20 Jahre Wiedervereinigung – 20 Jahre ohne Mauertote

Am ersten Tag der Deutschen Einheit war ich 16 Jahre alt und eigentlich nur erleichtert, das es nun vorbei ist mit dem Tod an der Deutsch-Deutschen Grenze, denn das ist es, was ich damit verbunden habe. Politik, Staatsformen, die Teilung und die Ursprünge wurden zwar in der Schule unterrichtet, aber weit davon entfernt sich in das Bewusstsein eines jugendlichen Schülers zu bohren. Warum ich mich immer wieder an die Toten der Mauer erinnere, hat andere Ursprünge, ein Ereignis, an das ich mich immer noch gut erinnere, dürfte dafür wohl ausschlaggebend gewesen sein. 1984, im letzten Jahr meine Grundschulzeit, bekamen wir einen neuen Mitschüler, der für uns etwas ganz besonderes war, denn er war zusammen mit seinen Eltern aus der DDR geflohen. Die Klassenlehrerin sprach mit uns darüber woher Michael kam und wie er zu uns gekommen war, noch bevor er am nächsten Tag eingeschult werden sollte. Ich weiß noch wie ich meiner Mutter davon erzählte und das ich unbedingt Bananen und Orangen mit in die Schule nehmen wollte, um sie dem neuen Mitschüler zu schenken.

Bananen, so wusste ich, waren in DDR eine äußerst beliebte Frucht, ebenso wie Ananas, Pfirsich und Orangen, denn aus der Banane war seit Konrad Adenauers Einsatz für eine zollfreie Ware geworden und mit dem Satz „Die Banane ist eine Hoffnung für viele und eine Notwendigkeit für uns allemachte er daraus ein deutsch-deutsches Politikum. Doch trotz unseres Einsatzes blieb Michael traurig, still und zurückgezogen – denn wie wir später erfuhren, war sein Vater bei der Flucht getötet worden. Und das ist mit seit dem immer in Erinnerung geblieben und sorgten in den Jahren danach immer für Erinnerung an Michael, wenn in den Nachrichten die Rede von Flüchtlingen aus der DDR die Rede gewesen ist.

Peter Fechter
Kreuz für den ermordeten Peter Fechter | Blunt., Kreuz für Peter Fechter 1962, als gemeinfrei gekennzeichnet

Ich weiß nicht was aus Michael und seiner Mutter geworden ist, nach der Grundschule verliefen sich unsere Wege da wir in unterschiedlichen Schulformen eingeschult worden sind. Einige male habe ich Michael noch in unserer Nachbarschaft gesehen, bevor er einige Jahre später in eine andere Stadt gezogen ist. 1990, am ersten Tag der Deutschen Einheit habe ich mich wieder an Michael erinnert – unterschwellig und unbewusst  – und habe mich für die Menschen in der DDR gefreut, die nun ohne Angst um Leib und Leben ihr Land verlassen durften, während ich auf dem Markt in unserer Stadt mit meinen Freunden das an diesem Tag kostenlose Bier genoss.

Ein paar Jahre später habe ich dann ein Buch gelesen, das sich mit den Toten der Berliner Mauer beschäftigt – habe von Peter Fechter (siehe Bild) erfahren und von Chris Gueffroy, dem letzten Opfer des Schießbefehls. Und heute 20 Jahre nach der offiziellen Wiedervereinigung bleibt ein Feiertag zurück, ein Tag an dem wir die Vereinigung eines geteilten Landes feiern. Ein Tag, an dem sich wieder Menschen eine Krone der Zeitgeschichte aufsetzen, die ihnen gar nicht passt.

Ich erinnere mich an den Berlin-Besuch vor einigen Wochen, bei dem ich am Checkpoint Charlie die Schauspieler bestaunen durfte, die für Touristen den ehemaligen Grenzübergang in Szene stellen und die Ereignissen um den Bau der Mauer zu einer Phrase verkommen lassen. Stellen die Schauspieler auch nach wie man am 17. August 1962 nur unweit entfernt Peter Fechter anschoss und dann über 1 Stunde lang verbluten ließ? Ich freue mich über die Wiedervereinigung, ehrlich – ich möchte nur ein Beitrag dazu leisten die DDR und ihr Regime zu einer Lustigkeit der Vergangenheit zu machen und 20 Jahre Wiedervereinigung als Synonym für den Solidaritätszuschlag abzustempeln denn auch für uns gilt: „Wer in der Demokratie schläft, erwacht in der Diktatur.“ (Hermann Glaser – Deutscher Professor und Publizist)

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shan_dark
shan_dark (@guest_10065)
Vor 14 Jahre

Ich war 14 als die Mauer fiel und ich lebte auf der anderen Seite, also in der DDR. Ich bin nicht geflüchtet und habe meine eigenen Erfahrungen zu dieser Zeit, die man nicht einfach mal in einen Kommentar schreiben kann. Es war eine Zeit der unbeschreiblichen und großen Gefühle (traurige wie schöne), vor allem dann am 9. November als die Reisefreiheit verkündet wurde. Das war speziell eigentlich für mich das Wichtigste und Tollste, nicht die Bananen oder Milka-Schoki. Deine Geschichte ist gut, weil persönlich, auch wenn ich erst dachte…Oh jetzt kommt das wieder mit den Bananen und wird platt, aber du hast noch mal gut die Kurve gekriegt…

Guldhan
Guldhan(@guldhan)
Vor 14 Jahre

Selbstredend war der Fall der Mauer ein faszinierendes Ereignis, sei es geschichtlich-faktisch oder gesellschaftlich-emotional. Und natürlich möchte ich dieses Ereignis mit seinen daraus resultierenden Vorteilen sowie auch Nachteilen (der Standardspruch des alternden Biedermanns: „Es war ja nicht alles schlecht“) nicht missen. Aber solange selbst nach den 20 Jahren noch immer die skurrilsten Stereotypenphrasen einigen oder vielen mündigen Bürgern beider Himmelrichtungen entweichen, und dabei noch ernst gemeint werden, ist das Ereignis mit all dem feierlichen Gedenken für die Katz. Denn solange man auf jeder Seite nur die persönlichen Nachteile aufzählt oder meint, die wirtschaftlichen Kontras mit BILD-Niveau rausposaunen zu müssen, solange steht die Mauer noch immer. Zwar nicht mehr quer durch Berlin, aber dafür quer durch den Denkapparat diverser Bürger.

Ich muss sagen, dass mich der Mauerfall gar nicht sonderlich anhob. Vielleicht, weil ich schon damals zu desinteressiert war, um das daraus entstehende Resultat richtig erfassen zu können. Oder weil ich aus einer solchen Zonenprovinz stamme, für die selbst Ostberlin schon der goldene Westen war. Quasi so tiefe DDR in der man als Teeny nur bedingt wusste, was nun alles auf einen zukommen kann.
Das, was mich hingegen faszinierte sowie noch heute fasziniert und was wohl auch auf ewig in meiner Erinnerung verankert ist, ist nicht der Mauerfall oder die Wiedervereinigung als Datum. Sondern all die Jahre danach. Dieser Wandel der Atmosphäre, der sich mal schleichend und mal ruckartig durch das Leben zog. Die Momente, an denen man immer wieder merkt, wie sich z.B. ganze geschichtliche Kontexte verschieben oder Lebensgewohnheit komplett wandelten. Stark merkte ich das damals im Geschichtsunterricht oder bei dem Lehrnstoff, den man platt „Heimatkunde“ nennen kann, wenn auch schon fern der Grundschule. Um das mal kurz anhand von Mathe zu verdeutlichen: Man lernt jahrelang 2+2=5 und baut darauf sämtliches weitere Wissen auf. Und plötzlich kommt einer daher und sagt: „Nee, du…2+2=4, aber das schon immer und überall. Nur bei dir nicht. Egal. Ab morgen will ich das nicht mehr hören.“. Und so darf man sein Wissen über Bord werfen, als wäre nichts geschehen. Oder es wie ich behalten und immer bitter grinsend abgleichen. Was war damals, was ist heute.
Auch merkt man bis heute noch die Abweichungen in der Mentalität, die noch in gesagten Gedanken umherspuken. Von Dokumenten aus der damaligen Zeit einmal ganz abgesehen. Mit heutiger Sicht lesen sich viele wie Szenetexte einer politischen Satiere.
Oder der Einzug von Gütern. Klar ist die Banane das Klischee schlechthin. Darf sie auch. Es passiert ja nicht jeder Frucht, dass sie so deutlich Inhalt von Karikatur wird. Mir ist sie eh egal, ich esse die Dinger nur grün und aller Quartale mal, denn sonst wird mir davon schlecht. Aber das nur am Rande. Zurück zum Einzug der Güter. All die Erinnerungen an Produkte, die plötzlich da waren, sind viel stärker verankert, als bei denen, die damit groß wurden. Allzu banale Dinge, die man heute nicht einmal beachtet, wurden damals bestaunt. Um jetzt etwas albern zu klingen, aber es war, als erlebte man die Neugier der Kindheit noch einmal neu. Aus heutiger Sicht kommt man sich wirklich so vor, wie ein Ureinwohner der staunend die Schiffe der Europäer anglotzt. Man sah einen kleinen laminierten Werbekalender für die Geldbörse. Ein kleines Kärtchen, das ich heute nur aus reinem Nutzen heraus einmal nebenbei einstecke und danach wegwerfe. Damals sah ich so etwas, betrachtete es anhaltend und dachte: „Wow“. Ok, fast. „Wow“ als Wort gab es damals noch nicht. Es ist dennoch eine Erfahrung, bei der ich froh bin, dass ich zu der Generation gehörte, die sie machte. Denn die Generation davor war schon zu abklärt und die Generation danach zu jung. Und die heutige Generation hat meine/unsere Kindheit nur noch für einen knappen Monat im Geschichtsunterricht. Da kommt man sich vor wie ein Opa, der vom Krieg erzählt, wenn man sich einmal zu frühen Anekdoten hinreißen lässt. Und merkt, dass von der Zeit wirklich absolut nichts mehr da ist, außer einem groben Lehrplan mit wenigen Stunden unter Zeitnot, Klischees und der ewigen Debatten, ob man nun verharmlosen darf/soll/muss. Was wann/wie/wo besser war und all die Stammtischthemen, die mit jedem Jubiläum wieder aufgewärmt werden. Und keinen Nutzen bringen, solang die Mauer im Kopf noch dankbar von Staat und Bürger saniert wird.

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