„London Calling to the far away Towns: Now war is declared, and battle come down...“ lauten die ersten Liedzeilen des Klassikers von „The Clash“, in dem sie 1979 von der britischen Hauptstadt in einem düsteren Endzeitszenario in Schutt und Asche singen. 2011 bekommen die Worte eine erschreckende Vision. Bilder vom brennenden Doppeldeckerbussen werfen ein merkwürdiges Licht auf die pulsierende Metropole, die noch einige Tage zuvor, mit eben genannten Song die olympischen Sommerspiele 2012 bewarben. In den britischen Nachrichten gibt es nur noch ein Thema, die Ausschreitungen im Stadtteil Tottenham, von denen die internationale Presse ein Bild der Verwüstung und Plünderung zeichnet und über den Globus verteilt. Nein, dieser Artikel dient nicht meiner Meinungsäußerung, sondern soll lediglich helfen, den Blick auf die Dinge hinter den lodernden Fassenden zu lenken.
Was ist passiert? Am 4. August erschießt die Polizei den 29-jährigen Familienvater Mark Duggan auf der Ferry Lane Bridge im Londoner Stadtteil Tottenham bei einer geplanten Festnahme 1. Die Beamten gaben an, dass Duggan das Feuer aus einem Taxi heraus auf sie eröffnete. Bisher konnten aber keine abschließenden Beweise vorgelegt werden, die diese Darstellung untermauern. Zwei Tage lang hüllen sich offizielle Stellen in Schweigen. Am 6. August findet eine friedliche Demonstration von rund 200 Anwohnern statt, die vor der zuständigen Polizeiwache endet und Aufklärung über die Umstände fordert. In den Abendstunden eskalierte die Situation, die zu Brandanschlägen, Krawallen und Plünderung führt. 2
Doch das ist nur die Spitze des Eisberges, denn die Gewalt entlädt sich nicht nur wegen dem tragischen Tod eines jungen Mannes. Wie bereits vor rund 25 Jahren wird England von einem extrem konservativen Tories regiert, deren Politik deutliche Parallellen zu Margret Thatchers Regierungszeit erkennen lässt. Der strenge Sparkurs der britischen Regierung wird bereits seit Monaten heftig kritisiert und äußert sich immer wieder in Demonstrationen und Krawallen. Zunächst werden die Studiengebühren massiv erhöht, was zu Protesten unter den Studierenden führt. Die „Initiative UK Uncut“ wird geboren, die bereits im November des letzten Jahres zu breitem Widerstand gegen die Spar- und Steuerpolitik aufruft. Anfang 2011 formieren sich unter dem „Anti-Austerity Protests“ UK Uncut und zahlreiche Gewerkschaftsverbänden zur bislang größten Demonstrationen. Am 26. März beteiligen sich etwa 300.000 Menschen an den Protesten, die schon zu diesem Zeitpunkt in Straßenschlachten und Zerstörungen enden.
Doch die Regierung weicht nicht von ihrem Kurs ab und beschneidet den englischen Sozialstaat auf vielen weiteren Wegen. Zuletzt werden sogar Jugendzentren geschlossen während im ganzen Land Arbeitslosigkeit und Verschuldung steigt. „Es rebelliert die ärmste und am meisten ausgegrenzte Schicht: junge perspektivlose Migranten in Vierteln aus Tottenham, Enfield, Brixton und Hackney (kleine Auswahl) – Ihre Wahl der Mittel ist drastisch: Plünderungen und brennende Gebäude, keine Demonstration, keine Pressesprecher, keine organisierte politische Gruppe (…) diese Menschen haben keine politischen Repräsentanten, kaum jemand kümmert sich um sie, sie sind der Regierung scheissegal.“ 3 Die Mittel ihrer Organisation sind modern, über Blackberry, Facebook und Twitter sollen sich die „gewaltbereiten Jugendlichen“ formieren, die sich in ihrem Handeln im Recht fühlen, denn von den Steuern dieser Menschen finanziert sich das System selbst, dass ihnen die Schutzräume nimmt und sich dann über Plünderungen und Gewalt wundert.
Eine fast unausweichliche Reaktion, einen von der Polizei erschossenen Familienvater zum Märtyrer zu machen und als Aufhänger für die jüngsten Ausschreitungen in London zu „benutzen“. Und so gehen hinter brennenden Bussen und Möbelhäusern, eingeschlagenen Fensterscheiben und geplünderten Geschäften die eigentlich Gründe verloren, jedenfalls in der internationale Berichterstattung. So funktioniert Journalismus, nicht hintergründig recherchierte und kritische Beiträge spülen Geld in die Kassen, sondern Aufnahmen einer brennenden Metropole und Gewalteskalationen ausländischer Jugendlicher. So ist das nun mal.
Dieser Artikel schlägt sich auf keine der beiden Seiten, sondern soll nur den Absicht fördern, einen zweiten Blick auf das zu wagen, was einem in die mediale Suppe geschüttet wird. Die englischen Probleme sind keine neuen Probleme und an einer Basis entstanden, die „The Clash“ 1979 vermutlich in ihrem Song besangen. Und je näher das rückt, was man nur aus der Zeitung, dem Radio oder Fernsehen kennt, umso wichtiger ist es, seinen eigene Meinung zu bilden, um nicht einer Masse zu folgen, die selbst einmal vor einem ähnlichen Problem stehen könnte.
Einzelnachweise
- Quelle: London Riots: Mark Duggan died of gunshot to chest, inquest told – http://www.guardian.co.uk/uk/2011/aug/09/london-riots-mark-duggan-inquest[↩]
- Quelle: Zeitnaher Artikel bei Wikipedia zum Tod von Mark Duggan – https://de.wikipedia.org/wiki/Mark_Duggan [↩]
- Quelle: Indimedia – London Riots vom 09. 08. 2011 – http://de.indymedia.org/2011/08/313618.shtml[↩]
Hmm, so krass es klingen mag; aber ich persönlich sah schon kommen, das eines Tages die Situation in London und anderen Städten eskalieren wird.
Tottenham, Peckham und Croydon sind soziale Brennpunkte und das vielbeschworene Multikulti-Leben funktioniert auf Dauer nicht. Ebenso in Birmingham oder Liverpool- da kommt nochmal verschärfend hinzu, das der Norden Englands prinzipiell ärmer ist als der Süden und Westen…gibt sogar Gegenden, da wird statt Tee massig Billig-bier zum Frühstück getrunken.
Ich habe zwar nicht in London gelebt, aber in Swansea, Wales u. a. auch in einem Stadtteil mit extrem hoher Arbeitslosenquote und einem hohen Teil an Migranten.
Ich hab Leute kennengelernt, die alle 2 Wochen 80 Pfund vom Amt bekommen und damit abgesehen von Miete etc. alle anderen, anfallenden Kosten bezahlen müssen, Leute die sich am Wochenende oder auch gerne mal unter der Woche mit Strongbow oder Streng-/Superbrew (Bier mit nochmals erhöhtem Alkoholanteil) zulaufen lassen, kiffen- eigentlich recht viel, außer arbeiten und auf den Staat bzw. auf die Grafschaft (County) schimpfen, in dem/der sie leben.
Mag sein, dass es durchaus Leute aus diesen Vierteln gibt, die versuchen da rauszukommen, aber ganz ehrlich? Ich habe kaum solche getroffen.
Und was noch dazu kommt; meiner Erfahrung nach gibt es kaum eine Mittelschicht.
Entweder man hat ein eigenes, schönes Haus, mind. 2 Autos, kann sich eine Putzfrau leisten und muss nicht auf die Billig-angebote von Tesco oder ASDA zurückgreifen-
oder man lebt einer sog. council-flat, bekommt „benefits“ und kauft sich sein Essen entweder im Poundstore oder bei Aldi, Lidl usw. und hat in den meisten Fällen kaum Aufstiegschancen.
Ein Land, das sich freiwillig noch ein derartiges monarchisches Puppentheater hält, spart entweder an der falschen Stelle oder hat doch noch zu viele Pfunde am Jahresende übrig.
Es ist nur eine Theorie, aber wenn die britischen Konservativen endlich mal den Finger aus dem Arsch ihrer Tradition ziehen und auch ihr Land als Teilhaber des europäischen 21ten Jahrhunderts ansehen würden, dann könnte dort schon einigen geholfen sein.
Zumindest, wenn es denen dann gelingt, die damit eingesparten Kosten für jene Lobpreisung und Vergoldung der dort ansässigen Rest-Royals an die Notwendigkeiten für die Durchschnittsbevölkerung weiterzuleiten.
Ich bin mal gespannt, welcher Auslöser hierzulande den ersten Funken setzt. Denn dass dieses Land vom inneren Brodeln verschont ist, glaubt wohl kaum mehr einer. Entweder kann man sich weiterhin auf die neu erlernte Reaktionsträgheit des Deutschen verlassen oder man darf auch hier berechtig sagen: Was lange gärt wird endlich Wut.
Doch wahrscheinlich hat der Ausbruch längst sein Gesicht verloren. Waren vielleicht die ersten Minuten eine Affektreaktion von Frustrierten, so scheint es nun ein Tummelplatz der Kick-Suchenden, Gelangweilten und Hobbyrandalierer geworden zu sein.
Da Frustrierte mit Sachverstand irgendwann aufhören, ihre eigene Lebensgrundlage zu zerstören und ganze kleinbürgerliche Straßenzüge in Schutt und Asche zu legen. Zumal diese auch davon absehen, Unbeteiligte dadurch mit in den Dreck zu ziehen.
Und, sofern man den Medien glauben schenken darf, organisieren sich solche nicht über Nachrichtendienste von »Smartphones« im Wert von £150-300.
Eine vielseitige Medaille. Grundsätzlich bin ich gegen die Zerstörung von irgendwas, was man nicht selbst hergestellt hat oder seinen Besitzt nennen kann, außer den gesellschaftliche Fesseln. Doch bleiben wir Objektiv, die friedlichen Proteste und Demonstrationen, die in England schon länger als Folge der sozialen Sparkultur stattfinden, wurden von der Regierung ignoriert. Es erscheint auf den ersten Blick plausibel, dass sich gerade in sozialen Brennpunkten aus Frust Hass und Wut entsteht.
Was meiner Meinung nach fehlt, ist die friedliche und zerstörungsfreie Lenkung von Protesten und Demonstrationen. Es fehlen die Menschen, die Wut kanalisieren und konstruktiv nutzen. Was wäre, wenn man tausende dazu bringen kann, gemeinsam und meinetwegen auch koordiniert, das öffentliche Leben in London lahmzulegen? Wer weiß, wie zerbrechlich die Infrastruktur der Hauptstadt ist, weiß schnell effektive Mittel der friedlichen Aufmerksamkeitsgewinnung.
Und dennoch. Es ist offenbar nie ganz auszuschließen, dass Gewalt mit Gegengewalt beantwortet wird. Polizisten ballern einen Familienvater über den Haufen, das Volk antwortet. Knüppelpolizei drischt auf alles ein, was protestiert, Menschen dreschen zurück. Abgesehen von den erwähnten Kick-Suchenden, Gelangweilten und Hobbyrandalierern, die allesamt auch gerne die Themse putzen dürften.