Es wurde wieder allerhöchste Zeit, den musikalischen Briefkasten zu leeren. Das ist – zur Erinnerung – der virtuelle Briefkasten, in den Bands, Label und Künstler*Innen ihre Musik legen können, die wir hier dann möglicherweise vorstellen. Nutzt gerne das Kontaktformular, um auch eure Musik hier zu finden, falls sie uns gefällt. Im Feature ist diesmal die bezaubernde Paura Diamante, die mit ihrem zweiten Album „The Descent“ dem Verfall einen Soundtrack geben möchte.
Die Marlene Dietrich des Darkwave, Paura Diamante, führt ihre Symbiose aus queerer Musik und Darkwave konsequent fort und veröffentlichte bereits im Oktober 2023 das zweite Album „The Descent„, aus dem auch jüngst die Single „Spiders“ ausgekoppelt wurde. Im Gegensatz zum Debütalbum erscheint mir das aktuelle Album noch waviger und stellenweise etwas düsterer, was ich natürlich grundsätzlich begrüße und was der Titel des Album bereits impliziert. Songs wie die Singleauskopplung „Spider“ oder auch „The Day You Broke My Heart“ sind nach wie vor eingängige Synthwave-Tracks, die mit ihrer Eingängigkeit in die Beine strömen. Einen Kontrast dazu bilden meiner Meinung nach „Crawl“ und „Ghosts“, die es zwar nicht an melodischen Synthie-Teppichen mangeln lassen, aber eine andere Stimmung transportieren. Mit dem eindrucksvollen Stück „War“ wird dann auch klar, was Paura Diamante beschäftigt und was möglicherweise zur Stimmung des Albums beigetragen hat.
Holger Hiller, der seinerzeit mit Palais Schaumburg für einen alternativen Zweig der neuen deutschen Wellen sorgte, wärmt sein 1983 erschienenes Album „Ein Bündel Fäulnis aus der Grube“ nochmal auf. Ein Stück Weirdness zum 40. Jubiläum des Hamburger Künstlers.
Crows On Wires haben uns bereits im November 2023 ihren Song „Stop The Clock“ zugeschickt. Und da die Zeit ja angehalten wurde, erscheint diese Vorstellung nun aktueller denn je. Die Band aus Dresden fühlt sich im Post-Punk heimisch, bevorzugt Kerzenlicht, wie sich mir schreiben. Bei Youtube kann man sich ihr neuestes Werk anhören.
In einem visuell eindrucksvollen Video, der den Song „Whispers In The Echo Chamber“ begleitet, kündigt Chelsea Wolfe ihr frisch erschienenes Album „She Reaches Out To She Reaches Out To She“. Klingt ein bisschen wie die Nine Inch Nails, was keineswegs negativ gemeint ist. Der Kontrast zwischen dem „harten“ und dem „zarten“ ist wie Marzipan-Zartbitter-Schokolade. Ich hoffe, diesen Vergleich kann jemand mitgehen. Auch wenn der Song wenig „Tanzpotential“ zu haben scheint, finde ich ihn sehr spannend.
„Die Hoffnungsträger der deutschen Gothic-Szene„, wie die Band Wisborg von ihrem Label „Dansemacabre“ genannt werden, haben ebenfalls ein neues Album in den Startlöchern, das sich diesmal der deutschen Sprache verschrieben hat. „Auf Deutsch zu singen ist ein zweischneidiges Schwert“, erklärt Frontmann Konstantin Michaely. „Wenn dein Publikum auf Anhieb versteht, wovon deine Stücke handeln, dann haben die Texte naturgemäß mehr Gewicht.“ Das stimmt. Trotzdem wagen sich Wisborg auf Messers Schneide und scheinen sich auf das erste Ohr nicht daran zu schneiden. Der massentaugliche „Goth-Rock“ der Band ist für mich das wohlschmeckende Einstiegs-Bonbon in die musikalische Vielfalt der Gothic-Szene.
Kill Shelter versuchen sich hemmungslos an einem Klassiker der musikalischen Geschichte der Szene. Ihre Cover-Version von „She’s In Parties“, die Teil des aktuellen Tribut-Albums „Honoris III“ ist, orientiert sich stark am Original und stellt nur vereinzelt klangliche Stellschrauben. Klingt aber ganz gut und kann bei Youtube angehört werden.
DTORN haben sie dem Phänomen „Mann“ gewidmet und legen damit das Schwert, das Frontmann Torsten Schneyer auch abseits seiner musikalischen Karriere kunstvoll schwingt, in die Wunde aktueller Diskussion um toxische Männlichkeit. Zusammen mit Gesangspartner Clay von der Band „Wyst“ singt man über „Brüdern, Vätern und Söhnen, von Macht und Zerstörung, von Trauma und Indoktrination“ in einem einzigen Song. Ob der lyrische Song die Kraft hat, all diese Bilder zu zerstören und den hörenden Mann von seinen destruktiven Mustern befreit, ist individuell. Der Sound ist vielschichtig verspielt, der Text mehrlagig tiefgängig und der zelebrierte Gesang stimmungsvoll düster. Es bleibt fraglich, ob die komplexe Musik die Welt in eine bessere verwandelt, denn es liegt in der Natur der Sache, dass sich chronisch toxische Männer solche Musik nicht unbedingt erreicht. Zumindest gibt der Song aber genug Anlass über die Frage zu philosophieren, ob das Thema „toxische/positive“ Männlichkeit in der Szene viel zu selten behandelt wird.
Sidewalks und Skeletons haben Anfang Februar 2024 ein neues Album mit dem Titel „Exorcism“ veröffentlicht, die Singleauskopplung „Erased“ trifft musikalisch den Nagel des Genre „Witchhouse“ auf den Kopf. Der britische Künstler Jake sagt dazu in einem Interview: „In „Exorcism“ geht es um die Gegenüberstellung der Unschuld, in die jeder Mensch hineingeboren wird, und der harten Realität der Welt, die diese Unschuld schnell wieder zunichte macht. In gewisser Weise werden wir alle von der Welt besessen. Wir können die Person verlieren, die wir einmal waren. Das Album stellt diesen Kampf auf vielfältige Weise dar.“
Sopor Aeternus schließt mit der EP „Fab Dead Cult Veil“ die Tetralogy „Alone At Sam’s“ bis auf einen Teaser gibt es noch nicht allzuviel zu hören, die Fans sind aber bereits jetzt aus dem Häuschen.
Der aus Österreich stammende Musiker Christian Sundl schwingt hemmungslos das Tanzbein und bezeichnet seine neueste Schöpfung als „Goth House“. Dabei handelt es sich um einen Remix seines eigenen und gleichnamigen Stückes, das er unter dem Namen „Gran Bankrott“ bereits vor 2 Jahren veröffentlicht hat, der hier bei Soundcloud zu hören ist. Auch „Volker Milch“ schickt mir einen Remix seines Stückes „Träume“, das er bereits 2016 aufgenommen hat und das man sich im Bandcamp anhören kann.
Einen besonderen Gruß sende ich an dieser Stelle an Runa Wjassier und ihrer Band Dragol. Ich bin froh, dass die Band ihren musikalischen Platz gefunden hat und auf dem Mera Luna 2023 den Newcomer-Wettbewerb gewonnen hat. Ich hoffe sehr, dass der Song „Das letzte Mal“, der vor einem Monat als Video erschienen ist, nicht der letzte bleiben wird.
Hui.. Vielen lieben Dank, Robert für das Versüßen dieses Samstagmittags. Das war ein musikalischer Briefkasten, der mir richtig Spaß gemacht. Die letzten Male war ich zugegebenermaßen ein bisschen mäkelig… Aber dieser düsterbunte Strauß hat mich echt abgeholt. Favoriten… Paura Diamante, Sidewalks and Skeletons und Chelsea Wölfe, die mich schon seit dem ersten mir unter die Ohren gekommenen „Mer“ fasziniert, gerade weil sie oft wenig tanzbar daherkommt und mich mit ihren düsterzarten, bis „hexenhaft“ verzerrten Klangteppichen emotional zutiefst berührt.
Schön, dass Dir einige der Einsendungen gefallen. Ãœbrigens ist Paura Diamante ein Alter Ego von Jan Noll, der für die jüngste Ausgabe des Spontis-Magazins geschrieben hat, was ich sehr spannend finde. Ich konnte mir gut vorstellen, dass Chelsea Wolfe einigen Lesern gefällt, denn auch ich schätze mitunter „sphärische“ Klänge zur Arbeit am Computer oder zum Zocken. :-) (Man kann jetzt gerne kritisieren, dass ich der Musik nicht den nötigen Respekt zolle … sei es drum :-D)
Ich kann mich dem Dank von Gruftfrosch nur anschließen. Was für eine abwechslungsreiche düstere Mischung! Da denke ich doch gleich etwas wehmütig an meine Zeiten der Wohnheimküchenszene zurück, wo wir ja auch den wildesten Düstermix hörten. Schön, dass du einer Band wie Dragol so die Möglichkeit gibst auch entdeckt zu werden. (Ich bin natürlich auch auf den früheren Artikel über sie gestoßen.). Geht für mich so in Richtung Faun und zeigt, wie vielseitig Schwarz eben sein kann. Dtorn mit „Mann“ finde ich richtig klasse, auch wenn du zweifelst, ob sie die Adressaten erreicht, die eine Auseinandersetzung mit toxischer Männlichkeit am nötigsten hätten. Aber für uns hätte es gepasst, weil bei uns auch Bathory, „Man of iron “ gehört wurde. Sozusagen als Antwort. Das Video von Chelsea Wolfe finde ich übbrigens auch wegen seiner düsteren Ästhetik sehr ansprechend. Da bedaure ich nur das Ableben meiner eigenen Venusfliegenfalle.