Mit einem Rückblick, oder besser gesagt einem Einblick auf das Amphi-Festival 2018 am Kölner Tanzbrunnen stelle ich Euch Hagen vor, ein neuer Autor in unseren Reihen. Hagen besticht nicht nur durch seine ausgeprägte Szene-Erfahrung, sondern auch durch ein besonders schneidiges Mundwerk. Am vergangenen Wochenende war Hagen für einen Tag auf dem Amphi-Festival 2018, wovon er uns unbedingt erzählen wollte.
Nach langem Zögern habe ich mich breitschlagen lassen, doch auch einmal zum Amphi Festival nach Köln zu fahren. Bislang hatte mich die Bandauswahl nie sonderlich interessiert und außerdem spielen irgendwie immer dieselben Headliner. Doch dieses Jahr versuchte man am Samstag wohl mal die alte Garde im wahrsten Sinne des Wortes mit ins Boot zu holen. Auf dem Schiff „MS RheinEnergie“ der Köln-Düsseldorfer Schiffsgesellschaft waren den ganzen Tag Postpunk und Wave angesagt. Das erwies sich später noch als wahrer Segen.
Apropos Segen: Papst Benedikt ist mit diesem Kahn zum Kirchentag getuckert, wo ihm die Band De Höhner „Da simmer dabei“ trällerte. Da der Papst der kölschen Mundart anscheinend nicht so mächtig ist, hat er die Zeilen mit CSD und Liebeslust wohl überhört und das Schiff trotzdem gesegnet. Kann ja nicht schaden. Noch mehr unnütze Info am Rande: Die Schiffe der Köln-Düsseldorfer Schiffsgesellschaft fahren nicht zwischen Köln und Düsseldorf. Warum das so ist könnte ich auch noch erklären, das würde aber den Rahmen sprengen.
Die Hitze hatte NRW seit Tagen im Griff und genau an diesem Samstag hatten die Szene-Götter wohl ein Einsehen und schickten nur 28 Grad, Wolken und ein bisschen Regen zu uns herunter. Die Deutsche Bahn gab auch wieder mit Böschungsbränden und anderen selbst erfundenen Ausreden ihr Bestes und so kamen wir mit nur einer Stunde Verspätung endlich in Köln-Deutz an. A Projection waren so schon mal für uns passé.
Schnell aus dem Bahnhof raus, der nicht vorhandenen (aber angekündigten) Beschilderung folgen und schon waren wir am Tanzbrunnen, dem Hauptfestivalgelände. Dort kamen uns als erstes ein Wehrmachtssoldat und andere Karnevalisten entgegen und mir wurde mal wieder klar, dass ich mich genau wegen solchen Leute nicht in den 80ern mit Skins geprügelt habe.
Nun ja, die Spinner ausgeblendet, ganz flott und unkompliziert das Tagesbändchen geholt und einmal in die Runde geschaut. 0,5 Liter Kölsch für 5 €, nicht schlecht für so eine Brühe. Da ging die Laune gleich gegen null. Das Gelände war gut gefüllt, doch alles ohne Gedränge. An einer großen Wasser-Station konnte man kostenlos selbst mitgebrachte Behälter befüllen. „Dat Wasser von Kölle is jut“ kam mir spontan in den Sinn, aber darum war ich nicht hier.
Der Rhein selbst hatte allerdings Probleme mit dem Wasser, so dass die dritte Bühne, das besagte Schiff „MS RheinEnergie“, nicht am Tanzbrunnen anlegen konnte. Neuer Standort: Das gegenüber liegende Altstadtufer, sehr zur Freude zahlreicher Touristen, die sich das schwarze Kuddelmuddel anschauen konnten.
Also ganz unkompliziert in den Shuttlebus rüber von der „Schäl Sick“ über die Deutzer Brücke. Schäl Sick bedeutet übrigens so viel wie die doofe Seite, so nennen Kölner die Seite des Rheins wo der Dom nicht steht und es hat wirklich nichts mit den Besuchern des Tanzbrunnens zu tun. Das Schiff erwies sich dann als Cap Anamur für geschundene Gruftis. Klimaanlage, vernünftiges Bier und Snacks, die von den Preisen her wirklich in Ordnung waren. Aufmerksames Personal, flotter Thekenservice und saubere WC-Anlagen. Da gab es wirklich nix zu meckern. Und eins stand fest: Hier bleiben wir!
Die Bandauswahl war mit Soviet Soviet, She Past Away, Lebanon Hanover und anderen gut getroffen, so dass man es sich beim gepflegten Weizenbier mit Musikberieselung gut gehen lassen konnte.
Das Schiff war auch nicht überfüllt, der karnevalistische Kostümanteil eher gering und die Stimmung super. So stellt man sich doch das Leben als Rentnergrufti vor. Flusskreuzfahrt unter seinesgleichen mit Musik, guten Gesprächen und – ach ja, ganz vergessen, zurück zur Überschrift – ich habe den ganzen Tag vergessen auch mal was zu essen. Aber wie war das mit „ein Bier sind drei Schnitten Brot“?
Das Amphi Festival scheint sich derweil mehr ausbreiten zu wollen. Nach dem Vorbild des Wave-Gotik-Treffens gibt es nun mit Bändchen auch freien Eintritt in Museen und noch vieles mehr. So hätte sich zum Beispiel der Wehrmachtsangehörige, der mir gleich zu Anfang begegnet ist, mal in der ehemaligen Gestapo Zentrale, dem EL-DE Haus, umschauen können und wäre vielleicht über seine Aufmachung ins Grübeln gekommen.
Von der Organisation her fand ich es, trotz der wetterbedingten Komplikation, alles sehr reibungslos. Nettes Sicherheitspersonal und sonstige fleißige Helferlein die mehr als entspannt waren. Fazit: Das Festival am Tanzbrunnen ist gar nichts für mich. Nicht meine Musik, nicht meine Leute und ich würde auch nicht noch mal hingehen. Aber da halte ich es wie die Kölner: Jeder Jeck ist anders und das ist auch gut so! Das Schiff allerdings war klasse und es schreit nach Wiederholung.
Klasse, danke für Deinen sehr zackig geschriebenen Bericht, da machte es mir sogar Spaß etwas übers Amphi zu lesen. Ich bin auch überhaupt kein Fan dieses Festivals, aber „jeder Jeck ist anders“ und es freut mich immer, wenn sich Leute amüsieren. Und dieses Jahr gab es ja auch ein paar 80er-„Gruftis“ mit OMD und Midge Ure, die sehenswert gewesen sein sollen.
Einmal im Tanzbrunnen „in die Runde geschaut“, einen Typen in Uniform erspäht und dann rüber zum Schiff (wo es wirklich immer besonders schön ist). Ich finde nicht, dass man so über ein zwei- oder zweieinhalb-tägiges Festival (rechnet man die Auftaktkonzerte auf dem Schiff mit) mit über 40 Bands und 12.500 Besuchern urteilen kann. Es waren großartige Bands da, auch und gerade für die Oldschool-Fraktion. Es waren großartige Menschen da, die Stimmung, zum Beispiel bei OMD, A Projection oder Girls Under Glass war sensationell. Nein, dieser Bericht ist unfair.
@Shan Dark: Ich gebe Dir hinsichtlich OMD und Midge Ure völlig recht. Die hätte ich auch gerne gesehen, losgelöst von jedem „schwarzen Zusammenhang“ – Sind Bands und Künstler meiner Jugend, die ich damals wie heute als sehr einflussreich empfinde. Jedenfalls für mich persönlich.
@Gothamella: Ich glaube du verwechselst Hagens Eindrücke und Meinung mit einem allgemeingültigen Urteil über das Amphi-Festival. Schwer zu sagen, ob es überhaupt möglich ist, ein Festival mit all seinen Leuten und all den musikalischen Eindrücken objektiv zu beurteilen. Ich glaube nicht, dass das Hagens Absicht war. Und tatsächlich würde ich seine Eindrücke eher als Einladend empfinden, denn auf die Idee, das Schiff mit einem Tagesticket zu besuchen, bin ich nicht gekommen. Es freut mich zu lesen, dass Gothamella ein großartiges Festival hatte, so soll es sein!
@Gothamella: Ich finde nicht, dass der Bericht unfair ist. Wie Robert schon geschrieben hat, handelt es sich hier ja bloß um die persönlichen Eindrücke und Empfindungen einer einzigen Person. Denen kann man zustimmen oder eben nicht. Ich lese hier keine an sich negative Bewertung des Amphi Festivals heraus. Hagen hat es nunmal nicht so gut gefallen wie manch anderen Besuchern. Ob man das jetzt nachvollziehen kann oder nicht, spielt doch gar keine Rolle. Jeder definiert ein „gelungenes Festival“ ja auch irgendwie anders.
Wie meine Vorredner/innen schon sagten, es handelt sich um persönlichen Eindrücke, leicht humorvoll verpackt. Es ging nicht darum das Festival schlecht zu machen. Und meinem Bericht kann man hoffentlich deutlich entnehmen, dass ich viele Sachen als sehr positiv empfunden habe und vielleicht auch noch mal mit einer Tageskarte zugegeben sein werde. Die Bandauswahl am Tanzbrunnen ist nun mal Geschmacksache. Und ob man sich wohl fühlt oder nicht ist nun mal auch bei jedem anders. Die Szene ist groß und unterschiedlich und das ist auch gut so. Und der Erfolg des Amphi-Festivals zeigt ja, dass sie eine große Zielgruppe ansprechen. Für andere gibt es z.B. den New Waves Day in Oberhausen oder die Gothic Pogo Party wo wieder ein ganz anderes Publikum angesprochen wird.
Bei Schreiben und Arbeiten am Underground Festiva Guide ist mir manchmal schon der Gedanke gekommen, dass auch kleinere Festivals sich nicht (mehr) nur auf die Musik und die Party danach konzentrieren, sondern mehr „drumherum“ ins Programm nehmen. Ob es notwendig ist oder ab einem bestimmten Level nur noch eine schlechter Imitationsversuch des WGTs? Ist wohl Geschmackssache. Etwas mehr „drumherum“ öffnet Veranstaltungen vllt auch für ein breites Publikum, für solche, dass jetzt nicht nur wegen der Bands gekommen wäre. Bietet auf jeden Fall aber eine Alternative, wenn das Bühnenprogramm gerade nicht dem eigenen Geschmack entspricht, oder man Lust nach Abwechslung hat.
Mir persönlich ist der Weg nach Köln für da Amphi ja zu weit. Mein bisheriger Eindruck davon ehrlich gesagt auch nicht sonderlich positiv. Aber naja, eine Sache ist wohl das was man draus macht….
Das mit dem Konzept übers reine Musikfestival ist ja nicht wirklich neu, gerade kleinere Festivals haben oft noch ein buntes Rahmenprogramm im kulturellen Bereich wie Workshops, Lesungen usw.
So z.B. auch bei einem kleinen, bereits seit ein paar Jahren existierenden Festival in Storkow (südliches Brandenburg), das bisher komplett an mir vorbei ging. Dieses Jahr spielen jedoch Slowdive dort – neben einer Fülle mir unbekannter Bands aus dem Singer-Songwriter und Alternativbereich sogar aus dem entfernten Ausland – was meine Aufmerksamkeit weckte. Als ich mir das Konzept anschaute, war ich auch angetan. Da wird ebenfalls ein Teil der historischen Altstadt und eine Burg mit einbezogen, es gibt abends Lichterspektakel, der Besuch in einem nahegelegenen Freizeitpark ist für Besucher kostenlos…
Auch wenn ich so kurzfristig nicht hinfahren werde, vielleicht hat ja sonst jemand Interesse, mal einen Blick drauf zu werfen:
https://www.alinaelumr.de/de
Bitte meine Kritik nicht missverstehen. Mich stört keineswegs der außerordentlich subjektive Eindruck von Hagen. Wie sonst sollte ein Festival-Bericht auch ausfallen, wenn nicht subjektiv? Mich stört vielmehr die pauschale Ablehnung des gesamten Festivals am Tanzbrunnen inklusive seiner Besucher, und das nach einem doch sehr, sehr kurzen Rundblick. Vielleicht entgeht mir bei Begriffen wie „Spinner“ auch der Witz, keine Ahnung. Auch war das Bier auf dem Schiff nicht preiswerter (3,50 für 0,33 Liter), sondern sogar teurer. Aber es war zugegebenermaßen Bier, kein Kölsch ;-)
Wie auch immer, Hagen hatte offenbar Spaß, ein paar tausend andere auch – so what!?
@Gothamella
Eine Runde Kuschelkurs und Tol(l)eranz? Kritik bleib fern, man ziehe ein den Schwanz?
Wie ermüdend, dass man sich heutzutage für jedes kleine Fünkchen Idealismus rechtfertigen und – im frechesten Fall – auch noch entschuldigen soll.
Und pssst… Ich vermute mal ganz stark, dass „Spinner“ gar kein Witz war.
Dieses Festival wird zum Großteil von Spinnern frequentiert. Von Wochenendgossicks, Blutengelmuttis, Karnevalisten, Schwarztouristen, und geltungsbedürftigen, halbnackten Spinnern. So weit, so vorhersehbar. Doch erwarte nicht, dass Leute, die sich dem Ursprung dieser Szene verpflichtet fühlen, einen solchen Etikettenschwindel hinnehmen, ohne sich mindestens hier und da einen sarkastischen Seitenhieb zu erlauben. Und da gab es schon weitaus giftigere Kritiken an diesem Festival, glaub mal. Dieser Artikel ist überaus sanft.
@Gothamella Nur zum Verständnis, Spinner bezog sich auf die „Spezialisten“ die mir als erstes entgegen kamen. Demnächst werde ich meine Texte mit Fußnoten versehen. :-D