Manchester liegt Mitte der 70er Jahre in eine Schockstarre. Alles was die Stadt einst groß machte, befindet sich im Niedergang. Die gesamte mittelenglische Industrie liegt stöhnend in ihren Trümmern. Hoffnungslosigkeit erfüllt Vororte wie Macclesfield, in dem Ian Kevin Curtis als Sohn eines Polizisten aufwächst. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Aussichtslosigkeit noch höher. Curtis kann nicht anders, als diese Stimmung wie ein Schwamm in sich aufzunehmen, es ist sein Fluch. Er bricht die Schule ab und jobbt erst in einem Plattenladen, später im Verteidigungsministerium, dann im örtlichen Arbeitsamt. Curtis ist depressiv, nimmt Valium und Drogen, schreibt Text und liebt die Musik von David Bowie. Als er 1976 Peter Hook und Bernard Sumner kennenlernt, findet auch er ein Ausdrucksmöglichkeit. Joy Division. Er gefällt sich zunächst in der Rolle des intellektuell und düster-aggressiven Poeten, doch die Dämonen seines Wesens wird er nicht los.
Am 18. Mai 1980 verschlucken sie ihn. Ian Curtis erhängt sich in seiner Wohnung.
Für mich bleibt Curtis der Ur-Goth. Er hatte damals keine Lust auf die derbe Bierbüchsen-Rebellion der Punks oder die ignoranten New-Waver mit ihrer gespielten Dekadenz. Sein Umfeld und seine Umwelt ist ein Scherbenhaufen und er kann nicht anders, als sich ständig daran zu verletzen. So sind seine Texte und die Musik von Joy Division Ausdruck einer Verletzlichkeit und Sensibilität, für die damals kein Platz war. Nach seinem Tod wird er zur Ikone, weil quasi jeder Song der beiden Alben die Gefühlswelten vieler Jugendlicher in den 80ern spiegelt. Viele empfinden seine Musik seinerzeit als Lebensveränderer. Manchmal frage ich mich, ob sie auch mich verändert hätte, wenn ich seine Musik früher hätte begreifen können.
Heute Abend sehe ich beim New Waves Day Peter Hook, den ehemaligen Bassisten und Gründungsmitglied von Joy Division live in Oberhausen. Am Todestag von Ian Curtis. Der wird mir zwar nicht die Zeit zurückholen, die ich vermeintlich verpasst habe. Vielleicht aber ein wenig Sehnsucht in einer Welt, die fast alles bietet. Ich hoffe, das rechtfertigt meinen kleinen Anfall von Nostalgie. Mir war einfach danach.
„Sein Umfeld und seine Umwelt ist ein Scherbenhaufen und er kann nicht anders, als sich ständig daran zu verletzen.“ Robert, dieser Satz ist mir total unter die Haut gegangen. Der ist einfach genial! Vielen Dank für diesen tollen Artikel.
Wie war denn das Konzert bzw. das Festival? Das Lineup klang ja vielversprechend…
Ein absolut traumhafter Abend war es. Drei meiner Lieblingsbands spielten. And Also The Trees waren wieder ein Erlebnis, mit Pink Turns Blue konnte ich mich versöhnen, weil sie diesmal alles andere als langweilig waren und In2TheSound bescherten mir Gänsehaut und Tränen in den Augen. Letztere Band trat das Erbe von The Sound an, die ich immer höre. Ganz besonders auf Bahnfahrten, weil ich mich mit deren Liedern, in denen soviel Sehnsucht mitklingt, wegträumen kann. Tragischer Weise beendete Adrian Borland 1999 sein Leben, indem er sich vor einen Zug warf. Sein Tod jährte sich am 26. April das 20. Mal.
https://www.youtube.com/watch?v=bszdsmR5WGo
DAS Konzert war wirklich unfassbar gut. Ich habe aber bewusst im Vorfeld meine Erwartungen runtergeschraubt, weil es sich ja schließlich nicht um Ian Curtis handelte, desse Stimme ja nun man das unverwechselbare gewesen ist und ich davon ausgegangen bin, dass man den Klang von „früher“ einfach nicht reproduzieren kann.
Tatsächlich war es aber so, das die musikalische Darbietung einfach unfassbar gut war und Peter Hook einfach durch seine Authentizität, die er versprühte, dem Ganzen die Krone aufgesetzt hat. Da hat das fehlende Bassbariton und das nicht vorhandene Gezucke von Ian Curtis auf der Bühne wirklich nicht gefehlt. Ich habe nahezu sämtliche Stücke abgefeiert und musste sogar ein dicke Träne vergießen, als es zum Finale gekommen ist. Ich bin SEHR positiv überrascht was Peter Hooke & The Light angeht. Sollte man sich auf jeden Fall mal gönnen, wenn die Möglichkeit irgendwo glänzt.
Die anderen Bands waren natürlich auch nicht zu verkennen, The Chameleons brillieren eigentlich konstant durch ihre Qualität und sind einfach so unfassbar Bühnen-erfahren, dass es ihnen einfach mühelos gelingt, den Saal zum kochen zu bringen. Pink turns Blue waren mit eine Spur zu professionell und auf der Bühne langweilig (sorry Gabrielle), gleichwohl der Sound super war und die Stücke alle gut rüberkamen. Die restlichen Darbietungen habe ich teilweise „verquatsch“, wie ich zu meiner Schande gestehen muss und „The Arch“ mag ich nicht so sehr.
Die Location spricht natürlich für sich selbst, das Industrieambiente passt natürlich unfassbar gut zu der Art von Musik, es gab ausreichend Parkplätze und Verteilungsmöglichkeiten und auch der Klang, den man gezaubert hat, war wirklich anständig.
Den Text würde ich nicht in Gänze unterschreiben, zumindest nicht den Punk-Teil. Die Sachen, die sie damals unter dem Namen Warsaw veröffentlichten, waren ziemlich punk-lastig. Selbst als Stiff Kittens war das noch roher Keller-Sound (nicht zu verwechseln mit der Leedser Grebo-Goth-Band aus den ‚Mitt-80ern).
Letztlich hatten Joy Division denselben Weg hinter sich wie The Cure oder Siouxsie & The Banshees (ehemals „Suzie“). Punk war die Ausgangsbasis, bevor daraus etwas Neues, etwas Größeres erblühte.
Wie dem auch sei. War Herr Hook nur Anschauungssubjekt oder wurden da auch ein paar Worte gewechselt? Hast Du Dir wenigstens ’ne Platte signieren lassen?
Die fand ich früher gut, auch wenn sie immer auf „Babsi“ reduziert werden. Hatten hier und da nette Sachen im Gepäck.
EDIT:
Was sich nicht alles auf YT wiederfindet. Mein „heimlicher“ Favorit. Ich fand ja immer, dass der gesanglich die späteren Project Pitchfork/Absurd Minds vorweg nahm. Assoziationen halt…
https://www.youtube.com/watch?v=KS8ju9okLnQ
Ich muss ja zugeben, dass ich bis kurz vor knapp gar nicht wusste, dass Peter Hook spielt. Und hätte ich es gewusst, hätte ich nicht gewusst, wer Peter Hook ist. Joy Division haben in meiner musikalischen Jugend keine Rolle gespielt, blieben also nicht personenweise in Erinnerung und Namen kann ich mir eh nicht merken. Ich wurde also sozusagen von diesem Auftritt überrascht. Und ich wurde von diesem Auftritt überwältigt. Erst war ich mir nicht sicher, ob ich das gut finden darf, denn schließlich sang da einer Songs, die in meinem Empfinden mit Ian Curtis – zumindest live – gestorben sind. Ich vermutete Geldmacherei mit den Resten der Band.
Aaaaaber, Peter Hook war so authentisch und natürlich auf der Bühne und die Band hat so gut gespielt, dass ich gar nicht anders konnte als fasziniert zu sein. Die anderen waren es offensichtlich auch, denn die Stimmung war einmalig. Als hätte uns jemand geschlossen in eine Zeitmaschine gesetzt und zu den Anfängen der Szene katapultiert. Die Industriehalle tat ihren Teil hinzu. Bei „Love will tear us apart“ haben alle mitgesungen und wir wissen ja, wie schwer unsereins zum Mitmachen zu bewegen ist.
Der Gesang war nicht perfekt, Peter Hook ist kein Poser, sondern ein alter Mann und die Songs klangen nicht so wie auf Platte. Und trotzdem war es großartig und man wurde in eine melancholische Klangwelt gelullt. Das nenne ich mal pure gute Musik.
Ach ja… und im Gegensatz zu meinem Ehegrufti fand ich The Arch toll. :-)