Über 50.000€ sind mittlerweile für die Rettung des Archivs der Jugendkulturen zusammengekommen, doch die Zeit wird knapp. Berücksichtigt man die Spendenentwicklung seit dem Start der Aktion, so lässt sich absehen, das am Ende noch etwa 35.000€ fehlen werden. Wie wichtig das Archiv war, ist und sein wird, zeigt auch die aktuelle Entwicklung um die Depublizierung der Inhalte öffentlich-rechtlicher Medienanstalten. Das Archiv sammelt seit Jahren Material aus und über Jugendkulturen und hat einen Quellenfundus aufgebaut, der seinesgleichen sucht. Neulich diskutierte ich mit jemanden über das Archiv:
Warum muss das Archiv eigentlich durch Spenden am Leben erhalten werden, ist es nicht Aufgabe der Politik und des Landes hier helfend einzugreifen? Hat das Archiv überhaupt schon versucht eine staatliche Förderung zu erhalten und was sagen die Politiker?
Ja, meiner Meinung nach ist es Aufgabe der Politik, kulturell wertvolle Angebote, die der Allgemeinheit dienlich sind und die sich bereits etabliert haben finanziell zu unterstützen. Um die zweite Frage zu beantworten, habe ich mich den Antwortbriefen bedient, die das Archiv der Jugendkulturen auf seine Homepage veröffentlicht hat und die eine meiner Meinung nach die Hilflosigkeit und den Unwillen staatlicher Behörden am besten dokumentieren.
Im August schrieb Klaus Farin an den Bürgermeister der Stadt Berlin, in dem er um die Unterstützung des Archivs der Jugendkulturen ersucht. Antwort erhält er von der Senatskanzlei und der Abteilung Kulturelle Angelegenheiten die den Wert des Archivs zu schätzen weiß: „Das von Ihnen ins Leben gerufene und gepflegte Archiv der Jugendkulturen ist eine bemerkenswerte Einrichtung und leistet einen wichtige Beitrag zu wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Jugendkulturen.“ 1 Doch leider sieht man sich nicht in der Lage, eine Unterstützung anzubieten, weil das Archiv in den Augen der Kanzlei nicht als kulturelle Einrichtung gilt: „Zu den Aufgaben der Abteilung (…) gehören jedoch die Förderung und Betreuung kultureller Einrichtung (…) Vor diesem Hintergrund wäre eine Unterstützung des Archivs der Jugendkulturen (…) grundsätzlich nicht möglich.“
Ist die Erhaltung von Jugendkultur denn keine Kulturelle Angelegenheit? Man gewinnt den Eindruck, das die Einrichtung akzeptiert aber nicht verstanden wird – wie sonst lässt sich eine solche Fehleinschätzung sonst erklären? Auf der Homepage der Senatskanzlei heißt es: „Die Berliner Kulturverwaltung (Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten) ist zuständig für Angelegenheiten der Museen, Bibliotheken, Archive, Gedenkstätten, Bühnen, Orchester und Chöre sowie für die Förderung von in Berlin lebenden Künstlerinnen und Künstlern.“
Archive gelten offenbar als kulturelle Einrichtungen, Jugendkulturen als solches scheinen auch als solche anerkannt zu sein, dennoch verweigert die Senatskanzlei die Unterstützung, fühlt sich nicht zuständig und verweist an eine andere Behörde, „da es sich bei Ihrem Archiv um eine bildungsnahe Einrichtung handelt, möchte ich Ihnen empfehlen, sich dan die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung (…) zu wenden.“ 1. Hat Kultur denn nicht immer etwas mit Bildung zu tun? Gerne betone ich es noch einmal, es geht nicht um Millionenbeträge, sondern um eine stete Förderung im Rahmen eines Jugendarchivs.
Doch Klaus Farin ließ sich nicht beirren und schrieb auch an die zweite Behörde. Die kennt das Archiv schon mal: „Das Archiv der Jugendkulturen ist mir seit langem bekannt. (…) Der Verein und Sie ganz persönlich haben in den vergangenen Jahren bundesweit dazu beigetragen, dass dem häufig gefährdungsorientierten Bild der Öffentlichkeit von Jugendlichen, Jugendszenen und Jugendkulturen eine differenzierte, auf Verständnis und angemessenes Handeln zielende Analyse entgegengesetzt wurde.“ 2 Kurz gesagt, das Archiv wird auch hier als großartige Einrichtung aufgenommen – der Wert der Einrichtung von allen Seiten geschätzt.
Leider gibt es auch hier keinen Aussicht auf Erfolg: „Dennoch kann ich Ihrer Bitte nach Förderung leider nicht entsprechen. Für eine Lösung (…) müssen die Rahmenbedingungen, insbersondere die schwierige Haushaltssituation des Landes Berlin berücksichtigt werden. Die derzeitigen Haushaltsmittel (…) sind vollständig (…) eingesetzt.“ 2 Der Haushalt 2010/2011 ist also bereits verplant. Haushaltssituationen und Rahmenbedingungen von Ländern sind fast immer schwierig und obwohl das Archiv als solches schon bekannt ist, hat man eine Berücksichtigung in der letzten 12 Jahren schlicht und einfach verpennt? Zum Vergleich: 2009 gab man für Literatur und Bibliotheken und 30 Millionen Euro aus, für Sonstige Einrichtungen und Förderung rund 15 Millionen Euro 3 aus.
Im Anhang äußert sich die Senatsverwaltung auf eine mündliche Anfrage des Abgeordneten Oliver Schruffeneger vom 09. September 2010: „Das Land Berlin hat das Archiv u.a. bei der Beantragung von Drittmitteln bei Stiftungen und Programmen, die durch die Bundesregierung finanziert werden, unterstützt und beabsichtigt, dies auf weiterhin zu tun.“ Unterstützung scheint sich hier aber nur darauf zu beschränken, Briefe zu schreiben und äußert sich leider nicht in finanziellen Leistungen.
Sehr niederschlagend muss da eine Antwort vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wirken: „Durch Sammeln und kostenloser Bereitstellung in Ihrer Präsenzbibliothek authentischer Zeugnisse aus den Jugendkulturen und wissenschaftlicher Arbeiten sowie Ihrer eigenen Jugendforschung leisten sie großartige Jugendarbeit. (…) Ehrenamtliches Engagement ist ein besonders wertvolles Gut unserer Zeit. (…) Daher stehen (…) im Haushaltsjahr 2010 keine Mittel zur Verfügung. Auch kann ich Ihnen eine Unterstützung für die kommenden Jahre nicht in Aussichten stellen.“ 4
Wie niederschmetternd muss so eine Antwort für Menschen sein, die sich seit 12 Jahren engagieren? „Wir finden eure Arbeit toll, aber ihr werdet dafür nie einen Cent Förderung erhalten.“ Anerkennung, die sich nicht auszahlt. Klaus Farin selbst sagte einmal „Wer sich auf die Realität einlässt, muss die beruhigende Eindeutigkeit aufgeben.“
Das Archiv der Jugendkulturen ist eindeutig erhaltenswert. Nicht nur als Grundlage für Jugendforschung und Jugendarbeit, sondern auch als Zeitzeuge von Jugendkulturen, die es in dieser Form in Europa noch nicht gibt. Doch die Realität sieht eben anders aus.
Über 50.000€ sind zusammengekommen (bis jetzt) von Menschen, die das Archiv als solches schätzen wissen. Menschen, den man nicht erklären muss das, nichts hilft sich nur über etwas aufzuregen, sondern die wissen, dass es darauf ankommt auch etwas zu tun, zu handeln – die 5 oder auch 10€ in die Hand nehmen und wissen für was sie das Geld spenden. Hast DU schon etwas gespendet?
Einzelnachweise
- Antwort der Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten vom 11. August 2010, Renate Rolke[↩][↩]
- Antwort von der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung vom 14.09.2010 – beantwortet von Wolfang Witte[↩][↩]
- Aus den Eckdaten des Kulturhaushaltes 2004 bis 2009, Abgerufen am 11.10.2010 über https://web.archive.org/web/20160504052310/http://www.berlin.de/sen/finanzen/haushalt/downloads/artikel.6392.php[↩]
- Antwort des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 31.08.2010 – Alice Raschke[↩]
Jaja, so ist das schon immer in Deutschland. Kultur ist zwar ganz schön, aber kosten darf sie nichts. Ätzend! Vllt. kann das Jugendarchiv ja wenigstens mit dem bislang gesammelten Geld zu 3/4 überleben?? Vllt muss es sich auch zusätzlich ein neues Finanzierungsmodell einfallen lassen für seine Dienste…schwierig, ich weiß.
Wie sagt man so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt und noch habe ich ein wenig Hoffnung, das die Spendenbereitschaft noch ein wenig steigt und das Ziel erreicht wird. Es wäre mehr als schade, wenn bei meinem nächsten Berlin-Besuch das Archiv zu einem Kellerlager „verkommen“ wäre. Ob das Archiv letztlich von 3/4 der Gesamtsummer überleben könnte weiß ich leider nicht einzuschätzen.
Dann hab ich mal ordentlich gespendet…kann man echt nur die Daumen drücken!!!
Super! Der aktuelle Spendenstand von rund 65.000€ sagt jedenfalls: Das Glas ist mehr als halbvoll, ein Ziel ist in Sicht!