein schales Licht auf die Falten in den Gesichtern der Menschen die mit eisigen Blicke über die Straßen hetzen.
Frankfurt spielt ein falsches Spiel.
Gegenseitiges Desinteresse und Arroganz sind die Meßlatten des Erfolgs. Die traurige Verkäuferin die Prospekte verteilen muss lächelt, als ich freundlich ablehne und Ihr in die Augen blicke. Der junge Mann am Ausgang einer Passage der die vermeintlich erfolgreichen verabschieden soll ist verwirrt, als ich ihm einen schönen Abend wünsche. Nein, das jemand antwortet, darauf war er nicht vorbereitet. Warum hilft eigentlich niemand der Frau mit ihrem Maxi-Cosi die sich eine defekte Rolltreppe hinauf quält?
Geld macht nicht glücklich, sondern einsam. Die Kluft zwischen Menschen und sozialen Schichten ist nirgens offensichtlicher als in Frankfurt. Die Finanzmetropole hatte viele Gesichter. Die meisten sind häßlich.
Hatte mich schon über die Änderung des Wohnortes bei Facebook gewundert. Du arbeitest jetzt wirklich als Börsenspekulant und wohnst in Frankfurt? … Oder möchtest Du einfach in der nächsten Saison auch noch Bundesliga Fußball … genießen / erleben?
Wow, ein toller Beitrag. Regt echt mal zum Nachdenken an!
Eine interessante Atmosphäre der Feindseligkeit, die du hier einfließen lässt. Fast hätte ich es für Resignation gehalten.
Frankfurt kenne ich kaum. Aber das, was ich davon sah lud nicht gerade zum wohlfühlen ein. Gerechtigkeitshalber muss ich allerdings zugeben, dass keine größere Stadt auf mich einladend wirkt. Zumindest in den ersten Momenten.
Doch Frankfurt besaß eine Aura der unantastbaren Herabsetzung. Was womöglich auch an der Art der Bürger liegen könnte, die einem an den Knotenpunkten entgegenströmen. Denn ich kann diesem elitären Gehabe der Karrierekrawatten aus Börse, Wirtschaft und Finanzen nichts abgewinnen. Für mich besitzt jede Pflegekraft mehr gesellschaftlichen Wert als 95% jener »Snops« und »Yuppies«
Das was du beschreibst, seh ich aber nicht nur in Frankfurt. Vielleicht verstärkt dort, weil es auch einfach mehr Menschen gibt, aber wie gesagt, dieses falsche Spiel wird überall gespielt. Hab schon immer Angst, dass der Busfahrer in Freudentränen ausbricht, nur weil ich ihm tatsächlich ein kleines „Hallo“ schenke und ihn nicht, wie alle anderen ignoriere und nur schnell die Fahrkarte hinhalte.
Serh bewegend dein Text!
@Postpunk: Nein, ich „wohne“ nur zwei Wochen im Großraum Frankfurt, ich bleibe der Stadt mit der 2. Liga-Mannschaft treu. Wie auch viele Gleichgesinnte ;)
Guldhan: „Für mich besitzt jede Pflegekraft mehr gesellschaftlichen Wert…“ So ist, doch es gibt zwei Dinge die mir aufstossen. Zum einen sollte die Bildungspolitische Elite die sich so Yuppie-Like durch den Großstadtdschungel bewegt besser wissen, daran kann es nicht liegen. Es ist diese Mischung aus Igonranz und Verachtung die mich stört.
Zum anderen liegt es auch daran, das die Wertigkeit dieser Gesellschaft verfallen ist. Ein Mobil-Telefon zum surfen mit einer sündhaft teuren Monatsflatrate ist wichtiger als die Nahrungsaufnahme. Pflegekräfte sind eine wichtige Stütze unserer Gesellschaft, doch niemand dreht den Scheinwerfer auf sie. Und seien wir ehrlich: Früher oder später landen wir alle in den Armen einer solche Kraft, wir werden in Windeln geboren und enden mitunter auch darin.
@Celina: Sicher, das gibt es auch in vielen anderen Städten. Ich habe nur versucht die paar Stunden in Frankfurt für mich zu verarbeiten, einzuordnen und zu sortieren. Ich mag Großstädte, daher bin ein solches Verhalten ein wenig gewohnt, in Frankfurt ist es mir nur besonders unangenehm aufgestoßen. Nirgendwo ist es meiner Ansicht nach offensichtlicher.
Für mich ist das ein Aufruf sich das kleine bisschen Höflichkeit zu bewahren. Das gilt für alle, vor allem für beschriebene „Frankfurter“.
Es hätte auch München sein können. Hier in Augsburg sind die Leute doch noch etwas menschlicher…wenn auch meistens grantig.
Oft steige ich morgens in Mittelhessen in den Zug, wenn es noch dunkel ist und döse langsam ein, während draußen Wälder, Wiesen, Dörfchen und Burgen in der beginnenden Morgendämmerung an mir vorüberziehen. Dann wache ich wieder auf, entweder:
1) in Frankfurt Höchst, wo ich noch meterhohe Flammen aus schwarzen Industrieschornsteinen in den mitlerweile feuerroten Himmel schießen sehe und mich für einen irritierten Halbschlafmoment wie in „Mad Max“ oder „Shadowrun“ fühle, bevor der Zug anhält und mir eine graffitibeschmierte Betonmauer gnädig den Blick versperrt; oder
2) etwas später bereits in Frankfurt, wo sich graue Gebäude wie ein endloses Geschwür bis zum grauen Horizont ziehen während man um sich graue Gesichter sieht und sich selbst plötzlich so grau und antriebslos fühlt, dass man augenblicklich depressiv werden könnte.
Kein Wunder, dass man da lieber die Kopfhörer in die Ohren stopft, die Hände in den Taschen schiebt und mit gesenktem Blick versucht so etwas wie eine Eierschale um sich herum aufzubauen und damit selbst in der grauen Masse verschwindet.
Ich hasse Frankfurt…
Ich bin so froh, dass ich mich dann meist auf dem Weg zum Campus Westend begebe, wo einen erstaunlich viel Grün erwartet und wo man im Sommer gemütlich unter einem Baum am künstlichen Teich lesen kann, während irgendwelches Wassergeflügel um einen herumwatschelt.
Das dürfte aber auch so ziemlich die einzige Idylle weit und breit sein…
Karnstein
Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es die Umgebung ist, die dafür sorgt, dass die Menschen sich in ihre Schneckenhäuser zurückziehen. Großstädte sind ohnehin sehr anonym und Frankfurt ist dazu noch potthäßlich. Die riesigen Geschäftsbauten machen es noch einmal ein Stück unsympathischer.
ABER: Ich war einmal geschäftlich in Frankfurt. Der Taxifahrer war supernett – wir haben sehr gelacht – und die Leute in der Firma, in der ich den Termin hatte, waren ebenfalls ganz natürlich, locker, sehr freundlich und ebenfalls total nett. Ich denke, im kleineren Rahmen trifft man in Frankfurt dann auch wieder auf zugewandte und freundliche Menschen – wie überall.
Welche Stadt spielt dieses Spiel nicht?
@Alsuna und @Christian: Sicher, das lässt sich spielend auf viele Städte übertragen. Wir müssen nur mit offenen Augen durch die Welt gehen. Vielleicht möchte ich das zum Ausdruck bringen.
Karnstein: Womit wir wieder bei der Musik wären. Das richtige Lied am richtigen Ort macht aus dem tristesten Grau ein kreativen Augenblick. „Die Herren in Grau“ wie es auch schon Michael Ende erkannte, sind eigentlich die wahren Opfer. Denn unfähig geworden Mitleid zu empfinden, verkümmert die eigene Existenz zu einer Unruh in der Armbanduhr.
Orphi: Der Taxifahrer war bestimmt „zugereist“ :-) Darüber hinaus stimmt es. Selbst in der dunkelsten Stadt findet man ein Licht. Auch Frankfurt ist da nicht chancenlos, vielleicht zeigt es sich eines Tages von einer anderen Seite.
Ich finde Frankfurt eigentlich ganz schön (soweit ich das beurteilen kann, ich war noch nie da). Und in Berlin fand ich es richtig schlimm. Der Protz im Regierungsviertel und dann das Elend in den Außenbezirken. Dass eine Stadt gleichzeitig so verwahrlost und herausgeputzt sein kann. Das hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Ich dachte, in Berlin wäre der arme Mensch noch etwas wert. Das Gegenteil ist der Fall. Nur die Elite zählt. Und das ist einfach nur widerlich.
@Christian: Soweit du das beurteilen kannst. Auch ich hatte ein anderes Bild von Frankfurt im Kopf, bevor ich dort tatsächlich zu Besuch gewesen bin und sicherlich habe ich nicht die ganze Stadt gesehen. Es geht mir auch vielmehr um die Wirkung, die Frankfurt hinterließ und die fand ich überhaupt nicht schön.