Guten Abend, Jungs und Mädchen! So eröffnete Gabi Delgado fast jedes Konzert der Band DAF, das ich in den letzten 15 Jahren erleben durfte. Ich habe mich immer gefragt, ob der Typ, der dort auf der Bühne tanzte, als gäbe es kein Morgen, jemals älter werden würde. Es war mit immer unbegreiflich, wie ein Mensch nur so viel Energie verströmen kann. Der Moment, wenn er einer der unzähligen Wasserflaschen, die auf der Bühne herumstanden, über seinem Kopf entleerte. Unbeschreiblich. Wenn der treibende Beat, den Robert Görl am Schlagzeug taktete, dich einfach aus der Lethargie des Alltags riss. „Als wärs das letzte mal„. Ich hielt Gabriel Delgado-López damals für unsterblich. Ich habe mich geirrt. Er starb vorgestern im Alter von 61 Jahren. Ich und die Wirklichkeit.
Ich fühle mich so seltsam
1978 begegneten sich Görl und Delgado zum ersten mal im Ratinger Hof in Düsseldorf. Görl, der seine Eltern bei einem Autounfall verlor und als Waise aufwuchs, war passionierter Drummer. Klassische Musikausbildung, Konservatorium, Hochschule. Görl war richtig gut. Für einen Aufenthalt in London unterbrach er sein Studium und entdeckte im Punk sein Ventil. Im Ratinger Hof war er auf der Suche nach jemandem, mit dem er sein neues musikalisches Selbstbewusstsein ausleben konnte. Er traf Gabi Delgado.
Der Sohn eines Gastarbeiters, der als Kind nach Deutschland gelangt, wird im Ruhrpott groß. Remscheid, Dortmund, Wuppertal, Düsseldorf. Im Punk findet er seinen Lebensentwurf. Aggressiv, laut und nihilistisch, so nahm er die Punk-Szene wahr. Delgado wollte dazugehören und er gehörte dazu. In der Band Mittagspause tanzte er neben Peter Hein, der später die Fehlfarben gründete. Görl hatte mal eine Single mit dem Plan gemacht. Sowieso wusste damals keiner so genau wer nun in welchen Bands spielte und wer Publikum und wer Musiker war.
Zusammen mit ein paar anderen Musikern gründen sie „im Rausch einer Nacht“ DAF und spielen im Ratinger Hof ihre ersten Konzerte. Heimspiele sozusagen. Doch die Heimat wurde ihnen zu Eng, auf der Suche nach Ruhm, Reichtum und einem Plattenvertrag zog die Band 1980 nach London. „Wir waren ja bei der EMI und haben denen unsere Sachen angeboten. Aber die meinten nur: ‚Das ist keine Musik! Wenn ihr irgendwann mal richtige Musik macht, dann kommt nochmal vorbei.‘“ (Gabi Delgado in der Biografie „Das ist DAF“)
In England schlagen sie ein. Der deutsche Sprechgesang und die hämmernde Beats treffen den rebellischen Zeitgeist im Kern. Für die englische Musikpresse werden sie zur „gegenwärtig wichtigsten kontinentalen Truppe“ und spielen die Band Wire, bei der sie das Publikum im Electric Ballroom als Vorband anheizen wollen, hemmungslos an die Wand. Kraftwerk, die deutschen Pioniere der elektronischen Musik, degradieren sie zu Wegbereitern echter „Electronic Body Music„. DAF, die mittlerweile zu einem Duo geschrumpft sind, füllen den Begriff mit Leben. Sie beeinflussen das, was die Menschen musikalisch bewegt, nachhaltig.
Electronic und Body, Maschinen und Muskeln, Präzision und Ekstase. Toughness und Roughness.
Der Ärger, den es schon damals gab, als sie von Mussolini und Hitler sangen und die Ablehnung, die sie mit dem Aufruf seine „Jugend zu verschwenden“ erzeugten, war ihnen egal. Hinter ihrer Musik steckte keine Ideologie, nur getanzter Tabubruch. Für Delgado waren Worte das Instrument, das der Band fehlte. „Das hat mit der Semantik, mit der Bedeutung des Wortes, wirklich überhaupt gar nichts zu tun. Das ist nur die Sexyness des Wortes. Mussolini. Mousse au Chocolat. Lini. Einfach ein schönes Wort.“ Sprachlicher Minimalismus, die Vielseitigkeit der deutschen Sprache und der verbal-schmutzige Sex, der manchen Kreationen innewohnte, wurde ihr Markenzeichen. Die Reduzierung auf das Tanzbare der Musik
Alles ist gut
Nach drei Alben hatte Delgado genug von sprachlichen Orgasmen, hatte alles hinausgebrüllt, was ihn beschäftigte und Görl seine ganze Energie in die Drums geprügelt. DAF trennte sich. Es folgen einige Solo-Projekte und Ideen, doch der Zeitgeist war erschöpft, die Ideologie vom elektronische Körper schien verbraucht.
In den nächsten 30 Jahren kommt es zu zahlreichen weiteren Trennungen und Wiedervereinigungen. Immer dann, so scheint es, wenn Delgado Lust hat, seinen Sex von der Bühne zu versprühen und Görl wieder genug Wut gesammelt hat, um auf das Schlagzeug einzuschlagen, gehen sie auf Tour. Sie schaffen es in jeder Generation, die ihrer folgt, ein Staunen zu erzeugen, eben weil sie auch nach zahlreichen weiteren musikalischen Revolutionen, nichts von ihrer Relevanz eingebüßt haben.
Es dauerte in der Regel nur Sekunden, bis einige der 18-jährigen, die neugierig auf die „Urgesteine des deutschen NDW“ war,en zu den ersten Beats von „Verschwende deine Jugend“ ausrasteten. Bei jedem verdammten Konzert.
Ich habe DAF sechsmal erleben dürfen. Am eindrucksvollsten habe ich sie im Pulp 2010 in Erinnerung, wo sie vor „nur“ 600 Gästen gespielt haben, als gäbe es kein Morgen. Gabi Delgado erlebte den Morgen des 23. März 2020 nicht mehr. Er starb in der Nacht von Sonntag auf Montag in seiner Heimat Spanien.
Bitte denk‘ an nichts
Mach die Augen zu
Bitte denk an nichts
Sei still
Still
(ALLES IST GUT, DAF 1981)
Ein schön und würdig geschriebener Nachruf auf einen großen und wichtigen deutschen Künstler, im Sinne des Wortes. Danke, Robert.
Habe Anno 1986/87 zu „Tanz den M.“ immer heftig Pogo getanzt mit den anderen Wavern. Blaue Flecken am Schienbein. Grüne Banane. Rosenkränze. Geniale Zeit. Dankeschön geht raus an DAF — Gabi R.i.P.
Genises P-Orrigde und Bill Rieflin hat es auch erwischt. DAF habe ich leider nie live gesehen.
Sogar WDR 5, Scala Kulturmagazin, hat tagesaktuell einen Bericht gebracht, und danach den Mussolini gespielt…. da hat man dann spontan Gelegenheit allein zu tanzen… in diesen Zeiten. https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-scala-aktuelle-kultur/audio-verschwende-deine-jugend-zum-tod-gabi-delgados-100.html Konnte sie auf dem Mera Luna im Hangar live erleben, und weil’s nicht so voll war sogar tanzen.