Durch die momentane Situation und die damit verbundenen Ausgangbeschränkungen ist das gesamte (sub)kulturelle Leben zum Erliegen gekommen. Zumindest das in der realen Welt. Online finden sich immer mehr Livestreamingangebote, um gemeinsam Musik zu genießen. Sehr aktiv ist in diesem Zusammenhang das Unter Null Kollektiv, welches zur Zeit jeden Freitagabend ein Live-DJ-Set auf die Beine stellt. Doch bereits vor den durch die pandemisch bedingten Einschränkungen war das Kollektiv in der schwarzen Subkultur sehr aktiv. Höchste Zeit, die Gemeinschaft hier vorzustellen. Wir haben daher stellvertretend mit Marcel vom Unter Null Kollektiv gesprochen.
Als Unter Null Kollektiv seid ihr momentan mit euren DJ-Sets im Facebook Livestream sehr präsent, aber das Kollektiv auf diese zu reduzieren ist deutlich zu kurz gegriffen. Ihr seid sehr aktiv in der schwarzen Subkultur und stellt eine große Bandbreite an Aktionen auf die Beine. Um welche Veranstaltungen handelt es sich hierbei?
Marcel: Da ist natürlich zum einen die Unter Null Partyreihe, bei der wir auch regelmäßig Konzerte veranstalten. Und dann eben die schon angesprochene Unter Null Liveshow, die seit mehr als zwei Jahren monatlich stattfindet. Seit der Corona bedingten Kontaktsperre senden wir wöchentlich. Durch eine durchaus brauchbare Vernetzung in der Szene sind recht bald andere Veranstalter auf uns aufmerksam geworden. Das Projekt nahm zusehends Fahrt auf und wurde zu dem, was es jetzt gerade ist. Zum einen durch die Gründung von Neon Transmissions, einer internationalen Video Livestream Plattform mit vielen musikalisch hochklassigen Shows. Zum anderen durch Buchungen vom Waveteef Festival in Antwerpen und dem Gothic Pogo Festival. Bei Letzterem haben wir nun auch, nach Gastauftritten in den letzten Jahren, mit dem Abschluss des GPF am Montag einen eigenen Veranstaltungstag übertragen bekommen.
Welche Idee hat euch zusammengebracht?
Marcel: Angefangen hat alles 2017. Uli, Dejan und ich hatten in Bielefeld jeweils eigene Partyreihen im Bereich Synth Pop, Underground NDW, Minimal, Synthpunk und Italo Disco. Ich kam recht schnell auf den Trichter, dass es beinahe fahrlässig wäre, kein gemeinsames Projekt zu starten. Zu unserem Glück bedurfte es nicht wirklicher Überzeugungsarbeit. Fest stand sofort, dass Unter Null nicht einfach eine weitere New Wave Veranstaltung sein darf. Wir hatten das Idealbild einer Veranstaltung aus den Anfängen der 80er Jahre vor Augen, die zwar so wahrscheinlich nie stattgefunden hätte, aber dann trotzdem noch getoppt werden müsste. Die wichtigsten Faktoren für die Umsetzung sollten, natürlich neben der Musik, der DIY Gedanke, das Ausleben unserer Kreativität und, ganz klar, der Spaß sein. Unter Null war außerdem von Anfang an auch immer politisch und bezieht Stellung zu gesellschaftlichen Themen. Wir wollen bei unseren Partys einen Raum schaffen, in dem sich jeder wohl fühlen kann.
Was inspiriert euren Veranstaltungen und Performance?
Marcel: Wir sind Teil einer kleinen Szene innerhalb der Schwarzen Szene, die hauptsächlich aus deren eigenen Akteuren besteht. Es ist überhaupt nicht außergewöhnlich, wenn du beispielsweise mit Edwin und Maria von Bragolin, Gertrud Stein oder Larissa Iceglass feierst. Und dort, wo viele kreative, energiegeladene Freigeister zusammen feiern, und sich in dem Moment selbst nicht wirklich zu ernst oder zu wichtig nehmen, entstehen zwangsläufig inspirierende Momente. Die Tatsache, dass die Farbe Schwarz auf diesen Partys getragen wird, heißt nicht, dass sie sich dort in den Köpfen beschränkend äußert. Es ist bemerkenswert zu sehen, wieviel Buntes in den Leuten steckt und wie fröhlich und ausgelassen auf einer Schwarzen Party gefeiert werden kann.
Ihr betreibt euer Kollektiv mit großem Einsatz, was motiviert euch? Was bedeutet euch das Kollektiv?
Marcel: Motivation ist natürlich, Gäste am Ende einer durchfeierten Unter Null Nacht ungläubig sagen zu hören: „Was war das jetzt, bitte?“. Aber ernsthaft. Unser Motto „Tanz oder gar nicht!“ kommt nicht von ungefähr. Wir alle sind, ich möchte mal sagen… Profis im Feiern. Wir wollen unseren Freunden, Gästen und uns selbst, die perfekte Partynacht bieten. In der Beschreibung unserer Veranstaltung steht, die Unter Null sei „anarchisch, neonschwarz, absolut tanzbar und giert nach „Lust for life“. Wir finden, das trifft es ganz gut. Außerdem spielen und buchen wir ausschließlich Bands, die wir selbst gut finden. Wir müssen uns nicht verbiegen, oder jemandem gefallen. Was auf den Teller kommt, wird getanzt! Die Tatsache, dass Leute wegen der Unter Null Partys aus Tel Aviv, Paris, Amsterdam, Antwerpen, München, Berlin und Leipzig nach Bielefeld kommen, motiviert natürlich auch.
Wer verbirgt sich eigentlich hinter dem Unter Null Kollektiv?
Marcel: Tolle Menschen. Die DJs sind natürlich häufig das Gesicht einer Veranstaltung. Das Konzept würde allerdings nicht funktionieren, wenn es nicht weitere Leute im Kollektiv gäbe. Das sind beim Unter Null Kollektiv eine Gruppe von etwa zehn Personen, die die Idee der Unter Null verstehen, von ihr überzeugt sind und sie leben. Jede unserer Veranstaltungen braucht eine aufwendige Vor- und Nachbereitung. Und während der Partynacht kümmern wir uns herzlich um unsere Besucher und die gebuchten Bands. Dadurch entsteht ein familiäres Klima, das man sofort spürt. Das Kollektiv bastelt zeitraubend Eintrittskarten aus alten Disketten oder auch aufwendige Dekorationen für die Partys und ist einfach immer da, wenn man es braucht. Momentan versucht sich die Merchgruppe im Siebdruck; schon bald sollten die ersten T-Shirts und Taschen fertig sein.
Die Synth Robot Dance Performance gehört in Leipzig zu den Pfingstagen zu einem der Geheimtipps und erfreut sich wachsender Beliebtheit. Was ist der Hintergrund dieser Performance?
Marcel: Abseits der Unter Null habe ich auch noch bei anderen Projekten meine Finger im Spiel. Neben der „ZickZack im Neonlicht“ Partyreihe in Münster bin ich auch Teil dieser einzigartigen Veranstaltung und dort für die Organisation, Ablauf und die Technik „zuständig“, und selbstverständlich auch als Roboter aktiv. Daniel Hallhuber von Young & Cold Records war 2009 der Initiator dieser Performances. Zunächst alleine, als Roboter verkleidet und mit einem Synthesizer bewaffnet auf dem Agra Gelände. Ein Jahr später dann auf der Plattform am dortigen Eingang. Und da dann auch schon mit DJ Linearnetrik und später auch mit Ben Bloodygrave, Oliver Wieländer und Charles von “Corps Noir”, die seither regelmäßig als Robotertänzer und Musiker zu sehen sind. Als ich die ersten kurzen Videoschnipsel dieser Performances sah, war mir klar, dass ich daran teilhaben musste. Da war wieder diese Energie, von der ich ja schon berichtet habe. Als wir dann am Eingang des Agra Geländes keinen Platz mehr fanden, haben wir die Performance einfach direkt vor das Werk2 auf das Connewitzer Kreuz verlegt. Praktisch direkt vor die Haustür des Gothic Pogo Festivals, wo wir nun von Leuten gesehen wurden, die sofort verstanden, was wir da taten und ebenfalls Spaß daran fanden. Inzwischen tanzen und performen jährlich sechs bis acht Roboter und mehrere Musiker vor mehr als 200 Gästen. Unter ihnen auch wieder viele bekannte Musiker, DJs und Künstler. Und immer noch mitten dabei – Daniel Hallhuber.
Wie kam es zu der Idee der Unter Null Liveshow?
Marcel: Auf der Suche nach relevanten Partys stießen wir durch ein Gastspiel von DJ Linearnetrik in Amsterdam auf die „Manifest“ Partys von Annemarie Esser. Musikalisch war Annemarie schon damals sehr innovativ und scharrte einige sehr interessante niederländische DJs und Musiker um sich. Sie veranstaltete aber eben nicht nur diese Partyreihe, sondern hatte auch eine Livestream-Sendung im „Red Light Radio“ in Amsterdam – „Neon Decay“. Bis dahin kannten wir nur die üblichen Internet-Radioshows, die ja immer eher was mit dem Durchklicken von Youtube Videos gemein haben. „Neon Decay“ war da einfach aufregender. Jetzt konnten wir nach einem durchfeierten Wochenende auch in der Woche geniale Musik hören, unsere Freunde wiedersehen und ihnen im Kommentarbereich schreiben. Gefühlt kam das einer realen Party am nächsten. Mittlerweile durfte übrigens auch ich schon im Red Light Radio auflegen, und Annemarie plant gerade ihren Gastbesuch bei uns in der Unter Null Liveshow.
Warum hab ihr beschlossen einen Livestream zu nutzen?
Marcel: Ich wollte dieses Konzept natürlich sofort selbst ausprobieren, scheiterte aber an meinem Respekt vor den technischen Anforderungen. Erst drei Jahre später, mittlerweile hatten wir als Fans das „Red Light Radio“ besucht und entdeckt, dass das alles kein Hexenwerk ist, starteten wir einen ersten Versuch. Von da an war klar, dass das Projekt jetzt realisiert werden musste. Und wieder musste ich Teabeeé und Dejan nicht lange überreden. Unsere Idee war, den Leuten einen guten Start ins Partywochenende zu bereiten. Eine Show, die man zusammen mit seinen Freunden guckt, bevor man gemeinsam in die Nacht zieht. Um die ja nun schon angesprochene Unter Null Stimmung zu transportieren, haben wir von Anfang an auch immer lustige Aktionen in den Shows gestartet. Der legendäre „Griff ins Klo – Partys, auf die wir selbst nie im Leben gehen würden“ wurde ein Klassiker. Und auch der Roboterpogo darf nie fehlen! Die Unter Null Liveshow ist also seit Beginn nicht nur eine Musikstreaming-Sendung, sondern Unterhaltung und Interaktion. Seit einiger Zeit haben wir zudem regelmäßig Bandauftritte und Gäste, die sich die Shows direkt live bei uns im Wohnzimmer anschauen.
Was hat es mit den „Griff ins Klo“ – Partys auf sich?
Marcel: Beim „Griff ins Klo“ werden im Laufe der Liveshow nacheinander Flyer für Veranstaltungen aus einer Fake-Toilettenschüssel gezogen. Die gezogenen Partys werden dann von uns vorgestellt und liebevoll-ironisch niedergemacht. Da wir momentan keine aktuellen Partys vorstellen können, muss die Toilette derzeit als Behältnis für Lose und Shots herhalten. Das ist auch nicht verkehrt!
Wie aufwendig ist eigentlich so eine Liveproduktion für das Internet?
Die Liveshow ist mittlerweile sehr aufwendig. Gestartet haben wir mit einer simplen Handykamera und einem 8 € Audiokabel. Mittlerweile benutzen wir ein Streamingprogramm, drei Kameras, Audio-Mischpulte, Lichteffekte, Mikrofone, Kontrollmonitore, LED-Ausleuchtung und selbstverständlich unsere Nebelmaschine. Mit dem Start von Konzerten während der Shows erhöhte sich der technische Aufwand dann noch einmal deutlich. Für die Kontrolle der Technik und den Ablauf der Shows muss mittlerweile sogar jemand aus dem Team die Regie übernehmen.