Heavy Metal Saved My Life – Menschliche Schicksale zu harten Klängen

Die kürzlich in der ARD Mediathek erschienene Dokumentation „Heavy Metal Saved My Life“ erzählt die teilweise tragischen Lebensgeschichten von Fans der Musikrichtung und vergleicht sie mit den Biografien einiger Metal-Bands. „In intimen Interviews erzählen Iron Maiden, Faith No More, Mastodon, Gaahl von Schicksalsschlägen, Lebenskrisen und ihren Triumphen. Und Geschichten großer Metal-Fans! Menschen, die in ihrem Leben fast gebrochen wurden, die sich aber wieder aufgerichtet haben, mit der Hilfe von Musik.“ Leider wirkt es neben den bewegenden Geschichten und gelungenen Interviews der Künstler relativ zusammenhanglos, hier wäre ein inhaltliche Einordnung gut gewesen. Gleichwohl scheinen einige Fans diese Lücke durch ihr Anschauung und Meinung wieder zu schließen.

Letztendlich könnte der Titel „Music Saved My Life“ lauten, denn die Lebensgeschichten der Fans und Künstler lassen sich auch problemlos in anderen Musikrichtungen finden. Die Facette, wieso ausgerechnet die aggressiv und energiegeladenen klingende Metal-Musik den Menschen Halt gibt, bleibt offen, obwohl ja das genau eine spannende Betrachtungsweise wäre.

Vielleicht kanalisiert eben diese Musik die in manchen Menschen wohnenden Emotionen in kontrollierbare Bahnen? Ich könnte mir gut vorstellen, dass ein 2-stündiges Iron Maiden Konzert, dem man als Fan beiwohnt, eine zufriedenstellende Erschöpfung im Emotionshaushalt hinterlässt und beim Fan für einen Ausgleich sorgen. Für den Gothic-Fan ist es wohl die schwelende Melancholie in der Musik, die eine gewisse Traurigkeit herauskitzelt, von der wir uns befreien können. So findet sich möglicherweise in jeder Musikrichtung ein Trigger, der dabei hilft sich zu befreien, je nach Geschmack.

Der zweite Teil „Queer“ braucht eine ganze Weile, bis er auf mich wirkt. Auf den ersten Blick scheint Queer mit Metal zu kollidieren, denn die Musikrichtung steht in vielen Dinge sinnbildlich für eine strikte Rollentrennung. Mit Riccardo aus Italien bringt man aber einige spannende Sichtweise mit ein. Der Transmann fand in der maskulinen Musikrichtung das, was ihm fehlte und sah die Musik als Wegbereiter für seine Selbstfindung.

Sowieso scheint das projizierte Bild der Szene schon allein damit zu bröckeln, dass Judas Priest Frontmann Rob Halford homosexuell ist, sich aber auf Anraten seines Managements entschloss, die 80er-Jahre mit diesem Geheimnis zu leben, bevor er 1998 sein Coming-Out hatte. Auch hier könnte eine Sichtweise sein, dass „Queer“ stets ein Teil unserer Gesellschaft war und sich durch jede Musikrichtung und Szene zieht. Ob ein Genre also eher maskuliner oder femininer klingt, entscheidet sich möglicherweise im Ohr der Zuhörers.

Eine interessante Dokumentation, wenn man gerne (tragische) Lebensgeschichten hört, von einigen Protagonisten erfährt man dann auch spannende Ansichten, warum Heavy Metal der „Gamechanger“ gewesen ist. Vielleicht hätte eine inhaltliche Einordnung der Doku ganz gutgetan. Letztendlich – und das ist meine Ansicht – scheint es keinen konkreten Zusammenhang zwischen Heavy Metal und den Schicksalen zu geben. Was auch völlig einleuchtend ist, denn welche Musik einem bei der Verarbeitung äußerer Umstände hilft, ist individuell. Spannend sind allerdings die Interviews mit den „Legenden“ der Szene, die viel vom hypermaskulinen Mythos der Musikrichtung zerstören und einen differenzierteren und vor allem gesünderen Einblick in eine der größten musikalischen Szene der Welt gibt.

Zum Profil | Artikel anzeigen

Wizard of Goth – sanft, diplomatisch, optimistisch! Der perfekte Moderator. Außerdem großer “Depeche Mode”-Fan und überzeugter Pikes-Träger. Beschäftigt sich eigentlich mit allen Facetten der schwarzen Szene, mögen sie auch noch so absurd erscheinen. Er interessiert sich für allen Formen von Jugend- und Subkultur. Heiße Eisen sind seine Leidenschaft und als Ideen-Finder hat er immer neue Sachen im Kopf.

Ähnliche Artikel

Kommentare

Kommentare abonnieren?
Benachrichtigung
guest
4 Kommentare
älteste
neuste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Graphiel
Graphiel(@michael)
Vor 2 Jahre

Erst einmal vielen Dank für den Hinweis. Auch wenn ich heutzutage mit den härteren Klängen am ehesten noch nostalgische Gefühle verbinde, so klingt das ganze zumindest sehenswert. Vielleicht ist das ja was für meine Freundin, die dem Metal doch noch mehr zugeneigt ist als ich.

Für den Gothic-Fan ist es wohl die schwelende Melancholie in der Musik, die eine gewisse Traurigkeit herauskitzelt, von der wir uns befreien können. So findet sich möglicherweise in jeder Musikrichtung ein Trigger, der dabei hilft sich zu befreien, je nach Geschmack.

Das würde ich anhand meiner eigenen Erfahrungen jedenfalls so unterschreiben. Ich selbst habe meinen Weg zur gruftigen Musik ja nicht traditionell über den Punk genommen, sondern tatsächlich über den Umweg der metalschen, wenn dabei auch meist eher melodischen Klängen (mit Gegrunze und Gekreische konnte ich auch damals nichts anfangen) so wie sie zu Beginn des neuen Jahrtausends an der schwarzen Oberfläche gern gehört wurden.

Als ich damals die Welt der bunt gekleideten hinter mich lies geschah dies jedenfalls mit einer Mischung aus Wut und allgemeiner Enttäuschung gegenüber der Welt und deren Bewohner im groben und ganzen. Während mich damals die eher gruftigen Musikstücke dazu bewegten meine getragene, melancholische Grundstimmung heraus zu lassen, waren es die hörteren Klänge, welche mir ein Ventil für meinen über die Jahre angestauten Frust boten. Zu behaupten, dass Metal mir damals das Leben gerettet hätte wäre aber mehr als übertrieben, denn dazu müsste ich auch die eher gruftigen Klänge ausblenden, die nicht minder meinen damaligen Musikgeschmack prägten und mich durch meinen Alltag begleiteten.

Norma Normal
Norma Normal(@normanormal)
Vor 2 Jahre

Ach toll, dass du auf diese Doku aufmerksam machst. Ich bin erst kürzlich drüber gestolpert und möchte sie mir gerne ansehen. Ich hätte es aber vermutlich im Alltagsstress vergessen, wenn du nicht drüber berichten würdest. Zwar kann ich rein gar nichts mit Metal anfangen, aber ich weiß jede gut gemacht Musikdoku zu schätzen. Und hier bin ich ganz zuversichtlich.

Tanz(fleder)maus
Tanz(fleder)maus(@caroele74)
Vor 2 Jahre

Auch wenn ich Metal gar nichts abgewinnen kann (egal in wecher Spielart), so kann ich auf alle Fälle nachvolllziehen und fett unterschreiben, dass die individuell passende Musik einen ganz wichtigen Halt im Leben geben kann. Musik kann so unglaublich viel Emotionen transportieren und kanalisieren. Egal ob man gut oder schlecht drauf ist, ein Ventil bieten sie immer, um alles mögliche rauszulassen und auszuleben. Ob nur beim Hören oder beim Tanzen dazu, letzteres empfinde ich sogar als noch intensiver. Mit Musik kann man je nach Situation entspannen träumen, wegdriften, sich ablenken, auspowern, verarbeiten.

Letzte Bearbeitung Vor 2 Jahre von Tanzfledermaus
Gruftwurm
Gruftwurm (@guest_61917)
Vor 2 Jahre

Bevor ich die Liebe zu gothischen Klängen gefunden habe, war der Metal meine erste Anlaufstelle. Im Alter von 15 – 16 Jahren bin ich durch Zufall über ein Radiointerview einer Band darauf aufmerksam geworden. In dieser Zeit ging es bei mir gesundheitlich und psychisch richtig bergab und die Musik der härteren Art gab mir einfach einen gewissen Halt. Hier haben mich besonders die eher melancholischen Titel besonders angetan.
Wie hier in den Kommentaren schon erwähnt, muss das natürlich nichts mit dem Genre zu tun haben. Sondern was in einer bestimmten Zeit eben einfach einem begegnet, inspiriert oder auffängt.
Jedenfalls danke für den Artikel, die Doku könnte auch für mich sehenswert sein.

Magazin 2024

Spontis-Magazin 2024

Jetzt mithelfen, uns unterstützen und kostenloses Magazin sichern!

Diskussion

Entdecken

Friedhöfe

Umfangreiche Galerien historischer Ruhestätten aus aller Welt

Dunkeltanz

Schwarze Clubs und Gothic-Partys nach Postleitzahlen sortiert

Gothic Friday

Leser schrieben 2011 und 2016 in jedem Monat zu einem anderen Thema