40 Jahre Walkman: Jugendliche Gefühlsexplosionen zum Soundtrack der Realität

Meinen ersten Walkman habe ich im Sommer 1987 bekommen und ihn gleich auf dem Weg ins Freibad ausprobiert. Für mich war es eines der wichtigsten musikalischen Ereignisse meines Lebens. Ernsthaft. 1979 hat Sony den ersten Walkman auf den Markt gebracht, erfunden haben die raffinierten Japaner ihn freilich nicht, aber davon später mehr. Ich will euch meine Geschichte zum Walkman erzählen, vielleicht können ja einige Leser nachempfinden, warum das für mich so ein einschneidendes Ereignis war. Wer bis zum Schluss durchhält, wird noch mit einem nostalgischen Leckerbissen des WDR belohnt.

Wie Musik plötzlich in Bewegung geriet

Bis zum diesem Sommertag war Musik ein stationäres Erlebnis für mich. Zu Hause an meinem Kassettenrekorder, an der Stereoanlage meiner Eltern oder auch auf dem kleinen Fernseher der in meinem Zimmer stand. Wenn ich Musik hörte, stand die Welt um mich herum still. Da meine Eltern nie ein Auto besaßen, bin ich auch nicht in den Genuss gekommen, dort Musik zu hören, während die Landschaft an mir vorbeiflog oder wir durch den Großstadtdschungel gefahren sind. Wir haben alles mit dem Fahrrad erledigt und sind mit dem Zug verreist. Völlig unmusikalisch.

Natürlich kannte ich den Walkman bereits von meinen Klassenkameraden und Freunden, und habe die explosionsartige Vermehrung der Geräte genauestens verfolgt und mich über alles informiert, was es zu wissen gab. Dann war es endlich soweit. Vom Geburtstagsgeld habe ich mir meinen ersten Walkman gekauft. Aufladbares Akku, Auto-Reverse, ein 3-Band Equalizer und ein anschraubbarer Zusatz-Akku. Der neueste Scheiß.

Ganz wichtig waren auf die Ohrstöpsel-Hörer, die dabei waren. Diese Bügel-Kopfhörer, die ganz zu Anfang Verbreitung fanden, verhielten sich inkompatibel zu meiner Kopfgröße. Egal wie weit ich die Bügel herauszog, die Schaumstoffhörer schwebten immer rund 1 cm über der Öffnung, die im Gehör endete. Wenn ich dann mal in den Genuss kam, bei meinen Mitschülern die neuesten Radio-Mitschnitte anzuhören, war das Erlebnis stets Mono.

A Forest im Forest

Natürlich habe ich das Gerät eifrig kennengelernt und ausprobiert, bin bereits im Bett mit Depeche Mode eingeschlafen, hab mit Rick Astley Hausaufgaben gemacht und mit den Pet Shop Boys gebadet. Doch ein Erlebnis, von dem ich gar nicht wusste, wie sehr es mich beeinflussen würde, stand noch aus.

Ich wollte ins Freibad. 20 Minuten mit dem Fahrrad durch die Stadt und durch ein Waldstück, in dem der für uns Jugendliche wichtigste Sommer-Treffpunkt lag, das „Volksbad“. Mit dabei war mein neuestes Mixtape mit einwandfreien Aufnahmen von Depeche Modes „People are People“, das ich lauthals auf dem Fahrrad mitgröhlte oder auch New Orders „Blue Monday“, bei dem ich freihändig in der Luft trommelte.

Ein warmer und strahlender Tag im Juni war das. Als ich in das Waldstück einbog und verträumt die Sonne bewunderte, die durch die Baumwipfel glitzerte, stimmte Robert Smith sein Stück „A Forest“ an. Ihr kennt den sphärischen Gitarrensound gleich am Anfang? Ja, genau den. Ich war ergriffen und völlig paralysiert. So hatte ich Musik noch nicht erlebt. Als würde Robert Smith genau davon singen, was ich gerade erlebe.

Alle Emotionen, die dieses Stück sowie schon in mir auslöste, wurden durch die Realität um mich herum multipliziert. Der jugendliche Hormonhaushalt stand völlig auf dem Kopf. Traurigkeit fühlte sich trauriger an und meine latente Einsamkeit noch viel einsamer. Natürlich war mir das nicht klar, als ich 1987 durch den Wald radelte, aber ich fühlte, das irgendetwas anders war. Ich erlebte sämtliche Lieder, die ich gerne hörte, noch einmal neu. Jimmy Sommervilles „Smalltown Boy“ beim warten auf den Zug oder die Rainbirds, die mich mit „Blueprint“ nach dem Wasserball-Training immer zu Tränen rührten. Lag bestimmt nur am Chlorwasser. Ich habe mich nie freier gefühlt, als mit „The Jam – Town Called Mallice„, als ich bei meinem ersten Urlaub in London – Anfang der 90er Jahre – durch die Straßen von Kentish Town schlenderte.

40 Jahre Walkman – Erschütterndes Selbstverständnis

Neulich lief beim WDR wieder einmal ein Zusammenschnitt von alten Beiträge aus den 80er Jahren. Der Walkman war ein Teil dieses Films und hat die Nostalgiewelle in meinem Gedankenhaushalt ins Rollen gebracht. Martin, der damals schon ein bisschen Erwachsener ist als meine Wenigkeit, beschreibt im Beitrag das, was ich oben nur stümpferhaft darstelle, sehr treffend:

Martin, ist der Walkman für Dich eine Flucht aus der Wirklichkeit? Nein, bestimmt nicht, im Gegenteil. Damit lässt sich die Wirklichkeit noch viel besser genießen […] ich habe einen Soundtrack zu dem, was ich sehe. Ich kann versuchen, das was ich höre, also die akustische Wahrnehmung mit der optischen Wahrnehmung zu synchronisieren, versuchen, einen Sinnzusammenhang dazwischen herzustellen.

Und um noch die Geschichte vom Anfang aufzuklären. 1979 brachte Sony zwar den ersten Walkman heraus und ließ sich den Begriff schützen, erfunden haben die Japaner das Gerät aber nicht, denn den Prototyp eines patentierten Gerätes Namens „Stereobelt“ präsentierte der Deutsche Andreas Pavel bereits 1976 auf einer HiFi-Messe. Er zeigte es allen großen Herstellern, wurde aber damals noch belächelt, bis Sony ihm seine Idee einfach mopste und den Walkman herausbrachte. Der Streit um die Erfindung wurde zur einer irren Posse, die Pavel ruinierte und bis ins Jahr 2003 andauerte. Die ganze Geschichte könnt ihr hier nachlesen. Letztendlich einigte man sich und rehabilitierte Pavel.

Heute ist man es gewohnt, seine Musik immer und überall hören zu können. MP3 Player und Smartphones machen den Soundtrack des Lebens zur Selbstverständlichkeit. Ich bin gespannt, ob einige Leser nachempfinden können, was ich versucht habe zu erzählen und wie erschüttert ich manchmal bin, wenn Musik belanglos im Hintergrund verpufft.

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das H.Gen
das H.Gen(@hagen)
Vor 5 Jahre

Mit dem Walkman gab es folgendes Problem, hatte man die Haare schön konnte man den Kopfhörer nur schlecht aufsetzen. Entweder hatte man ihn unter dem Kinn hängen oder am Hinterkopf gepappt. Das wurde besser als die Kopfhörer ohne Bügel (Stoppen) auf den Markt kamen. Allerdings habe ich nie viel Walkman gehört da ich immer irgendeinem zugehört oder selbst was erzählt habe. Und ins Freibad bin schon mal sowieso nicht gegangen. :-)

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus (@guest_58396)
Vor 5 Jahre

Oh ja, Musik für unterwegs ist schon klasse, kann auch wunderbar lästige Wartezeiten verkürzen. Wann ich meinen ersten Walkman bekommen habe, weiß ich gar nicht mehr genau, meine aber, dass es um die Mitte der 80er gewesen sein muss. Es war ein großer, klobiger in Schwarz. Später, in den frühen 90ern, bekam ich dann einen schicken, schlanken in flieder-metallic mit anschraubbarem Akkufach, den ich heute noch besitze (leider ist er kaputt).

Der Walkman rettete mich über viele Schulpausen, Freistunden, Zahnarztbesuche, Wartezeiten an Bushaltestellen und auf langen Bahnfahrten, denn damals brauchte die Deutsche Bahn von Sylt nach Berlin noch volle 8 Stunden (1h Zwischenhalt zur Umkopplung des Zuges in Hamburg) ! Und da ich zu meiner Zeit auf Sylt nahezu alle Ferien bei Vatern in Berlin verbrachte oder später zurück in Berlin regelmäßig meine Mutter auf Sylt besuchte, fuhr ich diese Strecke ziemlich häufig.

Auch abends im Bett, wenn ich eigentlich schlafen sollte, konnte ich prima heimlich bis in die Nacht weiter Musik hören. Das wäre mit Kopfhörern an meiner Anlage zwar auch gegangen, aber da hätte ich mich für jede Änderung der Lautstärke extra wieder hochrappeln müssen. Außerdem machte meine Anlage beim Abspielen von Kassetten ziemlichen Krach, sie rappelte und brummte – das wäre bei einem Kontrollbesuch meiner Mutter im Zimmer zu hören gewesen und hätte mich verraten.

Einen Discman habe ich auch, der war für unterwegs aber immens unpraktisch, weil die CDs bei geringer Erschütterung zu springen begannen. Er war auch hauptsächlich in Gebrauch, wenn ich auf Flohmärkten und Plattenbörsen in CDs reinhören wollte, bevor ich etwas kaufe. Auf Bahnfahrten war er natürlich auch okay.

Das Nonplusultra, das ich besitze, ist ein (mittlerweile auch schon in die Jahre gekommener) I-Pod. Da passt meine gesamte CD-Sammlung drauf und alles was ich darüber hinaus an MP3s besitze, was über 12.000 Musiktitel sind, und das alles auf kleinstem Raum und ohne Tonträger mitschleppen und wechseln zu müssen. Die Qual der Wahl ist natürlich immer riesengroß, wobei ich die Zufalls-Titel-Wiedergabe sehr zu schätzen weiß. Auf meinem Smartphone hingegen habe ich bisher nicht ein einziges Musikstück, zum einen weil ich zum Musikhören den I-Pod viel komfortabler finde und zum anderen den Handy-Akku lieber schonen möchte.

Ich hab aber auch die Erfahrung gemacht, dass ich zur Not auch ohne Musikplayer Musik genießen kann. Und zwar rufe ich mir dann Songs, die mir sehr vertraut sind, einfach in Gedanken ab, denke die Musik sozusagen aus der Erinnerung. Natürlich klanglich weniger eindrucksvoll, aber zur Überbrückung von Wartezeiten oder um Unangenehmes auszublenden (zum Beispiel den Krach bei einer MRT-Untersuchung) hat es bislang gut geklappt.

Sheena
Sheena (@guest_58397)
Vor 5 Jahre

Was für ein schöner Beitrag! Danke dafür (auch wenn mir der zerbrochene Plattenspieler im Video einen Stich in die schwarze Seele versetzt hat ^^) – mir war nicht bewusst gewesen, dass es den Walkman schon seit 40 Jahren gibt.
Leider kann ich mit keiner eigenen Walkman-Historie aufwarten, da ich ein Kind der 1999er Jahre bin, habe mich aber schon seit frühester Jugend in alle Formen von physischen Tonträgern verliebt und ziehe es vor, Musik auf Platte, CD oder Kassette zu hören (So ganz nebenbei möchte ich das Bewundern eines Album Covers auch lieber in meinem dunklen Räumen bei Kerzenschein vollziehen, als durch den glasigen Bildschirm eines Handys …).
Dabei bin ich wahrscheinlich der klassischen Schallplatte wegen ihres authentischen Klangs am meisten verfallen, nur erwies sich diese unter dem Aspekt der Mobilität stets als ein wenig unpraktisch … was mich aber natürlich nicht davor zurückhält, immer ein paar Platten einzupacken, wenn ich zu meinen Freunden verreise – habe ich ein Abteil im Zug erwischt, kann ich es dann während der Reise wenigstens etwas „schwarz-wohnlicher“ gestalten ;)
Kassetten besitze ich meist eher ungewollt, weil es die ersten Selbstveröffentlichungen mancher großartiger Künstler (gerade im Bereich des Darkwave und der Neuen Deutschen Todeskunst) leider nie auf einen anderen Tonträger als den der Kassette geschafft haben. Was natürlich nicht heißt, dass ich diese Tapes nicht unglaublich gerne sammle und auch höre! Denke man zurück an die legendären „Return To Khaf’ji“ und „The Red Badge of Courage“ Kassetten oder „Moritat“ von Relatives Menschsein … hinter dem Tape „Welle Sehnsucht“ der Band „Das Buch & Das Bild“ von 1997 bin ich immer noch her und gebe die Hoffnung nie ganz auf, dieses dann doch einmal entdecken zu können …

Mit der von dir, sowie im WDR Beitrag, angesprochenen „Synchronisation“ (was für eine treffende Wortwahl, an dieser Stelle!) von Umgebung und Musik kann ich mich sehr identifizieren. Besonders auf Zugfahrten ist es mir wichtig, die richtige musikalische Untermalung an meine Seite zu haben – deshalb ist vor jeder längeren Reise (um Ehrlich zu sein, auch vor jeder kurzen) mein portabler CD-Player inklusive einiger Alben das Erste und auch Letze, was ich kontrolliere – wenn ich es als künstlerische Chaotin überhaupt schaffe, Organisation in mein kreatives Chaos zu bringen …

Tanzfledermaus Das mit der imaginären Musikwiedergabe klingt prima und ich kann nur bestätigen, dass diese in gewissen Situationen unglaublich hilfreich sein kann – gerade wenn ich im Krankenhaus arbeite, bin ich meinem halbwegs guten Erinnerungsvermögen dankbar, wenn ich in den Nachtdienst eingeteilt wurde und nicht nur die ruhigen nächtlichen Stunden ein wenig musikalisch untermalen kann, (sei es mit dem schönen Post Punk des Albums „Strange Times“ von den Chameleons, oder neuen Gothic Rock Veröffentlichungen wie dem großartigen Song „Predator“ von October Burns Black) sondern ganz nebenbei vielleicht sogar ein paar Musikentdeckungen an die Patienten weitergeben darf …

Durch die vielen herausragenden neuen digitalen Veröffentlichungen über Bandcamp, bin ich – als „eigentliche“ Vertreterin der „Smartphone-Streaming-Generation“ – was ich nun gar nicht sein möchte und niemals war, weil ich stets die dreidimensionale Variante eines Album bevorzugen würde – für ganz bestimmte Künstler und Bands dann doch manchmal auf das Hören meiner Musik mit dem Handy umgestiegen …
*Und genau in diesen Momenten komme ich mir so schrecklich normal vor! (*Ironie an*) So will man sich doch um jeden Preis von dem Rest der Gesellschaft abgrenzen, wirft sich in seine schönste selbstgeschneiderte schwarze Kluft, übersät mit handgemalten Patches, und zückt für die Musik das gleiche Handy, welches auch in der Tasche des Rap-En­thu­si­asten gegenüber ruht … *Ironie, über die „Abgrenzung um jeden Preis“, beiseite* – Dennoch finde ich es nach wie vor sehr amüsant, wie intensiv fremde Bahnfahrer auf eine Zwanzigjährige reagieren, die einen Stapel alter Alben vor sich liegen hat und nach und nach eine CD in den mitgebrachten Player einlegt … Zaubert mir doch stets ein kleines Lächeln über die vom Cold Wave erstarrten Gesichtszüge … ;)

Wiener Blut
Wiener Blut (@guest_58398)
Vor 5 Jahre

Ich bin ja auch noch in dem Alter, dass ich als Kind sowas hatte. Ganz ehrlich…. Gut das die Musik jetzt als „Datei“ glasklar vorliegt, man genug davon problemlos mitnehmen und „durchschalten“ kann, gut das nichts eiert, sich verhäddert, das die Kopfhörer kabellos mit eigenem Akku sind, („groß“, abgeschirmt, gepolstert, oder klein und direkt am Ohr im Ohr verschwindend etc) und neue Bluetooth Standarts recht gut verbinden. Eine gute Aufnahme+ gute Technik+ neue Akkutechnologie= Langer und guter Hörgenuss. Selbst mit modernen Autoradios kann man das Phone koppeln (Bluetooth), bedienen, den Akku laden, und wenn das Klangpaket gut ist, geht der Genuss im PkW dann weiter. Wenn ich da an den Walkman denke… und alte Autoradios…. entschuldigen sie bitte, wo ist hier die nächste Elektroschrott Annahmestelle?! Gut das 2019 ist. P.S. Was natürlich die nervigen und gefährlichen Aspekte der neuen Technik angeht, die Technik denkt nicht, das müssen wir schon selber machen, und wenn’s nicht anders geht, wie Peter Lustig schon immer sagte: Einfach abschalten. Da waren die alten Techniken aber auch schon nervig und hatten ihr Gefahrenpotential.

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