„What can the damned really say to the damned?“, fragt sich Louis, als er sich aufmacht, die Vampire der alten Welt zu finden, um das tiefste Geheimnis und den Ursprung aller vampirischen Existenz zu ergründen, in der Hoffnung, sein eigenes Dasein besser zu verstehen.
Auf meiner Fahrt zum WGT musste ich unwillkürlich an ihn denken: War ich doch auch auf der Suche nach weiterer gruftiger Existenz außerhalb meines eigenen dünn besiedelten Umfeldes. Was würde mich erwarten? Natürlich hoffte ich sehr, dass es mir nicht wie Louis ergehen würde und sich das, was ich finden würde als „mindless corpse“ entpuppte. Meine Gedankengänge wurden jäh von einer Gruppe von Pfadfinder-Kids unterbrochen, die in Frankfurt zustiegen. Eine von deren Betreuerinnen hieß auch noch Maren, sodass permanent mein Name durch den Zug gebrüllt wurde.
Schwarzer Gleichklang im Täubchenthal
Nachdem etwas Schlaf für Erholung von der Zugfahrt gesorgt hatte, begegneten mir auf dem Weg zur Bändchenausgabe am Bahnhof allerhand Gestalten in seltsamen Gewandungen, die in mir die Frage aufkommen ließen, welch seltsame Form von Schwarz darunter verborgen läge. Oder handelte es sich womöglich um Hüllen, die dazu dienten, um Nicht-Sein zu verbergen? Eine Art Fluchtimpuls befiel mich, und so setzte ich mich in eine Straßenbahn, Richtung Täubchenthal. An der Haltestelle stieg außer mir noch eine Frau in Schwarz aus. Wir wussten sofort, dass wir dasselbe Ziel hatten und zeichneten uns durch dieselbe Planlosigkeit aus. Wir mussten erst einmal lachen. Der Sympathiefunke sprang sofort über und wir beschlossen: „Wir verirren uns gemeinsam.“ Geballte Planlosigkeit hebt sich auf, und so erreichten Sandra und ich dann das Täubchenthal. Wir wurden vom düsteren Sound der norwegischen Deathrock Band Batboner begrüßt, der uns gleich einfing: „Hier sind wir richtig.“
In der Pause setzten wir uns draußen auf die Holzstufen und sogen die Atmosphäre des Ortes in uns auf. Wir fühlten uns wohl, denn wir spürten, dass wir uns unter Menschen befanden, die ihre Gefühle zur Musik auslebten, deren Äußeres dies unterstrich und nicht dazu diente, um Leere zu verbergen. Sandra und ich hatten uns viel zu erzählen: Lustiges, Trauriges, Schräges, sodass wir eine Band komplett verpassten und von einer anderen nur die Hälfte der Songs mitbekamen. Dies wurde jedoch dadurch aufgewogen, dass wir es als unglaublich bereichernd empfanden, so offen miteinander reden zu können, obwohl wir uns doch vorher nie gesehen hatten.
Den Auftritt von Tragic Black verfolgten wir dann wieder komplett mit und beschlossen, jetzt unseren Platz vorne links von der Bühne nicht mehr zu verlassen, damit wir zum Auftritt der Sexgang Children unsere gute Sicht beibehalten konnte. Mir hatte die Band beim Reinhören ins WGT-Line up schon gut gefallen und Sandra war ein absoluter Fan. Andy Sexgang schaffte es, mit seiner Band die an sich schon gute Stimmung noch einmal bis zur Ekstase zu steigern. Was uns beeindruckte, war wie die Band trotz des Alters von allen die Düsternis am leidenschaftlichsten transportierte. Ihr Song Sebastiane klang mindestens genauso gut, wie in dem YouTube Video mit der Aufnahme aus den frühen 80er Jahren. Welche Ausdrucksstärke, welche Variationsbreite und welchen Zorn Andy Sexgang stimmlich an den Tag legte, besonders bei den langsameren Stücken! Der Bitte um eine Zugabe aus dem Publikum kamen sie jedoch nicht nach, was für uns absolut verständlich war. Sie hatten alles gegeben. Dafür gebührt ihnen mein Dank genauso wie Sandra für einen überragenden ersten WGT-Abend.
Zwischen Melancholie und Tanzfreude
Viele Wege führen ins Dunkel und es ist spannend, verschiedene davon zu beschreiten. Also zog es mich am nächsten Tag zu Klez.e in den Volkspalast. Über sie hat Robert ja schon einen wunderbaren Artikel geschrieben. Mir ermöglichte ihre Musik ein Abtauchen in Traurigkeit, das in einem starken Kontrast zu der wilden düsteren Feier am Vorabend stand. Cure Cover Band? Allen vorherigen Diskussionen zum Trotz muss ich nach dem Miterleben ihres Auftrittes sagen: Für mich nicht: The Cure klingt nach meinem subjektiven Empfinden eher nach November: milder Nieselregen, Nebel, Wald, während Klez.e frostiger rüberkommt: Schneegriesel, eisiger Wind und graue Straßenzüge in einem nicht enden wollenden Januar. Dieser Unterschied ist meinem Empfinden nach der Verwendung der deutschen Sprache und den Texten geschuldet.
Im Nachhinein denke ich auch, dass dieser kalte Hauch von Traurigkeit dafür verantwortlich war, dass ich nach dem Konzert plötzlich nicht mehr unter Menschen sein wollte, von denen sich in diesem Moment zu viele vor Ort befanden. Es war also an der Zeit, mich zurückzuziehen. Glücklicherweise wird einem dies durch die Konzeption des WGTs ermöglicht. Nicht auszudenken, wenn ich auf einem eingezäunten Festivalgelände hätte verharren müssen.
Doch diese Rückzugsphase währte nicht ewig, denn ich verspürte plötzlich den Wunsch, irgendwo zu tanzen, am besten irgendwo, wo ich zu Fuß hingehen konnte: Also Dark Flower. In der Warteschlange vor dem Club war ich dann wieder gesellschaftsfähig. Das heißt für die richtige Gesellschaft! Die hatte ich auch dann in Gestalt zweier sehr netter Australier, die eine 30-stündige Anreise auf sich genommen hatten, um nach Leipzig zu kommen und mir schilderten, wie schwierig Goth sein bei ihnen zu Hause sei. Als wir es dann ins Innere unseres Tanztempels gelangten, sorgten ziemlich ohrenbetäubender elektronischer Sound gleich einmal für einen Adrenalinschub zum Wachwerden. Und dann tönte es wieder ganz plakativ: „Angepasste Spießerschweine“. Zum Fremdschämen? – Nein, zum Mittanzen!
Ungeachtet dessen, dass man eigentlich eine Bandage trägt und die Woche vorher massive Probleme beim Treppensteigen hatte und ohne Rücksicht darauf, dass man eigentlich gar nicht besonders gut tanzen kann. Was mir persönlich besonders auffiel, war das rücksichtsvolle Verhalten der Akteure, denn obwohl die vordere Tanzfläche zum Bersten voll war, kam es zu keinerlei Rempeleien und die Leute machten sich immer sehr behutsam bemerkbar, wenn sie durch die Menge von A nach B gelangen wollten. Nach einer Pause zog es mich dann zur hinteren Tanzfläche, die im wabernden Nebel in der Gruft des Clubs verborgen war. Dort hatte ich plötzlich das Gefühl, dass mir drei der Gestalten auf der Tanzfläche bekannt vorkamen, doch ich hielt dies zunächst für eine Halluzination. Doch es war tatsächlich ein Wiedersehen mit Menschen, denen ich schon am Vortag begegnet war. Natürlich ein Grund, länger als geplant im Darkflower zu verweilen und erst zum Schlafen zu gehen, als der Club am Morgen zumachte.
Archaische Klänge versetzen das Schauspielhaus in Trance
Für mich war das Faszinierende am WGT schon beim Versuch mich im Vorfeld durch das Line up durchzuhören, die unglaubliche Bandbreite düsterer Musik, die man dort erleben konnte. Ganz besonders eigenwillige Klänge haben Eihwar aus Frankreich kreiert: Eine Mischung aus Folk, Wikingerkriegsgesängen und elektronischen Tönen, die sie selber Viking War Trance nennen. Damit lockten sie mich an meinem letzten WGT-Abend ins Schauspielhaus.
Ich fragte mich, ob das die richtige Location für dieses kriegerische Duo wäre, denn im Schauspielhaus – so mein Vorurteil – werden eher Dinge dargeboten, bei denen man aufpassen muss, nicht einzuschlafen, um keine missbilligenden Blicke zu ernten, wenn man dann geräuschvoll vom Sessel fällt. Kaum aber waren die Türen des Saals geschlossen, legten die beiden mit einer Zeremonie los, die das Publikum wortwörtlich vom Hocker riss. Zu den dumpfen Trommelklängen wurde vor der Bühne und neben den Sitzreihen getanzt. Auch den bei den Zuschauern auf den Sitzplätzen konnte man erkennen, wie sie von der Musik durchströmt und ergriffen wurden.
Der Gesang wechselte zwischen melodiösen und eher an Metalgrowls erinnernden Tönen. Während Marc sich als dunkler Krieger im Hintergrund hielt, nahm Asrun mit ihrem wilden Kriegstanz die komplette Bühne für sich in Anspruch. Mich erinnerte das zum einen an Jim Morrisons ekstatische Darbietung zu „Not to touch the Earth“ zum anderen an Tänze und Gesänge der amerikanischen Ureinwohner – die erst Musikschallplatte, die ich überhaupt besessen hatte. (Nun, meine offen bekannte Vorliebe dafür hatte nicht gerade zu meiner gelungenen Integration an der weiterführenden Schule beigetragen.) Für mich hat diese Musik allerdings nichts mit Krieg und Gewalt zu tun, sondern sie wirkt durch das Hervorrufen archaischer Kräfte befreiend. Am Ende standen dann auch alle im Saal und wiegten sich in absolut friedlicher Atmosphäre beinahe wie von Trance ergriffen zur Musik. Die Schamanin Asrun und ihr Begleiter hatten die von ihnen beabsichtigte Wirkung erreicht.
Epilog
Ein Freund hatte mir vor einem Jahr gesagt, als ich ihn bei seiner Rückkehr aus Leipzig nach seinen Erlebnissen auf dem WGT gefragt hatte: „Das ist der richtige Ort für dich. Ich kann dir nur Empfehlen, hinzugehen.“ Bewahrheitet hat sich bei meiner Reise zum Kern schwarzer Existenz die Weisheit eines alten Meisters im Dialog mit seinem Schüler:
„Was werde ich dort finden?“
„Nur was du mit dir nimmst!“
Lieben Dank für den schönen und stimmungsvollen Bericht und vor allem das feine Zitat am Ende. Egal wie nervig der Arbeitstag war und ist, das zaubert ein Lächeln in das Gesicht des Nerds in mir.
Das Zitat am Ende trifft das Erlebnis „WGT“ auf den Punkt! Toller WGT- Bericht!
Finde ich auch. Aber warum hast du denn das spontis treffen nicht mehr erwähnt?
Tatsächlich habe ich damit gerechnet, dass sich das vielleicht der ein oder andere fragt, der mich dort gesehen hat. Ich hätte auch erst überlegt, ob ich das Spontistreffen mit in den Bericht hinein nehme. Aber das Spontis Treffen und der Rückblick gehört meinem Empfinden nach ganz Robert. Das ist sein Text und ich habe mir vorgenommen, das was ich dazu sagen möchte, als Kommentar darunter zu schreiben. Für mich hat das Spontistreffen tatsächlich den höchsten Stellenwert auf dem WGT. Vielleicht hast du recht, und ich hätte es mit einem Satz erwähnen sollen. Ich habe mich aber komplett zurückgehalten (vielleicht aus falscher Scheu).
Ach so, kein Problem, hatte mich nur gewundert ;-)
Habe mich gerade vergessen anzumelden, weil ich ganz schnell antworten wollte, damit Du nicht die falschen Schlüsse ziehst.
Das klingt eigentlich nach einem sehr typischen „ersten Mal“ – ich denke, den meisten geht es so daß sie erstmal erschlagen sind von dem Ganzen, und sich das dann in Planlosigkeit äussert.
Und wenn man alleine ist, dann hat man allerdings die Chance, ganz zufällig interessante Leute kennenzulernen – und schon ist man garnicht mehr so allein.
Mir gings auf jeden Fall ganz ähnlich – allerdings 2005 bereits. Planlos, allein und völlig überfordert – mit so ziemlich allem. Aber genauso haben sich immer solche Zufallsbekanntschaften ergeben – was auch ziemlich spannend war.
Danke für den Bericht – ist sehr sympathisch geschrieben und um ebenfalls auf das Zitat am Ende zurückzukommen: ich bin zwar von der „anderen Fraktion mit ‚Star‘ im Titel“ :D – aber ich musste grad auch schmunzeln, denn – es passt wirklich sehr gut.
Karl Klammer bluelotus Tanzfledermaus @adrian stahl
Vielen Dank für Eure freundlichen Worte. Es freut mich sehr, wenn Ihr etwas Freude beim Lesen hattet und das Zitat auch Mitgliedern der anderen „Star-Fraktion“ passend erschien :).
How about inviting bands from Russia? Last year and this one.
https://djdeath.co.uk/wave-gotik-treffen-leipzig-30th-anniversary-edition/