Mein schaurig schönes Tagebuch #19 – Chinesische Buffets, die provozierte Fressnarkose

Liebe Tagebuch. Es ist so ein Unding von uns Deutschen, alle möglichen Trends aus den USA für uns zu übernehmen. Ich bin mir sicher, dass chinesische All-You-Can-Eat Buffets auch über den amerikanischen Umweg zu uns gekommen sind. Seit gefühlten 20 Jahren breiten sich diesen vermeintlichen Tempel der chinesischen Esskultur in Deutschland aus. Dabei haben diese Fresströge der deutschen Bürgerhaltung meiner Ansicht wenig mit China zu tun, haben das Wort Tempel allein wegen ihrer Größe verdient und sind so weit von Esskultur entfernt, wie der Mond von der Erde. Oder dem Mars. Ach komm, Sonne!

Ja, liebes Tagebuch, ich kenne diesen zerknirschten Ausdruck deiner Seiten. Du wirst dich sicherlich fragen, woher ich mich plötzlich mit chinesischer Küche auskenne und warum ich auf einmal von Esskultur rede, wo ich doch die Pizza von unserem Lieferdienst feiere. Diesen Einwand Deinerseits lasse ich gelten. Lass mich trotzdem erzählen, warum ich chinesisches Buffets nicht leiden kann, denn dafür sind Tagebücher ja da.

Alles begann mit einem Gartencenter in unserer Stadt. So einer von den grünen Oasen, die lange vor den Baumärkten Geld damit verdienten, unser urbanes Leben zu begrünen. Irgendwann musst das leider schließen und einem chinesischen Restaurant weichen, dass sich mit 700 Sitzplätzen den Begriff „Tempel“ redlich verdient hatte. Die Idee traf offenbar den Zeitgeist, denn anstatt die Schließung eines Gartencenters zu betrauern, das von einer evangelischen Behinderteneinrichtung betrieben wurde, feierte man die Eröffnung mit einem randvollen Parkplatz. Von da an fast jeden Tag.

An einem unschuldigen Sonntag-Nachmittag erklärte ich mich bereit, meiner Frau den Wunsch zu erfüllen, dort wieder einzukehren. Und das, obwohl ich chinesische Buffets nicht leiden kann. Ich konnte die schon vor 10 Jahren nicht leiden, obwohl ich asiatische Küche im Grunde genommen liebe. Bisher lockte mich immer der Gemeinschaftssinn und die Prämisse „Da ist für jeden was dabei“ in solche Läden. Sei es, um mit 10 hungrigen Gruftis nach dem Trödelmarkt essen zu gehen, um unsere Hochzeitsgäste bewirten zu lassen oder Freunden einen Gefallen zu tun. Heimlich habe ich mich dann zurückgezogen und konnte die Besuche irgendwann auf ein Minimum reduzieren. Doch den Wunsch der eigenen Frau kann man nicht ignorieren.

So fand ich mich dann 45 Minuten später an Tisch 72 der chinesischen Futterstelle, lächelte meine Frau und die Kellnerin an, die schon völlig richtig vermutete, dass wir gekommen waren um uns für 16,90€ pro Person unkontrolliert den Magen vollzuschlagen. Nein, ohne japanisch und mongolisch, vielen Dank. „All inclusive“ kostet nämlich extra. Für 39,90€ kann man 2,5 Stunden lang so viele essen und trinken wir man möchte. Chinesisch, Mongolisch, Japanisch. Offenbar hat es sich in westlichen Kulturen etabliert, alles hinter Russland in einen Topf zu werfen.

Kaum hatte die Kellnerin das in ihrem Smartphone vermerkt, stiefelten wir auch schon zur Auslage. Während ich noch versuchte, halbwegs beim Thema „China“ zu bleiben, schaufelte sich meine Nachbarin süß-saures Schweinefleisch, frittierte Hähnchenstücke und Kartoffeln mit Zwiebeln auf den Teller, garnierte dazu eine dezente Frühlingsrolle und garnierte die letzte freie Stelle auf ihrem Teller mit einem Klacks Wasabi. Ihre Begleitung machte erst gar keine Kompromisse, Chicken-Nuggets, Pommes Frites, Garnelen und glitschige Nudeln, obendrüber reichlich Erdnuss-Sauce. So macht man das eben bei Buffet. „Da ist für jeden was dabei„.

Die Organisation ist perfekt. Ist ein Trog geleert, funkt ein anwesender Mitarbeiter über die Lautsprecher Anweisungen durch den Küchenbereich. Binnen Sekunden stürmt ein sichtlich engagierter Mitarbeiter mit Mundschutz und Gummihandschuhen heran, entfernt den geleerten Edelstahlbehälter und lässt den vollen Trog krachend in der leere Mulde gleiten. Frischer Blumenkohl mit Sauce Hollondaise. So wie man China eben kennt! Die 3 grauhaarigen Damen haben schon gewartet und die ersten beiden zerstören bereits die liebevoll drapierten Röschen. Die dritte muss noch ein bisschen warten, weil sie mit ihrem Rollator mehr Platz braucht. Immerhin muss sich den übervollen Teller nicht tragen, sondern kann ihn bequem zu Tisch 63 rollen.

Ich möchte das Geräusch von Kühen nachmachen und lautstark verbreiten, als sich immer mehr Menschen in den Gängen drängeln, verkneife mir aber diesen Ausbruch und jongliere meinen Teller durch die Herde zu Tisch 72. Mein Frau Orphi ist schon da und freut sich über ihren Teller: Blumenkohl mit Sauce Hollondaise. Isst sie gerne. Jeder hat sein Lieblingsgericht beim Chinesen. Jetzt bloß die Klappe halten! Viel besser bin ich ja auch nicht und habe Pommes mit Mini-Frühlingsrollen zu meinem Gemüse geschaufelt. Ich wollte wenigstens etwas dabei haben, was nicht in Öl ertrinkt. Das Pommes darin frittiert werden, blende ich aus.

Ich bin fasziniert, wie sehr mein Hunger und das Angebot die Augen, den Geschmack und die guten Absichten trüben. Auch ich habe meinen Teller viel zu voll gemacht und bin schon dem ersten Gang pappsatt. Chinesisch war daran gar nichts, immerhin hilft der intensive Blick auf die Ladendeko ein wenig. Vom Nachbartisch höre ich, wie „lecker chinesisch“ doch ist. Mir platzt der innere Kragen. Ich bin angewidert wie pervers unsere Esskultur sich mitunter verhält. Chinesisches Buffet hat meiner Meinung NICHTS mit chinesischen Essen zu tun, einem Restaurantbesuch oder Esskultur.

„Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.“

Ich wisst schon, Restaurants, in die man geht um mal etwas zu essen, was man nicht kennt, was man sich selbst nicht zubereiten kann oder sich einfach mal gönnen will. Was man mal schmecken und erleben möchte. Wo sich ein Koch Gedanken über die Komposition von Gemüsen, Gewürzen und Beilagen macht. Bambussprossen in Kokos-Sauce mit Zitronengras und Yasmin-Reis! Sowas in der Richtung.

Irgendwie erinnert mich das an so manche Deutsche im Urlaub. Wie sie in Spanien Wiener Schnitzel verdrücken, oder in Italien eine Pizza mit Spaghettisauce bestellen. Wir haben in Europa so eine lebendige und authentische kulinarische Landschaft, dass es mir nicht in Kopf will, warum man mit dem Gaumen zu Hause bleibt.

Liebes Tagebuch, ich bin kein Feinschmecker, kein Kenner, und kein Gourmet. Wirklich nicht. Bei meinem Besuch in Gladbachs teuerstem Restaurant, anlässlich eines runden Geburtstages, bin ich nicht satt geworden und konnte auch nicht das schmecken, was uns der Kellner bei der Servierung runtergebetet hat. Aber ich bin neugierig. Neugierig auf syrisches Essen in Amsterdam, thailändisches Essen Stockholm und türkische Küche in London. „Essen gehen“ sollte nicht der Nahrungsaufnahme dienen, sondern dem Genuss. Ein chinesische Buffet ist für mich eine Fütterungsstation träger und müder Menschen, die keine Lust mehr haben, etwas für sich zu entdecken. Das ist nicht schlimm. Muss jeder für sich selbst entscheiden.

All-You-Can-Eat und XXL-Restaurants sind der Zeitgeist einer ganzen Bevölkerungsgruppe. Essen, bis der Magen schmerzt, ausreizen, wie viel Nahrung ein Teller tragen kann und das Gewissen mit Salat als Vorspeise und Obst als Nachspeise beruhigen. 17€ für die provozierte Fressnarkose.

Zurück in den Gartencenter. Ich war, wie gesagt, satt. Aber nachdem ich meine Überzeugungen schon zu Hause gelassen habe, schlenderte ich noch zum Nachtisch. „Ist der Geschmack erst ruiniert, isst es sich ganz ungeniert!“ Mir war es einfach egal.

Wackelpudding Waldmeister und Kirsch mit Vanillesauce, einen Ball Eis „Blauer Engel“ und einen Ball „Malaga“, Erdbeeren und Krokantnüsse. Isst man in China. Ganz bestimmt.

Ich habe bis zu Schluss durchgehalten. Habe versucht, mir sämtliche Sprüche und Geräusche zu verkneifen und meiner Frau eine gute Begleitung zu sein. Ich hoffe, sie ist mir nicht böse. Auf dem Weg nach Hause musste es dann raus. Nicht das Essen, sondern meine Gedanken. Raus musste bei Orphi dann später auch was, die Nudeln und der Blumenkohl Hollondaise waren wohl doch ein bisschen fettig.

Ob ich jetzt nie wieder hingehe, liebes Tagebuch? Doch, natürlich. Wenn liebe Menschen mich dort treffen wollen oder meine Liebste eben diesen Wunsch hat, dann kann ich mal meine Befindlichkeiten und meine Meinung einfach mal zu Hause lassen. Ich stell mir dann einfach vor, ich gehe genieße gut bürgerliche chinesische Hausmannskost.

Bei nächsten mal dann wieder ein bisschen mehr Lebensfreude beim ausprobieren, oder? Photo by Jimmy Chang on Unsplash

 

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BrideofaBatcaver
BrideofaBatcaver (@guest_58158)
Vor 5 Jahre

Asiatisches All You can eat kann auch besser umgesetzt werden. Die Noori Kette hat da ein interessantes Konzept bei dem man jeden Gang mit einem Tablet ordert und der dann auch schön angerichtet aus der Küche kommt. Diesen schnöden Fresstempeln kann ich auch nichts mehr abgewinnen 😒

Wiener Blut
Wiener Blut (@guest_58168)
Vor 5 Jahre

Ich find’s extrem … bemerkenswert…, was so auf Buffets und Drehbändern landet, und dann auch auf riiiieeesigen Tellern. Schade daß die nicht noch größer angeboten werden… aber das gleicht die Beladungshöhe oft aus…. Was haben wir ein Glück. Irgendwann waren wir über dem Buffet Zenit. Erst haben wir dann das Restaurant gewechselt. Dann haben wir angefangen von der Karte zu ordern… oft findet man da ja eine Ecke, an der man sehen kann wo die herkommen. Thailand oder Vietnam oder oder…. und wir haben das Glück, das es bei unserem neuen Fresstempel… der in unserm Fall ein Garten ist, auch echt gut schmeckt. Außerdem nehmen wir schon ewig Stäbchen, und unser Stammlokal hat uns dazu dann, auch recht schnell von sich aus als Empfehlung, Schälchen angeboten…. Also solche, in die beim Buffet klassisch die Suppe landet. Damit ist… und isst… man langsamer, das Essen bleibt länger warm… wenn man denn einen Hotpot etc bestellt hat, und man kann gut gegenseitig vom anderen was probieren. Noch lieber gehe ich zum richtigen „reinen“ Thai… leider ist die Anfahrt länger bei uns. Nun ist es aber bei uns so, dass der Buffet Virus, spät bei der Verwandtschaft eingedrungen ist, und die voll Fieberwahn, uns gerne immer Mal wieder zum Buffet essen verführen müssen. P.S. Einen guten Thai haben wir auch beim WGT 2018 entdeckt. Da wir schon „älter“ sind, mussten wir was „richtiges“ essen. TUK TUK in der Münzgasse kann man echt empfehlen.

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