„Liebe und Eifersucht, Krieg und Hass, Krankheiten und Tod, Geld und Macht – Wozu ist der Mensch noch fähig?“ Angesichts dieser Fragestellung fällt es fast schwer, sich auf ein mit diesem Zitat beworbenes Album Namens Der Mensch ist los! einzulassen, es sei denn, man fühlt sich der schwarzen Szene in irgendeiner Form verbunden. Sollte man zu mindestens meinen, die Realität wirkt manchmal ein wenig anders. Oftmals steht die Musik im Vordergrund, Texte sind auf Soundschnipsel oder Samples reduziert und höchstens noch subtil gesellschaftskritisch, häufig nur inhaltslos Provokativ. Wie war das noch mit der Musikrichtung Gothic? Hier sind schließlich Themen menschlicher Abgründe immer schon Gegenstand von Musik, Inhalt und Performance gewesen, mal direkt, mal indirekt, mal melancholisch verträumt und manchmal provokativ formuliert. Die Band Das Fortleben greift diesen Kern der Sache auf und widmet sich wieder der Gesellschaftskritik mit deutlichen Worten. Und dennoch fühlt es sich unbequem an, wenn Luke J.B. Rafka seine lyrischen und düster-poetischen Texte spricht, während Borislav Schultheiss das Ganze mit sphärisch-technoiden anmutenden Kompositionen untermalt. Unbequem, kantig, verstörend und bedrückend. Ist das Gothic?
Rafka, der seit den 80er Jahren als DJ unterwegs ist und schon in einigen Musikprojekten eigene musikalische beschritten hat, ist mit einer beeindruckenden Leidenschaft für das geschriebene Wort gesegnet, die er immer schon in Gedichten und Kurzgeschichten auslebt. 2012 unterstützt Schultheiss das Fortleben mit seinen Kompositionen und zeichnet sich auch für die Aufnahmen, Covergestaltung und die Videos verantwortlich. Gemeinsam veröffentlichten sie im Oktober ihr Album „Der Mensch ist los!“, dessen Inhalte „möglicherweise (…) eure moralischen Grundprinzipien oder Religiösen Gefühle verletzen“, wie es auf der Internetseite heißt.
Vorgewarnt lasse ich die 13 Stücke auf mich wirken und fühle mich gleich in vielerlei Hinsicht an Bands wie „Das Ich“ oder „Goethes Erben“ erinnert. Der eher ruhige Track „Todesangst“, der klanglich zum Träumen einlädt, geht textlich eher in die entgegengesetzte Richtung und wird vom eher technoiden und dem Albumtitel entsprechenden „Der Mensch ist los“ jäh unterbrochen. Man liebt das Spiel der Gegensätze und fordert mit jedem Stück den Gedankenapparat aufs Neue. Ungewohnt politisch wie „Inflationsbereinigung“ und gesellschaftskritisch wie in dem Song „Respekt, Anstand, Moral“ greift man aktuelles Zeitgeschehen auf, verarbeitet es in Lyrik und Rhythmus und fordert den Zuhörer unnachgiebig seine eigene Meinung zu überprüfen oder zu bilden. Man erinnert in „Hörst du das Meer?“ an Fukushima oder greift auch den menschlichen Drang seine Welt zu zerstören in „Massengrab:Mensch“ auf. Keine Atempause, keine Nachgiebigkeit.
Ist das nun Gothic? Thematisch ist es sicherlich genau das, musikalisch dann doch eher in anderen Bereichen angesiedelt. Es ist der Band aber auch überhaupt kein Anspruch eine Musikrichtung zu bekleiden, mit jedem Ton und jeder Zeile versucht man, den Kopf zum Handeln zu bewegen. Man möchte die Kraft sein, der einen imaginären Schalter umlegt und den Zuhörer zum Nachdenken animiert. „Wir denken nur ganz anders…“ Denken sie wirklich anders oder sprechen nur aus, was jeder denkt? Lässt man sich auf jedes Stück rückhaltlos ein, wird das Gewicht auf den eigenen Schultern immer schwerer, zu erdrückend scheint die Realität und zu beklemmend die Wahrheit. Das Fortleben versucht zu helfen. Mit Stücken wie „Weltbrand“ fordern sie von geneigten Zuhörern Tanzbewegungen, die davon befreien sollen im Zustand der Verzweiflung zu verharren. Vielleicht lockt es auch die rein tanzwütigen Anhänger einer Subkultur um sie mit Texten zu konfrontieren, denen man unmöglich ausweichen kann. In Zeiten, in denen Unheilig zusammen mit Schiller auf technoider Schlagermusik die DAC stürmen eine willkommene Bodenständigkeit und Bekenntnis zu Inhalten und Unbequemlichkeit.
Die Musik von Das Fortleben ist nicht jedermanns Sache, sie ist eigenwillig, genauso wie die Idee hinter der Band. Es ist mutig so scharfkantig mit einem Album herauszukommen, von dem ausgehen muss, dass es zwischen harscher Kritik und überschwänglichen Lob hin- und her gerissen wird. Musikalisch nicht mein Fall, das Konzept des Albums, die Inhalte der Texte, der Mut und die Leidenschaft etwas gegen den etablierten Mainstream in der schwarzen Szene zu unternehmen, gefallen mir aber sehr.
Band: Das Fortleben | Album: Der Mensch ist los! (CD 16,50€, MP3 10€) | VÖ: 9. Oktober 2012
Gefällt mir gut. Die Themen sind klug und regen zum Nachdenken an. Elektrisch, aber fein. Ist für mich trotzdem Gothic.