Bisher habe ich Karnstein als eloquenten Blogger, begnadeten Tänzer, gewandten Historiker und guten Freund kennengelernt. Doch es steckt mehr in dem sympathischen Gruftie aus Hessen, als ein zweifelhafter Blick vermuten lassen könnte. Vor rund 3 Jahren studierte er ein Minnelied von Heinrich von Veldeke 1, dessen melancholischer Text ihn gleich in seinen Bann zog. Es schien unausweichlich, eine Idee und die passende Melodie fanden schnell den Weg in seinen Kopf. Ein E-Bass, ein Keyboard und ein Sequenzerprogramm bildeten die Grundlage für seine Ersten musikalische Versuche, das Stück in die Moderne zu überführen und ihn in ein waviges Kleid zu hüllen. „Winterherz“ war geboren, das Erstlingswerk seines Projektes Farblos.
Er schreibt er dazu: „Den Einfluss von The Cure würde man deutlich hören, wurde mir schon gesagt, dabei war das lustigerweise eben nichtmal wirklich intendiert. Auch Depeche Mode wollte da schon jemand raushören, an die ich allerdings noch überhaupt grad gar nicht gedacht hatte.“ Seit dem fand das Stück in einigen selbstgedrehten Videos und sogar in einem Radio-Bericht des Deutschlandfunk Verwendung und ist einigen im Gehör geblieben. Es mag an dem puristischen Minimalismus liegen, an der Einfachheit des Arrangements oder auch an der Stimmung, die dieses Stück beim Hörer erzeugt, es hat mir damals schon sehr gut gefallen.
Karnstein betonte den Demo-Status seines Stückes und kündigte bereits weitere Ideen an die in seinem Kopf umhergeisterten. „Mittlerweile existieren noch etwa sechs bis sieben weitere Lieder, die aber ebenfalls alle noch einiges an Schrauberei erfordern, bevor ich sie auf die Welt loslassen möchte. Hingegen meiner ursprünglichen Intention sind sie fast alle in deutscher Sprache, und in der Retrospektive scheint mir auch musikalisch teils die Neue Deutsche Todeskunst ihre Finger im Spiel gehabt zu haben, die ich in den letzten Monaten vermehrt genossen habe.“ So lehnte ich mich zurück und wartete auf weitere „farblose“ Lebenszeichen.
Das Warten hat sich gelohnt, denn heute präsentierte er seinen zweiten Demo-Song mit dem Titel „Du fällst“, dem er auch gleich ein Video spendiert hat, um den visuellen Rahmen zu stecken und sich und dem Stück ein Gesicht zu geben. Nachdem er in „Winterherz“ noch in englischer Sprache sang, ist er nun ins Deutsche gewechselt, was dem Stück einen angenehmen Charme verleiht und einen leichteren Zugang zum Inhalt vermittelt. Trotz eines „augenscheinlichen Retro-Sounds„, wie er den Sound seines Liedes beschreibt, fühlt man sich dennoch nicht an etablierte Künstler gebunden, denn eine ausgesprochen einprägsame Melodie und ein tanzbarer Charakter entwickeln sich Laufe des Liedes zu etwas fesselnd neuem und unerhört Ungehörtem.
Das passende Video verdankt Karnstein seinem Freund Oleone, der zusammen mit der Eismann Filmproduktion dem Stück einen sehr eigenen Stempel aufdrückt und es dank VHS und einer atemberaubenden Location ebenfalls in eine Zeit zurückversetzt, die weit ab von digitalem Perfektionismus ein weiches Bild erzeugt und so den eigenen Erinnerungen um einiges gerechter wird, denn die sind schließlich auf nicht hochauflösend.
In seinem Blog schreibt er dazu: „Ähnlich wie “Winterherz” ist es recht synthetisch-tanzbar ausgefallen, doch etwas minimalistischer, mit traditionelleren Songstrukturen und alles in allem wohl etwas kälter […] Aufgrund des augenscheinlichen Retro-Sounds schlug mein Freund Oleone vor, den geplanten Clip in VHS zu drehen, für den authentischen 80er-Charme mit typischen Bildstörungen und zeitgemäßen Schnitten und Effekten. […] Weiterer ausdrücklicher Dank geht an Markus Stein und seine Leute vom Kreuzrittertum Kirberg, die uns so freundlich in den tollen alten Renaissance-Gewölbekeller gelassen haben.“
Wo geht die Reise hin?
Es bereitet mir Freude, einen Menschen und seine Visionen zu beobachten, etwas wachsen zu sehen, was aufgrund von Kreativitätszwang unausweichlich erscheint. Mit Farblos entwickelt sich Karnstein musikalisch und inhaltlich in eine ausgesprochen angenehme Richtung, die mit viel Leidenschaft und Idealismus vorangetrieben wird. Ein ungeschliffener Diamant, der mit der Zeit in einen passenden Ring eingefasst werden könnte. Es gehört Mut dazu, sich und seine Ideen einer Öffentlichkeit zu präsentieren, es wäre schade sie als Datenfragmente auf Festplatten in Archive zu verpacken. Ich beobachte weiter, berichte und neige mein Haupt als Ausdruck meiner Bewunderung.
Einzelnachweise
- Heinrich von Veldeke (* vor 1150; † zwischen 1190 und 1200) ist in Deutschland zumeist als niederländisch-deutscher Dichter des 12. Jahrhunderts bekannt und stammte aus einem adligen Geschlecht, das in der Nähe von Maastricht seinen Sitz hatte. In seinem heimatlichen Limburg wird von Veldeke jedoch speziell als altlimburgischer Dichter verehrt. – Quelle: Wikipedia[↩]
Oh… mein… Gott…
Ich weiß garnicht so recht was ich sagen soll… Es freut mich natürlich immer wenn jemand mir sagt dass mein künstlerischer Output ihm gefällt, aber solch warme Worte und vor allem auch einen so prominenten Rahmen hat dem noch niemand geschenkt.
Es macht mich ungemein stolz in der gleichen Rubrik vorgestellt zu werden wie „O. Children“ und „LeichenLiebe“, und allein schon die Einleitung hat mir freudige Schamesröte ins Gesicht getrieben…
Vielen lieben Dank! Ich werde mir große Mühe geben dieser positiven Kritik gerecht zu werden!
„Ich werde mir große Mühe geben dieser positiven Kritik gerecht zu werden!“
Nein, du musst nur Dir selbst gerecht werden, das macht eine Sache wie diese erst authentisch. Du solltest nur von dem, was Dir liegt nicht abweichen und deine Ideen und Vorstellungen verwirklichen. Damit wirst du mir zumindest mehr als gerecht.
Einfach nur schön!
Ich war/bin von „Winterherz“ schon hin und weg und das hier vorgestellte neue Stück begeistert mich ebenso … absolut meine Wellenlänge und ich hoffe bald noch mehr von Dir zu hören Karnstein :)
Für einen Demo-Song ist das OK. Für eine ausgereifte Produktion wünsche ich mir hingegen mehr Druck im Sound und ’ne schwebende Synthie-Fläche im Hintergrund (passende Melodie, im rechten Tastenbereich gespielt – jawoll, hoch!). Die fehlt da nämlich. Dadurch wirkt das Ganze etwas farblos. Man könnte den Synth aber auch gut durch ’ne E-Gitarre ersetzen. Das würde dem Song mehr Leben und Gänsehaut-Feeling verleihen. Der Gesang bräuchte IMO mehr Biss, mehr Betonung. So in Richtung AM TAG UNTER NULL könnt ich mir gut vorstellen.
Gefällt mir echt gut – hatte sogar Gänsehaut! Das Video ist spitze geworden! Finde aber auch, dass Deine (schöne) Stimme noch etwas kräftiger sein könnte, „mehr Biss“, wie es Death Disco nennt wäre gut. Ein bisschen hat mich die Einstellung im Video von Dir beim Singen/am Micro an Click-Click „The Sack“ erinnert, da sieht man den Sänger auch in einer ähnlichen Einstellung wie Dich ;o) (ab 1:15min) und der Gesang ist hier auch kräftiger:
Ich sehe auch ein Wachsen im Vergleich zu „Winterherz“ (welches mir auch schon gut gefallen hat) und bin wirklich gespannt auf Deine nächsten Werke.
Zentrales Thema des Songs ist für mich eine stille Verzweiflung, in welcher man resigniert und doch sehnsuchtsvoll nur darauf wartet, dass man aus dem Strudel gezogen wird, der einem die Kehle zuschnürt. Alle Gefühle kehren sich nach innen… Wut, Verzweiflung, Liebe, Hass. Musikalisch für mich wunderbar umgesetzt – auch und gerade durch die Sanftheit und Verletzlichkeit in der Stimme. Vertonte Einsamkeit. Sehr schön !