Der Industrial ist eine Form der experimentellen Musik, die nicht unbedingt für ihre Tanzbarkeit bekannt ist, aber den meisten ein Begriff sein dürfte. Die künstlerische Ausdrucksform in Musik ist aber schon lange ein Ausdruck von Kreativität, so gibt es seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Zwölftonmusik, die einen ähnlich schrägen Charakter hat. Als Anfang der 80er die Synthiesizer erschwinglich wurden, suchte sich auch die besonders Kreative eine neue Ausdrucksform und nannten ihre Strömung No Wave. Der Begriff stammt aus dem New Yorker Umfeld und wurde damit als direkte Gegenströmung zum New Wave Ende der 70er Jahre verstanden 1. In Deutschland etabliert sich der Ausdruck Geniale Dilettanten, die aber heute auch unter dem Begriff des No Wave zusammenzufassen sind.
Vor allem in Berlin treffen sich die Künstler dieser Zeit und bilden ein Kreatives Netzwerk, das bis nach New York reicht, das zu dieser Zeit einen sehr ähnlichen Status hat. Nick Cave, James Chance, Lydia Lunch (Jesus & The Jerks), Christoph Dreher (Die Haut) und Blixa Bargeld (Einstürzende Neubauten) um nur einige der Protagonisten zu nennen.
Alles machen, alles probieren, geht nicht gibts nicht ist das Motto dieser Bewegung. In Verbindung mit der Videotechnik und dem künstlerischen Tanz entstehen hier Gesamtkunstwerke, die auch Künstlerkreise ansprechen und beeinflussen, aus denen auch beispielsweise Andy Warhol stammt. Im Vordergrund stehen Atmosphäre, unkonventionelle Gitarrengeräusche, offene musikalische Strukturen, die jedoch oft ein sich wiederholendes Thema auffassten, und atonaler Aufbau 2. Melodie oder Rhythmus spielen eine untergeordnete Rolle und locken deshalb auch musikalisch und instrumentell völlig unbegabte Talente auf den Plan, die eher den Klang als die Musik in der Vordergrund ihrer Arbeit stellen.
Gudrun Gut, die sich selbst zu den Anfänger der Genialen Dilettanten zählt 3 geht mit ihrer Band Malaria! einen Schritt in Richtung Tanzbarkeit und veröffentlicht beispielsweise mit Kaltes klares Wasser (Video) oder Geld (Video) zwei Underground-Hits und geben in der von Männern dominierten Musikszene der Emanzipation ein Gesicht.
Bei arte gab es dazu neulich einen sehr guten Dokumentarstreifen, der von Christoph Dreher (Die Haut) gemacht wurde, der die meisten seiner Weggefährten aus dieser Zeit aufsuchte um mit ihnen in den guten alten Zeiten zu schwelgen. Der entstandene Film darf durchaus als Referenz zu dem Thema angesehen werden und zeigt die deutsche Sicht der Dinge.
„Dieser Film taucht ein in eine Übergangszeit, eine Ära der Veränderung. Alles war in Bewegung, nichts sicher – und gerade deshalb schien alles möglich. Die 70er klangen noch nach, die 80er hatten noch nicht richtig begonnen. Wir bewegen uns zwischen den Perioden der reinen Abkehr vom Etablierten und des politisch bewegten Aktionismus . Die Zeit und Szene, die dieser Film beleuchtet, hat eine hohe Relevanz für alle Bereiche der Kultur und des Lebens bis zum heutigen Tage. Der Begriff des Underground bekam einen neuen Klang in dieser Zeit. Es war eine Zeit der radikalen Herausforderungen und kompromisslosen Selbstversuche – in jeglicher Hinsicht. Im Mittelpunkt stand das Machen, ohne Wenn und Aber…“ (Christoph Dreher, Frühling 2009)
Einzelnachweise
- Reynolds: Contort Yourself: No Wave New York – in: Rip it up and Start Again, S. 80[↩]
- Artikel bei Wikipedia zum Stichwort No-Wave[↩]
- Quelle: Ihre Biographie auf ihrer Labelseite m-enterprises[↩]