Als aufstrebende Pop-Band hat man es nicht leicht. Der ganze Erfolgsdruck, die Lust auf mehr, das haschen nach Aufmerksamkeit und Popularität. Die Verlockungen sind groß, ein Auftritt in der BILD-Zeitung riecht nach Ruhm und Anerkennung. Es gibt viele, die sich Rückgratlos der Popularitätsmaschinerie beugen, die einem Management folgen, das nur daran denkt den größtmöglich Nutzen für sich selbst zu erhalten, Profit zu machen, der Aspekt Kunst wird ausgeblendet. Ich bin der Meinung, das Unheilig hier als leuchtend schwarzes Beispiel glänzen.
Wie ich bereits gebloggt habe, ist die Präsenz des Grafen nahezu allgegenwärtig. Für viele war das der Grund, der Musik von Unheilig den Rücken zu kehren, weil man seine Ideale verraten sah. Erst jüngst erschien im Zillo ein Unheilig-Special, das sich mit dem Phänomen des Grafen und unterschwellig mit der Kommerzialisierung auseinandersetzte. Auch andere Künstler wurde dazu befragt, doch wer klare Worte zum Thema Kommerz lesen wollte sollte enttäuscht werden.
„Kaum erreicht ein sendungsbewusster Musiker der Szene ein größeres Publikum, wird ‚Verrat‘ geschrien, als wäre die Idee eines guten Songs Szeneeigentum (…) Ich wünsche dem Grafen, dass er sich nicht an den Versuchungen der Massenindustrie vergiftet…„1 (Bruno Kramm) Zu spät, viel zu Spät. Das Gift zeigt bereits erste Auswirkungen, die Kontaktlinsen sind darin bereits aufgelöst.
Klare Worte scheinen die Möglichkeit zu verbauen weiterhin erfolgreich zu sein, die Gefahr das seine Meinung ungefiltert an eine breite Öffentlichkeit gerät, ist groß. Sicher, nach klaren Worten in Magazinen zu suchen ist im Grunde schon zum scheitern verurteilt. Es scheint pauschal Verkaufsschädigend zu sein, die Wahrheit zu sagen. Dabei rächt sich nicht die Ehrlichkeit, sondern der Betrug an sich selbst – was unsere mittlerweile zurückgetretener Verteidigungsminister aus eigenen Erfahrung zu kennen scheint. So dachte sich auch die BILD-Zeitung, die schon den Grafen als Zugpferd für einige Artikel vor den Karren spannte, wir fragen die Gruppe „Wir sind Helden“. Auf der Homepage der Helden ist der Schriftverkehr in einem Artikel nachzulesen:
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir sind als Werbeagentur mit der aktuellen BILD-Kampagne betraut, in der wir hochkarätigen Prominenten eine Bühne bieten, ihre offene, ehrliche und ungeschönte Meinung zur BILD mitzuteilen. Derzeit planen wir die nächste Produktionsphase für Frühjahr 2011 (…) Für diese Fortführung der Kampagne möchten wir sehr gern “Wir sind Helden” gewinnen. Das schöne an der Kampagne ist, dass sie einem guten Zweck zu Gute kommt. BILD spendet in Namen jedes Prominenten 10.000,- Euro an einen von Ihnen zu bestimmenden Zweck. 2
Klingt doch rund, oder? 10.000€ für einen guten Zweck und Promotion in der Auflagenstärksten deutschen Tageszeitung. Wäre doch sicherlich nochmal verkaufsfördernd für das aktuelle Album der Helden „Bring mich nach Hause„, oder? Das Judith Holofernes dafür die falsche Ansprechpartnerin war, hätte man sich denken können, denn nach dem Abitur studierte sie Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation (GWK) und setzte sich dort mit Konsumkritik auseinander und engagierte sich bei Adbusters. Sie nahm sich des Briefes in einer unnachahmlichen Art und Weise an, das es mir verziehen sei, das ich ihn hier nahezu ungekürzt zitiere:
Die laufende Plakat-Aktion der Bild-Zeitung mit sogenannten Testimonials,
also irgendwelchem kommentierendem Geseiere (Auch kritischem! Hört, hört!) von sogenannten Prominenten (auch Kritischen! Oho!) ist das Perfideste, was mir seit langer Zeit untergekommen ist. Will heißen: nach Euren Maßstäben sicher eine gelungene Aktion.Selten hat eine Werbekampagne so geschickt mit der Dummheit auf allen Seiten gespielt. Da sind auf der einen Seite die Promis, die sich denken: Hmm, die Bildzeitung, mal ehrlich, das lesen schon wahnsinnig viele Leute, das wär schon schick… Aber irgendwie geht das eigentlich nicht, ne, weil ist ja irgendwie unter meinem Niveau/ evil/ zu sichtbar berechnend… Und dann kommt ihr, liebe Agentur, und baut diesen armen gespaltenen Prominenten eine Brücke, eine wackelige, glitschige, aber hey, was soll´s, auf der anderen Seite liegt, sagen wir mal, eine Tüte Gummibärchen. Ihr sagt jenen Promis: wisst ihr was, ihr kriegt einfach kein Geld! Wir spenden einfach ein bisschen Kohle in eurem Namen, dann passt das schon, weil, wer spendet, der kann kein Ego haben, verstehste? Und außerdem, pass auf, jetzt kommt´s: ihr könnt sagen, WAS IHR WOLLT! (…)
Die BILD -Zeitung ist kein augenzwinkernd zu betrachtendes Trash -Kulturgut und kein harmloses “Guilty Pleasure” für wohlfrisierte Aufstreber, keine witzige soziale Referenz und kein Lifestyle-Zitat. Und schon gar nicht ist die Bild-Zeitung das, als was ihr sie verkaufen wollt: Hassgeliebtes, aber weitestgehend harmloses Inventar eines eigentlich viel schlaueren Deutschlands.
Die Bildzeitung ist ein gefährliches politisches Instrument – nicht nur ein stark vergrößerndes Fernrohr in den Abgrund, sondern ein bösartiges Wesen, das Deutschland nicht beschreibt, sondern macht. Mit einer Agenda. In der Gefahr, dass ich mich wiederhole: ich glaub es hackt. 1
Warum die Helden Helden sind. Einfach mal Nein sagen.
(Bildquelle: Wikipedia, Urheber JimHawk)
Einzelnachweise
- Aus dem Artikel: Unheilige Stimmen, Zillo – Das Musikmagazin, Februar 2011, S. 28[↩][↩]
- Aus dem Artikel: „Warum ihr vielleicht auch hier seid.“ auf den Homepage der Band Wir sind Helden – http://www.wirsindhelden.de/2011/02/warum-ihr-vielleicht-auch-hier-seid/[↩]
Ich verstehe auch nicht warum so viele meinen „Oh, die sind so selbstgerecht und noch viel schlimmer als die Bild und alle anderen dazu!“ – Ich finde das „Nein-sagen“ in diesem Fall super. Auch wenn die folgenden Anzeigen hier zu, mir die Bild nicht gerade sympathischer gemacht haben.
Ja, das war schon ein heldenhafter PR-Schachzug von den Helden.
Ich sagte auch schon mehrfach am Tag: Ich glaub, es hackt. Vllt. sollte ich das einfach mal auf meinen Blog schreiben. *g*
Für die Antwort von „Wir sind Helden“ fällt mir spontan ein Wort ein: KLASSE! Schön zu sehen, dass es bekannte Persönlichkeiten gibt, die das Wort Persönlichkeit auch verdient haben und sich von diesem Blatt nicht instrumentalisieren lassen.
Ich schließe mich Marcus an, meine spontane Reaktion war ebenfalls „Klasse!“
(wuhu, mein erster Kommentar.)
Obwohl ich die intensive Diskussion schätze, ist die Kürze eure Zustimmung ein deutliches Signal: Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
@shan_dark: In der Tat, ein wirklich gelungener PR-Schachzug der Helden, denn die haben damit mehrere Fliegen mit einer Klappe erschlagen. Wegen der Grundhaltung und der Qualität der Antwort sei ihnen dieser kleine Erfolg auch gegönnt. Der Link zur neuen Platte der Helden habe ich ganz bewusst gesetzt :)
@Mophelia: Und? Hat gar nicht weh getan, oder? :) Freut mich das du Dich einbringst!
In der Tat.
Auch wenn man die PR-Werbe-Funktion einer solchen öffentlichen Abfuhr nicht unterschätzen sollte, so musste ich doch schmunzeln, als ich die Wortwahl las.
Da für mich die BILD zum einen das widerlichste ist, was der Zeitungsjournalismus bis dato hervorgebracht hatte. Aber das erwähnte ich ja schon einmal beiläufig.
Zum anderen ist eben jene Werbekampagne an Scheinheiligkeit nur noch schwer zu übertreffen. Und da ich aus jener Branche komme, kann ich mich bei dem Anblick der Plakate nicht einmal nur fremdschämen.
Man ist als dahingehender Dienstleister schon oft genug Kollaborateur hinsichtlich seiner Überzeugung. Aber der BILD den Umsatz erhalten? Impertinenz sollte auch seine Grenzen kennen. Da kann man gleich Werbebotschaften für die NPD entwickeln. Lieber wollte ich im Existenzminimum herumkrauchen, als für diese Rotte Kreativität zu opfern.
Tja, jetzt macht sie doch Werbung in der BILD:
…wenn auch unfreiwillig.
So läuft eben PR und wie ich mit meiner Ironie schon angedeutet habe: ich fand es nicht klasse, sondern „berechnend“ von den Helden. Das hätten sie aus meiner Sicht nicht nötig gehabt um ihr neues Album zu promoten. Ich hätte um die BILD-Anfrage keinen solchen öffentlichen Wirbel gemacht, ich fand das eher etwas plump. Jetzt müssen sie auch mit der „Anzeige“ leben.
Ich schätze damit steht es nun 1:1 oder gar 1:0 für BILD, das muss man der Gerechtigkeit wegen einmal sagen.
Wobei „Wir sind Helden“ auch eine andere Anzeige hätten aufgebrummt bekommen können. Denn solche internen Anfagen ohne Zustimmung des Absenders zu veröffentlichen war rechtlich gesehen auch nicht ohne Risiko.
Aber im Grunde nun ein amüsanter Schlagabtausch.
Revolution fängt bekanntlich im Kleinen an. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass mehr „Hochkaräter“ – die einen breiteren Anklang in der Bevölkerungsmasse finden – sich gemeinsam gegen die Aktion der Bild-Zeitung aussprechen würden, was auch nicht unbedingt auf öffentlichem Terrain passieren muss; wie schnell kann man damit auf dem Parkett ausrutschen.
Auf das „plumpe“ (wie es Shan Dark so gut ausdrückte) Absageschreiben der Helden kam eine „plumpe“ Retourkutsche. Schade, dass dies letztendlich nur unegeltlich geschieht – 10.000,- Euro für einen guten Zweck nach Wahl wäre schlussendlich hilfreicher für einen gemeinnützigen Verein gewesen. Aus diesem Grunde keinerlei „win-win-situation“ für beide Seiten, sondern das war einfach nur BLÖD. Für die Bild wäre es cleverer gewesen, die Summe trotzdem zu spenden, das hätte wenigstens Stil gehabt.
Berechnend? Vielleicht, man kann das in alle Richtungen auslegen wie ich finde. Ich halte es, wie Guldhan schon sagt, für einen amüsanten Schlagabtausch. Die Anzeige in der taz ist eine nicht minder dumme Gegenaktion der Bild. PR scheint denen gut zu liegen, wenn man das auch nur ansatzweise für ihre Inhalte behaupten könnte. Auch wenn sie das Geld besser doch gespendet hätten, eine ganzseitige Anzeige in der taz kostet sicherlich auch mehr als 10.000€ und kommt bei einer Zeitung an, für die es sich lohnt.
Und wenn PR für die Helden in diesem Sinne funktioniert. Warum nicht? Werbung ist ja nicht pauschal schlecht, es kommt immer nur auf die Qualität an, finde ich zumindestens.
Ist eben „Ansichtssache“, deshalb auch in dieser Kategorie ;o)
Ich bin natürlich auch nicht gegen „Werbung“ und in dem Falle hat sie für beide Seiten funktioniert (gelesen? „Wir bedanken uns bei Judith Holofernes für ihre ehrliche und unentgeltliche Meinung.“ – grandios!). Das stimmt. Aber ansonsten bin ich der Ansicht, dass es heroischeres gibt als öffentlich seine negative Meinung über die BILD und ihre Kampagnen kundzutun. Es besteht da nämlich immer die Gefahr, dass man sich auf das selbe Niveau begibt…
@Madame Mel: Da haste recht: wäre echt Stil gewesen, wenn die BILD das noch gespendet hätte zusätzlich zur heute erschienenen Anzeige. Dann hätte die BILD aus meiner Sicht „gewonnen“.
@shan_dark: Stimmt! Das habe ich instinktiv so eingeordnet, war mir gar nicht bewusst :) Ist das Niveau der Bild-Zeitung überhaupt erreichbar? Wenn ich morgens beim Bäcker stehe schaue ich immer auf die erste Seite und bin erstaunt, was für Dinge passiert sind, von denen ich gar nichts wissen will :)
Was beweist das mal wieder? Genau, dass man an der Bild gar nicht vorbeikommt – und wenn einem nur die fette Headline am Zeitungsstand entgegenspringt ;-)
Hihi, hatte ich kürzlich auch irgendwie auf Facebook aufgeschnappt – Hut ab :)
@Madame Mel: Vielleicht ist das auch ganz gut so. Schließlich muss es immer jemand geben, der anderer Meinung ist und den wirklich interessiert was passiert ist und das ganze anderen zur Verfügung stellt. Wo kämen wir hin wenn wir NUR an der Headline vorbeilaufen würden? Ohne den https://bildblog.de/ wären wir wohl aufgeschmissen :)