Es ist noch gar nicht solange her, da meckerten wir herzhaft und ausgiebig über die großen Festivals. Die meisten waren sich einig: Was auf dem Mera Luna in Hildesheim oder dem Amphi in Köln zu hören und zu sehen war, hatte mit der „Szene“ nicht mehr viel zu tun. Artfremde Musikstile und merkwürdige Gestalten, die sich unter den Fangarmen des Kommerz-Kraken tummelten, drängen die eigentlichen Szene-Anhänger in die Resignation. „Man müsste selber etwas auf die Beine stellen!“ So klang der einheitliche Tenor, in dem ein Hilfeschrei nach brauchbaren Alternativen lag.
In Augsburg hatte man ein offenes Ohr für den stillen Schrei der Szene. Seit 3 Jahren gibt es dort die Party-Reihe „Deca Dance“, die nach rund 15 Veranstaltungen in der Ballonfabrik Augsburg einen beachtlichen Bekanntheitsgrad erreicht hat. Mittlerweile nehmen manche Besucher eine Strecke von 400-500 km in Kauf, um die Mischung aus DJ-Sets und Live-Musik zu genießen. Diese Form der Anerkennung war den Veranstaltern Grund genug, im November 2012 den Entschluss zu fassen, das „Young & Cold Festival“ zu veranstalten, das vom 13. bis zum 14. September 2013 in besagter Ballonfabrik stattfinden soll.
Das Line-Up (ohne Gewähr) kann sich sehen lassen: Velvet Condom, Lebanon Hanover, Kinder aus Asbest, Bloodygrave, MassendefeCt, Paradox Sequenz, Corps Noir, Eycromon, Tiefenstadt, NachtAnalyse, Radio Murmansk. Die auf 155 Stück limitierten Festivaltickets sind für 34,50€ über Facebook als Vorbestellung oder ab dem 23. März 2013 im Vorverkauf auf der Deca Dance XV erhältlich, eine Abendkasse wird es nicht geben.
Nachdem mit einem „Zaunpfahl“ auf die Veranstaltung hingewiesen wurde, habe ich es mir nicht nehmen lassen, die 6-köpfige Veranstalter-Hydra um ein Interview zu bitten. Ich wollte wissen, wer hinter dem kleinen Festival steckt, was die Idee zu „Young & Cold“ war und welche Leidenschaft sich hinter dieser „Non-Profit“ Veranstaltung, bei der alle Einnahmen lediglich die entstehenden Ausgaben decken, verbirgt.
Ihr seid ein Team von Leuten, die gemeinsam ihr erstes Festival auf die Beine stellen. Das finde ich nicht nur mutig, sondern auch ziemlich großartig. Würdet ihr Euch und das „Young & Cold Festival“ kurz vorstellen?
Marcel: Hallo Robert und liebe Spontis Leser, vielen Dank für die Interviewanfrage zum Young & Cold Festival. Mein Name ist Marcel und ich bin 28 Jahre alt. Im normalen Leben arbeite ich als Arbeitstherapeut in der Wohnungslosen- und Sträflingshilfe. In der Gothicszene bin ich seit ca. 14 Jahren und als DJ unter dem Namen „Bat“ seit 2001 bekannt. Ich sammle leidenschaftlich Musik und spiele Synthesizer. Zusammen mit meinen beiden DJ Kollegen Daniel Hallhuber (DJ NeonForce / Nachtanalyse) und Manuel Sammet (DJ Mannequin) bilden wir das Deca Dance Team Augsburg von Dead and Buried Events. Seit nun 3 Jahren arbeiten wir zusammen und veranstalten die Party „Deca Dance“
Ich bin Daniel (DJ Neon Force) ich veranstalte das Festival und die „Deca Dance Party“ zusammen mit meinen Freunden. 1999 habe ich angefangen Partys zu veranstalten, damals noch in einem alten Bauwagen im Wald. Meine Freundin Babsi und ich haben damals alles selber organisiert und freuen uns jetzt, dass wir durch unsere Freunde und Gäste bei dem Festival unterstützt werden. 2003 habe ich zusammen mit Babsi die Band „Nachtanalyse“ gergründet, die mittlerweile noch von Basti verstärkt wird.
Ich bin der Basti, 33 Jahre alt. Ich spiele seit 10 Jahren Synthesizer und gehöre mit den Bands „Nachtanalyse“ und „Paradox Sequenz“ mit zum Programm. Musikalisch orientiere ich mich an elektronischer Musik aus den Achtzigern. Ich unterstütze das Team in allen Belangen, bin Mädchen für alles.
Ich heiße Manuel, bin 26 Jahre alt, freidenkend seit 12 Jahren und von Beruf Fluggerätmechaniker in der Fertigung für Airbus. In der schwarzen Szene bin ich nun seit 4 Jahren aktiv. Musik ist ein wichtiger Bestandteil meines Lebens, ich spiele Synthesizer und sammle Vinyl. Seit kurzem bereichere ich das Deca Dance-Team als „DJ Mannequin“.
Ich bin Sasha, 23 Jahre jung, bin seit meinem vierzehnten Lebensjahr an der Szene interessiert. Zusammen mit Babsi bin ich der kreative Kopf von unserem Team. Ich bin ein großer Liebhaber der achtziger Jahre, besonders wegen dem Synthesizerklang von damals, sowie die avantgardistische Kleidung und Frisuren aus dieser Zeit.
Young & Cold wird bei Facebook als „1. DIY Underground Wave/Goth/Minimal Festival“ angekündigt. Wofür steht das „Do it yourself“? Muss ich meine Musik selber mitbringen?
Marcel: Klar kann man seine Musik mitbringen, wobei wir zusammen eine recht große Sammlung an Schallplatten und CDs haben. Auch seltener Gehörtes. Was heißt DIY für uns? Mit viel Aufwand und vielen fleißigen Helfern ein einzigartiges Festival auf die Beine zu stellen. Ich möchte nicht zu viel verraten. Aber um einen kleinen Vorgeschmack zu geben: die komplette Deko wird von uns selbst per Handarbeit hergestellt. Wer schon mal bei Deca Dance war kennt die abwechslungsreiche Deko unseres Dekoteams. Auch die Buttons machen wir selbst. Deca Dance hat es sich auf die Fahnen geschrieben, volle Konzentration auf die Musik und die Vielfalt der Subkultur zu ermöglichen. Das Young&Cold ist auch ein NonProfit Festival die kompletten Einnahmen decken die Kosten die für das Festival entstehen.
Basti: Klar, kann man seine Musik mitbringen. DIY bedeutet auch, dass man seine Individualität pflegt.
Ihr seid, wie Eingangs erwähnt, ein ganzes Team von Veranstaltern, das sich darum kümmert, ein Festival auf die Beine zu stellen. Es gibt sicherlich viel zu organisieren und in trockene Tücher zu bringen. Wie kann ich mir die Team-Arbeit einer Gruppe Individualisten vorstellen?
Marcel: Ganz ehrlich chaotisch, aber das gehört dazu. Viel versuchen wir dank Facebook in Gruppenarbeit zu organisieren. Neben uns bereits genannten Personen, gehören auch viele weitere zum Orga Team dazu. Claudia die sich größtenteils um die Bandkontakte kümmert. DJ Team Bats.Noire (DJ Ultrafuchs & DJane Anachronismus) kümmern sich um die Organisation und darum, Hotels und Pensionen für die Festivalbesucher bereitzustellen und werden uns natürlich auch beim Festival musikalisch unterhalten. Auch die Grafikgestaltung für kommende Flyer und unsere FB Seite, die Sicherheit, unsere Tontechniker, die Bardamen & Catering gehören alle mit zum Team. Das gemeinsame Ziel „Die Leidenschaft zu unserer Musik“ bringt uns alle unter einen Hut.
Sasha: Chaotisch? Ach was!!! Man kann sich darauf verlassen, das über die Farbe und Blattstärke des Toilettenpapiers abgestimmt und diskutiert wird. Aber es ist und bleibt unser Baby. Das heißt, wir „Individualisten“ müssen lernen, an den richtigen Momenten die eigene Idee zurück zu schieben und andere vor zu lassen. Jedoch finde ich es schön zu beobachten, dass wir alle das gleiche Ziel haben und sich die Vorstellungen recht ähneln. Es wird zwar heiß diskutiert, jedoch rücksichtsvoll!
Basti: Ideen werden besprochen und meist kommt man auf den gleichen Nenner. Aber in der Regel halte ich mich aus allem raus und trage nur die Kabel.
Meiner Einschätzung nach könnte man Lebanon Hanover und Velvet-Condom durchaus als Headliner bezeichnen. Beide Bands sind national und international unterwegs und haben sich in „Underground-Kreisen“ einen Namen erspielt. „Die Kinder aus Asbest“ kommen aus Schweden, Bloodygrave reist aus Berlin an. Wie habt ihr diese und die vielen anderen Bands für euer Festival gewinnen können?
Marcel: Fast jeder von uns ist mit irgend jemand aus den Bands befreundet. Das ist das Schöne an dieser Szene, sie ist klein und man kennt sich untereinander. Wir haben auch eine Ausschreibung gemacht und zahlreiche weitere Bands angeschrieben. Am Ende der Frist hatten wir 40-50 gute Bands auch aus Italien, Amerika usw. Die Bands, die dieses Jahr nicht dabei sind, werden wir vielleicht in der Zukunft wieder für uns gewinnen können. Wir werden es sehen.
Viele behaupten, Wave und Goth sind Musik- und Subkulturen, die schon vor vielen Jahren dem Untergang geweiht waren. Meist werden diese Strömungen von „älteren“ Szenegängern bevorzugt. Darüber hinaus zeugt es von Feuer und Leidenschaft, ein eigenes Festival aus der Gruft zu heben. Eigentlich müsste das Festival also Old & Hot heißen. Heißt es aber nicht. Ganz im Gegenteil: Warum der Name „Young&Cold“?
Manuel: Die Wave & Gothicszene findet ihren Ursprung in den 1980ern. geprägte Ära von Unmut, Frust, kälte & ausgeprägter Kunst. Die rasante, wie auch interessante Entwicklung von elektronischer und dunklen Musik dieser Zeit durchflutet damals wie heute die sinne ihrer Hörer wo sie kennen. im clubleben wie auf Festivals ist die Magie all dieser unzähligen Musikstücke jedoch schon lange in Vergessenheit geraten. vermehrt jüngeres Publikum bekommt von dieser Welt oft leider nichts mehr mit.
Menschen die aus dieser Zeit entsprungen sind, vergessen sie nicht. So einfach erklärt sich der Strom „älterer“ Szenegänger. Viele aktuelle Interpreten sind jedoch nicht darauf aus Mainstream Pop oder Vocoder-Techno zu fabrizieren, sie sind im Untergrund und machen hervorragende Kunst. Das Young & Cold Festival zeigt eine Welt von damals und heute … im verborgenen. Um was geht es am 13. & 14. September? Musik und Kultur.
Sasha: Festivals dieser Art sind für mich Resteessen. Es scheint nicht mehr viele Waver und Grufties mit der Leidenschaft für diese Art der Musik und mit der Ästhetik zu geben. Da sind für mich solche Treffpunkte, wo sich die Einzelkämpfer vereinigen können, Gold wert. Viele beschweren sich über den Verfall der Subkulturen, bleiben aber passiv. Wo ist da die Logik? Uns ist die „Artenerhaltung“ wichtig und deshalb gibt es dieses Festival. Deswegen, lieber Robert, packt die Koffer und besucht uns!
Basti: Meiner Meinung nach findet in der Szene so langsam ein „Erwachen“ statt. (Erwachen feat. Neuer Trend, Modeerscheinung?). Es wird vermehrt die eigene Stellung in der Subkultur hinterfragt. Das wichtigste für mich an der Waveszene ist, dass sich die Freigeister vereinen können. Anders wie vor 30 Jahren, aber mit ähnlichen Intentionen. (Musik, Kunst, etc.)
Das Festival ist auf 155 Tickets limitiert. Was steckt hinter dieser Beschränkung?
Marcel: Zum einen müssen wir uns an die gesetzlichen Beschränkungen der Räumlichkeiten halten und zum anderen ist eine Debüt-Veranstaltung bei der sich die Gäste mit den Künstlern im kleinen Rahmen vermischen und sich austauschen können. Ob wir das in der Zukunft auch so machen werden, ist abhängig von der Resonanz.
Ich bin ganz sicher, dass die Karten wie warme Semmel über die Ladentheke gehen werden und das Festival ein voller Erfolg werden wird. Was ist für die Zukunft geplant?
Marcel: Wir denken in kleinen Schritten. Sollte das Young and Cold dieses Jahr gut ankommen, wird es sicher eine Wiederholung geben. Bereit dafür sind wir!
Puhhh, ich bin ja echt geneigt, mich bei denjenigen einzureihen, die eine Strecke von 400-500km auf sich nehmen…
Ich freu mich jetzt schon wie ein Schnitzel! :D
Basti ist Mädchen für alles *gggg* Aaaaw!
Klasse Festival und ein liebevoll gemachter Bericht bzw. Interview dazu. Das atmet schon viel 80er und auch Punk, so ein eigenes kleines Event aus dem Boden zu stampfen und mit Herzblut zu organisieren. Ein „Kollektiv“ ist auch vonnöten, denn bei dem Umfang müssen es schon paar Köppe und Hände mehr sein. Ich drücke Euch die Daumen, dass alles gut läuft, die Deko sitzt und es in der VVK-Bude so richtig rappelt.
Von unserer Party („Elektronische Nacht“) kann ich auch sagen, dass so ca. 150 Leuts schon das sind, was man braucht, um die Kosten zu decken. Das Wichtigste ist nämlich wirklich, dass man sowas aus Enthusiasmus und Liebe zur Musik & Party auf die Beine stellt und nicht um Geld zu verdienen. Leider ist das in der schwarzen Szene heutzutage nicht selbstverständlich. Viele ändern dann ihr Programm oder holen bekanntere, angesagtere Künstler, um die Hütte voll zu kriegen. Der wahre Untergrund ist aber nun mal sehr klein. Daher sollte man seinen Idealvorstellungen von guter Musik und Underground-Konzerten treu bleiben und lieber erstmal kleine Brötchen backen und schauen wie’s ankommt. Ihr macht’s in meinen Augen genau richtig und ich wünsche viel Erfolg!
@mela: Aus welcher Richtung kommst du denn? Vielleicht kann man ja schnell und unbürokratisch etwas organisieren.
@Sasha: Da bin ich doch gerade gespannt, wie sich ein Schnitzel freut ;)
@shan_dark: Das deckt sich mit meiner Erfahrung. Der Underground bleibt ein überschaubarer Pool mit ein paar verrückten Gestalten drin. Es ist mir schon oft aufgefallen, dass man hier immer die gleichen Gesichter sieht. (Was jetzt wirklich nicht schlecht ist, sondern sehr schön) Trotzdem bleibt die Menge konstant, weil sich immer wieder Nachwuchs in den Underground schleicht, während so mancher sich auf seinem Altenteil ausruht.
So, Karten sind bestellt und bezahlt. Krieg’n tu ich sie auf’m WGT.:))
Meine Abwesenheit in der Onlinewelt sei es geschuldet, dass ich mich erst jetzt wieder melde. ICh komme aus dem Raum Bremen-Oldenburg-Osnabrück. Würde gerne hinfahren – vielleicht findet sich ja jemand zum zusammen anreisen???