Auf der jüngst erschienen Compilation „too much future“, die aus drei Vinyl-Schallplatten und einem 80-seitigen Booklet besteht, gibt es erstmal die Geschichte des Punkrock in der DDR von 1980-1989 zum nachhören. Henryk Gericke war damals mit seiner Band „The Leistungsleichen“ ein Teil dieser Bewegung, ist auf dem Sampler zu hören und ist auch Autor des ausführlichen Booklets. Bei Deutschlandradio Kultur spricht er mit Musikjournalist und DJ Thomas Thyssen über Punk, die DDR und seine Erinnerungen an eine der konspirativsten Musikbewegungen in Europa.
Punk existierte im Untergrund
Punk in der DDR ist ein wenig dokumentiertes Kapitel der ostdeutschen Vergangenheit. Das hat völlig pragmatische Ursachen, denn die Punks und ihre Musik waren der Staatsmacht ein Dorn im Auge. Veröffentlichung und Auftritte waren verboten und die Punks wurde allein wegen ihres Äußeren von der Staatssicherheit beobachtet und verfolgt. Die Subkultur fand ausschließlich im Untergrund statt. Es gibt daher keine Aufnahmen, keine Veröffentlichungen, keine Labels und kaum Erinnerung an diese Zeit.
In Westdeutschland drehte sich Punk häufig um das Establishment, die spießige Gesellschaft oder gegen die gefühlten Zwangsjacken eines vorbestimmten Lebens. In der DDR war Punk deutlich – wenn nicht sogar immer – politisch, rebellisch und wütend. Die Band Planlos singt beispielsweise 1983 von den allgewärtigen Spitzeln, die andersartigen und musikalischen Jugendliche stets im Nacken saßen:
Subkulturen wurden in der DDR gnadenlos verfolgt, als Staatsfeinde eingestuft und häufig auch inhaftiert. Wer mehr darüber erfahren möchte, dem sei das Radio-Feature mit Thomas Thyssen empfohlen, in dem Henryk Gericke seine Erfahrungen schildert.
Jana, die Sängerin der Ostberliner Band „Namenlos“ zum Beispiel, kam mit 18 Jahren nach Hoheneck, dem schlimmsten Frauengefängnis in der DDR. „Da kamst du nicht hin, um deine Zeit abzusitzen. Da kamst du hin, um gebrochen zu werden“, erzählt Henryk Gericke im Gespräch mit Thomas Thyssen. Und sie war nicht die einzige.
Auch Gruftis waren damals im Visier der Staatsmacht. Wir machen uns heutzutage keine Vorstellung mehr davon, was es heißt, für seine Musik oder sein Aussehen verfolgt und belauscht zu werden. Da erscheint es fast schon ein bisschen verrückt, wenn aktuell tausende Menschen auf den Straßen skandieren, sie würden in einer Diktatur leben.
Wie die Punks von damals wohl darüber denken?
Bereits 2007 erschien der Dokumentarfilm „ostPUNK! – too much future“, in dem Punks von früher erzählen, jetzt ergänzt die Compilation die Erinnerungen durch eine musikalische Zusammenstellung. Viele der Aufnahmen sind nie erschienen und exklusiv auf der Compilation zu hören.
Diese Compilation dürfte wohl bei vielen Leuten von damals einen Sturm von Erinnerungen auslösen. Was früher höchst illegal war, gibt es heute ganz legal beim Major Label zu erwerben. Allerdings ist die erste Pressung bereits restlos vergriffen, eine zweite Pressung wird erst im Januar verfügbar sein.
Damals (um 2007) gab es in Berlin eine interessante Ausstellung dazu…
Und ich war da. Habe den Flyer noch. :) War zufällig in Berlin und habe den Flyer in einen Plattenladen entdeckt.
Fand vom 26.8 bis zum 25.9.2015 statt. Habe mir damals auch das Buch zur Aussstellung gekauft.
2015? Dann war ich auf einer anderen Ausstellung,
das war definitiv einige Jahre früher.
Muss mal gucken, ob ich die Eintrittskarte dazu noch finde…
Es war sogar schon 2005. Die Karte hab ich noch nicht gefunden, aber einen Artikel dazu:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/ostpunk-too-much-future.1013.de.html?dram:article_id=165274
Haha, habe mich verschrieben. War 2005. Hat mir auf jeden Falll dort sehr gut gefallen.
Es gab ja schon Anfang der 90er die Samplerreihe “ Sicher gibt es bessere Zeiten aber diese ist die unserer“ auf Höhni Records. Höhni war immer sehr bemüht die alten DDR Punk-Band-Tapes zu sammeln. Leider gab es aber nie ein Buch dazu. Diese Veröffentlichung ist bestimmt eine tolle Ergänzung. Zum Glück kenne ich eine Insiderin aus dieser Zeit die mir viel zu Feeling B (zum Teil heute Rammstein) und Co erzählen kann da sie mit diesen Leuten rumgehangen hat. Man kann sich heute kaum noch vorstellen was vor kaum mehr als 30 Jahren in Deutschland abgegangen ist. Wer einmal über die Grenze in den Osten musste bekam ein komplett neues Bild von Gesamtdeutschland, inklusive Maschinenpistole im Nacken. Gut, dass diese Zeiten vorbei sind.
Und hoffentlich kommen sie auch niemals wieder. Und ja, in der Tat habe ich die von Dir genannte Veröffentlichung noch bei Höhnie-Records gefunden. Danke für den Tip!
Zum Thema kann ich Euch den Film „Wie Feuer und Flamme“ empfehlen (den deutschen Film von 2001).